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Monat: Juni 2016

Fitness und Sex: ‚Die Entführung aus dem Serail‘ in der Deutschen Oper Berlin**

23. Juni 2016TheaterkritikenNo Comments

Entführung DOBWolfgang Amadeus Mozarts Türkenoper „Die Entführung aus dem Serail“ ist vor 234 Jahren in Wien uraufgeführt worden. Die Idee der Deutschen Oper: das „alte Werk“ soll von einem jungen Regisseur frisch gesehen und von einem erfahrenen Dirigenten attraktiv geleitet werden – für heutige Generationen. Weitere Werke des Komponisten sollen in den nächsten Spielzeiten folgen, entsprechend diesem Konzept.

An der Bismarckstraße debütiert der Argentinier Rodrigo Garcia (geb, 1964), von dessen provokanten Schauspiel-Inszenierungen die Deutsche Oper sich eine günstige Werbewirkung verspricht, als Musiktheater-Regisseur. Doch ihn interessiert Mozarts Vorlage kaum – weder die Entführungs-Geschichte noch die kulturell unterschiedlich geprägten Personen. Stattdessen schmückt er die einzelnen Szenen mit üppigen, optischen Einfällen aus und reiht sie zu einer comic-grellen Show – zwischen Fitness-Studio und Sex-Club. Schon die Ouvertüre gibt den Ton vor. In einer waghalsigen Video-Fahrt rast die männliche Hauptperson Belmonte, begleitet von zwei Nutten, in einem roten Sportwagen tollkühn über Land und Wasser. Die Musik, obwohl vom Orchester fein ziseliert, dient nur noch zur flotten Untermalung. Am Ende dieser Einleitung rollt das kuriose rote Cabrio auf mächtigen Baggerrädern real auf die Bühne, wo ein noch jugendlicher Haremswächter Osmin den Zutritt zu Bassa Selims Palast verwehren will. Dieser Bassa ist zu einer sportlichen, farbigen Frau mutiert (klar artikulierend: TV-Moderatorin Annabelle Mandeng), die Zuneigung zu Konstanze erhält so lesbische Züge. Überhaupt dominiert der Sex: kaum besingt Belmonte seine Freude, die Geliebte wieder zu treffen, schon sieht man ihn im Video-Film, wie er mit den beiden Nutten zur Sache geht. Konstanzes Interesse gehört dagegen eher der körperlichen Fitness: im Trainingslauf besingt sie ihr trauriges Schicksal und als Selim ihre Zurückweisung mit der saloppen Bemerkung quittiert: „manchmal könnte ich dich töten“ , jubelt sie über „Martern aller Arten“ zwischen einer Chorusline zahlloser Statistinnen, die modische Damen-Unterwäsche in Schwarz und Weiß vorführen. Auch Drogen spielen wohl noch eine Rolle in diesem seltsam dunkel-glatten „Serail“, in dem das berühmte Quartett der beiden Liebespaare, in dem es um Treue, Hoffnung, Zweifel und wahre Gefühle geht, in einer gymnastischen Sex-Orgie endet. Das Opern-Ende bleibt – im Gegensatz zu den herkömmlichen Dialogen, die durch flappsige Sprüche in englicher Sprache ersetzt werden – erhalten: nach der filmreifen Verhinderung der Entführung (Star-Wars lassen grüßen!) verabschiedet der weibliche Bassa die gefangenen Paare in die Freiheit, nicht ohne skeptische Bemerkungen über deren chaotisch-erotische Zukunft.

