Rainer Allgaier

Theater- und Filmkritiken

  • Theaterkritiken
  • Filmkritiken
  • Berlinale
  • Rainer Allgaier
  • Impressum
  • Datenschutz
  • Theaterkritiken
  • Filmkritiken
  • Berlinale
  • Rainer Allgaier
  • Impressum
  • Datenschutz

Monat: Januar 2015

Mit Tempo und Schnauze: ‚Eine Frau, die weiß, was sie will‘ in der Komischen Oper Berlin****

31. Januar 2015TheaterkritikenNo Comments

Der gefeierte Operetten-Star Manon Cavallini wird von Männern umschwärmt – auch von Raoul Severac, der gerade ihre 100.Vorstellung besucht, was selbst die Diva als enorme Leistung schätzt. Manon bekommt jedoch eine unerwartete Konkurrentin: die junge Lucie Paillard ist rasend in Raoul verliebt, will ihn heiraten und bittet Manon keck, ihn freizugeben. Manon willigt überraschend ein. Denn:  – was Lucie nicht weiß – sie ist ihre Mutter, der einst gerichtlich vom Vater untersagt wurde, wegen ihrer Tätigkeit beim Theater Kontakt zu ihrem Kind aufzunehmen. Als aber nach der Hochzeit von Raoul und Lucie es zu einem geheimnisvollen Souper á deux zwischen Manon und Raoul kommt („Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben…?“) und Lucie in flammender Eifersucht entbrennt, ob des vermeintlichen Seitensprungs ihres Gatten, spitzt sich der dramatische Knoten heftig zu – und löst sich selbstverständlich zum genreüblichen Happy End.
Ürsprünglich eine französisches Lustspiel, gestaltete der Komponist Oscar Straus (nicht verwandt mit der gleichnamigen Wiener Walzer-Dynastie!) aus diesem Stoff eine musikalische Komödie für die legendäre Operetten-Diva Fritzi Massary, die damit nach längerer Pause im Herbst 1932 ihre Rückkehr an das Berliner Metropol-Theater (heute das Haus der Komischen Oper) feierte. Zunächst ein Triumph, der aber rasch durch brutale „Juden raus“-Rufe gestört wurde und Fritzi Massary – wie auch Oscar Straus – ins Exil trieb.
Jetzt haben der musikalische Leiter Adam Benzwi und Regisseur Barrie Kosky den alten Erfolg neu arrangiert: und zwar als „Kammeroperette“, in der zwei singende Schauspieler in flinkem Kostüm- und Perücken-Wechsel alle Rollen übernehmen. Dazu bedarf es – zwischen dem (einschließlich der Musiker) hochgefahrenen Orchestergraben und dem samt-roten Bühnenvorhang – nur einer schmalen Wand mit Schwing-Türe – und schon purzeln Dagmar Manzel und Max Hopp zunächst in Frack und Zylinder als alte Verehrer der Diva Manon heraus, schwingen Bein und Gehstock, jonglieren mit Worten und Tönen, zünden mit Witz und Ironie ein atemberaubenden Feuerwerk komödiantischer Spiellust. Verschwinden immer wieder blitzschnell durch die auf- und zuklappende Türe und erscheinen im neuen Kostüm: Max Hopp als schrulliger Theaterdirektor, schwyzerdütsch näselnder Bankdirektor oder in rosa Robe und blonden Locken als aufgekratze Lucie, während Dagmar Manzel als Lucies clowns-trotteliger Vater, sächselnde Garderobiere und vor allen als kokett-elegante Operettendiva Manon begeistert. Im fließenden Glitzerkleid beherrscht sie dann mit sanft-schmeichelnden oder schlagfertig-trockenen Songs und Tönen das ihr zujubelnde Publikum  -  ein Frau, die weiß, was sie will (und kann!).
Barrie Kosky und Adam Benzwi haben genau den richtigen Dreh gefunden, aus einer alten 20er- Jahre-Operette mit ihren raffinierten Chansons und schmissigen Foxtrotts einen ebenso zeitgemäßen wie quicklebendigen, Unterhaltungsabend zu filtern – anderhalb pausenlose Stunden voll Witz und Charme und ohne tiefere Bedeutung.
Eine turbulente, musikalische ‚Comedia del arte‘ und ein ironischer Schaukampf zweier hochsymphatischer Rampensäue. Eins rauf mit Mappe!

