Rainer Allgaier

Theater- und Filmkritiken

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Kategorie: Theaterkritiken

Theater- und Filmnotizen Mai 2018

19. Mai 201825. Juni 2018Theaterkritiken

SEMELE  –  Oratorium von Georg Friedrich Händel  in der Komischen Oper Berlin****

Die Ouvertüre beginnt in c-moll, entsprechend erzählt Regisseur Barrie Kosky die Liebesgeschichte der Thebanischen Prinzessin Semele und des Göttervaters Jupiter nicht als heiter-frivole Barock-Komödie, sondern als melancholisch-dramatische Gefühls-Tragödie, wenn auch mit halbwegs versöhnlichem Ausblick am Ende.

Georg Friedrich Händels Oratorium von 1744 spielt in der Inszenierung, der die ursprünglich vorgesehene Regisseurin abhanden kam und für die Barrie Kosky als Chef des Hauses einsprang, in einem düsteren, weitgehend zerstörten, ursprünglich wohl vornehmen Salon.  Aus einem Haufen Asche taucht die verbrannte Semele auf und erinnert sich in – durch mächtige Donnerklänge gespaltenen –  Gedanken-Splittern an ihre Geschichte: die Verweigerung der Hochzeit mit den Prinzen Athamas, der aber von ihrer Schwester Ino heiß begehrt wird, an die Liebes-Begegnung mit Jupiter und iher beiden tiefen Gefühle füreinander, die bis an die Grenzen der Existen reichen, an die raffinierte Intrige der eifersüchtigen Gemahlin Jupiters, Juno, die dann zu ihrem, Semeles bitteren Tod durch Verbrennen, aber auch zur Geburt ihres halbgöttlichen Kindes Dionysos führt. Ob Händel sein mit virtuosen Arien und hinreißenden Chören prachtvolles Oratorium wirklich so als düstere Parabel auf die unterschiedlichen Arten der Liebe komponiert hat wie es Koskys Inszenierung sieht,  mag dahingestellt sein. Es gibt auch freundlichere Deutungen.

Aber die strenge und zugleich fantasievoll-konsequente Führung der Hauptpersonen, die groteske Zeichnung der Nebenfiguren, der sich sich oft gespentisch-einmischende, wirbelnde Chor sowie das teatralich-effektvolle Gesamt-Arrangement, machen diese „Semele“ zu packendem Musiktheater. Gesteigert durch großartige Sänger-Darsteller, die sich tänzerisch-locker wie in einem Musical bewegen können und zugleich der Musik strahlenden Glanz und emotionale Tiefe verleihen.  Nicole Chevalier, in der Premiere noch indisponiert, verkörperte in der zweiten Vorstellung,(die ich besuchte) eine fulminant-berührende  Semele, die das Publikum zu Beifallsstürmen hinriß. Ezgi Kutlu ist – mit flexiblem Mezzo – in violetter Seidenrobe ihre  elegante Gegnerin Juno, Allan Clayton der liebende, aber letzlich machtlose Jupiter mit schönen tenoralen Tönen. Hübsche Nebenfiguren sind Nora Friedrich als sportliche Freundin der Juno, der  Countertenor Eric Jurenas als (vielleicht zu) tölpelhafter Prinz und Nebenbuhler Athamas, der baßorgelnde junge Evan Hughes als barbrüstiger Schlaf-Gott. Etwas blaß bleibt Katarina Bradic als Semeles Schwester. Klangschön der in jeder Hinsicht bewegliche Chor, ebenso machtvoll wie sensibel das „historisch“ spielende Orchester unter dem umsichtigen Konrad Junghänel, dessen dirigierende Hände und graue Haarpracht, dank des hochgefahrenen Orchestergrabens, für das Publikum immer wirkungsvoll sichtbar bleibt. Starker Beifall.

 

Premiere: 12.Mai 2018, weitere Vorstellungen: 18. / 26.Mai // 3./ 15.Juni // 10.Juli 2018

 

 

HÄNDER-FESTSPIELE in HALLE 2018

1. Parnasso in festa

    Eine Serenade, komponiert 1734 für eine königliche Hochzeit in London. In Bad Lauchstädt als deutsche Erstaufführung in italienischer Sprache durch die Lauten-Compagny Berlin unter Wolfgang Katschener aufgeführt. Die belgische Theater-Historikerin und Regisseurin präsentierte barock nachempfundenes Theater in prachtvoll-üppiger Ausstattung: als lebendige Theatergeschichte. Sänger gut, aber nicht herausragend, Katschner und sein Ensemble wie immer prachtvoll. Gefällige, etwas schulmeisterliche Neu-Entdeckung für Händel-Liebhaber und Festspiel-Freunde

(Premiere: 26.Mai 2018).

2. Berenice, Regina D´Egitto

    Wenig bekannte italienische Oper, die 1737 in London uraufgeführt wurde. Im großen Haus der Oper Halle von Jochen Biganzoli als personeller Dauerlauf durch kleine Räume auf der sich ständigen drehenden Bühne vorgeführt, während schell-flimmernde Videos eine moderne Digital-Welt (durchaus kritisch)reflektieren. Kostüme am Beginn und am Ende im barocken Schnitt, dazwischen elegantes Design von heute. Die ägyptische Königin Berenice soll aus politischen Gründen einen Röm nahestehenden Prinzen heiraten, weigert sich zunächst wegen des Verlobten ihrer Schwester, in den sie selbst verliebt ist, Das Libretto arrangiert jedoch ein etwas ungläubiges Happy End, was der schönen Aufführung in Halle aber keinen Abbruch tut. Exzellent Romelia Lichtenstein in der Titelpartie (besonders reizvoll:  Arie, in der sie am Rande des Orchestergrabens mit einem Oboisten virtuos duettiert), brillant die beiden Gast-Counterköniglichen -Tenöre Samuel Marino und Filippo Mineccia als Liebes-Obijekte der beiden königlichen Schwestern. Das Festspielorchester unter Jörg Halubek musizierte auf historischen Instrumenten schwung- und klangvoll   – insgesamt eine herausragende Händel-Produktion innerhalb der diesjährigen Festspiele in Halle.     

