Kino & Theater März 2019

LA SYLPHIDE / Das Staatsballett Berlin in der Deutschen Oper****

Neu-Produktion des romantischen Klassikers. 1836 in Kopenhagen uraufgeführt von August Bournonville, Dessen berühmte Choreographie ist Vorlage für die jetztige Einstudierung durch den dänischen Spezialisten Frank Andersen und sein Ausstattungs-Team. Die tragisch endende Liebesgeschichte des schottischen Edelmanns James, der sich in eine Elfe oder Sylphide verliebt, seine Braut Effie und die schon feiernde Hochzeitgesellschaft im Stich lässt und der zarten Sylphide in den Wald folgt. