Rainer Allgaier

Theater- und Filmkritiken

  • Theaterkritiken
  • Filmkritiken
  • Berlinale
  • Rainer Allgaier
  • Impressum
  • Datenschutz
  • Theaterkritiken
  • Filmkritiken
  • Berlinale
  • Rainer Allgaier
  • Impressum
  • Datenschutz

Monat: März 2011

Dampfende ‚Ring‘-Schmiede: ‚Siegfried‘ im Staatstheater Cottbus ****

28. März 2011TheaterkritikenNo Comments

Martin Schüler, Cottbusser Intendant und Regisseur, hat aus der Not eine Tugend gemacht:  da der Orchestergraben für die notwendige Musikerstärke von Richard Wagners „Ring“ zu klein ist, plaziert er das Philharmonische Orchester auf der Bühne und lässt – durch einen Schleiervorhang getrennt – die Geschichte von Siegfried und Mime, dem Drachen Fafner und der schlafenden Brünnhilde davor – auf dem zugedeckten Orchestergraben -  spielen. Mit dem nun im Halbdunkel – nur die kleinen Notenlämpchen leuchten – agierenden Orchester als fast magischem Hintergrund zeigt die Bühne im ersten Akt einen Ambos, Schmiede- und Küchen-Ausstattung im Stil des 19.Jahrhunderts, im zweiten Aufzug bilden kleine, echte Kiefern vor einem Stacheldrahtzaun den Wald vor Fafners Höhle (im tiefen Dunkel hinter dem Orchester glimmt dann das Nibelungen-Gold auf), und der Brühnhilden-Felsen im dritten Akt entpuppt sich als eine Gruppe ramponierter Salon-Polstermöbel (nebst grossem Stahl-Safe) unter weissen Tüchern.
Der Gewinn dieses Arrangements: „Siegfried“ wird zum intimen Kammerspiel, bei dem meist jedes Wort des Textes verstanden wird und die Sänger niemals durch das Orchester zugedeckt werden. Und da die Regie alles Mythologische beiseite lässt und stattdessen die komischen Momente dieser turbulenten Jagd nach dem Macht verleihenden Ring betont, entwickelt sich das über vier Stunden dauernde Musikdrama zur kurzweilig-unterhaltenden Komödie.
Dass dieses Konzept überzeugt, ist zum einen der Verdienst des flexibel und kompakt aufspielenden Orchesters unter der straffen Leitung seines jungendlich-elastischen Generalmusikdirektors Evan Christ und zum andern der eines gut aufeinander abgestimmten Sänger- und Darsteller-Ensembles.
Der stämmige Peter Svensson erscheint  hier als blondgelocker Rocker-Siegfried in schwarzer Lederhose und Muscle-Shirt, mit kräftigem, aber nicht immer differenzierendem Helden-Tenor (Schweissperlen auf der Stirn und stimmliche Ermüdungserscheinungen gegen Ende eingeschlossen). In Sabine Passow tritt ihm eine stimmlich wie darstellerisch sehr attraktive Brünnhilde im silbern-schimmerndem, tief dekolltierten Kleid gegenüber, während sein Ziehvater Mime in der sich duckend-beweglichen Gestalt von Uwe Eikötter – trotz seines hässlich-grauen Arbeitskittels – ungewohnt menschliche Züge zeigen darf. Wotan (Nico Wouterse) ist ein elegant gekleideter, schlanker Intellektueller mit machtvollem Bass-Bariton,  Alberich (im Wald vor dem Stacheldrahtzaun) erinnert in böser Ironie -  von Andreas Jäpel trefflich verkörpert – durch sein ‚Outfit‘ an die Volkspolizei unseliger Zeiten. Ingo Witzke taucht als baumlanger Fafner im Frank und mit blau-geschuppter Glatze auf: seine tiefe Stimme verstärkt er dröhnend durch einen Handlautsprecher. Marlene Lichtenberg beindruckt als jugendliche Erda mit ebenso tiefen wie satten Tönen, während Cornelia Zink’s Waldvögelein im grünen Taft-Abendkleid und mit aufgeschlagener Partitur den staunenden Siegfried aufgeregt-quirlig umkreist.
Eine im Grund sehr konventionelle, aber äusserst kurzweilige Inszenierung – ein Abend, der seinen Schwung hoffentlich auch auf den (für 2013 geplanten) Abschluss der Wagnerschen Tetralogie (die „Götterdämmerung“) zu übertragen vermag.

