Rainer Allgaier

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Monat: März 2014

Computer-Emotionen: ‚Her‘ von Spike Jonze***

28. März 2014FilmkritikenNo Comments

Los Angeles im Jahr 2025. Theodore Twombly, ein Durchschnitts-Bürger mittleren Alters, arbeitet für eine Agentur, die „handgeschriebene, persönliche Briefe“ für entsprechende Kunden herstellt. Privat lebt er in Scheidung – und versucht seine innere Leere und Einsamkeit mit allerlei computeranimierten Spielen auf der heimischen Super-Screen zu überwinden. Bis er ein neues Betriebssystem aufschaltet, das ihm mittels eines (kabellosen) Knopfes im Ohr die sexy Stimme von „Samantha“ vermittelt – einer virtuellen Gefährtin und Alles-Versteherin – intensive, nächtliche Sex-Erlebnisse eingeschlossen. Doch der schöne Sience-Fiction-Traum geht nicht in Erfüllung, zumal das weibliche Betriebssytem gleichzeitig einige Tausend andere Kunden „bedienen“ muss. Theodore bleibt so am Ende nur die Aussicht auf intensivere Kontakte zur – von ihrem Partner im Stich gelassenen – Jugendfreundin und Nachbarin Amy – und das in der Luxuswohnung eines Wolkenkratzers mit Aussicht aufs Panorama der betörend glitzernden Mega-City.
Regisseur und Autor Spike Jonze hat für das (Original-)Drehbuch dieser melodramatischen Liebes-Romanze in nicht allzu ferner Zukunft den diesjährigen Oscar erhalten – sicherlich zu Recht. Die Geschichte balanciert raffiniert zwischen den echten und virtuellen Gefühlen ihrer Protagonisten, versucht – ohne moralische Benotung – zu ergründen, was menschliche von künstlicher Persönlichkeit unterscheidet, welchen Einfluss die Cyber-Wirklichkeit auf althergebrachte, menschliche Verhaltensweisen ausüben kann.
Filmisch wird daraus jedoch ein ungleiches Kammerspiel, das das Gesicht des Schauspielers Joaquin Phoenix in Dauer-Großaufnahme zeigt, auf dem alle Gefühlsregungen, die das Drehbuch fordert, sich abspielen müssen, und zwar ausschliesslich, während sein Gegenüber, das Betriebssytem Samantha, lediglich durch die Stimme von (im Original) Scarlett Johannsson sinnliche Präsenz bekommt. Alle anderen Darsteller sind nur in wenigen, eingeblendeten Erinnerungs-Sequenzen (Rooney Mara als unter Erfolgsdruck stehende Ex-Ehefrau) oder in kurzen, ergänzenden Szenen zu sehen (Amy Adams als die befreundetete, aber gefühlsunsichere Wohnungs-Nachbarin).
Von grossem Reiz ist die Kamera (Hoyte van Hoytema), der das Kunststück gelingt, aus den Häuserschluchten von Shanghai und Los Angeles eine zwar futuristische, aber keineswegs fremdartige Grossstadt-Landschaft zu collagieren.
Doch so effektvoll die Photographie, so überzeugend Joaquin Phoenix als liebe-bedürftiger Normalo, und so trefflich die Ausgangs-Story in ihrem ironisch-skeptischen Blick auf eine nahe Zukunft ist – über die Gesamtlänge von mehr als zwei Stunden Spieldauer wirkt der Film doch sehr ermüdend. Was hochintelligent und intellektuell durchaus reizvoll begann, versandet allzu rasch in endlosen (küchen-philosophischen) Plapper-Dialogen und szenischer Langeweile. Fazit: eine pfiffige Idee allein macht noch keinen spannenden Film.