(Premiere: 25.Mai 2018)

Theater- und Film-Notizen: März 2018

25. März 201825. Juni 2018Theaterkritiken

Zähes Vergnügen: „Blaubart“ in der Komischen Oper Berlin***

blaubart 0381 ikofreese drama berlin.deStark erweiterte Neufassung der Operette „Blaubart“ von Jaques Offenbach (UA:1866) in deutscher Sprache durch den Dirigenten Clemens Flick, den Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach und den Regisseur Stefan Herheim.

Die Geschichte vom Weiber-Helden und Mörder Blaubart, von der handfesten Bäurin Boulette (seiner 6.Frau) und der Schäferin Fleurette, die als angebliche Tochter Hermia des leicht irren Königs Bobèche zu seiner resoluten 7.Gattin avanciert, wird umrahmt von der „ewigen“ Auseinandersetzung zwischen dem kleinwüchsigen Cupido und dem großen Gevatter Tod. Zu Beginn und am Ende des Abends ziehen sie diskutierend über die Liebe mit einem Karren über die leere Bühne, einem riesigen Wagen, der sich alsbald in eine hübsch (mit Blumen und Skeletten) dekorierte Theaterbühne verwandelt. Und beide mischen sich im Laufe des Stücks sich immer wieder mal in die gerade ablaufende Handlung ein, etwa im zweiten Akt, der am Hof des Königs Bobèche spielt, einem „Forum“ im neu errichteten, alten Schloß mit Kuppel und Kreuz !!  Auch musikalisch wird dieser neue „Blaubart“ um viele Musik-Nummer erweitert, teils aus anderen Offenbach-Werken, teils im passenden Stil nachkomponiert.

Es wird nicht gespart an szenischen und musikalischen Einfällen und Anspielungen aller Art, bunten Lichteffekten, üppigen Kostümen und flotten Tanzeinlagen. Blaubart reitet auf einem weißen Pferd ein, das sich plötzlich in zweit Hälften teilt, Bobèche spielt mit einer Weltenkugel, der böse Alchimist duelliert auf groteske Weise sich mit dem verliebten Schäfer und immer wieder fallen alle Personen über- oder untereinander umher – und dann wird der Abend zur überdrehten Klamotte. Sänger und Chor mimen heftig mit, vermögen jedoch bei dem ständigen szenischen Trubel, der sie zum Chargieren zwingt, nur wenig individuelles Profil gewinnen (auch stimmlich nicht).: Wolgang Ablinger-Sperrhacke mimt den verschmitzter Blaubart, Peter Renz den kahlköpfiger König Bobèche und Tom Erik Lie ist ein listiger Giftmischer. Beeindruckend in ihrer Präsenz dagegen die beine Rahmen-Figuren: Rüdiger Frank als beweglicher Cupido und Wolfgang Häntsch als komisch-bedrohlicher Gevatter Tod.

Das Publikum spendet nach über drei Stunden freundlichen Beifall.

(P.S. Vor einem halben Jahrhundert schuf Walter Felsenstein mit „Blaubart“ eine seiner legendären Inszenierungen und bestätigte damit den internationalem Ruhm der Komischen Oper.. Dies sollte – für kritische Betrachter – bedacht werden, auch wenn Vergleiche oft ungerecht sind und „hinken“!)

Foto: Iko Freese/drama-berlin.de / Komische Oper Berlin

Premiere: 23.3.2018, weitere Vorstellungen: 24.3./ 31.3./ 22.4./ 27.4.2018

Zuckerguß auf Trocken-Brot: „Das Wunder der Heliane“ in der Deutschen Oper Berlin****

23. März 201825. Juni 2018Theaterkritiken

HelianeEin Fremder (Tenor) versucht in einem diktatorischen Reich für ein freiheitliches Leben zu werben. Dafür wird er vom Herrscher (Bassbariton)  zum Tode verurteilt. In der Nacht vor der Hinrichtung besucht ihn heimlich die Frau des Herrschers, Heliane (Sopran). Eine zarte Beziehung entsteht zwischen ihnen, als deren Höhepunkt Heliane sich dem Fremden nackt zeigt. Der unerwartet eintretende Herrscher stellt Heliane nun ebenfalls vor das Gericht. Um sie vermeintlich zu retten, bringt der Fremde sich im Gerichtssaal um. Doch das eindringende und dem Herrscher ergebene Volk verlangt, daß Heliane den toten Fremden mit ihrer Zauberkraft wieder erweckt. Obwohl sie selbst daran zweifelt, gelingt es: der Fremde erhebt sich von seiner Bahre. Doch der eifersüchtige Herrscher ersticht nun Heliane, aber auch sie kehrt wunderbarerweise ins Leben zurück und schreitet mit dem Fremden einem Happy End entgegen…

.Dieses krude Libretto aus Tiefenpsychologie, Freiheits-Pathos und Glaubens-Kitsch im Stil der 1920er-Jahre, wurde vom damals sehr populären Wiener Komponisten Erich Wolfgang Korngold (1897-1957) mit einer ausladenden, vielfarbig-glühenden Musik umhüllt wird, eine üppige Partitur voll süffiger Melodien und dramatischen Ausbrüchen : effektvoll arrangierte Spätestromantik mit Sahnehäubchen.

Obwohl bei ihrer Uraufführung 1927 in Hamburg erfolgreich, vermochte sich die Oper kaum durchzusetzen, auch nach dem Ende des Nazi-Verbotes nicht – ganz im Gegensatz zur sehr viel besser gebauten „Toten Stadt“, dem deutschen Hauptwerk Korngolds, der in der 1930er und -40er Jahren als Schöpfer von Filmmusiken in Hollywood Triumphe feiern konnte („The Sea Hawk“ /“The Private Lives of Elizabeth and Essex“).

