Kruder Psycho-Schocker:’Die Gezeichneten‘ in der Komischen Oper Berlin**

Die Gezeichneten Komische Oper 2 300x200Im Frühjahr 1918 wurde diie Oper „Die Gerechten“ des östereichischen Komponisten Franz Schreker in Frankfurt/Main uraufgeführt und wegen ihrer musikalischen Pracht und dem delikaten Thema mit großem Erfolg vielfach nachgespielt  – bis zum Verbot durch die Nazis. Erst 1979 kam es zur Wiederentdeckung des vergessenen Werkes – wiederum in Frankfurt/Main. Schreker, der sein eigener Librettist war, erzählt darin die tragische Geschichte des häßlichen Adligen Salvago, der im 16.Jahrhundert vor der Stadt Genua auf einer Insel ein freizügiges Liebes-Paradies für die reiche Jugend der Stadt erschaffen hat. Fasziniert von seiner Häßlichkeit porträtiert ihn die kranke Malerin Carlotta, in die sich Salvago während der Sitzungen dann prompt verliebt. Doch Carlotta schenkt ihre Gunst seinem attraktiven Freund und Lebemann Tamare und so scheint eine Katastrophe vorgezeichnet…

Jetzt stellt die Komische Oper das inzwischen hundertjährige Musikdrama auch in Berlin zur Diskussion und zwar in einer Inszenierung des katalanischen Skandal-Regisseurs Callisto Bieto, der vor einigen Jahren mit einer umstrittenen „Entführung aus dem Serail“ von Mozart am Haus in der Behrenstraße debütierte.

Bieto hat die alte Geschichte im Heute angesiedelt und sie deshalb geändert und neu motiviert. Salvago in nicht mehr äußerlich häßlich, sondern innerlich: er ist pädophiel, die Liebesinsel mausert sich zum makabren Kinderspielplatz. Zugleich leidet Salvago am „Peter-Pan-Syndrom“, das heißt: er will nicht älter werden und immer kindlich bleiben. Deshalb klammert er sich häufig an Puppen oder Stoff-Teddys. Diese neue psychologische  Motivation der Hauptperson hat aber zur Folge, daß das Liebesdrama um Carlotta und den Macho-Freund Tamare zur Nebenhandlung schrumpft und unlogisch wirkt. Entsprechend muß Bieto auch den Schuß der Oper ändern – das schon im Original nicht sehr überzeugende Textbuch mißrät nun zum kruden und unglaubwürdigen Psycho-Schocker. Verstärkt wird dieser Eindruck durch eine geradezu karge Inszenierung. Bis zur Pause agieren dlle Personen in farblosen Alltags-Anzügen auf der Vorder-Bühne vor einer hellen Wand, auf die schwarz-weiße Videos von Kinder- oder Männer-Gesichter projeziert werden. Nach der Pause dreht sich die Wand weg und gibt den Blick auf das düstere Kinder-Elysium frei: eine rote Miniatur-Eisenbahn, bewegliche Leucht-Gitter-Stäbe und jede Meng herabhängender Teddys bieten zwar etwas mehr szenische Farbigkeit, aber kaum  mehr Durchblick auf die wirre Handlung.

Triumphieren können dagegen die Musiker des riesigen Orchesters der Komischen Oper, die unter der Leitung des erfahrenen Österreichers Stefan Soltesz die üppige Musik Schrekers auf faszinierende Weise zum Klingen bringen. Das schillert und leuchtet in vielfältigen Farben, rauscht in mächtigen Aufschwüngen oder glänzt in zarten Tönen. Die Stimmen der Sänger wedern dabei gleichsam wie ein vocales Instrument eingebettet, mal deklamatorisch, mal arios. Die Musik gleicht einem großen, fliesendem Strom, glühend und glitzernd, gleichsam wie eine vorweggenommene Film-Partitur aus Hollywood.

Der englische Tenor Peter Hoare verkörpert mit hellem, geschmeidigem Tenor den pädophiel-kindlichen Salvago, Michael Nagy mit markantem Spiel und kernigem Bariton seinen machohaften Gegenspieler Tamare. Als Malerin Carlotta vermag die Litauerin Ausrine Stundyte nur darstellerisch zu überzeugen, da ihr Sopran sehr vibratoreichen ist und duch zu scharfe Höhe oft stört.. Die vielen kleineren Nebenrollen  werden vom umfangreichen Ensemble der Komischen Oper solide gemeistert.

Schade, trotz der aparten Musik von Franz Schreker –  durch Bearbeitung und Inszenierung werden diese „Gezeichneten“ zum  problematischen,  fast drögen Abend!

Foto: Michael Nagy (Tamare) u. Peter Hoare (Salvago) / Komische Oper Berlin  / Iko Freese/drama-berlin.de

Premiere: 21.Januar 2018, weitere Vorstellungen: 22.Jan./ 1./10./18.Febr.2018