Foto/Poster: Warner Broth. GmbH

zu sehen: CineStar Sony Center (OV); Babylon Kreuzberg (OmU); Hackesche Höfe Kino (OmU); International (OmU); Neues Off (OmU); Odeon (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; Filmtheater am Friedrichshain; Kant-Kino; Kino in der Kulturbrauerei; Yorck; Zoo-Palast 4

Ist Ballett noch modern?: ‚Ratmansky/Welch‘ – Das Staatsballett im Schillertheater****

27. März 2014TheaterkritikenNo Comments

Der rote Faden des neuen Abends, den die Dramaturgie des Staatsballetts im Programmbuch ausführlich darlegt, soll verdeutlichen, wie der klassisch-akademische Tanz (russischer Herkunft) sich in den USA über den Neoklassizismus eines Georges Balanchine zum „Contemporary Ballet“ des 21.Jahrhunderts entwickelte. Zwei der zur Zeit prominentesten, amerikanischen Choreographen wurden eingeladen je eines ihrer Werke mit dem hiesigen Ensemble als deutsche Erstaufführung einzustudieren.
Zuerst: Stanton Welch, gebürtiger Australier und gegenwärtig Chef des ‚Houston Ballet‘ (der viertgrössten US-Balllet-Compagny) zeigt seine abstrakte Arbeit „Clear“, die er 2001 kurz nach der Katastrophe vom 11.September für das American Ballet Theater (ABT) erarbeitete. Dieser zufällige, historische Hintergrund spielte bei der Uraufführung in New York eine wichtige Rolle, dem heutigen europäischen Zuschauer erschliesst er sich jedoch kaum. Denn Welch lässt sieben Männer (darunter ein sehr ernster Vladimir Malakhov) und eine einzelne Ballerina in hautfarbenen Hosen ein stark stilisiertes und als solches kaum wahrnehmbares Requiem tänzerisch eindrucksvoll und brillant umsetzen – zu von der Staatskapelle live gespielten Violinkonzerten von Johann Sebastian Bach. Gesten der Trauer und melancholische Momente wechseln mit temporeichen, stark stilisierten Bewegungs-Sequenzen in unterschiedlichen Gruppierungen ab. Zunächst vor einem golden leuchtenden Hintergrund, der sich jedoch langsam immer mehr eindunkelt, bis am Ende tiefe Schwärze herrscht und nur noch Elisa Carillo Cabrera und Marian Walter als einzelnes Paar in einen Lichtkegel eng umschlungen zu sehen sind. „Was bleibt?“, fragt Stanton Welch, „Liebe und Familie“ ist seine – amerikanisch optimistische – Antwort.
Konträr dazu das zweite Stück des Abends: „Namouna“ von Alexei Ratmansky, im Frühjahr 2010 für das New York City Ballet kreiert. Ratmansky, in St.Petersburg geboren, von 2004 bis 2008 Leiter des Moskauer Bolschoi-Balletts und seit 2009 in den USA tätig, griff auf ein heute kaum bekanntes Handlungsballett von Eduard Lalo (Paris 1882) zurück und gestaltete daraus ein fast einstündiges „Grosses Divertissement“. Auf Handlung wird verzichtet, aber mit den Standart-Figuren solcher Ballette ein ironisches Spiel getrieben. Der blonde Prinz steckt hier im weissen Matrosenanzug, umschmeichelt wird er von einem grossen Ensemble eleganter Damen, die in schwarzen Bubi-Kopf-Perücken und fliessend-langen, zitronengelben Gewändern ihn wie einst die Bajaderen in raffinierter Chorus-Line umschwirren, bis eine aparte Schöne mit weiss-geraffelter Bade-Kappe ihn ketten-rauchend verführt. Ein scharfe Herren-Truppe in stahl-grauen Trikots und eine paar komisch-drollige Figuren mischen den abstrakten Tanz-Bilder-Bogen temperamentvoll auf. Ein viruoses Spiel mit den Formen und Figuren des klassischen Balletts, erweitert um Bewegungen anderer Tanzstile des 20.Jahrhunderts, aber ohne je die akademische Grundlage aufzugeben.
Erstaunlich der Formen-Vielfalt der Choreographie, vergnüglich die Gewitztheit, mit der die Berliner Tänzer, darunter Nadja Saidakowa, Rainer Krenstetter und Elena Pris, ihre typisierten Rollen ironisch vorführen, bestaunenswert der raffinierte Schnitt und die delikaten Farben der phantasievollen Tanz-Kostüme (Rustan Kamdamov/Marc Happel).
Ein ebenso unterhaltsames wie komplexes Vergnügen – und ein Abend, der zeigt wie in den USA der oft als erstarrt bewertete, klassische Kanon erfolgreich in zeitgenössisches Ballett weiterentwickelt werden kann – choreographische Phantasie natürlich vorausgesetzt!