Foto: Iko Freese/ Komische Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 3./ 8.Febr.//8.März //10.April 2015

Mord am Fjord: ‚Lady Macbeth von Mzensk‘ in der Deutschen Oper Berlin****

30. Januar 2015TheaterkritikenNo Comments

Eine Drehbühne mit steilen, glitschigen Klippen, obenauf ein schlichtes Haus. Männer in weiten Gummi-Latzhosen, Frauen in langen, weißen Plastikschürzen. Riesige, tote Fische (Kabeljau?) werden heran geschleppt, herumgeworfen. Der alte, bärtige Boris Ismailow (John Tomlinson) ist der strenge, autokratische Herrscher dieser rauhen Fischerei-Fabrik im hohen Norden. Sein Sohn Sinowji (Thomas Blondelle) gleicht einem Waschlappen, dessen Frau Katerina (Evelyn Herlitzius) langweilt sich, ist intellektuel wie sexuel frustriert. Als sie mit dem neuen, gutgebauten Gehilfen Sergej (Maxim Aksenow) ein Verhältnis beginnt, spitzt sich das Drama zu: zwei Morde, eine verpatzte Hochzeit und das Zerwürfnis der Liebenden führen zum Marsch ins Straflager und enden mit einem Selbstmord im reissenden Wasser.
1932 komponierte der damals 26jährige Dmitrij Schostakowitsch diese, seine zweite Oper nach einer literarischen Vorlage. Katerina war für ihn – obwohl Mörderin des Ehemanns und ihres Schwiegervaters – charakterlich eine „positive“ Figur, die jedoch an einer verderbten und bösen Umgebung (dem zaristische Russland des 19.Jahrunderts) scheitert. Doch Schostakowitsch schrieb keine psychologisierende Tragödie, sondern eine schrille und finstere Satire, die Musik changiert laufend zwischen fetzigen Gassenhauern, agressiven Dissonanzen und zarter Gefühls-Lyrik – eine musikalische Collage sämlicher Stile der (westlichen) Moderne seiner Zeit.
Das Publikum der ersten Aufführungen (Leningrad, Moskau) war begeistert, doch zwei Jahren später verbot die sowjetische Kulturbürokratie das Werk (angeblich auf Anweisung Stalins), da es nicht der konservativ-sozialistischen Musik-Ideologie entsprach. Zwar revidierte, d. h. entschärfte der Komponist die Partitur in den 1960er Jahren, doch erst nach der Wiederentdeckung und Schallplatten-Einspielung der Originalfassung durch Mstislaw Rostropowitsch 1979 erfolgte der Siegeszug dieser russischen  „Lady Macbeth“ über die Opernbühnen der Welt.
Die Neuinszenierung an der Deutschen Oper Berlin ist ein Koproduktion mit dem Operhaus in Oslo. Der Regisseur Ole Anders Tandberg und sein Team haben die russische Kleinstadt des 19.Jahrhunders durch eine Fischfabrik auf den norwegischen Lofoten ersetzt. Die Arbeiter vergewaltigen brutal die Frauen, tote Fische dienen als Penis-Symbol, und wenn Katarina ihren Sergej ins Schlafzimmer holt, bläst eine vierzehnköpfige Banda in weißen Kniestrümpfen und roten Faltenröcker dazu lautstark den Marsch. Der „Schäbige“, der auf der Suche nach Wodka die Leiche im Keller entdeckt, hopst wie ein Gummiball über die Klippen und auf der Polizeistation bügeln die Herren Polizisten ihre Hosen zackig in flotter Chorus-Line. Eine gewagte, aber die Musik hübsch pointierende Interpretation dieser „Lady Macbeth von Mzensk“ – satirisch und grotesk, ohne jedoch die tragischen Züge der Katerina zu überlagern. Nur im letzten, dem Straflager-Akt, wenn auch der Komponist auf jede Parodie zu Gunsten der zerbrechenden Gefühlswelt Katerinas verzichtet, die Musik nach dramatischen Ausbrüchen in zarter Lyrik verdämmert, gerät die Szene an der Rand des kunstgewerblichen Kitsches. Und der Chor umschreitet gebückt und traurig in ebenso transparenter wie meist unkleidsamer Unterwäsche die sich drehenden, schwarzen Klippen.
Hervorragend ist die musikalische Interpretation – facettenreich und farbig, grell und diskret leitet Donald Runnicles sein fabelhaft musizierendes Orchester, bei dem diesmal die Bläser besonders glänzen können. Der von William Spaulding einstudierte Chor klingt prächtig und ein goßes Sänger-Ensemble ergänzt in vielen kleinen Rollen vorzüglich die Protagonisten.
Maxim Aksenow ist mit kernigem Tenor der attraktive, aber untreue Liebhaber Sergej, Sir John Tomlinson spielt mit flexibler Bass-Stimme den autoritären Fischerei-Besitzer und rohen Schwiegervater der Katerina, die von der eher zierlichen Evelyn Herlitzius mit einem voll-leuchtendem Wagner/Strauss-Sopran in all ihren Stimmungs-Schwankungen sehr nuaciert  und anrührend verkörpert wird.
Grosser Applaus für Sänger und Musiker, kleine Irritationen über die Regie.

