Überfrachtet: ‚Carmen‘ in der Deutschen Oper Berlin***

carmenDOBVor einiger Zeit ließ der norwegische Regisseur Ole Anders Tandberg in der Deutschen Oper die „Lady Macbeth“ von Sckostakowitsch ihre Untaten in einer Fischfabrik verüben, jetzt entpuppt sich in seiner Neuinszenierung von Georges Bizets „Carmen“ die berühmte Spanierin als Mitglied einer modernen Maffia-Bande, die mit menschlichen Organen schlimmen Handel treibt.  Dementsprechend legt Carmen keine (Spiel-)Karten, sondern sortiert Nieren. Die riesige Dehbühne zeigt mal eine steil ansteigenden Arena-Tribüne, die auch als Tabakfabrik oder Kneipe dienen kann, mal eine dahinter befindliche, hohe Latten-Wand, an der die herumlungernden Soldaten bis zum Umfallen onanieren, um dann abgeschleppt und ausgeschlachtet zu werden. Auch Escamillo, der schmerbäuchige Torero im weiß-goldenen Glitzer-Dress, liebt es fleischlich: schneidet dem toten Stier die Hoden ab und überreicht sie zum Zweck der Anbahnung der freundlich nickenden Carmen als galante Aufmerksamkeit. Natürlich endet der verbrecherische Maffia-Handel in der Katastrophe: der mutterfixierte und von Carmen verlassene Don José ersticht im Eifersuchts-Rausch die coole Geliebte, reißt ihr das Herz aus der Brust und streckt das blutige Teil mit erhobenem Arm dem Publikum entgegen: Black out! 

Regisseur Tandberg hat sich eine kurde Mischung aus Kritik an heutigen gesellschaftlichen Zuständen und ironischem Spiel mit althergerachten Opern-Konventionen ausgedacht und zu einer symbolisch aufgeladenen Bilder-Revue arrangiert. So tragen eispielsweise die Maffia-Schmuggler modisch-elegante Smokings, Carmen jedoch präsentiert sich in altmodischen, roten Rüschen. Das gedankliche Konzept ist überladen und verkrampft, die szenische Bilder oft überdreht und undurchsichtig – und dennoch im theatralischen Arrangement und der Personenführung immer wieder durchaus effektvoll. Auch trotz aller technischen Behinderungen der Bühnenmaschinerie, die seit dem Wasser-Einbruch an Weihnachten nur eingeschränkt nutzbar ist.

Glücklicherweise überspielen Musiker und Sänger-Ensemble diese fragwürdige Blut- und Hoden-Ästhetik mit viel Temperament und guten Stimmen. Schmissig leitet der kroatische Dirigent Ivan Repusic das klangvolle Orchester – wenn auch gelegentlich etwas zu pauschal, präzise haben Jeremy Bines und Chistian Lindhorst den prachtvollen Chor und den Kinderchor einstudiert. Heidi Stober befreit mit klarem Sopran und resoltutem Handeln die unglücklich liebende Verlobte Micaela vom Klischee des spießig-braven Mädchens – trotz ihres biederen  50er Jahre Outfits. Der Amerikaner Charles Castronuovo spielt als Don José regiegemäß einen etwas milchbubi-haften Serganten, musikalisch gestaltet er höcht eindringlich den verzweifelt Liebenden – mit einem in allen Lagen ansprechenden, leicht italienisch gefärbten heldischen Tenor: eine Idealbesetzung. Größte Erwartungen galten der Französin Clémentine Margaine als Carmen. Sie besitzt einen satten, volltönenden Mezzo, ist darstellerisch sehr beweglich und stimmtechnisch äußerst nuancenreich und nahezu perfekt – doch das große faszinierende und mitreißende Charakter-Porträt rundet sich nicht ganz  –  diese Carmen bleibt zu kühl, nüchtern und bodenständig. Trotzdem: fürs Publikum eine Augenweide und ein musikalischer Genuß.

Am blutigen Ende nach über drei Stunden die erwartbare Reaktion: Buhs für die Regie, begeisteter Jubel für Sänger und Musiker.

Foto: Deutsche Oper Berlin / Marcus Lieberenz/bildbühne.de

Premiere: 20.Januar 2018, weitere Vorstellungen: 24./27.Jan.// 4./10.Febr. 2018