Foto:Staatstheater Cottbus/Marlies Kross

nächste Vorstellungen:02./17.April 2011

Verspäteter Karnevals-Jux: ‚Wissen Sie, wie man Töne reinigt?‘ in der Schiller-Theater-Werkstatt ***

25. März 2011TheaterkritikenNo Comments

Einen Jux will er sich machen: damals 1913 war es Erik Satie, der mit verdrehten Worten und verqueren Melodien seine Zeitgenossen teils unterhielt, teils provozierte – heute ist es Staatsopern-Intendant Jürgen Filmm der damit eine volle Stunde sein gewogenes Publikum im der Schiller-Werkstatt launig unterhält. Es handelt sich dabei um eine kleine Albernheit: ein Baron Qualle will seine Tochter Frisette verheiraten, doch nicht nur der Diener Polycarpe, auch der vorgesehne Schwiegersohn Astolfo stolpern über allerlei absurde Sprach- und Musik-Spielereien: z.B. ‚wie reinigt man Töne?’  – man wischt auf eine Schiefertafel geschriebene Noten weg – oder: ‚Können Sie auf dem linken Auge tanzen?‘ – als Antwort schlagen drei tanzende Affen Purzelbaum.
In der Mitte des Raumes steht ein Billard-Tisch, drum herum sitzt auf alten Stühlen und Sofas das Publikum. Drei glänzend aufgelegte Schauspieler (Stefan Kurt, Jan Josef Liefers, Klaus Schreiber) hasten in alt-modischen Fräcken und abenteurlichen Frisuren herein, mimen Farce und Groteske zugleich, kaspern mit dem Publikum, spielen auf diversen Instrumenten wie Marimbaphon und Maultrommel, oder singen (in franz.Sprache) Satie’s populäre Chansons (‚Je te veux‘). Einer der  Höhepunkte ist eine musikalische Performance: wenn mit leichten Stäben die geschickten Darsteller auf einem Dutzend gutgefüllter Wassergläsern die berühmte ‚Gymnopedie No.1‘ in unterschiedlichen Tempi trommeln – ein zauberhafter Moment.
Eine bunte Mischung aus Worttüffteleien und süffiger Musik: an Klavier, Harmonium und Konzertflügel bewährt sich prachtvoll der spillerige Arno Waschk und die drei Schauspieler, die auch öfters das pompös-übertriebene Kostüm wechseln dürfen, geben ihrem Affen im wahren Sinn des Wortes kräftig Zucker. Nicht jeder Gag ist gelungen, nicht jedes Witz trifft ins Schwarze. Aber als freundlich-verspäteter Faschings-Schwank aus dem Paris von anno dunnemals beweist der kurze Abend doch einigen Charme.
Das gewogene Publikum feierte den Einstand des Intendanten und Hausherrn Jürgen Filmm als Regisseur und rheinische Frohnatur mit sehr freundlichem Beifall.

Foto:Hermann Baus/ Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen:29./ 30./ 31.März/ 01./ 05./ 06./ 07./ 09./ 10.April

Strukturen der Gewalt: ‚In einer besseren Welt‘ von Susanne Bier ***

22. März 2011FilmkritikenNo Comments

Geschichten von Vätern und Söhnen.  Anton arbeitet als ‚Arzt ohne Grenzen‘ mehrere Monate im Jahr in einem afrikanischen Flüchtlingslager, wo er immer wieder schwangere Frauen operieren muss, denen ein sogenannter ‚Big man‘ sadistisch den Bauch aufgeschlitzt. Bis dieser schwarze Monstermann, der aussieht wie ein wiedererstandener Idi Amin, selbst das Lager wegen eines zertrümmerten Beins aufsuchen muss, und Anton vor der Frage steht, ob er er ihm helfen darf oder sogar muss. Schnitt: Im heimatlichen Dänemark freundet sich sein 12jähriger Sohn Ellias mit dem gleichaltrigen Christian an, einem Neuzugang in der Schule, der -  nach dem Krebstod seiner Mutter -  mit seinem Vater aus London ins hiesige, luxuriöse Haus der Oma gezogen ist. Christian sieht wie der eher scheue Ellias als Sündenbock der Klasse drangsaliert und geschlagen wird und verprügelt nun seinerseits die Peiniger recht brutal. Als Vater Anton aus Afrika wieder für ein paar Wochen nach Hause kommt, gerät er mit einem groben Kraftfahrer in handfesten Streit und erhält von diesem eine Ohrfeige. Anton schlägt nicht zurück: er will so seine moralische Überlegenheit und das von ihm (auch in Afrika) vertretene Prinzip der Gewaltlosigkeit demonstrieren. Doch die zuschauenden Christian und Ellias halten ihn für einen Feigling und versuchen nun ihrerseits gewaltsam Rache an dem rüden Kraftfahrer zu nehmen. Zufällig finden sie in einem Schuppen altes Schiesspulver und basteln – Anleitung im Internet -  an einer Auto-Bombe…
Die rennomierte dänische Regisseurin Susanne Bier hat (zusammen mit dem Drehbuchautor Thomas Anders Jensen) ein spannendes und intelligentes Szenario über verschieden Formen der Gewalt entwickelt: wie sie entsteht, welche Folgen sie haben kann. Aber nicht als abstakte Diskussion, sondern als alltägliches, familiäres Ereignis. Verdeckt im bürgerlich zivilisierten Dänemark, offen-brutal im afrikanischen Flüchtlingslager.  Dort erschlagen die wuterfüllten Opfer nach dessen Heilung den brutalen ‚Big Man‘, ihren Peiniger. Im idyllisch-dänischen Hafenstädtchen schauen die Lehrer aus falsch verstandener Toleranz über Gewaltauswüchse an ihrer Schule lächelnd hinweg, muss sich Christians Vater Mitschuld am Tod seiner Frau eingestehen, verrennt sich Christian in gewaltbereite Selbstgerechtigkeit.
Susanne Bier erzählt die verschachtelten Episoden in kraftvollen, schnellen Bildfolgen, immer wieder unterbrochen von ruhigen Landschaftsaufnahmen aus Kenia und dem dänischen Fünen. Unterstützt von einem hervorragenden Darsteller-Ensemble, das aus erdachten Figuren lebendige Alltags-Menschen gestaltet und das über die oft plakative Moral, die das Drehbuch den einzelnen Personen zuschreibt, eindrucksvoll hinwegspielt.
Die Konstellationen dieser Familien-Geschichten sind äusserst klug erdacht, doch eine echte Antwort auf die Frage nach Macht, Gewalt,  Gegengewalt und Rache ( ‚Rache‘ lautet auch der dänische Original-Titel)  vermag er nicht zu finden. Statt dessen zieht er sich auf die Gewohnheiten und Regeln des grossen Gefühls-Dramas zurück: untermalt von einem waberndem Musik-Teppich breitet sich dementsprechend auch ein tränenseliges Happy-End aus. Die Paare finden sich erneut, Väter und Söhne versöhnen sich mit- und untereinander.
Kein Wunder, dass Hollywood in den dänischen Emotionen seinen besten, fremdsprachigen Film gefunden hat:  Golden Globe und Oscar als Preis für ein Kino, das ein engagiert-sperriges Thema zur intelligent-verdaulichen Unterhaltung veredelt.

Foto/Verleih: Universum Film GmbH

zu sehen: fsk (OmU); Hackesche Höfe (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; Filmtheater am Friedrichshain; Filmkunst 66; International; Kino in der Kulturbrauerei; Neues Off; Union; Thalia Potsdam

Bilderrätsel und Drogenrausch: ‚Tristan und Isolde‘ in der Deutschen Oper Berlin ****

18. März 2011TheaterkritikenNo Comments

Fast unhörbar, wie aus weiter Ferne erklingt der erste Ton von Richard Wagners hochromantischer „Tristan“-Partitur – dann führt Generalmusikdirektor Donald Runnicles seine hochkonzentriert spielenden Musiker ebenso behutsam wie zupackend in die gewaltigen, rauschhaften Entladungen des Orchesters. Die gross-disponierte, komplizierte Architektur der Musik wird unter Runnicles klar nachvollziehbar ohne ihre raffinierte Klangschönheit einzubüssen: eine überragende Leistung des neuen Musikchefs wie seines Orchesters. Auch bleibt  die Balance zwischen Orchester und Bühne immer gewahrt, kaum jemals werden die Sänger von den Klangwogen überdeckt – in den ruhigeren Momenten sind Gesangs- und einzelne Orchesterstimmen so detailgenau und einfühlsam herausgearbeitet, dass fast kammermusikalische Stimmung herrrscht und die Sänger deutlich zu verstehen sind. Ein „Tristan“ der Durchhörbarkeit, Klarheit und musikalischer Transparenz.
Zumal ein ausgezeichnetes Ensemble zur Verfügung steht, angeführt von Peter Seiffert, der nach seinem nur eingeschränkt gelungenen Tristan-Debüt vor einigen Jahren in der Staatsoper, diesmal den Titel-Helden überzeugend verkörpert, da er eine unermüdliche Stimm-Kraft und Ton-Schönheit bis in die grossen Wahn-Szenen des dritten Aktes bewahrt. Petra Maria Schnitzers Isolde vermag mit ihrem eher jugendlichen als hochdramatischen Sopran diese Kraft noch nicht ganz aufzubringen, nicht  jeder Ton klingt rund, aber diese Einschränkung kann sie durch ihre ungewohnt intensive Rollen-Verkörperung – darstellerisch wie musikalisch – glänzend auszugleichen. Kristinn Sigmundsson macht in den Monologen des betrogenen Königs Marke seine Erschütterung über den Treuebruch seines Zieh-Sohnes Tristans glaubhaft nachvollziehbar, Jane Irwin ist mit schönem Mezzo die bescheiden- treue Dienerin Brangäne. Als kerniger Kurwenal überzeugt (in der von mir besuchten 2.Vorstellung) der tadellose Einspringer Sebastian Noack; bestens fügen sich auch  die übrigen Ensemble-Mitglieder in den kleineren Rollen ein.