Foto (aus Ratmansky): Bettina Stöß/Staatsballett Berlin

nächste Vorstellungen: 30.März/4./5./8./21.April 2014

Eine fiese Familie: ‚Im August in Osage County‘ von John Wells***

18. März 2014FilmkritikenNo Comments

Violet Weston (Meryl Streep), krebserkrankt und Tabletten-süchtig, ruft ihre Familie zusammen, nachdem ihr alkoholabhängiger Mann Beverly (Sam Shephard) eines Tages im August das herrschaftliche Landhaus in Oklahoma wortlos verlassen hat und seitdem verschwunden ist. Während Tochter Ivy (Julianne Nicholson) bei ihren Eltern geblieben ist und sich um sie kümmert, kehren Barbara (Julia Roberts) und Karen (Juliette Lewis) erstmals nach langer Zeit in ihren Heimatort zurück, begleitet von ihren jeweiligen Lebensgefährten (Ewan McGregor und Dermont Malrony) sowie der 14-jährigen Enkeltochter Jean (Abigail Breslin). Auch Violets Schwester Mattie (Margo Matindale) trifft mit Mann Charles (Chris Cooper) und erwachsenem Sohn „Little Charles“ (Benedict Cumberbatch) ein. Bald darauf findet die Polizei das verschwundene Familienoberhaupt: tot durch Selbstmord. Was folgt ist die (knappe) Beerdigung und das sich anschliessende, ausgedehnte Familien-Essen, das in eine grell-brutale Rede-Schlamm-Schlacht ausartet, in der immer neue Gemeinheiten und böse Geheimnisse sämtlicher Familienmitglieder zu Tage kommen. Hier wütet und beleidigt jeder jeden – alle erweisen sich als verkappte Neurotiker und Menschenhasser. Dementsprechend verlassen auch alle am Ende frustriert das Haus, die zynische und giftige Patriarchin Violet bleibt allein zurück – nur die geduldig-zurückhaltende Pflegerin, eine Indianer-stämmige junge Frau, wird weiter bei ihr ausharren.
„August: Osage County“ ist ein sehr erfolgreiches, 2008 preisgeköntes, amerikanisches Theaterstück, das der Film- und TV-Regisseur John Wells mit einem prominenten und perfekt gecasteten Ensemble ebenso konventionell wie routiniert-gefällig verfilmt hat. Entsprechend der Bühnen-Vorlage sehr dialogreich und auf wenige Schauplätze – meist Innenräume – reduziert. Die stimmungsvollen Himmels- und die weiten Landschafts-Panoramen des flachen, mittleren Westens werden geschickt als Trennungs-Bilder der einzelnen Dialog-Szenen eingefügt. Doch das vorgeführte Familien-Drama, in dem Krebs und Alkohol, Demenz und verfehlter Sex, Drogen und Geldgier zu einem düster-bösen Psycho-Cocktail gemixt werden, bleibt über weite Strecken an der Oberfläche, bohrt nur selten tiefer und berührt kaum psychologische oder soziale Schmerz-Punkte.
So verlässt sich der Regisseur hauptsächlich auf die Kunst seiner Darsteller. Die zeigen sich zwar alle in bester Form, doch vermögen sie aus den allzu einseitig auf ihre fiesen und zynischen Seiten reduzierten Figuren nur in wenigen Momenten lebendige Menschen zu gestalten. Die dargestellten Personen berühren den Zuschauer kaum und die Kunst der Schauspieler wird so zum reinen, wenn auch durchaus effektvollen Virtuosentum.