Foto: Marcus Lieberenz/Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 31.Jan.// 05./14. Febr.2015

Kriegs-Wort-Rätsel: ‚The Imitation Game‘ von Morten Tyldum***

27. Januar 2015FilmkritikenNo Comments

„Enigma“ wurde eine kleine Maschine genannt, mit der im 2.Weltkrieg die deutsche Wehrmacht ihre telegraphisch übermittelten Truppenbefehle verschlüsselte. Ein Exemplar dieser Maschine fiel in die Hände des britischen Geheimdienstes, der zunächst vergeblich versuchte, den Code und damit die geplanten Truppenbewegungen und Angriffsziele der Deutschen zu dechiffrieren. Auf einem verborgenen Anwesen südlich von London gelang es schließlich einer Gruppe englischer Wissenschaftler unter Anleitung des Spitzen-Mathematikers Alan Turing eine raumfüllende Monster-Maschine zu bauen, die wie ein analoger „Computer“ funktionierte und die deutschen Kriegsdepeschen entschlüsseln konnte. Diese Erfindung musste aber streng geheim bleiben, damit die deutsche Wehrmacht nicht bemerkte, dass die Briten – und damit die Alliierten -  über ihre militärischen Pläne informiert waren. Historiker sind heute der Meinung, dass die von Turing entwickelte Maschine den 2.Weltkrieg stark abgekürzt hat.
Um diese Geschichte der Enigma-Entschlüsselung filmisch aufzubereiten, stellen der norwegische Regisseur Morten Tyldum  und sein Drehbuch-Autor Graham Moore – nach einer Buchvorlage – die Figur des Alan Turing (Benedict Cumberbatch) in den Mittelpunkt und gestalten ein auf drei Zeit-Ebenen erzähltes, opulentes Bio-Pic.
1. Turing als von seinen Mitschülern gehänselter Einzelgänger im Internat, dessen einziger und angeschwärmter Freund Christopher an Tbc stirbt; 
2. Turing als exzentrischer und arroganter Jung-Wissenschaftler, der sich bei der geheimen Enigma-Entschlüsselungs-Suche zunächst mit allen Vorgesetzten und Mitarbeitern anlegt, bis durch Vermittlung der einzigen Frau im Team, der jungen Mathematikerin Joan Clarke (nett: Keira Knightley), die Arbeits-Harmonie und damit auch der Erfolg hergestellt wird; 
3. Turing als älterer Uni-Professor, der Anfang der 1950er Jahre wegen seiner Homosexualität verurteilt und vor die Wahl gestellt wird: Gefängnis oder chemische Therapie. An deren Folgen physisch und psychisch erkrankt, endet er durch Selbstmord.
Alle drei Zeitebenen werden teils klug und erhellend, teils etwas plump und abrupt verschachtelt – wobei die Erfindung und der Bau des frühen „Computers“ den Großteil des Film ausmacht – durchaus spannend nach den bewährten Regeln des konventionellen (Hollywood-)Kinos in Szene gesetzt. Und (leider!) mit pompös-kitschigem Musik-Sound untermalt. Daß die historische Wahrheit, auf die der Film sich im Vorspann ausdrücklich beruft, in den Details einige Federn lassen muss, versteht sich bei einer solch üppig-farbigen Film-Biographie von selbst – und stört auch nicht weiter!
Was „The Imitation Games“ jedoch auszeichnet und über einen gefälligen, gut gemachten Unterhaltungsfilm hinaushebt, ist die schauspielerische Leistung von Benedict Cumberbatch als Alan Turing. Er zeigt das mathemathische Genie als einen unangepaßten, in sich selbst zurückgezogenen Mann, der zugleich sehr scharf die ihn umgebende Gesellschaft durchschaut, witzig und schlagfertig auf ihre oft unüberlegten oder oberflächlichen Sprüche und Handlungen reagiert, der aber auch an seiner Vereinsamung leidet – ohne sich dies selbst einzugestehen. Seine Homosexualität, die bildlich im Film nie gezeigt wird, dürfte diese Charakterzüge des Andersartigen und Isolierten bedingt oder zumindest verstärkt haben. Bewundernwert vor allem, mit welcher Intensität und Diskretion zugleich Benedict Cumberbatch dieses vielschichtige Portät zeichnet und wie er der Figur trotz ihres oft verletzten und verletzenden Stolzes und der daraus folgenden schroffen Extravaganz dennoch ihre tiefsten Geheimnisse belässt.
Die Nominierung als bester Darsteller für den diesjährigen Oscar ist eine schöne Anerkennung dieser herausragenden Leistung.