Ein knallig bunter Jungmännertraum, eine Hochglanz-Inszenierung für Freunde der Muskel-Buden, durchaus effekt- und wirkungsvoll. Doch die Personen bleiben Pappkameraden oder – in den besten Momenten – lustige Comic-Figuren. Mozart hat aber differenzierte, menschliche Charaktere geschaffen, ihre Psychologie musikalisch fein verästelt. Darunter leiden in erster Linie die durchweg sehr jungen Sänger: alle technisch gut ausgebildet, klar und sauber singend, lässt ihnen die Regie keine Möglichkeit, ihr Inneres, ihr Herz zu zeigen. Kathryn Lewek (Konstanze), Siobhan Stagg (Blonde), Matthew Newlin (Belmonte), James Kryshak (Pedrillo) machen gute Figur, bleiben jedoch ohne Charakter. Nur Tobias Kehrer vermag – mit flüssigen Baß – seinem Osmin ein wenig Persönlichkeit zu verleihen. Auch Generalmusikdirektor Donald Runnicles und sein klangschön spielendes Orchester vermögen sich nur in einigen Passagen durchzusetzen. Fast jede differenziert die Tief- und Vielschichtigkeit von Mozarts Musik ausleuchtende Passage wird durch die plakativ-glatte Bühnen-Show überdeckt.

Schade. Aber Mozarts Opern fordern nun mal eine ebenso phantasievolle wie genaue Personen-Regie – szenisch und musikalisch.

Premiere: 17.Juni 2016  (empfohlen ab 16 Jahren)                                                                             Foto:Thomas Aurin/Deutsche Oper Berlin

Fitness und Sex: ‚Die Entführung aus dem Serail‘ in der Deutschen Oper Berlin**

23. Juni 2016AllgemeinNo Comments

Wolfgang Amadeus Mozarts Türkenoper „Die Entführung aus dem Serail“ ist vor 234 Jahren in Wien uraufgeführt worden. Die Idee der Deutschen Oper: das „alte Werk“ soll von einem jungen Regisseur frisch gesehen und von einem erfahrenen Dirigenten attraktiv geleitet werden – für heutige Generationen. Weitere Werke des Komponisten sollen in den nächsten Spielzeiten folgen, entsprechend diesem Konzept. An der Bismarckstraße debütiert der Argentinier Rodrigo Garcia (geb, 1964), von dessen provokanten Schauspiel-Inszenierungen die Deutsche Oper sich eine günstige Werbewirkung verspricht, als Musiktheater-Regisseur. Doch ihn interessiert Mozarts Vorlage kaum – weder die Entführungs-Geschichte noch die kulturell unterschiedlich geprägten Personen. Stattdessen schmückt er die einzelnen Szenen mit üppigen, optischen Einfällen aus und reiht sie zu einer comic-grellen Show – zwischen Fitness-Studio und Sex-Club. Schon die Ouvertüre gibt den Ton vor. In einer waghalsigen Video-Fahrt rast die männliche Hauptperson Belmonte, begleitet von zwei Nutten, in einem roten Sportwagen tollkühn über Land und Wasser. Die Musik, obwohl vom Orchester fein ziseliert, dient nur noch zur