Foto/Poster: Tobis Film

zu sehen: CineStar Sony Center (OV); HackescheHöfeKino (OmU); Adria; Astor Film Lounge; Blauer Stern Pankow; CinemaxX Potsdamer Platz; Cubix Alexanderplatz; CineStar Tegel; Kant-Kino; Kino in der Kulturbrauerei; Colosseum

Ekennen Sie die Melodie? : ‚Rein Gold‘ in der Staatsoper im Schillerheater***

10. März 2014TheaterkritikenNo Comments

Uraufführung eines Projekts, das auf Grundlage eines Essays der Nobelpreiträgerin Elfriede Jelinek entstand, verschnitten mit live gespielter Musik aus dem „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner.
Vorgeschichte: Die Bayerische Staatsoper bat anlässlich einer Neuinszenierung von Wagners „Ring“ Elfriede Jelinek um einen Beitrag fürs Programmheft. Doch der gelieferte Text sprengte mit fast 200 Seiten jedes Begleitbuch-Format. Statt dessen arrangierte die Leitung der Münchner Oper im Juli 2012 eine Ur-Lesung im Prinzregententheater, Dauer über 7 Stunden.
Der Regisseur dieses Lese-Abends, der Jelinek erprobte Nicolas Stemann, hat dann zusammen mit dem Dirigenten Markus Poschner die Idee einer Kombination des Jelinek-Textes mit Original-„Ring“-Musik entwickelt und zusammen mit Dramaturgen, Musik-Arrangeuren, Ausstattern und Video-Künstlern das Stück erarbeitet, das jetzt unter dem Titel „Rein Gold“ vom Ensemble der Staatsoper erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Auf der grossen, offenen, fast leeren Bühne sitzt im hinteren Teil das Orchester (samt Dirigent) auf einer flachen Tribüne, die im weiteren Verlauf mehrmals bis zur Rampe vor- und dann wieder zurückgefahren wird. Drei Darsteller in Freizeitkleidung (Sebastian Rudolph, Katharina Lorenz, Philipp Hauß) lesen und spielen abwechselnd – das Blatt in der Hand – , wie Göttervater Wotan von Tochter Brünnhilde nach Umstand und Absicht des Baus von Wallhalla befragt wird, nach der Bezahlung der Burg mittels – wie sie meint – schlechter Kredite, und ob der Göttervater diese überhaupt einlösen könne. Vorbild ist die entsprechende Szene im 3.Aktes der „Walküre. Bei Jelinek sind beide Götter gleichsam zu Menschen von heute geworden, sie bedienen sich einer saloppen, witzigen, immer kritisch-sezierenden Umgangssprache, die kein Wortspiel und keinen Kalauer auslässt. Doch dann treten die Sänger von Wotan und Brünnhilde (Jürgen Linn, Rebecca Teem) hinzu, interpretieren kurze Passagen teils vom Orchester begleitet, teils duch einen technisch kompliziert zusammengebauten, vor dem Orchester postierten Synthesizer verfremmdet. Allerlei Möbelstücke werden im Laufe des knapp dreistündigen Abends noch herein – und wieder hinausgeschoben, auch ein Klavier spielt dabei gelegentlich eine Rolle. Die Rheintöchter erscheinen und bangen – im vocalen Dreiklang und in Goldlamé gewandet – um ihr geraubtes Edelmetall. Einmal darf oder muss einer der Schauspieler mit dünner Stimme der etwas schrill singenden Brünnhilde im Liebesduett aus „Siegfried“ sekundieren, Videos laufen über die mit bemaltem Leinen verkleideten Seitenwände oder über die Rückwand, mal sind dabei reine Textzeilen zu entziffern, mal sind rasante Autofahrten zu bestaunen.
Text und Musik werden ohne Unterbrechung wild collagiert – ein Gestaltungs-Prinzip ist dabei nur schwer zu erkennen. Ausser dem Vater-Tochter Konflikt gehts wie immer bei Jelinek – frei assoziierend – um Geld, Gier, Kapitalismus und Tod, und um vom Bühnenboden herabfallende Leichenteile die ein putziger Pink Panter in schwarzen Plastiksäcken verstaut. Da Regisseur Stemann ein sehr geschicktes Händchen für solch chaotisch anmutenden Bühnenzauber besitzt – einmal fordert er sogar das Publikum zum Mitmachen auf ! – und da der Jelinek-Text wie gewohnt bösen Witz, satirische Wortspiele und ironische Kalauer phantasievoll mixt, gewinnt der rätsel-satte Abend immerhin einigen Unterhaltungswert. Ob darüber hinausgehende Erkenntnisse zu entdecken sind,  mag dahingestellt bleiben. (Zumindest nicht ohne genaue „Ring“-Kentnisse!).
Ein paar Zuschauer verliesen den Saal während der pausenlosen Vorstellung, doch der Grossteil schien sich zu amüsieren und applaudierte am Ende sehr freundlich.