Umstritten ist jedoch die Inszenierung von Graham Vick, der mit den herkömmlichen Gewohnheiten stilisierter oder abstahierter Aufführungen nach dem Neu-Bayreuther Muster der Wagner-Enkel radikal bricht. Stattdessen setzt er auf surreal verfremdete Bilder, die sich allerdings nicht immer, und schon gar nicht auf den ersten Blick erschliessen. Die Bühne zeigt den grosszügigen Wohnraum eines modernen Bungalows mit Ledersofa, Sessel und einer Front von Glas-Türen, die auf eine weite Terasse führen. Beherrschendes Möbelstück ist ein blankpolierter Sarg in verschiedener Aufstellung (denn jeder Akt zeigt den gleichen Salon, aber aus  unterschiedlicher Perspektive). Tristan trägt einen dunklen Anzug, Isolde legere Freizeitkleidung. Statt eines (Liebes-)Trankes spritzt das Paar sich Drogen in den Arm, während Marke als abgewandter. stummer Zeuge im Hintergrund sitzt. Immer wieder erscheinen rätselhafte Personen auf der Terasse, scheinen religiöse Übungen zu machen, oder durchqueren stumm den Raum. Im 2.Akt gräbt hinter dem Sofa ein nackter Mann ein Grab, im 3.Akt sind alle Personen alt und grau geworden – auch Isoldes zunächst irisch-rotes Haar hat seine Farbe verloren, sie sinkt am Ende des „Liebestodes“ nicht um, sondern folgt trapperigen Schrittes ihrem Tristan und einigen anderen grauen Gestalten über die Terrasse hinaus in ein undefinierbar-dunkles Reich.
In dieser „Tristan“-Interpretation dreht sich alles ums Sterben,  jedes dieser rätselhaften Bilder kreist um den Tod. Durch die starke Präsenz der Sänger und durch ihrem intensives, engagiertes Spiel gewinnen diese Rätsel-Bilder eine fast magische Faszination : das Unergründliche, das Irritiernde des „Tristan“ beginnt in dieser surrealen Welt vielschichtig zu schillern.
Auch wenn nicht jede Idee einsichtig scheint und gelegentlich ein Zuviel an Einfällen von der zentralen Handlung abzulenken drohen (besonders im 1.Akt).
Man kann und darf eine solche Sichtweise ablehnen (wie dies überwiegend das Berliner Premieren-Publikum am 13. diese Monats tat), die exzellente theatralische Umsetzung des Konzepts, die  genaue Personenregie überzeugen ebenso wie die hohen musikalischen Qualitäten und lassen an der Ernsthafigkeit und Diskussionswürdigkeit der Produktion kaum eine Zweifel.  Insgesamt ein „Tristan“ der Sonderklasse.

Das Foto von Matthias Horn zeigt Kristinn Sigmundsson (Marke),Peter Seiffert (Tristan),Petra Maria Schnitzer (Isolde)/ c:Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen:22./26./30.März/ 3.April

Ostereierbunt: ‚OZ-The Wonderful Wizard‘ – das Staatsballett in der Komischen Oper ***