Erstmals nach 1945 präsentiert nun die Deutsche Oper dieses „Wunder der Heliane“ in Berlin – ein Experiment, das dank einer vorzüglichen Aufführung viel Beifall findet. Der Regisseur Christof Loy hat sich von Johannes Leiacker einen schlichten, holzgetäfelten Saal entwerfen lassen, in dem – mal in hellem Licht, mal im Halbdunkel – sich die mysteriösen Gerichtsverhandlungen abspielen. Loy zeichnet konventionell die Handlung nach, entwickelt die Charaktere präzise und phantasievoll. Besonders eindrucksvoll gelingt das quecksilbrig-wusselnde Eindringen des Volkes mit seinen agressiven oder beschwörenden Forderungen nach Tod und Rache: ein schöner und starker Kontrast zu den etwas länglichen Dialog-Szenen davor..

Doch auch Christof Loy könnte diese „Heilige“ Heliane nicht retten, würde der Amsterdamer Chefdirigent Marc Albrecht das um zahlreich „exotische“ Instrumente erweiterte Orchester der Deutschen Oper nicht zu so farbig-brillantem Spiel animieren. Auch der Chor klingt fabelhaft in seiner harmonischen Vielstimmigkeit (Einstudierung: Jeremy Bines). Getragen wir die Aufführung vorallem durch drei eindrucksvolle Gast-Sänger, die sich auch als überzeugende Schauspieler erweisen. Josef Wagner ist  – mit kernig dunkler Stimme – der alerte, männliche-diktatorische, von Eifersucht geplagte Herrscher im eleganten, dunklen Anzug, während der Amerikaner Brian Jagde dem idealistischen Fremden, der sich für Heliane opfert, mit helidisch gefärbtem Tenor klaren Umriß und festen Charakter.verleiht. Doch beherrschender Mittelpunkt ist Sara Jakubiak als Heliane: eine elegante Erscheinung, die sich in der Nacktszene ebenso selbstverständlich und natürlich bewwegt wie als kluge und selbstbeherrschte Ehefrau und angeklagte Königin. Ihre leuchtenden Sopran-Töne über dem schillernden Orchester-Teppich veredeln – unterstützt von den übrigen Sängern – die schwache, kitschnahe Story zumindst musikalisch zu einen  genußvoll–saftigen Opern-Abend.

Foto (S.Jakubiak/J.Wagner): Monika Rittershaus /Deutsche Oper Berlin

Premiere: 18.März 2018; weitere Vorstellungen: 22.3/ 30.3./ 1.4./ 6.4.2018

Theater-und Film-Notizen: Februar 2018

27. Februar 2018TheaterkritikenNo Comments

THE SHAPE OF WATER von Guilermo del Toro (Kanada/USA 2017)

Vielgerühmter und mit bedeutenden Preisen ausgezeichneter Fantasy-Film des Schauspielers, Autors und Regisseurs Guilielmo del Toro („Pans Labyrinth“), Eine stumme Putzfrau entdeckt in einem Wissenschaftszentrum der US-Regierung  ein menschenähnliches Amphiebien-Wesen, das am Amazonas entdeckt wurde und dessen Nutzen zu Raumfahrts-Experimenten im Geheimlobor  ausgetestet werden. Die stumme Frau hat erst Mitleid, dann „verliebt sie sich in den düster-schillernden „Wassermann“…

Als Mix aus Märchen-, Comic- und Gruselfilm  aufwendig und effektvoll  inszeniert. Meine Meinung: kunstgewerblicher Kitsch                                                                                                           

Deutscher Kino-Start: 15.3.2018

 

THE POST (Die Verlegerin) von Steven Spielberg (USA 2017)

Im Sommer 1971veröffentlichten zuerst die „New York Times“ und dann die „Wahington Post“ Auszüge aus den sogenannten „Pentagon Papers“, einem von den verrschiedenen Regierungen geheimgehaltenen Dossier über Vorbereitung und Durchführung des (noch nicht beendeten) Vietnam-Krieges. Der Film verknüpft dieses historische Ereignis wirkungsvoll mit der Geschichte der „Post“-Verlegerin Katharine Graham, die, nadem die „New York Times“ ein gerichtliches Veröffentlichungs-Verbot bekam, sich druchrang dennoch weiter Teile der Geheim-Papiere zu drucken und so der Pressefreiheit zu einem legendäeren Sieg verhalf. Spielberg macht zusammen mit den hochpräziesen Darstellern Merryl Streep (als Verlegerin) und Tom Hanks (als Chefredakteur) ein spannendes Historien- und Medien-Drama, das zugleich ganz aktuelle Diskussionen um Sinn und Freiheit der Presse unaufdringlich miteinbezieht.  Intelligentes und unterhaltsames Hollywood-Kino (oscar-nominiert).                                       

Deutscher Kino-Start: 22.2.2018

 

 DON QUIXOTE / Das Staatsballett in der Deutschen Oper

Gefällige Inszenierung im alten Stil, nach Petipa durch den spanischen Choreographen Victor Ullate, der das „Spanische“ an den Ballett von 1869 besonders betont. Bescheidenes Bühnenbild, da beschränkt wegen des Wasserschadens vom Heiligen Abend, aber elegante Kostüme (Roberta Guidi di Bagno). Polina Semionova als Kitri: klassisch perfekt, aber auch Elisa C.Cabrera (Mercedes), Elena Pris (Königin der Gitanos) und Marian Walter  (Basil) sind gute Partner. Insgesamt: ein bißchen brav.                   

Premiere: 22.2.2018

 

DON GIOVANNI / Mozart in Cottbus

Vom Intendanten Martin Schüler als pralles Volkstheater inszeniert, das Spiel mit dem Sex deutlich betonend. Vor einer gekippten Renaissance-Fassade spielend, mit Requisiten und  Kostümen aus unterschiedlichen Zeiten. Musikalisch etwas unausgeglichen (Dirigent Evan A. Christ), am profiliertesten und auch am souveränsten: Andreas Jäpel als Leporello, hübsch die zierliche Zerlina von Liudmilla Lokaichuk (als Kontrast zum baumlangen Ingo Witzke als Masetto). Unterhaltsam.                         