Foto: Arno Declair/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 12.und 15.März 2014

Operetten-Klamauk: ‚Clivia‘ in der Komischen Oper Berlin***

9. März 2014TheaterkritikenNo Comments

„Clivia“ ist die erste von zahlreichen Operetten des österreichischen Komponisten Nico Dostal, der in den 1920er Jahren als Kapellmeister und Arrangeur für Unterhaltungsmusik in Berlin arbeitete. Erfolgreiche Uraufführung: Dezember 1933 im Theater am Nollendorfplatz. Ort und Zeit der Handlung: Boliguay, ein südamerikanischer Phantasie-Staat zu Beginn der 30er Jahre. Ein US-Wirtschaftsmagnat versucht unter dem Deckmantel, einen Hollywood-Film zu drehen, einen für seine Geschäfte günstigen Staatsstreich zu organisieren. Um eine Einreisegenehmigung zu bekommen, arrangiert er eine (Schein-)Hochzeit seiner Film-Diva Clivia Gray mit einem jungen Mann aus Boliguay. Doch dieser Juan – in Wahrheit selbst ein patriotischer Revolutionär – verhindert den vom US-Mogul geplanten Regierungs-Umsturz, wird Staatschef und zum echter Ehemann der inzwischen vor Liebe lodernden Clivia.
Das Ganze: ein ironischer Vorwand für eine bunte Abfolge von zugkräftigen Musik-und Tanz-Nummern, gespickt mit ein paar komödiantischen Auftritten. Dafür mixte Dostal einen süffigen Cocktail aus Jazz und Swing, Foxtrott, Tango und Wiener Operetten Schmalz – auch heute noch mit Vergnügen zu geniessen. Zumal wenn diese Schlager- und Tanzmusiken so schwungvoll und schmissig arrangiert und gespielt werden wie vom Orchester der Komischen Oper unter Kai Tietjes anfeuernder Leitung.
Dabei sitzen die Musiker – was den Sichtkontakt zum Dirigenten erschwert – hochgestaffelt auf einer kreiselnden Drehbühne zwischen zwei Show-Treppen und unter einem Kranz riesiger, gold-glitzernder Clivia-Blüten. Dafür ist der Orchestergraben überdeckt und dient als federnder Tanzboden für effektvolle Revue-Szenen oder Ensemble-Auftritte: für wild filmenden Gauchos und eine langbeinige Girl-Truppe fescher Soldatinnen, für schmierige Verschwörer und spionierende Polizisten, für eine luxuriös-snobistische Partygesellschaft.
Im Mittelpunkt des von Regisseur Stefan Huber etwas brav nach vorgestantzten Mustern arrangierten Geschehens: die Geschwister Pfister – erstmals auf einer Opernbühne. Natürlich mit Mikroport.
Ursli (Christoph Marti) spielt mit grossen Gesten und kräftigem Bariton die exaltierte, platinblonde Filmdiva, Toni (Tobias Bonn) mimt mit seinem Lausbubencharm den südamerikanischen Revoluzzer und Latin Lover und Andreja Schneider übernimmt als weiblich-resoluter Ober-Offizier nicht nur das Kommando über ihre Girls-Truppe, sondern auch über das Herz eines quirlig-verliebten US-Reporters aus Chicago (Peter Renz). Alle drei Pfisters dürfen sich im jubelnden Beifall des wohl überwiegend aus Fans bestehenden Publikums sonnen – doch die schöne Ironie mit ihren schrillen Spitzen, die sie in intimeren Räumen wie der ‚Bar jeder Vernuft‘ oder dem ‚Tipi‘ ausspielen können, wird auf der grossen Bühne stark vergröbert und missrät oft zur flachen, wie mit dem Holzhammer gezimmerten Parodie. Da hilft auch die aufwendige Ausstattung nur wenig – zumal die Klamotten im Stil der 30er Jahre für heutige Staturen nicht unbedingt sehr kleidsam ausfallen.
Der Schauspieler Stefan Kurt (als Gast) mimt den fiesen, amerikanischen Wirtschafts-Boss als hemmungslose Charge, während der Tenor Christoph Späth als schrulliger Erfinder kräftig berlinern darf – und als komischer Reise-Onkel zugleich die fetzigste Revue-Nummer des Abends
präsentiert.
Insgesamt überspielen die flotte Musik und die schmissigen Tanzszenen (Choreographie: Danny Costello) darstellerische Einschränkungen und szenische Routine über weite Strecken – auch wenn der Abend dann mit über drei Stunden Spieldauer zu lang ausfällt.
Operette ist – wie jeder Theaterfreund weiss – eine schwierige Kunst, und so balaciert auch diese „Clivia“ haarscharf zwischen ironischer Unterhaltung und drall-derber Klamotte – gelegentliche Abstürze eingeschlossen.