Poster/Verleih: SquareOne Entertainment

zu sehen u.a.: Capitol Dahlem; Cinema Paris; CinemaxX Potsdamer Platz; Titania Palast Steglitz; Cubix Alexanderplatz; CineStar Sony Center (OV); CineStar Tegel; CineMotion Hohenschönhausen; Filmtheater am Friedrichshain; Hackesche Höfe Kino (OmU); International; Kino in der Kulturbrauerei (OmU undd dt.); Neues Off (OmU); Odeon (OmU); Passage Neukölln; Colosseum; Zoo-Palast

Höhlen-Koller: ‚Der Freischütz‘ in der Staatsoper im Schillertheater**

22. Januar 2015TheaterkritikenNo Comments

Zwei pausenlose Stunden in einer düsteren (Bühnen-)Höhle, die sich trichterförmig nach hinten zu einer schmalen Öffnung verengt. Die Darsteller können nur gebückt oder gekrümmt eintreten. Die Wände sind schruntig, der steil ansteigende Boden gefährlich uneben. Ein paar kahle Zweige (der Rest des deutschen Waldes) liegen herum, über die nicht nur Max und Agathe ständig stolpern, sondern über die auch der böse Teufel Samiel den gesamten Abend munter hin und her hüpft – eine Art Wolfsmensch mit stark tätowiertem Oberkörper und Pelzmütze. Kein Waldschlösschen, keine fürstlichen Jagdzelte – nur dieser schwach, manchmal  von Fackeln erleuchtete Raum, in dem ein dauer-geduckter Max daneben schießt, der böse Kaspar die teuflischen Freikugeln gießt, eine ängstliche Agathe im rosa Kleidchen sich heftig barmt, ein leicht irres Ännchen mit blutigen Fingern Gruselgeschichten erzählt, der Jägerchor schäumende Bierkrüge schwenkt und schließlich der fatale Probeschuß statt des vorgesehenen Happy Ends eine düstere Zukunft andeutet.
Der Regisseur Michael Talheimer ist für seine minimalistischen Inszenierungen berühmt, er kürzt viel und konzentiert die Stücke auf  wenige, aber starke und aussagekräftige Bilder – bei Lessings „Emilia Galotti“ oder Hauptmanns „Die Ratten“ (beide im Deutschen Theater) mit grandiosem Erfolg. Doch in der Oper klappt diese Methode nur eingeschränkt – zumindest solange die Musik noch (?) sakrosankt ist und nicht verändert werden darf.
Talheimer hat seinem „Freischütz“ die gesprochenen Dialoge geschickt gekappt, auch wenn Handlungsdetails dadurch verloren gehen. Doch Carl Maria von Webers Musik erzählt viel mehr als ein apokalyptisches Höhlen-Gleichnis. Zwar enthüllt die hoch-romantisch geprägte Partitur sehr deutlich „manch‘ finstre Mächte“ und unheimliche Abgründe, schlägt aber auch volkstümlich heitere und menschlich-versöhnliche Töne an. Trauer und Jubel, das Böse und das Gute halten sich die Waage, sind die zwei Seiten der menschlichen Existenz.
Dirigent Sebastian Weigle und die fabelhaften Musiker der Staatskapelle unterstützen einerseits das schwarze Konzept der Regie, lassen die Abgründe in der Musik durch Betonung und Rhythmus einzelner Noten und Passagen deutlich hören, doch verströmen die Hörner auch den betörenden Duft des „deutschen Waldes“ und bejubeln Geigen und Celli reine Gefühle und menschliche Aufrichtigkeit.
Das prominente Sänger-Ensemble ist durch das strenge und starre Regie-Konzept stark eingeengt, vermag sich deshalb nur bedingt zu entfalten. Dorothea Röschmann gerät als Agathe trotz innig-mädchenhafter Töne gelegentlich an die Grenzen ihrer Stimme, Burkard Fritz bleibt auch stimmlich eine gekrümmte Figur, Falk Struckmann profiliert den bösen Kaspar durch seinen  schwarzem Bariton, während Anna Prohaska als Ännchen ihre pathologische Figurenzeichnung mit einen leicht und flexibel geführten Sopran kontrastiert. Die übrigen Solisten (darunter Roman Trekel und Victor van Harlem) sowie der Chor (Einstudierung: Martin Wright) ergänzen das Sängerensemble sehr homogen.
Schade, diesmal scheitern Michael Talheimer und sein ständiger Bühnenbildner Olaf Altmann an ihrer Inszenierungs-Methode. Webers „Freischütz“ wird  einerseits zwar oft als biedermeierliche Folklore mißverstanden, doch ist er andererseits nicht nur eine düster-fahle Horror-Picture-Show.