flotten Untermalung. Am Ende dieser Einleitung rollt das kuriose rote Cabrio auf mächtigen Baggerrädern real auf die Bühne, wo ein noch jugendlicher Haremswächter Osmin den Zutritt zu Bassa Selims Palast verwehren will. Dieser Bassa ist zu einer sportlichen, farbigen Frau mutiert, die Zuneigung zu Konstanze erhält so lesbische Züge. Überhaupt dominiert der Sex: kaum besingt Belmonte seine Freude, die Geliebte wieder zu treffen, schon sieht man ihn im Video-Film, wie er mit den beiden Nutten zur Sache geht. Konstanzes Interesse gehört dagegen eher der körperlichen Fitness: im Trainingslauf besingt sie ihr trauriges Schicksal und als Selim ihre Zurückweisung mit der saloppen Bemerkung quittiert: „manchmal könnte ich dich töten“ , jubelt sie über „Martern aller Arten“ zwischen einer Chorusline zahlloser Statistinnen, die modische Damen-Unterwäsche in Schwarz und Weiß vorführen. Auch Drogen spielen wohl noch eine Rolle in diesem seltsam dunkel-glatten „Serail“, in dem das berühmte Quartett der beiden Liebespaare, in dem es um Treue, Hoffnung, Zweifel und wahre Gefühle geht, in einer gymnastischen Sex-Orgie endet. Das Opern-Ende bleibt – im Gegensatz zu den herkömmlichen Dialogen, die durch flappsige Sprüche in englicher Sprache ersetzt werden – erhalten: nach der filmreifen Verhinderung der Entführung (Star-Wars lassen grüßen!) verabschiedet der weibliche Bassa die gefangenen Paare in die Freiheit, nicht ohne skeptische Bemerkungen über deren chaotisch-erotische Zukunft. Ein knallig bunter Jungmännertraum, eine Hochglanz-Inszenierung für Freunde der Muskel-Buden, durchaus effekt- und wirkungsvoll. Doch die Personen bleiben Pappkameraden oder – in den besten Momenten – lustige Comic-Figuren. Mozart hat aber Menschen geschaffen, ihre Psychologie musikalisch fein verästelt. Darunter leiden in erster Linie die durchweg sehr jungen Sänger: alle technisch gut ausgebildet, klar und sauber singend, lässt ihnen die Regie keine Möglichkeit, ihr Inneres, ihr Herz zu zeigen. Kathryn Lewek (Konstanze), Siobhan Stagg (Blonde), Matthew Newlin (Belmonte), James Kryshak (Pedrillo) machen gute Figur, bleiben jedoch ohne Charakter. Nur Tobias Kehrer vermag – mit flüssigen Baß – seinem Osmin ein wenig Persönlichkeit zu verleihen. Auch Generalmusikdirektor Donald Runnicles und sein klangschön spielendes Orchester vermögen sich nur in einigen Passagen durchzusetzen. Fast jede differenziert die Tief- und Vielschichtigkeit von Mozarts Musik ausleuchtende Passage wird durch die plakativ-glatte Bühnen-Show überdeckt. Schade. Aber Mozarts Opern fordern nun mal eine ebenso phantasievolle wie genaue Personen-Regie – szenisch und musikalisch.

