Im düsteren Breitwand-Format: ‚Le Prophète‘ in der Deutschen Oper***

ProphetMit dem Musikdrama „Der Prophet“ beendet die Deutsche Oper Berlin einen über mehrere Spielzeiten verteilten Zyklus von vier Opern des legendären Komponisten Giacomo Meyerbeer, dem Hauptvertreter der französischen „Grande Opera“ im 19.Jahrhunderts. Werke, die auf Grund ihres Aufwandes nur selten im Repertoire auftauchen und deren musikalische Gestaltung lange Zeit für zweitrangig angesehen wurden, (Ausnahmen wie die umjubelte, popig-elegante Inszenierung der „Hugenotten“ von 1987 an der Deutsche Oper scheinen diese Vorbehalte nur zu bestätigen.) Auch die innerhalb des neuen Zyklus präsentierten Aufführungen überzeugen nur partiell und lassen manche Fragen offen.

„Der Prophet“ (UA.:1849 in Paris) schildert die historische Episode der grausamen Herrschaft der reformatorischen Wiedertäufer-Sekte im westfälischen Münster sowie deren gewaltsames Ende 1535. Die Oper verknüpft diese Gottes-Staats-Revolte mit dem (erfundenen) privaten Schicksal eines ihrer Anführers, dem Niederländer Jan van Leiden. Nach Meyerbeers und seinen Co-Autors Eigène Scribes Libretto steht der holländische Schankwirt Jan zunächst den Wiedertaufern, die in Gestalt einer strengen Drei-Mann-Gruppe bei ihm auftauchen, skeptisch gegenüber. Doch als ein Adliger seine Braut Berthe entführt und vergewaltigt, schließt er sich der aufsändischen Volks-Meute an, erobert Münster, wo die Wiedertäufern ein brutales „Gottes-Reich“ errichten, in dem nackte Gewalt regiert, und geht als die kaiserlichen Truppen die Stadt zurückerobern, zusammen mit seiner ehemaligen Braut Berthe und seiner treuen Mutter Fidés unter:  in der neuen Inszenierung an der Deutschen Oper erschießt er sich selbst, auf die gewaltige, alles zerstörende Pulver-Explosion des Originals wird verzichtet.

Der französische Regisseur Olivier Py und sein Ausstatter Pierre-André Weitz verlegen die Story in eine heutige, ziemlich triste Stadtlandschaft, Die ständig kreiselnde Drehbühne gibt Blicke frei auf nackte Hauswände, eine kleine Bar, ein leeres Schlafzimmer, die nackten Räume einer Militär-Kaserne sowie – am Ende – einen großen leeren Raum (im Libretto: das Innerer des Doms zu Münster). Gelegentlich hellen ein paar bunte Reklame-Tafeln die düstere Atmosphäre auf. Der große Volks-Chor in schlicht-farbloser Kleidung postiert sich vorwiegend in breiter Linie an die Rampe, singt direkt ins Publikum und auch die Solisten verharren – oft symmetrisch arrangiert – auf der Vorderbühne mit kurzem Blick-Kontakt zum Dirigenten. Dafür hechten ein knappes Dutzend Tänzer als halbnackte Soldaten über Hauswände, Etagen und Balkone, treiben Waterboarding und andere Gewaltakte, schleppen Särge von links nach rechts oder üben mit ihren Nutten wilde Nahkämpfe  – und ersetzen dadurch auch – unter Beibehaltung der gesamten Musik – das ländlich-hübsche „Schlittschuh-Läufer“- Ballett des Originals auf alberne Weise (was zu kräftigen Buh-Rufen im Publikum führt). Meyerbeers vielfältig-bunter Bilderbogen, mal ganz unverbunden folkloristisch-lyrisch, mal revolutionär-dramatisch, wird hier zum düstern Breitwand-Thriller eingedampft.

Animierender fällt die musikalische Seite des Abends aus. Dirigent Enrique Mazzola beweist viel Sinn und Gefühl für Meyerbeers Musik, für die farbige Mischung aus zarter Lyrik und dramatischer Steigerung, für das stilistisches Pendeln zwischen eleganten Belcanto-Koloraturen und psychlogisch motiviertem, hochgepuschtem Ausdruck. Mazzola beachtet die leisen, instrumentalen Zwischentöne ebenso wie die auftrumpfenden Schmetter-Finali, er ünterstützt dezent die melodiesatten Arien und Duette der Solisten, und animiert mit Verve die Klang-Pracht der Chöre. Über einzelne Tempi lässt sich streiten,, doch der Gesamteindruck überzeugt und bringt Meyerbeers so sensible wie gefällige  Musik zu bester Wirkung.

Von den zahlreichen Solisten überzeugen vor allem Clémentine Margaine als taffe Mutter Fidés mit kraftvollem, in der Höhe fast metallischem Mezzo und Elena Tsallagova in der Rolle der vergewaltigten Braut Berthe durch ihren klaren, runden Sopran. Diese Ausdruckskraft der beiden Frauen und Ensemble-Mitglieder erreicht die Männer-Riege nicht,  .Vor allem Gregory Kunde in der Titelrolle des „Propheten“ Jan van Leiden vermag die Unebenheit seiner Gesangslinie durch trompetengleiche Spitzetöne nur mühsam zu kaschieren. Seth Carico als baß-bariton-lastiger Bösewicht bleibt zu blaß

Giacomo Meyerbeer, gebürtiger Berliner und französischer Star-Komponist seiner Zeit ist auch nach diesem ehrgeizigen und aufwendigem Zyklus an der Deutschen Oper eine weiterhin zu knackende Nuss – vor allem für Regisseure. Sänger und Musiker dagegen finden offensichtlich leichteren Zugang zu seinen opulenten Spektakeln und „Großen Opern“.

Foto: Bettina Stöß / Deutsche Oper Berlin

Premiere: 26.November 2017; weitere Vorstellungen: 30.Nov.; 3./ 9./16. Dez.2017