Foto: Katrin Ribbe/ Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 24./30.Januar; 05./08.Februar 2015

Blondes Rumpelstilzchen: ‚Don Giovanni‘ in der Komischen Oper**

12. Januar 2015TheaterkritikenNo Comments

Wenn ein Haus wie die Komische Oper für eine Neu-Inszenierung von Mozarts „Don Giovanni“ den einstigen Volksbühnen-Star Herbert Fritsch als Regisseur verpflichtet, dann ist klar, wohin die Reise geht: weg vom „Realistischen Musiktheater“, hin zum kunterbunten „Komödienstadl“. Und der viel beschäftigte Allround-Künstler Fritsch hat die Erwartung voll erfüllt: schrill und schräg toben und hüpfen Don Giovanni, sein Diener Leporello sowie die zu vernaschenden Damen vor ständig auf- und niederrauschenden Spitzenvorhängen über die sonst requisitenfreie Bühne. (Für die Ausstattung ist Fritsch ebenfalls zuständig).
Ein wilde Farce, in der der Frauenheld in roten Strümpfen und violettem Wams eine tolle Luftgitarren-Nummer zum Besten geben darf, in der die resolute Donna Anna ihrem orange-behosten Kavalier Don Ottavio so kraftig ans Gemächt fasst, dass dieser nur schmerzgekrümmt seine berühmte Friedens-Arie schmachten kann. Und Leporello, der in seiner schwarzen Kutte und dem kahlen Schädel einem wahren Mephisto ähnelt, darf sogar musikalisch stottern, während die verlassene Donna Elvira im gelben Outfit gleich einer raffinierten Schlange ihr Gift versprüht. Wie alle Personen ist auch der Chor grell geschminkt, trägt Pink, Lindgrün oder Himmelblau und darf – statt der Ouvertüre – unter lautem Geschrei viel Porzellan zerschlagen.
Übrigens: die Ouvertüre wird etwas später nachgeholt, doch dafür dann auf die „scena ultima“ (die etwas moralisierende Bilanz der Überlebenden nach Giovannis Höllenfahrt) verzichtet. Nachdem der Titelheld unter einer Art elektrischem Zeigefinger in den Bühnenuntergrund hinabgefahren ist, sieht man als Schluss-Punkt der Oper nur noch seine winkende Hand – der kurze Abschiedsgruss eines künstlich-komischen Chaos-Spektakels.
Mozarts Musik spielt dabei keine besondere Rolle – auch wenn durchaus ansprechend musiziert und gesungen wird. Günter Papendell, der Don Giovanni, lässt nicht nur seine blonde Haartolle wehen, sondern auch einen geschmeidigen Bariton hören. Erika Roos als Donna Anna perlt lockere Koloraturen und Adrian Strooper hat als ihr schüchtener Verlobter Ottavio eine schöne Träne im Tenor. Nicole Chevalier wehrt sich als verlassene Elvira mit klarem Sopran gegen ihr Schicksal und Jens Larsen verpasst seinem ellenlangen Leporello tief-gründelnden Basstöne. Chefdirigent Henrik Nánási behält routiniert die musikalischen Fäden zusammen – dass er und seine tüchtigen Musiker jedoch nicht so richtig punkten können, liegt an der alles beherrschenden, turbulenten Bühnen-Show – in diesem Fall schlägt eindeutig und unbarmherzig das Kasperle den Mozart.
Foto: Monika Rittershaus/Komische Oper
Premiere war am 30.Nov.2014, die nächsten Vorstellungen sind am: 4. u.11 April/ 3.u.17.Mai 2015