Fitness und Sex: ‚Die Entführung aus dem Serail‘ in der Deutschen Oper Berlin**

23. Juni 2016AllgemeinNo Comments

Wolfgang Amadeus Mozarts Türkenoper „Die Entführung aus dem Serail“ ist vor 234 Jahren in Wien uraufgeführt worden. Die Idee der Deutschen Oper: das „alte Werk“ soll von einem jungen Regisseur frisch gesehen und von einem erfahrenen Dirigenten attraktiv geleitet werden – für heutige Generationen. Weitere Werke des Komponisten sollen in den nächsten Spielzeiten folgen, entsprechend diesem Konzept. An der Bismarckstraße debütiert der Argentinier Rodrigo Garcia (geb, 1964), von dessen provokanten Schauspiel-Inszenierungen die Deutsche Oper sich eine günstige Werbewirkung verspricht, als Musiktheater-Regisseur. Doch ihn interessiert Mozarts Vorlage kaum – weder die Entführungs-Geschichte noch die kulturell unterschiedlich geprägten Personen. Stattdessen schmückt er die einzelnen Szenen mit üppigen, optischen Einfällen aus und reiht sie zu einer comic-grellen Show – zwischen Fitness-Studio und Sex-Club. Schon die Ouvertüre gibt den Ton vor. In einer waghalsigen Video-Fahrt rast die männliche Hauptperson Belmonte, begleitet von zwei Nutten, in einem roten Sportwagen tollkühn über Land und Wasser. Die Musik, obwohl vom Orchester fein ziseliert, dient nur noch zur flotten Untermalung. Am Ende dieser Einleitung rollt das kuriose rote Cabrio auf mächtigen Baggerrädern real auf die Bühne, wo ein noch jugendlicher Haremswächter Osmin den Zutritt zu Bassa Selims Palast verwehren will. Dieser Bassa ist zu einer sportlichen, farbigen Frau mutiert, die Zuneigung zu Konstanze erhält so lesbische Züge. Überhaupt dominiert der Sex: kaum besingt Belmonte seine Freude, die Geliebte wieder zu treffen, schon sieht man ihn im Video-Film, wie er mit den beiden Nutten zur Sache geht. Konstanzes Interesse gehört dagegen eher der körperlichen Fitness: im Trainingslauf besingt sie ihr trauriges Schicksal und als Selim ihre Zurückweisung mit der saloppen Bemerkung quittiert: „manchmal könnte ich dich töten“ , jubelt sie über „Martern aller Arten“ zwischen einer Chorusline zahlloser Statistinnen, die modische Damen-Unterwäsche in Schwarz und Weiß vorführen. Auch Drogen spielen wohl noch eine Rolle in diesem seltsam dunkel-glatten „Serail“, in dem das berühmte Quartett der beiden Liebespaare, in dem es um Treue, Hoffnung, Zweifel und wahre Gefühle geht, in einer gymnastischen Sex-Orgie endet. Das Opern-Ende bleibt – im Gegensatz zu den herkömmlichen Dialogen, die durch flappsige Sprüche in englicher Sprache ersetzt werden – erhalten: nach der filmreifen Verhinderung der Entführung (Star-Wars lassen grüßen!) verabschiedet der weibliche Bassa die gefangenen Paare in die Freiheit, nicht ohne skeptische Bemerkungen über deren chaotisch-erotische Zukunft. Ein knallig bunter Jungmännertraum, eine Hochglanz-Inszenierung für Freunde der Muskel-Buden, durchaus effekt- und wirkungsvoll. Doch die Personen bleiben Pappkameraden oder – in den besten Momenten – lustige Comic-Figuren. Mozart hat aber Menschen geschaffen, ihre Psychologie musikalisch fein verästelt. Darunter leiden in erster Linie die durchweg sehr jungen Sänger: alle technisch gut ausgebildet, klar und sauber singend, lässt ihnen die Regie keine Möglichkeit, ihr Inneres, ihr Herz zu zeigen. Kathryn Lewek (Konstanze), Siobhan Stagg (Blonde), Matthew Newlin (Belmonte), James Kryshak (Pedrillo) machen gute Figur, bleiben jedoch ohne Charakter. Nur Tobias Kehrer vermag – mit flüssigen Baß – seinem Osmin ein wenig Persönlichkeit zu verleihen. Auch Generalmusikdirektor Donald Runnicles und sein klangschön spielendes Orchester vermögen sich nur in einigen Passagen durchzusetzen. Fast jede differenziert die Tief- und Vielschichtigkeit von Mozarts Musik ausleuchtende Passage wird durch die plakativ-glatte Bühnen-Show überdeckt. Schade. Aber Mozarts Opern fordern nun mal eine ebenso phantasievolle wie genaue Personen-Regie – szenisch und musikalisch.

