Zupackend und kraftvoll: ‚West-Side-Story‘ in der Komischen Oper Berlin****

Leonard Bernsteins Erfolgs-Musical „West-Side-Story“, uraufgeführt 1957 am New Yorker Broadway, ist derart populär in aller Welt, dass über den schmissigen Tänzen und der eingängigen Melodien die grausame Handlung fast vergessen wird : die tödlich endende Liebesgeschichte von Romeo und Julia, hier Tony und Maria genannt, zerrieben zwischen jugendlichen Strassenbanden im Amerika der 1950er Jahre.
Es ist deshalb der grosse Verdienst der Neuinszenierung an der Komischen Oper, den gnadenlosen Rassen-Konflik zwischen Einheimischen und Migranten, an dem die beiden Liebenden schuldlos-schuldig zugrunde gehen, in seiner ganzen düsteren Brutalität in den Mittelpunkt der Aufführung zu rücken: schnörkellos und unsentimental. Ohne dabei Abstriche am musikalischen und tänzerischen Unterhaltungs-Wert des Werkes machen zu müssen.
Der Regisseur Barrie Kosky und der Choreograph Otto Pichler verzichten auf alle aufwendige Ausstattung. Die Bühne bleibt schwarz und leer, gelegentlich rollt kurz auf der Drehscheibe Marias Bett oder der Obst-Verkaufsstand Tonys herein, fahrbare Scheinwerfer-Batterien tauchen die jeweiligen Szenen in grelles oder schummriges Licht. Alle tragen (überwiegend) dunkle, schlichte Alltags-Klamotten, Trainings-Hosen oder Kapuzen-Shirts. Und dauernd sind alle in Bewegung: tanzen, steppen, trippeln, rappen, klettern, boxen, schlagen Rad, klumpen sich zusammen oder reihen sich zu weit-geschungener ‚Chorusline‘. Angefeuert durch Bernsteins jazzig aufgrauhte Musik mit ihren diversen, oft südamerikanischen Rhythmen. Grosse Strecken der Handlung werden allein durch die rappenden und tanzenden Jugend-Gangs erzählt, – wirkungsvoll und oft auch anrührend kontrastiert durch die intimen Begegnungen der beiden Liebenden mit ihren opernhaften Arien und melodie-seligen Duetten. Das Ende ist schon bei Shakespeare tragisch, in der Musical-Fassung gesteigert in auswegslosen Pessimismus: Tony liegt im blutverschmierten weissen Hemd tot auf dem schwarzen, nackten Boden der sich unendlich langsam bewegenden Drehbühne, Maria kauert – jetzt hasserfüllt -  daneben, kaum wahrnehmbar im dunklen Hintergrund und wie erstarrt die Reihe der jugendlichen Bandenmitglieder. Leise verebbt die Musik…
Das hauseigene Sänger-Ensemble der Komischen Oper, durch einige Musical-Profis und eine stattliche Anzahl fitness-gestählter Tänzer ergänzt, bewährt sich bei diesem Ausflug ins amerikanische Musical bestens. Die Dialoge werden in einem dem heutigem Sprachduktus angepassten Umgangsdeutsch gesprochen – gesungen wird im englischen Original, was dem atmosphärischen Duktus der Musik sehr zugute kommt. Entsprechend den Gepflogenheiten des Repertoires sind die wichtigsten Rollen doppelt besetzt (deshalb hier keinen Namensnennung einzelner Künstler), ebenso wechseln sich Koen Schoots und Kristiina Poska in der musikalischen Leitung ab. Das Orchester der Komischen Oper spielt mit Verve, wenn auch oft zu laut (was aber auch an der bei Musicals wohl unumgänglichen elektronischen Verstärkung liegen mag).
Ein düsterer, aber starker Abend, ein Triumph für Barrie Kosky – als kluger Regisseur wie als spielplan-gestaltender Intendant.

Foto: Iko Fresse/drama-berlin.de/ Komische Oper Berlin

Premiere war am 24.November 2013; nächste Vorstellungen: 31.Dez.13// 04./05.Jan./24.Mai/ 07./14./29.Juni/ 05./13.Juli 2014