Foto: Gunar Geller/ Komische Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 14./20./28.März// 20./26.April// 23.Juni/ 7.Juli 2014

Bewegend: ‚Philomena‘ von Stephen Frears****

4. März 2014FilmkritikenNo Comments

Die junge Philomena Lee wird ungewollt schwanger. Ihr Vater steckt sie in ein irisches, katholisches Kloster, wo sie einen Sohn zur Welt bringt. Doch als Strafe muss sie – wie viele andere „gefallene“ Mädchen – in der Kloster-Wäscherei unter schändlichen Bedingungen schuften, darf ihr Kind Anthony nur einmal in der Woche sehen. Die Nonnen jedoch  vermitteln diese unehelichen Kinder gegen entsprechende Spenden an reiche Ausländer zur Adoption. Im Alter von drei Jahren wird auch Anthony abgegeben. Aus Scham verschweigt Philomena diesen Vorfall und dieses Kind ihr Leben lang. Erst 50 Jahre später, an ihrem 70 Geburtstag eröffnet sie ihrer erwachsenen Tochter Jane den  verheimlichten Sohn (und Halb-Bruder)  und ihre Sehnsucht, nach Anthonys zu forschen. Die Tochter bittet daraufhin den Journalisten Martin Sixsmith, ihrer Mutter bei der Suche nach dem verschollenen Kind zu helfen. Sixsmith, Ex-Star-Reporter der BBC und gerade aus dem Berater-Team von Tony Blair wegen einer ungeschickten Rede-Formulierung gefeuert, nimmt das Angebot an, wenn auch etwas widerwillig, aber als ehemaliger Journalist wittert er in dem Fall auch Material für kirchen-kritische Recherchen. Gemeinsam mit der nicht sehr gebildeten, frommen, doch durchaus schlagfertigen Philomena begibt er sich auf eine Reise, die von England nach Irland und bis Amerika führt und die mit vielen unerwarteten und schmerzlichen Konfrontationen gespickt ist. Wobei die unterschiedlichen, diametralen Charaktere der einfachen, aber lebensklugen alten Frau und des weltgewandten, intellektuell-zynischen Journalisten eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Nur soviel sei verraten: am Ende, nachdem sich das Schicksal des Sohnes in  langsamen Schritten enthüllt hat, treffen sich alle wieder am Ausgangsort der Suche,
im irischen Kloster…