Blutiger Humor: ‚Wild Tales‘ von Damián Szifróns ****

11. Januar 2015FilmkritikenNo Comments

Sechs – nicht miteinander verbundene – Geschichten aus der Millionenstadt Buenos Aires und ihrer Umgebung, sechs Berichte über Rache-Aktionen – böse und grotesk.
Ein gescheiterter Künstler lädt unter falschem Namen Bekannte, die ihm einst seiner Meinung nach Übles antaten, zu einem gemeinsamen Flug ein. Der Zielort ist offen…
Die Kellnerin in einem Imbiss-Lokal erkennt im einzigen Gast an diesem Abend den Finanzhai, der ihre Familie in den Ruin trieb. Die rabiate Köchin empfiehlt Rattengift…
Ein arroganter Autofahrer überholt auf einsamer Landstrasse einen kleinen, alten Transporter und verhöhnt dessen muskelbepackten Fahrer. Ein Kampf der männlichen Leidenschaften beginnt…
Einem erfolgreicher Sprengmeister wird während des Einkaufes einer Geburtstagstorte für seine kleine Tochter das Auto abgeschleppt, obwohl die Halteverbots-Markierung nicht (mehr) zu erkennen war. Mehrere emotionsgeladene Behördengänge folgen…
Der Sohn reicher Eltern verursacht nachts einen Auto-Unfall und begeht Fahrerflucht. Die Eltern versuchen ihn vor der Justiz zu retten und mit viel Geld, Hausmeister, Anwalt und Polizei zu bestechen. Doch das scheinbare Einvernehmen wird schnell brüchig…
Eine Braut entdeckt auf ihrer pompösen Hochzeitsfeier, dass ihr Zukünftiger sie mit einer der eingeladenen weiblichen Gäste betrogen hat. Ein wilder Walzer wird angestimmt…
Fünf dieser Storys enden tödlich oder makaber, nur die Hochzeits-Party findet nach einer ausladenden Haus- und Saalschlacht einen halbwegs versöhnliches Ende…
Der argentinische Regisseur Damián Szifrón (39), der auch sein eigener Drehbuch-Autor ist, erzählt die sechs Episoden als überdrehte, schwarze Grotesken mit leich surrealem Einschlag – wobei dem Zuschauer das Lachen am jeweiligen Ende im Halse stecken bleiben soll.
Kamera (Javier Julia) und Schnitt (Pablo Barbieri Carrera) sorgen dabei für die passenden schrägen Blicke und Perspektiven, Musik und Wortwitz tun ein Übriges, das Komische mit dem Blutigen effektvoll zu mischen.
Kraftvoll-satirisch spiegeln sich nationale wie allgemeine gesellschaftliche Verhaltensweisen in diesen „wilden Geschichten“ über soziale Ungleichheit, überbordende Bürokratie, menschliche Überheblichkeit, Eitelkeit und Korruption. Getragen von einem grossen (und in Südamerika prominenten) Darstellerensemble, das mit viel Lust und Temperament die unterschidlichsten Typen und Charaktere aufeinanderprallen lässt: Menschen zwischen Tragik und Lächerlichkeit.
Es ist ein vergnügliches Spektakel, ein grell-bunter Käfig voller heutiger Alltags-Narren.
Filmisch sehr attraktiv präsentiert, unterhaltsam und kritisch zugleich –
nicht zufällig gehört zu den Produzenten dieser giftigen Komödie der spanische Regisseur Pedro Almodovár – nomen est omen…
PS. Der für die deutsche Synchonfassung hinzugefügte Untertitel „Jeder dreht mal durch“ trifft den Witz des Films kaum und  zielt wohl eher auf ein Publikum, das nur plattes Schenkelklopfen erwartet.
Poster/Verleih: Prokino Filmverleih
zu sehen: Babylon Kreuzberg (OmU); Hackesche Höfe Kini (OmU); International (OmU und dt.); Kino in der Kulturbrauerei (OmU und dt.); Odeon (OmU); Delphi; Yorck-Kino