15. März 2011TheaterkritikenNo Comments

Eine popiges Tanz-Spektakel für die ganz Familie nach dem amerikanischen Kinderbuch-Klassiker  „The Wizard of Oz“  von Lyman Frank Baum (erschienen 1900).  Die turbulente Geschichte der kleinen Dorothy aus Kansas, die von einem Sturm in ein geheimnisvolles Land gewirbelt wird, wo sie die Vogelscheuche ohne Verstand, den Blechmann ohne Herz und den Löwen ohne Mut trifft. Zsammen erleben die Vier auf dem Weg zum Zauberer von Oz, der Dorothy den Weg zurück nach Hause zeigen soll,  allerlei bizarre Begegnungen und Abenteuer, bis besagter Zauberer den drei Freunden von Dorothy Verstand,  Herz und Mut, die sie auf dem Weg zu ihm bewiesen haben, bestätigt und Dorothy selbst wieder zurück nach Hause findet.
Der Choreograph Giorgio Madia zaubert aus der alten Vorlage eine flotte, anderthalb-stündige, hochmodische Tanz-Show in 32 Bildern  -  zu einer musikalischen Collage aus den diversen Tanz-und Jazz-Suiten von Dmitri Shostakovich.  Lustige Video-Einspielungen mischen sich mit kleinen Tanz-Einlagen zur comic-ähnlichen Abfolge aus mal eher  real-komischen, mal surreal-fantastischen Szenen.  Wie von Geisterhand schieben sich weisse Wände über die Bühne, auf denen erläuternde Zeichnungen, Schriften und Piktogramme raffiniert wechseln, während Fantasy-Wesen in popig-grellen Kostüme und schrillen Perücken Dorothy und ihre Freunde in ein schickes Disneyland von heute entführen  – auch eine Schar kess-hüpfender Micky-Mäuse fehlt nicht. Polina Semionova tanzt charmant die kindliche Dorothy im kurzen, rosa Kleidchen, Federico Spallitta scheint als Vogelscheuche ein Mann ohne Knochen zu sein,  der Blechmann von Artur Lill stapft in seiner Silberrüstung mit gravitätischer Beweglichkeit umher  und Vladislav Marinov tummelt sich mit riesig-gelber Mähne als erst feiger und dann mutiger Löwe ganz virtuos mal durch schwarze Wälder, mal durch rote Mohnfelder. Am Ende erscheint dann Vladimir Malakhov im weissen Trikot: zunächst als damönischer, dann als schrullig-kluger Zauberer, der die Geschichte von Dorothy und ihren drei Freunden zum glücklichen Ende und einer umjubelten Luftballon-Schlacht mit dem Publikum führt.
Ein gefällig-modischer Unterhaltungs-Spass für die Kids von heute und deren Eltern – kein herzerwärmendes Ballett-Märchen aus alten Zeiten,  sondern eine perfekt-glatte  und aufwendig-fantasievolle Tanz-Revue – ebenso schick wie ‚cool‘.

Foto: Enrico Nawrath/Staatsballett

nächste Vorstellungen: 18./ 23./ 27.März/ / 01./ 18./ 20./ 21.April 2011

Alles Elend der Welt: ‚Biutiful‘ von Alejandro Gonzales Inarritu ***

12. März 2011FilmkritikenNo Comments

Ein hässliches Hafenviertel von Barcelona, alte Fabriken, dick qualmende Schornsteine, schmale Gassen, heruntergekommene Wohnungen, düstere Keller. Viele Menschen auf engem Raum, darunter illegale Afrikaner, die dealen, und Chinesen, die auf Baustellen oder in heimlichen Fabriken unter menschen-unwürdigen Bedingungen schwarz-arbeiten. Durch provisions-anteillige Vermittlung solcher Illegalen versucht der arbeitslose Uxbal den Lebensunterhalt für sich und seine beiden Kinder zu sichern. Doch auf einen grünen Zweig kommt er nicht: zumal das Zusammenleben mit seiner psychisch kranken Frau immer wieder auseinander bricht, und der Arzt bei ihm ausserdem Prostatakrebs im Endstadium diagnostiziert. Am Schluss stirbt er einsam, zuletzt nur von einer – vor der Polizei versteckten – Schwarzen betreut.
Der mexikanische Regisseur Alejandro Gonzales Inarritu („Amores Perros“, „21 Gramm“,  „Babel“) hat sich diesesmal auf eine einzige Figur, den von Javier Bardem eindrucksvoll verkörperten Uxbal, konzentriert – aus Uxbals Blickwinkel wird das Geschehen erzählt. Er ist der Mittelpunkt des Viertels, alle anderen Personen und Episoden kreisen um ihn herum: seine labile Frau, der offensichtlich reichere, aber zwielichtige Bruder, ein schwuler, chinesischer Clanchef, die schwarzen Drogenhändler, ein korrupter Polizeibeamter, dem er Schutzgelder übermittelt. Dabei will er ein guter Vater sein, bemüht sich rührend um seine beiden Kinder, versucht auch in seinen krummen Geschäften aufrichtig zu bleiben. Doch nicht nur die Gegenwart, auch die Vergangenheit belastet ihn in Gestalt seines verstorbenen Vaters, der einst vor Franco nach Mexiko floh – eine surreale Begegnung mit diesem (damals noch jungen) Vater in einem verschneiten Wald eröffnet und beschliesst den Film. Zudem besitzt Uxbal spiritistische Kräfte und vermag sich mit Toten im Jenseits zu unterhalten: gegen Geld übermittelt er den Hinterbliebenen das so von ihm Erfahrene.
Der 138 Minuten lange Film ist mitreissend inszeniert und findet in dem von Javier Bardem mit ausergewöhnlicher Präsenz dargestellten Uxbal sein eindrucksvolles Zentrum. Es ist eine Passionsgeschichte ohne christliche Erlösung, die aber gleichzeitig stark auf das Mitleid – sprich: Tränendrüse – des Publikums zielt. Diese dramaturgische Über-Konstruktion, die in einer (in einem Film) unglaubwürdigen Häufung von Elend besteht, ist der schwer lastende Pferdefuss von Inarratu’s handwerklich so kraftvoll gestaltetem Werk. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen.