Die Geschichte basiert auf einem als Buch veröffentlichen Tatsachen-Bericht. Regisseur Stephen Frears („Mein wunderbarer Waschsalon“, „The Queen“) hat daraus eine zwar konventionelle, aber anrührenden Filmerzählung gemacht, wobei sein Hauptmerk weniger der Kritik an der Katholischen Kirche, ihrer starren Dogmatik und dem physischen wie psychischen Missbrauch der ihr Anvertrauten gilt (die dennoch scharf und klar ausfällt), als dem subtilen, vielschichtigen Porträt der Philomena Lee. In Judi Densch findet diese naive, im Glauben tief verwurzelte Frau, die andererseits eine erfrischend kluge Umsicht und herzliche Menschlichkeit beweist, die ideale Verkörperung. Köstlich, wenn sie die Storys der von ihr geliebten Kitsch-Romane erzählt oder mit dem mexikanischen Buffet-Koch im Nobelhotel plappert, eindrucksvoll in stummem Leid, wenn sie mit bitteren Wahrheiten konfrontiert wird, bewunderswert, wie sie aus tiefer Verzweiflung heraus dennoch den Mut zum entscheidenden Handeln aufbringt. Der britische Komiker Steve Coogan, der auch am kinogerecht polierten Drehbuch mitgearbeitet hat, spielt mit Ironie, britischem Unterstatement und immer wieder aufbrausendem Temperament den intellektuellen Gegenpart, den zunächst herablassend-zynischen und politisch engagierten, später auch  Philomenas Aufrichtigkeit schätzender Journalisten Martin Sixsmith, der am Ende dann auch akzeptieren kann, dass Philomena trotz aller unerfreulichen Vorfälle an ihrem hergebrachten, katholischen  Glauben festhält.
Stephen Frears erzählt diese Geschichte auf Grund seiner langjährigen Film-Erfahrung ebenso raffiniert wie geschickt:  als spannenden Thriller, als optisch opulentes Road-Movie sowie als anrührende, aber nie sentimentale „Human-Interest-Story“ – traurig und komisch, turbulent-überraschend, ironisch-distanziert und – vor allem – liebenswert menschlich. Bemerkenswert.

Foto/Poster: Universum Film GmbH

zu sehen: CineStar Sony Center (OV); Babylon Kreuzberg (OmU); Delphi (OmU); HackescheHöfe Kino (OmU); Filmtheater am Friedrichshain (OmU); Blauer Stern Pankow; Capitol Dahlem; Cinema Paris; CinemaxX Potsdamer Platz; Titania-Palast Steglitz; Cubix Alexanderplatz; International; Kino in der Kulturbrauerei; New Yorck; Toni Weissensee