Premiere: 24.2.2018 .

Kruder Psycho-Schocker:’Die Gezeichneten‘ in der Komischen Oper Berlin**

2. Februar 201824. Juni 2018TheaterkritikenNo Comments

Die Gezeichneten Komische Oper 2 300x200Im Frühjahr 1918 wurde diie Oper „Die Gerechten“ des östereichischen Komponisten Franz Schreker in Frankfurt/Main uraufgeführt und wegen ihrer musikalischen Pracht und dem delikaten Thema mit großem Erfolg vielfach nachgespielt  – bis zum Verbot durch die Nazis. Erst 1979 kam es zur Wiederentdeckung des vergessenen Werkes – wiederum in Frankfurt/Main. Schreker, der sein eigener Librettist war, erzählt darin die tragische Geschichte des häßlichen Adligen Salvago, der im 16.Jahrhundert vor der Stadt Genua auf einer Insel ein freizügiges Liebes-Paradies für die reiche Jugend der Stadt erschaffen hat. Fasziniert von seiner Häßlichkeit porträtiert ihn die kranke Malerin Carlotta, in die sich Salvago während der Sitzungen dann prompt verliebt. Doch Carlotta schenkt ihre Gunst seinem attraktiven Freund und Lebemann Tamare und so scheint eine Katastrophe vorgezeichnet…

Jetzt stellt die Komische Oper das inzwischen hundertjährige Musikdrama auch in Berlin zur Diskussion und zwar in einer Inszenierung des katalanischen Skandal-Regisseurs Callisto Bieto, der vor einigen Jahren mit einer umstrittenen „Entführung aus dem Serail“ von Mozart am Haus in der Behrenstraße debütierte.

Bieto hat die alte Geschichte im Heute angesiedelt und sie deshalb geändert und neu motiviert. Salvago in nicht mehr äußerlich häßlich, sondern innerlich: er ist pädophiel, die Liebesinsel mausert sich zum makabren Kinderspielplatz. Zugleich leidet Salvago am „Peter-Pan-Syndrom“, das heißt: er will nicht älter werden und immer kindlich bleiben. Deshalb klammert er sich häufig an Puppen oder Stoff-Teddys. Diese neue psychologische  Motivation der Hauptperson hat aber zur Folge, daß das Liebesdrama um Carlotta und den Macho-Freund Tamare zur Nebenhandlung schrumpft und unlogisch wirkt. Entsprechend muß Bieto auch den Schuß der Oper ändern – das schon im Original nicht sehr überzeugende Textbuch mißrät nun zum kruden und unglaubwürdigen Psycho-Schocker. Verstärkt wird dieser Eindruck durch eine geradezu karge Inszenierung. Bis zur Pause agieren dlle Personen in farblosen Alltags-Anzügen auf der Vorder-Bühne vor einer hellen Wand, auf die schwarz-weiße Videos von Kinder- oder Männer-Gesichter projeziert werden. Nach der Pause dreht sich die Wand weg und gibt den Blick auf das düstere Kinder-Elysium frei: eine rote Miniatur-Eisenbahn, bewegliche Leucht-Gitter-Stäbe und jede Meng herabhängender Teddys bieten zwar etwas mehr szenische Farbigkeit, aber kaum  mehr Durchblick auf die wirre Handlung.

Triumphieren können dagegen die Musiker des riesigen Orchesters der Komischen Oper, die unter der Leitung des erfahrenen Österreichers Stefan Soltesz die üppige Musik Schrekers auf faszinierende Weise zum Klingen bringen. Das schillert und leuchtet in vielfältigen Farben, rauscht in mächtigen Aufschwüngen oder glänzt in zarten Tönen. Die Stimmen der Sänger wedern dabei gleichsam wie ein vocales Instrument eingebettet, mal deklamatorisch, mal arios. Die Musik gleicht einem großen, fliesendem Strom, glühend und glitzernd, gleichsam wie eine vorweggenommene Film-Partitur aus Hollywood.

Der englische Tenor Peter Hoare verkörpert mit hellem, geschmeidigem Tenor den pädophiel-kindlichen Salvago, Michael Nagy mit markantem Spiel und kernigem Bariton seinen machohaften Gegenspieler Tamare. Als Malerin Carlotta vermag die Litauerin Ausrine Stundyte nur darstellerisch zu überzeugen, da ihr Sopran sehr vibratoreichen ist und duch zu scharfe Höhe oft stört.. Die vielen kleineren Nebenrollen  werden vom umfangreichen Ensemble der Komischen Oper solide gemeistert.

Schade, trotz der aparten Musik von Franz Schreker –  durch Bearbeitung und Inszenierung werden diese „Gezeichneten“ zum  problematischen,  fast drögen Abend!

Foto: Michael Nagy (Tamare) u. Peter Hoare (Salvago) / Komische Oper Berlin  / Iko Freese/drama-berlin.de

Premiere: 21.Januar 2018, weitere Vorstellungen: 22.Jan./ 1./10./18.Febr.2018

 