Triumpf im Spitzenschuh: ‚Cendrillon‘ in der Komischen Oper Berlin****

17. Juni 2016TheaterkritikenNo Comments

Ein gewagter – aber wie sich schnell herausstellt – überzeugender Griff: Damiano Michieletto,nicht unumstrittener, aber weltweit gefragter italienischer Regisseur, der nun in Berlin debütiert, verlegt das Märchen vom Aschenputtel in einen heutigen, etwas biederen Ballettsalon. Lucette, wie das Aschenputtel in der französischen Oper „Cendrillon“ von Jules Massenet (UA: 1899 in Paris) heißt, kämpft im Tanzsaal ihrer strengen Stiefmutter um die Primadonnen-Rolle im geplanten Ballett. Doch ein Sturtz verhindert alle Träume: mit geschientem, schmerzendem Bein wird sie im Krankenbett hereingefahren. Bis eine Gruppe alter Frauen – die Feen – der Unglücklichen zu Hilfe kommen und „Sternenflitter“ aus ihren spießigen Handtaschen streuen. Im Fiebertraum erlebt nun Lucette ihren großen, vollendet getanzten Pas-de-Deux mit dem „Prince Charmant“, dem von seinem Manager-Vater brutal getrimmten Ersten Tänzer, bis auch hier ein fataler Sturz sie wieder in die böse Realität und tiefe Verzweiflung zurückkatapultiert. Doch ein Happy End scheint möglich: der Erste Tänzer hat von den ständigen Zwängen genug, wirft die Ballettschuhe wütend weg und verlässt mit dem hinkenden Aschenputtel die muffigen Tanz-Trimm-Schule: in eine menschlichere Zukunft? Wunderbar wie Regisseur Michieletto und sein Team mit diesem dramaturgischen Trick die Märchenwelt mit der Wirklichkeit verbindet und durch sorgfaltige Personenführung und phantasievolle Szenen-Details immer in schönre Balance hält. Aus Märchenfiguren werden echte Personen und menschliche Charaktere – nicht nur die Tänzerin Lucette, der ein Beinbruch die berufliche Laufbahn vermasselt und der Erste Tänzer, der als Prince Charmant von seinem Impressario-Vater nur brutal ausgenutzt wird, sondern auch die Nebenfiguren zeigen nun Haltung und Profil . Aschenputtels Vater entlarvt sich als Pantoffelheld, die Stiefmutter gleicht einer herzlosen Sport-Trainerin, die ihre beiden Töchter – Lucettes Stiefschwestern – zu willenlosen Kopfnickern unterdrückt. Und aus den Feen werden alte Frauen: gütig. freundlich und hilfsbereit. Kongenial auch das Team um den Regisseurs : Sabine Franz choreographiert träumerisch im klassischen Ballett-Stil, der Bühnenbildner Paolo Fantin stattet den neon-kalten Tanzraum so schön wie scheußlich aus, Klaus Bruns mischt üppige Chiffon-Tütus mit schlichten Trainings-Klamotten, und Alessando Carletti zeigt durch raffinierte Ausleuchtung die dramatisch-schockierenden Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit. Trefflich ist die Besetzung der Hauptpartien: Sänger, die darstellerisch wie musikalisch überzeugen. Nadja Mchantaf ist ein sehr vitales Aschenputtel, glücksstrahlend im Spitzenschuh, verzweifelt mit stahlgeschientem Bein, ein Mezzosopran von leuchtender Intensität. In der Hosenrolle des Prince Charmant überzeugt Karolina Gumos durch leidenschaftliche, aber gezügelte Gestik und durch eine dunkel timbrierte Samt-Stimme. Unter der Alt-Mütterchen-Perücke der guten Fee lässt Mari Eriksmoen hübsche Koloraturen glitzern. Agnes Zwierko ist die harsche Stiefmutter und Trainerin, Werner Van Mechelen der graumäusige Vater und Pantoffelheld. Der Chor der Komischen Oper (Einstudierung: Andrew Crooks) macht seinem guten Ruf wieder alle Ehre: ob im transvestitischen Ballett-Kostüm oder hässlichen Trainingshosen sitzen Stimme wie Gestik perfekt. Dirigent Henrik Nánási hält die musikalischen Fäden fest in der Hand, gelegentlich zu ruppig, lässt jedoch in den lyrischen Passagen die Stimmen auf der Bühne wie im Orchester mit schöner Delikatesse aufblühen. Man mag es kaum glauben: Jules Massenets „Cendrillon“ wird 117 Jahre nach seiner Uraufführung erstmals in Berlin gespielt. Dank der klugen Regie und der trefflichen Musiker kann dieses französische Aschenputtel jetzt endlich auch beim deutschen Publikum triumphieren. Premiere: 12.Juni 2016, weitere Vorstellungen: 16./19./26./29.Juni/ 02./10.Juli 2016