Poster: Prokino Filmverleih

zu sehen: Hackesche Höfe Kino (OmU); Rollberg (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; Eiszeit-Kino; Neue Kant Kinos; Kulturbrauerei; Movimento; Thalia Potsdam

Düsteres Spektakel: ‚Les Troyens‘ in der Deutschen Oper ***

7. März 2011TheaterkritikenNo Comments

Nur ganz grosse Opernhäuser können sich Inszenierungen von Hector Berlioz‘ monumentalem Musikdrama leisten: zu anspruchsvoll sind die Anforderungen an alle Beteiligten, an Sänger, Musiker, Ausstatter und Technik. Auch in Berlin wurde  – laut der Programmbeilage -  das Werk bisher nur ein einziges Mal aufgeführt: 1930 in der damaligen Staatsoper.  Jetzt hat sich der neue Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Donald Runnicles dieser fünfaktigen ‚Grand Opera‘ mit grossem Erfolg angenommen – zumindest, was die musikalische Seite betrifft. Er kostet die riesige Partitur um den Untergang Trojas und die Flucht des Helden Äneas nach Karthago und Rom  voll und mit viel Fingerspitzengefühle aus:  er lässt die Militär- und Triumph-Märsche donnern, heizt das dramatische Feuer in Troja kräftig an, verleiht den Meeres-Wellen am lieblichen Strand von Karthago lyrischen Schimmer, steigert den Liebestaumel von Äneas und Dido ins Rauschhafte – klangschön vom Orchester unterstützt. Vorzüglich auch die Koordination mit den gewaltigen, auf der Bühne hin und herflutenden Chormassen (fabelhaft einstudiert von William Spaulding) und dem gut ausgesuchten Sänger-Ensemble, das bis auf die drei Hauptpartien, aus vorzüglichen Kräften des Hauses besteht. International – und deshalb entsprechend der jeweiligen Aufführungsserie unterschiedlich – besetzt sind die Rollen der Kassandra, die entsetzt den Untergang Trojas voraussieht und sich selbst tötet, bevor sie den griechischen Soldaten in die Hände fällt  (in diesem März : mit schönem Mezzo Anna Caterina Antonacci) sowie die Rolle der karthagischen Königin Dido, die sich in Äneas verliebt, aber nach seiner Ab- und Weiterfahrt den Scheiterhaufen betritt (sich  äusserst dramatisch steigernd: Daniella Barcellona). Als stimmgewaltiger Äneas präsentierte sich (bisher in allen Vorstellungen) der Brite Ian Storey – mit kraftvollen Spitzentönen, aber einer unausgeglichenen, unflexiblen Mittellage. Kurz : eine hörenswerte, überzeugende musikalische Leistung der Deutschen Oper.
Schwachpunkt dagegen ist die Inszenierung von David Pountney, dem derzeitigen Intendanten der Bregenzer Festspiele. Ein paar effektvolle Tableaus, einige Ideen wie die geschickte, optische Verklammerung des Todes von Kassandra und Dido – jeweils im Mittelpunkt eines senkrecht sich aufstellenden Gitter-Rings – und hinter der umsinkenden Dido erscheint dann am Ende Kassandras Gestalt. Ansonsten stehen die Sänger meist herum, Schleier-Vorhänge öffnen und schliessen sich, rauschen hoch und nieder und eine 14-köpfige Tanz-Truppe exekutiert Aerobic bis zur Lächerlichkeit. Ein auch in den Kostümen ziemlich fad und lieblos ausgefallenes Antiken-Drama, rot-schwarz in den Troja-Akten, lindgrün-hellgelb in Karthago.
Schade, dass die effektvolle Darstellung der Musik so gar keine ansprechende, szenische Interpretation findet.

