Pluesch-Box: „La Perichole“ im Berliner Ensemble *
Kinder, wie die Zeit vergeht… 1868 amuesierte sich ganz Paris ueber Jacques Offenbachs neue Operette „La Perichole“ : der Geschichte einer peruanischen Strassensaengerin, die zur Maetresse des Vizekoenigs avanciert. Auch wenn diese Liebeshaendel sich im fernen Lima abspielen, wusste doch jeder Zuschauer sofort, wer eigentlich damit gemeint war, naemlich die franzoesische Gesellschaft des zweiten Kaiserreiches. Doch was vor 140 Jahren als frech und frivol empfunden wurde, erweist sich heute als harmlos und allzu brav, von komoediantischem Witz oder gar politischer Satire kaum ein Hauch. Was sich bewaehrt, ist allein Offenbachs schmissige, melodioese Musik. Im Berliner Ensemble haben nun der Regisseur Thomas Schulte-Michels und der musikalische Leiter Uwe Hilprecht eine Kammer-Fassung erarbeitet, die aus der (raeumlichen-technischen) Not oft eine huebsche Tugend macht. Alles spielt vor dem roten Samt-Vorhang auf einer ebenfalls mit rotem Pluesch ausgelegten Spielflaeche, das kleine Orchester verteilt sich auf die Proszeniumslogen, nur der Dirigent sitzt am tief-liegenden Fluegel sozusagen an Stelle des Soufleurkastens. Das ganze Haus gleicht so einer dezent-eleganten Bonbonniere, in der die Akteure in modisch-schicken Kostuemen und flott gestylen Frisuren ( manchmal laesst Bob Wilson gruessen !) wie aufgedrehte Marionetten singen, huepfen und gestikulieren. Im Mittelpunkt: Dagmar Manzel, deren Rollenwunsch Anlass dieser Inszenierung war. Sie zieht wieder alle Register ihres saengerischen und komoediantischen Talents, spielt die Naive und die Furie zugleich, schmeichelt, girrt oder raspelt suess, trompetet im droehnenden Bass und laesst sanfte Koloraturen perlen. Besonders koestlich wie sie mit ansteckender Laune ihr beruehmtes Schwips-Lied serviert. Und doch zeigen sich auch bei Dagmar Manzel erste Spuren von Musical-Routine, machen sich darstellerische Abnutzungserscheinungen leicht bemerkbar – so temperamentvoll sie diese auch ueberspielt. Ueberhaupt: der zuendende Funke fehlt letzlich sowohl dem Stueck wie auch der gesamten Produktion, springt darum auch nur selten auf das (heutige) Publikum ueber. Die samtig-rote Pralinenschachtel praesentiert sich zwar huebsch und gefaellig, schmeckt aber – trotz einzelner leckeren Bonbons – ziemlich fade.
Foto: Gert Weigelt / Berliner Ensemble