Überfrachtet: ‚Carmen‘ in der Deutschen Oper Berlin***

25. Januar 201824. Juni 2018TheaterkritikenNo Comments

carmenDOBVor einiger Zeit ließ der norwegische Regisseur Ole Anders Tandberg in der Deutschen Oper die „Lady Macbeth“ von Sckostakowitsch ihre Untaten in einer Fischfabrik verüben, jetzt entpuppt sich in seiner Neuinszenierung von Georges Bizets „Carmen“ die berühmte Spanierin als Mitglied einer modernen Maffia-Bande, die mit menschlichen Organen schlimmen Handel treibt.  Dementsprechend legt Carmen keine (Spiel-)Karten, sondern sortiert Nieren. Die riesige Dehbühne zeigt mal eine steil ansteigenden Arena-Tribüne, die auch als Tabakfabrik oder Kneipe dienen kann, mal eine dahinter befindliche, hohe Latten-Wand, an der die herumlungernden Soldaten bis zum Umfallen onanieren, um dann abgeschleppt und ausgeschlachtet zu werden. Auch Escamillo, der schmerbäuchige Torero im weiß-goldenen Glitzer-Dress, liebt es fleischlich: schneidet dem toten Stier die Hoden ab und überreicht sie zum Zweck der Anbahnung der freundlich nickenden Carmen als galante Aufmerksamkeit. Natürlich endet der verbrecherische Maffia-Handel in der Katastrophe: der mutterfixierte und von Carmen verlassene Don José ersticht im Eifersuchts-Rausch die coole Geliebte, reißt ihr das Herz aus der Brust und streckt das blutige Teil mit erhobenem Arm dem Publikum entgegen: Black out! 

Regisseur Tandberg hat sich eine kurde Mischung aus Kritik an heutigen gesellschaftlichen Zuständen und ironischem Spiel mit althergerachten Opern-Konventionen ausgedacht und zu einer symbolisch aufgeladenen Bilder-Revue arrangiert. So tragen eispielsweise die Maffia-Schmuggler modisch-elegante Smokings, Carmen jedoch präsentiert sich in altmodischen, roten Rüschen. Das gedankliche Konzept ist überladen und verkrampft, die szenische Bilder oft überdreht und undurchsichtig – und dennoch im theatralischen Arrangement und der Personenführung immer wieder durchaus effektvoll. Auch trotz aller technischen Behinderungen der Bühnenmaschinerie, die seit dem Wasser-Einbruch an Weihnachten nur eingeschränkt nutzbar ist.

Glücklicherweise überspielen Musiker und Sänger-Ensemble diese fragwürdige Blut- und Hoden-Ästhetik mit viel Temperament und guten Stimmen. Schmissig leitet der kroatische Dirigent Ivan Repusic das klangvolle Orchester – wenn auch gelegentlich etwas zu pauschal, präzise haben Jeremy Bines und Chistian Lindhorst den prachtvollen Chor und den Kinderchor einstudiert. Heidi Stober befreit mit klarem Sopran und resoltutem Handeln die unglücklich liebende Verlobte Micaela vom Klischee des spießig-braven Mädchens – trotz ihres biederen  50er Jahre Outfits. Der Amerikaner Charles Castronuovo spielt als Don José regiegemäß einen etwas milchbubi-haften Serganten, musikalisch gestaltet er höcht eindringlich den verzweifelt Liebenden – mit einem in allen Lagen ansprechenden, leicht italienisch gefärbten heldischen Tenor: eine Idealbesetzung. Größte Erwartungen galten der Französin Clémentine Margaine als Carmen. Sie besitzt einen satten, volltönenden Mezzo, ist darstellerisch sehr beweglich und stimmtechnisch äußerst nuancenreich und nahezu perfekt – doch das große faszinierende und mitreißende Charakter-Porträt rundet sich nicht ganz  –  diese Carmen bleibt zu kühl, nüchtern und bodenständig. Trotzdem: fürs Publikum eine Augenweide und ein musikalischer Genuß.

Am blutigen Ende nach über drei Stunden die erwartbare Reaktion: Buhs für die Regie, begeisteter Jubel für Sänger und Musiker.

Foto: Deutsche Oper Berlin / Marcus Lieberenz/bildbühne.de

Premiere: 20.Januar 2018, weitere Vorstellungen: 24./27.Jan.// 4./10.Febr. 2018

Schmissig: ‚Märchen im Grand-Hotel‘ in der Komischen Oper Berlin****

31. Dezember 201724. Juni 2018TheaterkritikenNo Comments

MärchenEine schöne  Ausgrabung: die Operette „Märchen im Grand-Hotel“ von Paul Abraham, die nachdem der Komponist Berlin 1933 verlassen mußte, im Jahr darauf ihre Uraufführung in Wien erlebte – ohne größeren Erfolg, da auch schon vor dem „Anschluß“ Östereichs eine antijüdische Stimmung sich dortausgebreitet hatte. Abraham floh später über Frankreich und Kuba nach New York, verbrachte die letzten Jahre seines Lebens  allerdings überwiegend in psychiatrischen Kliniken.

Verdienstvoll nun, daß die Komische Oper jedes Jahr in der Weihnachtszeit ein vergessenes Werk aus der glanzvollen Operetten-Zeit der 20-er und frühen 30-er Jahre des letzten Jahrhunderts wiederbelebt – als attraktives Konzert in Kostüm und Maske. Vor dem geschlossenen, roten Vorhang sitzen die Musiker auf dem überdeckten Orchestergraben, davor – ebenfalls auf Stühlen – die Sänger. Auf der linken Seite ein Flügel, an dem Dirigent Adam Benzwei seine Flinger virtuos über die Tasten gleiten läßt und zugleich lebhafte  Einatzzeichen für Sänger und Musiker gibt.

Das ganze „Märchen im Grand-Hotel“ ist geschickt auf pausenlose anderhalb Stunden eingedampft und reiht die musikalischen Nummern wie auf einer Perlenkette aneinander. Was dazwischen sich an Handlung ereignet, schildert als Conferencier im eleganten Frank ganz noncharlant Max Hopp. Zugleich singt und spielt er die männliche Hauptrolle: den verliebten Kellner Albert (dann mit Serviette überm Frack-Arm!). Doch in Wahrheit ist dieser Albert der Sohn des Besitzers des titelgebenden Grand-Hotels an der Cote d’Azur und zudem mit altem Adel verwandt, so daß dem Happy End mit der spanischen Infantin Isabella, die sich mit ihrem Hofstaat im französischen Exil befindet (und außerdem pleite ist) nach einigen Mißverständnissen nichts mehr im Wege steht. Und auch noch – dank der blonden Marylou, der Tochter eine nach frischem Filmstoff suchenden Hollywood-Moguls – das ganze Märchen zu einem großen Filmerfolg mutiert.

