Böse Familien-Katastrophe: ‚Happy End‘ von Michael Haneke****

Happy endDie Familie Laurent betreibt ein erfolgreiches Bauunternehmen im nordfranzösischen Calais. Nachdem der alte Patriarch Georges (Jean-Louis Tritignant) sich zurückgezogen hat, leitet Tochter Anne (Isabel Huppert) die Geschäfte. Vergeblich versucht sie allerdings ihren Sohn Pierre (Franz Rogowski) zum Mit-Manager heranzuziehen – er erweist sich jedoch als unfähig. In der großen, herrschaftlichen Villa der Laurents leben auch Annes Bruder Thomas (Mathieu Kassowitz), Arzt im Krankenhaus, und seine junge Frau Anais (Laura Verlinden) samt Baby Paul. Neu in diese Familie kommt nun Eve (Fantine Harduin), die 12jährige Tochter aus Thomas erster Ehe, die bisher bei ihrer Mutter in Südfrankreich lebte (warum diese Mutter ins Krankenhaus kam und dort starb bleibt unklar – Selbstmord, Vergiftung?). Doch Eve fühlt sich im neuen Heim einsam und verlassen, zu ihrem Vater, der sich seinerseits nur halbherzig um sie bemüht, findet sie kein inneres Verhältnis. Zumal sie entdeckt, daß der eine seltsam-sexuelle Beziehung zu einer anderen Frau, einer Musikerin, hat. Doch eine Katastrophe erschüttert das konventionell-fassadenhafte Familienleben mit seinen steifen, gemeinsamen Mahlzeiten als Großvater Georges einen Selbstmordversuch mit seinem Auto unternimmt – der aber mißlingt und ihn gelähmt in den Rollstuhl verbannt. Doch Georges gibt nicht auf, sucht nach weiteren Möglichkeiten, sich umzubringen, wobei er nicht nur seinen Friseur um Hilfe bittet, sondern auch auf den Straßen von Calais herumlaufende schwarze Flüchtlinge und – als alle ablehnen – seine Enkelin Eve. Die ihn dann während der  großen Familienfeier zu Annes später Verlobung (mit einem englischen Banker-Anwalt) in einem feudalen Restaurant am Meer hilft, mit dem Rollstuhl über eine abschüssige Rampe ins offene Meer zu fahren. Wobei sie dieses Geschehen so naiv wie kaltherzig in einem Smartphon-Clip festhält, wähernd die herbei stürtzenden Geschwister Anne und Thomas ihren Vater zu retten versuchen.

Michael Haneke, Regisseur und Drehbuchautor zugleich, zeigt in einem raffiniert angelegten, aber nicht immer leicht zu durchschauenden Puzzle kühler Bilder und Szenen den Zerfall einer bürgerlichen Familie, stellvertredend wohl für die heutige westliche Gesellschaft. Gund dafür sind übertriebene Selbstbezogenheit und seelische Vereisung der einzelnen Personen, das Fehlen von Empathie oder schlichter gesagt von  Liebe. Georges erzählt in einer Schlüsselszene seiner Enkelin Eve, wie er vor Jahren seine gelähmte Frau nach jahrelanger, aufopfender Pflege mit dem Kissen erstickte – aus tiefer Liebe, einem Gefühl, das über den Tod hinaus reiche.  Jetzt aber denkt und handelt er nur noch ganz egoistisch, will einfach Schluß machen. Tochter Anne ist eine tüchtige Geschäftsfrau, die noch Alles – wenn auch fassadenhaft – zusammenhält, aber seelisch erstarrt ist. Thomas versucht seine Unzufriedenheit in sexuellen Fantasien auszuleben, für seine mutterlos gewordene Tochter Eve, empfindet er kaum etwas. Annes Sohn Pierre treibt sich einsam in Karaoke Clubs herum. Eine Familie ohne Gefühle, schon gar nicht füreinander – sie zerfällt.

Haneke erzählt nicht geradlinig, sondern schneidet Szenen und Dialogen oft so, daß deren Sinn oder Bedeutung erst im Zusammenhang mit späteren Bildern sich erhellt. Dramaturgisch gelegentlich allzu erdacht, oder zu kunstvoll ins erlesene Bild gesetzt. Virtuos dagegen bezieht Haneke die aktuellen Kommunikationsmittel ein und füllt die gesamte Leinwand jeweils mit Handy-Clips, SMS oder Twitter-Zeichen und Youtube-Filmchen. Das Schauspieler-Ensemble verkörpert die vorgegebenen Charakterrollen mit hoher Perfektion und lassen die zwischen den Familienmitgliedern herrschende Kälte deutlich spüren.

Doch auch das Farcenhafte diese Familiendramas vermag Haneke anzudeuten, ohne daß das böse Drama je ins Lächerliche kippt – eine virtuose Balance, ein bitteres und sarkastisches „Happy End“.

Poster/ Verleih: X Verleih

zu sehen: Capitol;  Cinema Paris (Dt. u. OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; Delphi LUX; fsk (OmU);  Hackesche Höfe Kino (OmU); Kino in der Kulturbrauerei; Neues Off (OmU); New Yorck