Zimmerschlacht in Anatolien: ‚Winterschlaf‘ von Nuri Bilge Ceylan****

7. Januar 2015FilmkritikenNo Comments

Ein abgelegenes Dorf in Kappadokien, dem pitoresken Herzen der Türkei. Aydin (Haluk Bilginer), der lange Zeit als Schauspieler in Istanbul lebte, ist nach dem Tod seiner Eltern in seinen Geburtsort zurückgekehrt. Mit seiner jüngeren Frau Nihai (Melisa Sözer) betreibt er ein kleines, hübsches Hotel und verwaltet nebenbei weitere ererbte Immobilien. Ausserdem lebt seit kurzem seine frisch geschiedene Schwester Necla (Demet Akbag) ebenfalls im höhlenartigen, luxuriösen Hotel. Alle Geschäfts- und Verwaltungsarbeiten überlässt Aydin jedoch seinen Angestellten, denn er widmet sich überwiegend seiner Lieblingtätigkeit, dem Schreiben: verfasst zeit- und gesellschaftskritische Kolumnen für eine Lokalzeitung, bereitet ein Buch über die Geschichte des türkischen Theaters vor. Seine Frau Nihai engagiert sich dagegen für Soziales, organisiert mit Gleichgesinnten eine Sammlung zugunsten der maroden Dorfschule.
Als der Winter (und auch der Film) beginnt, verlassen die letzten Touristen das Hotel – es wird einsam um Aydin und seine kleine Familie. Doch als es zu Streitigkeiten mit den Mietern einer seiner Immobilien kommt, da diese mit Zahlungen im Rückstand sind, weitet sich dieser nebensächliche Konflikt zur grossen Auseinandersetzung zwischen dem zunächst charmanten und jovial auftretenden Aydin und den beiden Frauen aus. Denn sowohl Ehefrau wie Schwester versuchen, ihn als in Wahrheit selbstgerechten und bornierten Macho zu entlarven – in zwei getrennten, langen und scharf geführten Auseinandersetzungen. Regelrechte Zimmerschlachten, in denen sich alle drei mit moralischen Argumenten zu verteidigen und zu rechtfertigen oder den anderen zu verletzen versuchen – am Ende packt Aydin seinen Koffer und lässt sich von seinem Hausmeister durch die stark verschneite Landschaft zum entfernten Bahnhof fahren. Doch zu einem neuen Leben im fernen Istanbul hat er nicht mehr die Kraft – reumütig, etwas kleinlaut – und auch ein bisschen selbstkritisch – kehrt er nach Hause zurück, wo ihn Nihai, ebenfalls zweifelnd und ratlos, erwartet -  zumal auch sie mit ihrem sozialen Engagement zumindest teilweise gescheitert ist. Der Schnee bedeckt meterhoch die kappadokische Landschaft, physisch und psychisch herrscht Winterschlaf.
Die Inzenierung von Nuri Bilge Ceylan entfaltet ganz langsam und ruhig die Charaktere der drei Hauptfiguren Aydin, Nihai und Necla, vermeidet dabei alles Plakative und belässt den Figuren ihre Ambivalenz. Dabei bleiben ihre Handlungen und Argumente für den Zuschauer immer nachvollziehbar und einsichtig, auch wenn sie problematisch oder ungerecht ausfallen. Mal herrscht ein trocken-ironischer Ton vor, mal schleicht sich tragisch-gestimmtes Pathos ein. Kontrastiert werden diese seelisch-moralischen Wort-Schlachten der begüterten Protagonisten durch bildmächtige Szenen in der Natur, wie zum Beispiel das Einfangen wilder Pferde, oder im kargen Haushalt der verschuldeten Mieter-Familie, wo die Armut immer wieder körperliche Gewalt provoziert.
Die Schauspieler sind als Typen vortrefflich  ausgewählt, lassen aber durch ihr nuanciertes Spiel alles Nur-Typische weit hinter sich und überzeugen als vielschichtige und psychologisch differenzierte Charaktere.
Nuri Bilger Ceylan hat für dieses Winter- und Seelen-Drama in Cannes 2014 die Goldene Palme errungen. Verdient. Doch der 196 Minuten dauernde Film mit seinen beiden breit  ausgespielten Dialogszenen im Mittelpunkt (die stark an das Theater eine Tschechow oder Albee erinnern) fordert vom Kino-Publikum einige Bereitschaft zu geduldigem Zuschaunen, wie zu konzentiertem Hinhören.
PS: Man kann die Geschichte auch als Parabel auf den aktuellen, (gesellschafts-) politischen Zustand der Türkei lesen, doch gibt es im Film selbst keine direkten Hinweise auf eine solche Deutung.

Poster/Verleiher: Weltkino Filmverleih

zu sehen: b-ware! ladenkino (OmU und dt.); fsk (OmU); Hackesche Höfe Kino (OmU); Rollberg (OmU); Filmtheater am Friedrichshain (dt.); Kant-Kino (dt,)

Alltag im Museum: ‚National Gallery‘ von Frederick Wiseman****

3. Januar 2015FilmkritikenNo Comments

Der gerade 85 Jahre alt gewordene Amerikaner Frederick Wiseman zählt zu den bedeutensten Dokumentarfilmern des internationalen Kinos. Eine Justizanstalt für verhaltensgestörte Gefangene, die Intensivstation eines Krankenhauses, die Arbeit von Polizeibeamten in Kansas City oder – zuletzt – das Ballett der Pariser Oper waren Themen seiner mosaik-artigen Film-Beobachtungen. Sein Markenzeichen: Verzicht auf jeglichen gesprochenen Kommentar,  keine erklärenden Interviews, der Zuschauer soll sich seine eigene Meinung über das Gezeigte bilden. Allein die Auswahl der Bilder, Schnitt und Montage lassen gelegentlich einen kritischen Subtext erkennen.
Im Winter 2012 filmte Wiseman mit kleiner Crew den Alltag in der Londoner National Gallery, einem der reichsten und poplärsten Gemälde-Tempel der Welt. Er zeigt die grossen Publikumsscharen vor den (überwiegend älteren) Bildern, lässt in den Verwaltungsbüros über Marketing und Budget diskutieren, verfolgt die geduldige Arbeit der Restauratoren oder begleitet die umfangreichen Vorbereitungen für Sonderausstellungen über Leonardo da Vinci oder William Turner.
Im Mittelpunkt der 3-stündigen Dokumentation stehen jedoch die grossartigen Ausstellungsführer und Museumspädagogen, die mit viel ansteckendem Enthusiasmus und plastischen Worten dem überwiegend stumm zuhörendem Publikum die Werke eines Tizian, Rembrand oder Rubens erläutern und nahebringen. Und denen es so gelingt, die Kluft zwischen den alten Bildern und dem Lebensgefühl ihrer heutigen Bewunderer ebenso überzeugend und wie nachvollziehbar zu überbrücken.
Besonders eindrucksvoll sind jene Filmsequenzen, in denen Wisemann und sein exzellenter Kameramann John Davey die Gesichter der gemalten Porträts mit den Großaufnahmen ihrer unterschiedlichen Betrachter konfrontiert – und hiermit sowohl den Zauber wie auch die verblüffende Lebendigkeit der alten Bilder sichtbar werden lässt.
Vielleicht ist mancher Einblick vor oder hinter den Kulissen dieses bedeutenden Museums allzu ausführlich geraten, auch erschliesst sich nicht immer die Bedeutung jeder Szene, wie zum Beispiel das Entrollen eines Protest-Plakates an der Aussenfront des Museums (Umwelt-Aktivisten ? wogegen?). Dennoch: ein ebenso kluger wie eleganter Blick in die Welt der Bildenden Kunst und in eine ihrer grössten und bedeutensten Schatzkammern.
Poster/Verleih: Kool
zu sehen: Delphi; Filmtheater am Friedrichshain; fsk; Odeon (alle OmU)