Dank der flotten Quicksteps, Foxtrots,Tangos und Walzern von Paul Abraham – noch ganz im Stil von „Victoria und ihr Husar“ oder der „Blume von Hawai“ – und dank des prächtigen Ensembles aus Musikern und Darstellern wird aus dem „Märchen im Grand-Hotel“  eine ebenso schmissige wie rasante Glitzer-Show auf der Vorderbühne. Und die auch dem Publikum in die Beine fährt…

Neben dem quitrligen Conferencier-Kellner Max Hopp zeigt Talya Lieberman als sopran-süße spanische Prinzessin straffe Haltung, mausert sich  Johannes Dauz als sie begleitender Prinz zum drolligen „Buffo“, genießt Tom Erik Lie seine Travestie-Rolle als grotesk-plappernde Hofdame, fiebert Philipp Meierhöfer als Filmmogul mit heftigem Körpereinsatz nach seinem Happy End und triumphiert Sarah Bowden als US-Film-Girl Marylou, die mit socher Verve singt, tanzt und steppt, daß die Bühnenbretter beben. Den dazu passenden Umrahmung mit viel ‚Schbi-dubi-du‘ liefern überzeugend die fünf befrackten Herren des ‚Lindenquintetts Berlin‘.

Wenn auch „nur“ konzertant –  so flott präsentiert, findet die „alte“ Operette auch heute noch ihr glückliches Ende  – und das „Märchen im Grand-Hotel“ sein begeistertes Publikum.

Foto: Robert-Recker.de/Komische Oper Berlin

Premiere: 17.12.2017; einzige Wiederholung: 30.12.2017

Knallbunter Zirkus: ‚Hänsel und Gretel‘ in der Deutschen Staatsoper***

12. Dezember 201724. Juni 2018TheaterkritikenNo Comments

HänselDer Zuschauerraum in der frisch renovierten Staatsoper glänzt in Weiß-Rot-Gold. Die Bühne dagegen  (einschließlich Proszenium und Orchestergraben) ist eine riesige, dunkle Höhle, voll bestückt mit winzigen, funkelnden Sternen. Im Hintergrund ein roter Theatervorhang, dahinter eine Leinwand, auf der zu Beginn der Dirigent als Video-Biild den Auftrittsapplaus des Publikums entgegennimmt, und danach sich allerlei überblendende, halb abstrakte Schwarz-Weiß-Zeichnungen abwechseln. Putzige Tiere hüpfen herein: eine große weiße Katze (mit Mäusen auf der Zunge), ein Huhn, ein Bär, ein winziger Frosch. Hänsel und Gretel, die sich singend und tanzend dazugesellen, gleichen lustigen Comic-Figuren: tragen den ganzen Abend über riesige, helle Schwellköpfe mit großen, beweglichen Kuller-Augen. Auch ihre dazwischen fahrende, zeternde Mutter Gertrud, die den Milchtopf aus Pappe umstößt und die Kinder in den Wald zum Beerensuchen jagt, gleicht einer grotesken Figur: mit kalkweiß geschminktem Gesicht, rotem Dutt und gleichfarbiger Riesen-Krinoline.

Regsseur und Ausstatter Achim Freyer schwört aller gewohnten, romantischen Märchenerzählung ab und beschwört stattdessen einen ostereierbunten Grotesk-Zirkus. Und dies im wörtlichen Sinn. Wenn Hänsel und Gretel im Wald ihren Abendsegen gebetet haben und von ihren vierzehn Englein träumen, dann erscheint ein peitschen- schwingender, dem Vater ähnelnder Zirkusdirektor mit winzigen Flügelchen auf dem grünberockten Rücken und lässt die putzigen Tierlein, die jetzt ebenfalls kleine Flügel tragen, um den Orchestergraben munter herum -paradieren. Eine schwarze Kreuz-Spinne tentakelt dazu hefigt in der Höhe. Auch das Knusperhäuschen und die dazugehörige Hexe zeigen sich in ungewohnter Erscheinung – statt Mandel und Lebkuchen wird ein rotes (Zucker-?)Herz angeknabbert und die böse Hexe erscheint als großer, blutroter Mund mit darüber gestülpter, dampfender Kaffetasse. Und als die Alte hinter dem Vorhang, auf den nun lodernde Flammen projeziert werden, verschwunden ist, hüpfen und tanzen die verzauberte, jetzt erlöste Kinderschar in bunten Strampelanzügen durch die sternenglänzende Bühnenhöhle und stimmen zusammen mit Hänsel. Gretel, den herbeieilenden Eltern und Tieren in den großen Schlußgesang ein  – eine fröhliche, leicht groteke, dico-bunte Bühnen-Show.

Auch Dirigent Sebastian Weigle darf sich in die folgende muntere Applaus-Ordnung einreihen, er hat geschickt das wuchtige Richard-Wagner- Orchester herab-gedimmt auf sängerfreundlichen Begleit-Ton und beschwingten Knusper-Walzer-Rhythmus. Die Gesangsrollen sind auf Grund der zahlreichen, dicht getakteten Vorstellungen doppelt besetzt, In den ersten Aufführungen waren Karin Wundsam und Elsa Dreißig das titelgebende Kinder-Paar: mit anmutigen Bewegungen und hellen, klaren Stimmen unter ihren weißen Schwell-Köpfen, die sie erst beim Schlußbeifall abnehmen durften.  Auch das übrige Ensemble einschließlich des hauseigenen Kinderchores  zeigte sich gutgelaunt und bestens in Form.

Eine typische Achim-Freyer-Produktion: ein farbiger, verspielter, schräger Bühnen-Zirkus, der Spaß macht, aber kaum berührt.

Engelbert Humperdinck´s Musik jedoch schildert eine andere Welt – nämlich die eines romantischen Märchens. Mit viel Gefühl und – vor allem – Herzlichkeit.