Irritation der Gefühle: ‚Like Someone in Love‘ von Abbas Kiarostami****

4. März 2014FilmkritikenNo Comments

Akiko ist Studentin, arbeitet jedoch auch als Callgirl. Zu Beginn des Films sitzt sie in einer Tokioter Café-Bar und versucht am Telefon ihrem Freund oder Verlobten klarzumachen, dass sie heute abend keine Zeit für ihn hat: die Grossmutter komme zu Besuch und morgen habe sie eine wichtige Prüfung in der Uni. Doch dann fährt sie mit dem Taxi durch die nächtliche, neonglänzende Stadt in einen Vorort zu einem Kunden: dabei hört sie die Anrufe der am Bahnhof wartenden Grossmutter auf ihrer Handy-Mail-Box ab, umkreist mit dem Taxi den Bahnhof-Vorplatz und glaubt die alte Frau zu sehen, verdrückt ein paar Tränen, fährt aber weiter. Der sie erwartende Kunde ist ein emeritierter Professor, ein einsamer, alter Witwer, der eher ein gemeinsames Abend-Essen und Gepräch als puren Sex erwartet. Doch Akiko will weder Suppe noch lange Unterhaltung und schläft übermüdet ein.
Am nächsten Morgen fährt der Professor sie in die Uni und wird Zeuge, wie sie dort von ihrem aufgebrachten Freund erwartet wird. Der junge Mann – wie sich rasch herausstellt, Automechaniker von Beruf – hält den Professor für Akikos Grossvater und eröffnet ihm, dass er Akiko heiraten will, um so stehts über ihr Leben bestimmen zu können. Der schmunzelnde Professor lässt ihn in seinem Glauben, dass er Akikos Verwandter sei. Doch nur kurze Zeit später erfährt der junge, leicht zu Gewalt neigende Mechaniker zufällig durch einen Kunden, dass der Professor gar nicht Akikos Grossvater ist. Wütend sucht er den Professor in dessen Wohnung auf…
Der iranische Regisseur Abbas Kiarostami hat sein neues Werk wieder ausserhalb seiner Heimat gedreht – diesmal in Tokio und in der ihm fremden, japanischen Sprache. Scheinbar eine leichte, boulevardeske Liebes-Kömodie, bei jedoch der nie ganz klar wird, was Schein, was Wirklichkeit ist. (Ähnlich wie bei seinen vorherigen, in der Toskana spielenden „Liebesfälschern“). Der Titel (nach einer bekannten, von Ella Fitzgerald gesungene Jazz-Ballade, die auch im Film gespielt wird) verweist deutlich auf dieses „Als ob…“. Alles scheint sehr real, könnte aber auch anders gedeutet werden. Die Figur der Grossmutter, des Taxifahrers, der rothaarigen Freundin im Café, die unaufhörlich schwätzende, zugleich neugierig beobachtende Haus-Nachbarin des Professors oder gar Akiko selbst: wer ist sie eigentlich – Studentin mit erotischem Nebenverdienst oder Callgirl mit Uni-Ambitionen  -  und was will sie?
Formal ist das lockere Liebes-Dreieck sehr filmisch in Szene gesetzt: beispielsweise in den zahlreichen Autofahrten, bei denen im Vordergrund gross die Gesichter der Personen redend oder stumm zu sehen sind, im Hintergrund die vielfältige Stadt-Landschaft Tokios vorbeizieht – eine elegante Kombination aus festsehenden und bewegten Bildern. Auf unterlegte Musik wird verzichtet, stattdessen bilden Alltags-Geräusche die reale und charakteristische Klangkulisse, ob Gemurmel und (Geschirr-)Geklapper in der Kneipe, laute und leise Verkehrsgeräusche aller Art oder Telefongeklingel samt Anrufbeantworter in der Professoren-Wohnung. Aber auch die spezifisch japanische Sprach-Melodie wird eingebunden – etwa beim alle Tonhöhen umfassenden Geplapper der Nachbarin. Die (hierzulande unbekannten) Schauspieler sind trefflich ausgewählt und überzeugen in ihren sehr unterschiedlichen Temperamenten. Exzellent die Kameraführung (Katsumi Yanagijima)  die mit raffinierten Blickwinkeln und vielfältigen Spiegelungen die zugleich schillernde wie reale Atmosphäre der Gross-Stadt Tokio einfängt.
Der ruhige, langsame Bilderfluss, die nicht immer eindeutige, am Schluss offene Story (mit gelegentlichen Anspielungen auf die Filmgeschichte) und der Verzicht auf alles Äusserlich-Spektakuläre machen das kleine Werk zu einem leichten, intelligent unterhaltenden Vergnügen für  passionierte Film-Liebhaber.

Foto/Poster: Peripher Verleih

zu sehen: Brotfabrik-Kino (OmU); fsk (OmU); HackescheHöfe Kino (OmU)

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