Kategorien

  • Allgemein
  • Berlinale
  • Filmkritiken
  • Theaterkritiken
  • Verschiedenes

Neueste Beiträge

  • Ende der Spielzeit 2018/19 in den Berliner Opernhäuser
  • Kino & Theater – Mai / Juni 2019
  • Gelungenes Musiktheater: „Oceane“ in der Deutschen Oper Berlin****
  • Kino & Theater März 2019
  • Meine BERLINALE 2019

Schlagwörter

Nase Reise nach Reims

Archive

  • Juni 2019
  • Mai 2019
  • März 2019
  • Februar 2019
  • Januar 2019
  • Dezember 2018
  • November 2018
  • Oktober 2018
  • Juli 2018
  • Juni 2018
  • Mai 2018
  • März 2018
  • Februar 2018
  • Januar 2018
  • Dezember 2017
  • November 2017
  • Oktober 2017
  • Juli 2017
  • Juni 2017
  • Mai 2017
  • April 2017
  • März 2017
  • Februar 2017
  • Januar 2017
  • Dezember 2016
  • November 2016
  • Oktober 2016
  • Juli 2016
  • Juni 2016
  • Mai 2016
  • April 2016
  • März 2016
  • Februar 2016
  • Januar 2016
  • Dezember 2015
  • November 2015
  • Oktober 2015
  • August 2015
  • Juli 2015
  • Juni 2015
  • Mai 2015
  • April 2015
  • März 2015
  • Februar 2015
  • Januar 2015
  • November 2014
  • Oktober 2014
  • September 2014
  • August 2014
  • Juni 2014
  • Mai 2014
  • April 2014
  • März 2014
  • Februar 2014
  • Januar 2014
  • Dezember 2013
  • November 2013
  • Oktober 2013
  • September 2013
  • August 2013
  • Juli 2013
  • Juni 2013
  • Mai 2013
  • April 2013
  • März 2013
  • Februar 2013
  • Januar 2013
  • Dezember 2012
  • November 2012
  • Oktober 2012
  • September 2012
  • August 2012
  • Juli 2012
  • Juni 2012
  • Mai 2012
  • April 2012
  • März 2012
  • Februar 2012
  • Januar 2012
  • Dezember 2011
  • November 2011
  • Oktober 2011
  • September 2011
  • August 2011
  • Juli 2011
  • Juni 2011
  • Mai 2011
  • April 2011
  • März 2011
  • Februar 2011
  • Januar 2011
  • Dezember 2010
  • November 2010
  • Oktober 2010
  • September 2010
  • August 2010
  • Juni 2010
  • Mai 2010
  • April 2010
  • März 2010
  • Februar 2010
  • Januar 2010
  • Dezember 2009
  • November 2009
  • Oktober 2009
  • September 2009
  • August 2009
  • Juli 2009
  • Juni 2009
  • Mai 2009
  • April 2009
  • März 2009
  • Februar 2009
  • Januar 2009
  • Dezember 2008
  • November 2008
  • Oktober 2008
  • September 2008
  • Juli 2008
  • Juni 2008
  • Mai 2008
  • April 2008
  • März 2008
  • Februar 2008
  • Januar 2008
  • Dezember 2007
  • November 2007
  • Oktober 2007
  • September 2007
  • August 2007
  • Juli 2007
  • Juni 2007
  • Mai 2007
  • April 2007
  • März 2007
  • Februar 2007
  • Januar 2007
  • Dezember 2006
  • November 2006
  • Oktober 2006
  • September 2006
Proudly powered by WordPress | Theme: Doo by ThemeVS.