Foto: Monika Rittershaus / Deutsche Staatsoper Berlin

Premiere: 8.Dezember 2017, weitere Vorstellungen: 11./ 12./ 23./ 25./ 29. Dez.2017

Mit Chuzpe und Herz: ‚Anatevka‘ in der Komischen Oper Berlin****

6. Dezember 201724. Juni 2018TheaterkritikenNo Comments

AnatevkaEin Junge im grünen Kapuzen-Pulli rollert über die Bühne. Dann öffnet er eine große Schranktüre, darin versteckt findet er eine Geige. Er spielt darauf die ersten Töne: gleichsam ein „Fiddler on the Roof“. Unterbrochen von starkem Klopfen öffnet der Junge die Türe nocheinmal: jetzt erscheint unter fröhlichem Kichern Tevje, der Milchmann, mit Schläfenlocken und Hut. Er könnte der Ur-Ur-Großvater des Jungen sein, und er erzählt ihm von seinem Leben, seiner Familie und dem kleinen Stedl Anatevka im zaristischen Russland. Schon purzeln Tevjes Frau Golde, seine fünf Töchter, die Nachbarn und weitere Bewohner des kleinen Orts aus einen hochgetürmten Berg alter Schränke und Komoden, die Bühnenbilder Rufus Diwiszus auf die kreiselnden Drehbühne als fast surreale Skulptur gestellt hat . Tevje, arm wie eine Synagogenmaus, und immer hadernd mit seinem Gott („einerseits-andrerseits“) hält fest an Glauben und Tradition – gleichsam als Überlebens-Strategie. Doch die drei älteren Töchter sehen das ganz anders. Sie wollen nichts von Ehemännern wissen, die Vater und Mutter oder die geschwätzige Heiratsvermittlerin Jente für sie ausgesucht haben, von dieser Tradition halten sie wenig und wählen statt des reichen Fleischers, den armen Schneider oder den kommunistischen Studenten aus Kiew – denn Trditionen müssen sich auch ändern, um zu überleben. Wie Tevje dann auch im Gespräch mit seinem Gott einsieht. Nur als die dritte Tochter sich einem nichtjüdischen Russen verlobt, bricht Tevje jeden Kontakt mit ihr ab – hält an seiner jiddischen Tradition fest.

„Anatevka“ –  geschrieben nach Erzählungen von Scholem Alechem von Joseph Stein, komponiert von Jerry Bock – erlebte seine Uraufführung 1964 als Musical in New York. Nach der deutschen Erstaufführung 1968 in Hamburg, holte Walter Felsenstein 1971 das Werk an die Komischen Oper Berlin und schuf eine seiner legendären Inszenierungen, die mit großem Erfolg siebzehn Jahre lang auf dem Spielplan stand (bis 1988). Geschickt hat nun Intendant Barrie Kosky seine Neuinszenierung in dieser Spielzeit angesetzt, die zugleich die 70. der Komischen Oper ist und damit ein doppeltes Jubiläum publikumsträchtig für Haus und Werk kreiert.

Regisseur Barrie Kosky, dessen Vorfahren einst aus einem russischen Stedl nach Australien auswanderten, erzählt die alten Familien- und Lebens-Geschichten aus Anatevka mit viel Fingerspitzengefühl. Im rasanten ersten Teil birst die Drehbühne mit ihrem vielfältig bespielbaren Möbelturm fast vor turbulentem Kleinstadtleben, turteln und zanken sich die unterschiedlichen Paare, versucht die Heiratsvermittlerin ihre schrägen Geschäfte zu arrangieren, träumt Tevje davon: „wenn ich einmal reich wär“, wirbeln die Tänzer wild über Tisch und Stuhl, sprüht der jiddische Humor und singen gemeinsam die Nachbarn bei festlichem Speis und Trank. Der (kürzere) zweite Teil schildert dann wie die Juden aus ihren Stedl vertrieben werden und wie Tevjes Familie und ihre Freunde diese Progrome erstaunlich fatalistisch erdulden und sich in alle Welt zerstreuen. Keine Feier mehr, keine Tänze: die Möbel sind abtransportiert, die Bühne wird zur grauen Schnee-Landschaft, melancholisch erklingen am Schluß die Geigentöne des nun einsamen, jungen „Fidler on the Roof“.

Klug hat Barrie Kosky dieses „Schauspiel mit Musik“ in den beiden zentralen Rolles nicht mit Opernstimmen besetzt, sonderm mit singenden Schauspielern (leider mit Mikroport). Max Hopp ist ein fast noch jungendlicher Tevje, mit schlanker (Sing-)Stimme und pointiert serviertem, pfiffig-jüdischem Wortwitz. Dagmar Manzel spielt Golde (eher eine Nebenrolle) mit schnoddrig-resoluter Herzlichkeit. Alle übrigen Personen werden treffsicher von Ensemble der Komischen Oper verkörpert , oft sind es nur kleine Auftritte, die aber höchst präsent und eindringlich wirken. Der Chor (einstudiert von David Cavelius) ist wie immer sehr beweglich, die Tänzer (Choreographie: Otto Pichler) fabelhaft, das Orchester unter Koen Schouts tifft den Klezmer-Ton perfekt, ob im melancholischen  Nachklang oder im rauschend-wirbelden Hochzeits-Takt.

„Anatevka“ wird auch diesmal einen Siegeszug feiern können. Dank Barrie Koskys gekonnter Mischung aus historischen, leicht verklärten Geschichten und schmissig serviertem Unterhaltungstheater. Und nicht zuletzt dank des – wiede einmal – prächtig agierenden Ensembles der Komischen Oper: Masel tov!