Foto: Matthias Horn/ Deutsche Oper   Premiere: 05.12.2010

nächste Vorstellungen: 11. und 20.März 2011

Von der Kunst des Schauspielers: ‚Einfach kompliziert‘ im BE ****

3. März 2011TheaterkritikenNo Comments

Einen Namen hat er nicht, er ist einfach der alte, über 80jährige Schauspieler, der fast vereinsamt in einer schäbigen, kleinen Wohnung haust: abplätternde Wand-Farbe, ein Bett, ein Tisch, ein Kühlschrank, Stühle, ein Spiegel, ein Tonband. Durch das seitliche hohe Fenster dringt taghelles Sonnenlicht, das den Schatten des Schauspielers auf der gegenüberliegenden, kahlen Wand tanzen lässt. Er grummelt vor sich hin, erzählt von seine grossen Erfolgen in Duisburg oder Bochum, er kramt die Königskrone, die er einst als Richard III. trug aus der Kiste, er labert über seine geliebt- und gehassten Hausgötter Shakespeare und Schopenhauer. Zweimal in der Woche kommt ein kleines Mädchen, lieb, aber einsilbig, und bringt ihm eine Kanne frischer Milch – die er jedoch sofort nach ihrem Weggang ins Klo schüttet. Ein alter, bizarrer Kauz, sich immer mehr von der Welt abschottend, der mit ausladender, lebens-erinnernder Geste seinem Sterben entgegegen stolpert.
Thomas Bernhard hat dieses kleine Stück, das ganz ohne vergangene Nazi-Greuel, Familien-Scheusslichkeiten oder Österreichbeschimpfungen auskommt, vor 25 Jahren für Bernhard Minetti zu dessen 80.Geburtstag geschrieben. Jetzt hat es Claus Peymann, der berühmteste aller Bernhard-Regisseure, zu dessen 80.Geburtstag (würde er noch leben) neu in Szene gesetzt: mit Gerd Voss, seinem einstigen Richard III., und mit dem alten Bühnebild-Freund Karl-Ernst Herrmann. Ein Abend, der noch einmal die Grösse und Bedeutung der einstigen Theater-Weggefährten erkennen lässt, jener grossen und wichtigen Epoche des deutschen Theaters in Stuttgart, Bochum oder Wien.
Bernhard Minetti war dieser alte, mümmelnde Schauspieler – Gerd Voss spielt ihn, zeigt mit verblüffender Virtuosität die dargestellte Figur und gleichzeitig wie er sie ‚herstellt‘ – ein Balance-Akt, der verhindert, dass der Fast-Monolog ins Über-Eitle oder Larmoyante abgleitet. Peymann unterstützt ihn dabei ebenso dezent wie effektiv. Unsentimental, doch anrührend ist die Szene mit dem kleinen Mädchen, wirkungsvoll das Spiel mit dem (Fenster-)Licht oder dem Spiegel, komisch, wenn er den Nachtopf ausleert, aber schusselig sich die Restflüssigkeit über den Kopf schüttet und mit der Schlafanzugshose abtrocknet. Allerdings können auch Peymann und Voss bei all der Raffinesse ihrer Kunst nicht verhindern , dass das knapp zweistündige Stück im letzten Teil etwas langweilig zu werden droht.
Dennoch: ein schöner Abend, klug gestaltet, virtuos gespielt – auch wenn die verblüffend-neue, subversive Stoss-Kraft des Bernhard’schen Theaters von einst jetzt dank altersmildem Glanz doch sehr besänftig erscheint.

Premiere: 18.02.2011

Foto: Monika Rittershaus/ Berliner Ensemble

Vor dem Sturm: ‚Kinder der Sonne‘ im DT ***

1. März 2011TheaterkritikenNo Comments

Maxim Gorki schrieb sein vieraktiges Drama „Kinder der Sonne“ 1906 im St.Petersburger Gefängnis vor dem Hintergrund revolutionärer Aufstände gegen das Zaren-Regime. Es spielt im Hause eines Wissenschaftlers und verbindet Liebesverwirrungen mit Diskussionen über die politischen und gesellschaftlichen Zustände der Zeit. Eine intellektuell mit sich selbst beschäftigte Mittelschicht vor dem Hintergrund heraufziehender Katastrophen.
Der Regisseur Stephan Kimmig und sein Team haben das Stück auf knapp zwei (pausenlose) Stunden zusammengestrichen und in die Gegenwart verlegt. Dabei werden besonders die komischen Aspekte des Aufeinanderprallens verschiedener Liebesbeziehungen und gesellschaftlich-moralischer Vorstellungen betont – in einer trocken-sloppen Neu-Übertragung voll sarkastischer Anspielungen und ironischer Hinzufügungen. Dies funktioniert erstaunlich gut bei den ehelichen und sonstigen Gefühls-Verwirrungen, bleibt aber in den gesellschafts-kritischen Auseinandersetzungen und Visionen recht literarisch-blass.
Seine Lebendigkeit gewinnt der kurze Abend vor allem durch ein Ensemble exzellenter Schauspieler, allen voran Ulrich Matthes in der Rolle des mit seiner Gen-Forschung verheirateten Professors, Nina Hoss als an seiner Nichtbeachtung leidender Ehefrau und Alexander Khuon als vergeblich um die Liebe der jungen Schwester des Professors ringender Tierarzt. Sven Lehmann verblüfft in der Rolle eines Künstlers mit kabarettistischen Reimereien.
Katja Hass hat einen abstrkten Bühnen-Einheitsraum aus aufrecht stehenden, schmalen Leisten und Neonröhren gestaltet, die Darsteller tragen heutige Freizeitkleidung. Der alte Gorki scheint hier fast  die Handschrift eines vorweggenommenen Botho Strauss zu gewinnen : statt einem bewegendem Drama mit politischem Pathos -eine neuzeitlich-intellektuelle Beziehungs-Komödie. Durchaus unterhaltsam.