Ein moderner Klassiker: ‚Jewels‘ / Das Staatsballett Berlin in der Deutschen Oper****

11. Juni 2016TheaterkritikenNo Comments

Balanchine Jewels Foto by Carlos Quezada DSC6114George Balanchine, einer der bedeutensten Choreographen des 20.Jahrhunderts, Gründer und langjähriger Leiter des „New York City Ballet“, verband 1967 drei tänzerische Preziosen zu einem seiner bewunderten, neo-klassischen Ballett-Abenden. Drei brilliant geschliffene, je halbstündige Stücke unterschiedlichsten Charakters, getanzt von den damaligen Stars seines berühmten Ensembles. Ohne Handlung, aber inspiriert vom Geist der jeweils gewählten Musik.

1.“Esmeralds“(Smaragde), ein Divertissement für zwei Solopaare, drei Solisten und einem weibllichen Corps de Ballet, beruht auf zwei Bühnenmusiken von Gabriel Fauré(„Pelléas und Melisnade“/“Shylock“). Es sind phantasievolle Variationen klassischern Tanzes, bestechend in seiner leicht melancholischen Anmut und spielerischen Grazie, wobei die ausgefeilten Armhaltungen (‚Port de Bras‘) der Damen – die lange, romantischen Tutüs tragen – diesen „Smaragden“ einen raffiniert-optischen Akzent verleihen. Die Grundfarbe der Ausstattung ist grün.

2.“Rubies“(Rubine) – konzipiert für ein Solo-Paar, eine Solistin und ein gemischtes Corps de ballet – nutzt das 1929 enstandene „Capriccio für Klavier und Orchester“ von Igor Strawinsky (mit dem Balanchine eine lebenslange Freundschaft verband) zu einer furiosen Tanz-Show in leuchtendem Rot. Witzig und anspielungsreich auf Zirkus- und Musical-Elemente, getanzt in hohem Tempo, vielfach mit hochgezogenen, angewinckelten Beinen, gleichsam die tänzerische Interpretation des von kecken Fugato-Teilen durchzogenen „Capriccio“ von Strawinsky.

3.“Diamonds“(Diamanten) bilden in strahlendem Weiß die abschließende Krönung der getanzten Preziosen. Zu Peter Tschaikowskys 3.Symphonie (ohne deren erstem Satz) demonstrieren ein Solo-Paar, mehrere Solisten und ein sehr großes Corps de ballet Glanz und Größe der alten St.Petersburger Ballett-Schule, der Balanchine entstammt, geformt jedoch aus moderner Sicht und endend in einer fulminanten Polonaise, in der sich die Stilmittel der amerikanische Chorusline und der russischen Ballett- Tadition ebenso mitreißend wie prachtvoll verbinden.

Das Staatsballett Berlin hat sich dieses Balanchine-Werkes mit großem Engagemant angenommen. Eine neue Ausstattung durch zwei spanische Künstler – den Dekorateur Pepe Leal und den Modeschöpfer Lorenzo Cprile – wurde angefertigt und bewährte Tänzer und Alt-Mitglieder des New York City Ballets haben die Choreographie mit den hiesigen Tänzern trefflich einstudiert. Leider stehen zur Zeit überragende Solisten-Persönlichkeiten dem Staatsballett nicht zur Verfügung, dennoch wird gut getanzt und dank der überragenden Balanchine-Choreographie überzeugt das Berliner Ensemble weitgehend und erzielt für dieses hübsche Schmuck-Kästchen beim Publikum einen großen, teils begeisterten Erfolg.