Foto: Iko Freese / drama-berlin.de / Komische Oper Berlin

Premiere: 3.Dez.2017, weitere Vorstellungen: 5./ 6./ 9./ 16./ 21./ 22./ 27./ 29./ 31.Dez.2017

Im düsteren Breitwand-Format: ‚Le Prophète‘ in der Deutschen Oper***

1. Dezember 201724. Juni 2018TheaterkritikenNo Comments

ProphetMit dem Musikdrama „Der Prophet“ beendet die Deutsche Oper Berlin einen über mehrere Spielzeiten verteilten Zyklus von vier Opern des legendären Komponisten Giacomo Meyerbeer, dem Hauptvertreter der französischen „Grande Opera“ im 19.Jahrhunderts. Werke, die auf Grund ihres Aufwandes nur selten im Repertoire auftauchen und deren musikalische Gestaltung lange Zeit für zweitrangig angesehen wurden, (Ausnahmen wie die umjubelte, popig-elegante Inszenierung der „Hugenotten“ von 1987 an der Deutsche Oper scheinen diese Vorbehalte nur zu bestätigen.) Auch die innerhalb des neuen Zyklus präsentierten Aufführungen überzeugen nur partiell und lassen manche Fragen offen.

„Der Prophet“ (UA.:1849 in Paris) schildert die historische Episode der grausamen Herrschaft der reformatorischen Wiedertäufer-Sekte im westfälischen Münster sowie deren gewaltsames Ende 1535. Die Oper verknüpft diese Gottes-Staats-Revolte mit dem (erfundenen) privaten Schicksal eines ihrer Anführers, dem Niederländer Jan van Leiden. Nach Meyerbeers und seinen Co-Autors Eigène Scribes Libretto steht der holländische Schankwirt Jan zunächst den Wiedertaufern, die in Gestalt einer strengen Drei-Mann-Gruppe bei ihm auftauchen, skeptisch gegenüber. Doch als ein Adliger seine Braut Berthe entführt und vergewaltigt, schließt er sich der aufsändischen Volks-Meute an, erobert Münster, wo die Wiedertäufern ein brutales „Gottes-Reich“ errichten, in dem nackte Gewalt regiert, und geht als die kaiserlichen Truppen die Stadt zurückerobern, zusammen mit seiner ehemaligen Braut Berthe und seiner treuen Mutter Fidés unter:  in der neuen Inszenierung an der Deutschen Oper erschießt er sich selbst, auf die gewaltige, alles zerstörende Pulver-Explosion des Originals wird verzichtet.

Der französische Regisseur Olivier Py und sein Ausstatter Pierre-André Weitz verlegen die Story in eine heutige, ziemlich triste Stadtlandschaft, Die ständig kreiselnde Drehbühne gibt Blicke frei auf nackte Hauswände, eine kleine Bar, ein leeres Schlafzimmer, die nackten Räume einer Militär-Kaserne sowie – am Ende – einen großen leeren Raum (im Libretto: das Innerer des Doms zu Münster). Gelegentlich hellen ein paar bunte Reklame-Tafeln die düstere Atmosphäre auf. Der große Volks-Chor in schlicht-farbloser Kleidung postiert sich vorwiegend in breiter Linie an die Rampe, singt direkt ins Publikum und auch die Solisten verharren – oft symmetrisch arrangiert – auf der Vorderbühne mit kurzem Blick-Kontakt zum Dirigenten. Dafür hechten ein knappes Dutzend Tänzer als halbnackte Soldaten über Hauswände, Etagen und Balkone, treiben Waterboarding und andere Gewaltakte, schleppen Särge von links nach rechts oder üben mit ihren Nutten wilde Nahkämpfe  – und ersetzen dadurch auch – unter Beibehaltung der gesamten Musik – das ländlich-hübsche „Schlittschuh-Läufer“- Ballett des Originals auf alberne Weise (was zu kräftigen Buh-Rufen im Publikum führt). Meyerbeers vielfältig-bunter Bilderbogen, mal ganz unverbunden folkloristisch-lyrisch, mal revolutionär-dramatisch, wird hier zum düstern Breitwand-Thriller eingedampft.

Animierender fällt die musikalische Seite des Abends aus. Dirigent Enrique Mazzola beweist viel Sinn und Gefühl für Meyerbeers Musik, für die farbige Mischung aus zarter Lyrik und dramatischer Steigerung, für das stilistisches Pendeln zwischen eleganten Belcanto-Koloraturen und psychlogisch motiviertem, hochgepuschtem Ausdruck. Mazzola beachtet die leisen, instrumentalen Zwischentöne ebenso wie die auftrumpfenden Schmetter-Finali, er ünterstützt dezent die melodiesatten Arien und Duette der Solisten, und animiert mit Verve die Klang-Pracht der Chöre. Über einzelne Tempi lässt sich streiten,, doch der Gesamteindruck überzeugt und bringt Meyerbeers so sensible wie gefällige  Musik zu bester Wirkung.

Von den zahlreichen Solisten überzeugen vor allem Clémentine Margaine als taffe Mutter Fidés mit kraftvollem, in der Höhe fast metallischem Mezzo und Elena Tsallagova in der Rolle der vergewaltigten Braut Berthe durch ihren klaren, runden Sopran. Diese Ausdruckskraft der beiden Frauen und Ensemble-Mitglieder erreicht die Männer-Riege nicht,  .Vor allem Gregory Kunde in der Titelrolle des „Propheten“ Jan van Leiden vermag die Unebenheit seiner Gesangslinie durch trompetengleiche Spitzetöne nur mühsam zu kaschieren. Seth Carico als baß-bariton-lastiger Bösewicht bleibt zu blaß

Giacomo Meyerbeer, gebürtiger Berliner und französischer Star-Komponist seiner Zeit ist auch nach diesem ehrgeizigen und aufwendigem Zyklus an der Deutschen Oper eine weiterhin zu knackende Nuss – vor allem für Regisseure. Sänger und Musiker dagegen finden offensichtlich leichteren Zugang zu seinen opulenten Spektakeln und „Großen Opern“.

Foto: Bettina Stöß / Deutsche Oper Berlin

Premiere: 26.November 2017; weitere Vorstellungen: 30.Nov.; 3./ 9./16. Dez.2017

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