Premiere: 15.10.2010

Foto: Arno Declair /Deutsches Theater

Kategorien

  • Allgemein
  • Berlinale
  • Filmkritiken
  • Theaterkritiken
  • Verschiedenes

Neueste Beiträge

  • Ende der Spielzeit 2018/19 in den Berliner Opernhäuser
  • Kino & Theater – Mai / Juni 2019
  • Gelungenes Musiktheater: „Oceane“ in der Deutschen Oper Berlin****
  • Kino & Theater März 2019
  • Meine BERLINALE 2019

Schlagwörter

Nase Reise nach Reims

Archive

  • Juni 2019
  • Mai 2019
  • März 2019
  • Februar 2019
  • Januar 2019
  • Dezember 2018
  • November 2018
  • Oktober 2018
  • Juli 2018
  • Juni 2018
  • Mai 2018
  • März 2018
  • Februar 2018
  • Januar 2018
  • Dezember 2017
  • November 2017
  • Oktober 2017
  • Juli 2017
  • Juni 2017
  • Mai 2017
  • April 2017
  • März 2017
  • Februar 2017
  • Januar 2017
  • Dezember 2016
  • November 2016
  • Oktober 2016
  • Juli 2016
  • Juni 2016
  • Mai 2016
  • April 2016
  • März 2016
  • Februar 2016
  • Januar 2016
  • Dezember 2015
  • November 2015
  • Oktober 2015
  • August 2015
  • Juli 2015
  • Juni 2015
  • Mai 2015
  • April 2015
  • März 2015
  • Februar 2015
  • Januar 2015
  • November 2014
  • Oktober 2014
  • September 2014
  • August 2014
  • Juni 2014
  • Mai 2014
  • April 2014
  • März 2014
  • Februar 2014
  • Januar 2014
  • Dezember 2013
  • November 2013
  • Oktober 2013
  • September 2013
  • August 2013
  • Juli 2013
  • Juni 2013
  • Mai 2013
  • April 2013
  • März 2013
  • Februar 2013
  • Januar 2013
  • Dezember 2012
  • November 2012
  • Oktober 2012
  • September 2012
  • August 2012
  • Juli 2012
  • Juni 2012
  • Mai 2012
  • April 2012
  • März 2012
  • Februar 2012
  • Januar 2012
  • Dezember 2011
  • November 2011
  • Oktober 2011
  • September 2011
  • August 2011
  • Juli 2011
  • Juni 2011
  • Mai 2011
  • April 2011
  • März 2011
  • Februar 2011
  • Januar 2011
  • Dezember 2010
  • November 2010
  • Oktober 2010
  • September 2010
  • August 2010
  • Juni 2010
  • Mai 2010
  • April 2010
  • März 2010
  • Februar 2010
  • Januar 2010
  • Dezember 2009
  • November 2009
  • Oktober 2009
  • September 2009
  • August 2009
  • Juli 2009
  • Juni 2009
  • Mai 2009
  • April 2009
  • März 2009
  • Februar 2009
  • Januar 2009
  • Dezember 2008
  • November 2008
  • Oktober 2008
  • September 2008
  • Juli 2008
  • Juni 2008
  • Mai 2008
  • April 2008
  • März 2008
  • Februar 2008
  • Januar 2008
  • Dezember 2007
  • November 2007
  • Oktober 2007
  • September 2007
  • August 2007
  • Juli 2007
  • Juni 2007
  • Mai 2007
  • April 2007
  • März 2007
  • Februar 2007
  • Januar 2007
  • Dezember 2006
  • November 2006
  • Oktober 2006
  • September 2006
Proudly powered by WordPress | Theme: Doo by ThemeVS.