Foto: Tomas Quezada / Staatsballett Berlin

Träume in Absurdistan: ‚Juliette‘ in der Staatsoper im Schillertheater****

4. Juni 2016TheaterkritikenNo Comments

JulietteMichel ist Buchhändler in Paris und begibt sich auf die Suche nach einer fernen Geliebten: Juliette, die er einmal vor Jahren an einem Fenster in einer kleinen Stadt gesehen hat. Doch er landet in einer absurden Welt: er wird umschmeichelt und bewundert, aber auch betrogen und umhergejagt, einmal sogar fast gelyncht. Er begegnet alten und jungen Arabern, Matrosen, Polizisten, einer Fischverkäuferin und Handleserin, einem Bettler und einem Nachtwächter, bis er plötzlich die Stimmer der ersehnten Juliette aus einem Fenster hört. Ein Rendezvous kommt zu Stande,in dem Michel erregt seine Gefühle offenbart, das aber mit einem Schuß endet. So steht Michel am Schluß vor dem „Zentralkommisariat der Träume“, schuldgeplagt, in weißen Nebelwolken gleichsam vor dem Nichts, bis er plötzlich wieder die geliebte Stimme hört…

„Juliette oder der Schlüssel der Träume“ heißt das surreale Theaterstück von Georges Neveux, nach dem sich der tschechische Komponist Bohuslav Martinu in den 1930er Jahren – mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors – eine dreiaktige Oper schuf (UA Prag,1938). Eine schillernd-bunte Collage unterschiedlichster musikalischer Stile: Impressionistische Klangzauberei à la Debussy, rhytmische Härten wie nach Art Strawinsky’s, ein bißchen Operette, Jazz und Kabaret, zartes Triangel-Geklingel und aufrauschende Streicherwucht. Alles aber in eine raffiniert-ausgewogene Balance gebracht und zu musikalischem Surrealismus verschmolzen.

Daniel Barenboim und seine Staatskapelle verfügen über die nötige Erfahrung und das virtuose Können diesen schillernden Klang-Kosmos elegant zu entfalten und zu effektvoll leuchtender Wirkung zu bringen. Regisseur Claus Guth hat sich von Alfred Peter einen hellen Bühnenkasten bauen lassen: mit vielen auf- und zuklappenden Türen, Fensterchen oder Bodenlucken. Wie chaplineske Figuren purzeln, hüpfen oder springen die Figuren durch diese kafkaeske Welt – singend, tanzend oder gelegentlich auch mal sprechend. Auf die Sekunde ist jede Bewegung dieser merkwürdigen Alltags-Personen getaktet, komisch-absurde Opern-Marionetten, lustig und befremdlich zugleich.

Im Mittelpunkt dieses fast drei-einhalbstündigen (und damit zu langen) Abends steht jedoch nicht die Titelfigur Juliette, der Magdalena Kozená im roten Kleid und mit geschmeidiger Stimme eine sanft-prägende Gestalt verleiht, sondern vielmehr der Michel des Rolando Villazón. Eine Monster-Partie, die jedem Tenor das Äußerste abfordert. Villazón, einst Weltstar in seinem Fach, hat durch Krankheit seinen stimmlichen Glanz verloren. Doch er nutzt die inzwischen brüchige Stimme in dieser selten gespielten Oper sehr geschickt als charakterlichen Ausdruck für die Zwiespältigkeit eines Traumtänzers zwischen Wahn und Realität. Verstärkt durch seine großen, schauspielerischen Fähigkeiten wird so dieser Michel zu einem jener traurig-komischen Clowns wie sie – ebenfalls in der zwanziger und dreißiger Jahren und in der Welt des Films – Charlie Chaplin so unvergesslich erschuf. Und die beide mit den gleichen großen, schwarz-umrandeten Augen ausdauernd und zäh ihren Platz in einer unverständlichen Welt zu behaupten versuchten.

Großer Beifall für einen ungewöhnlichen Musiktheater-Abend.

Premiere: 28.Mai 2016                                                                                                                      Foto: Monika Rittershaus /Staatsoper Berlin

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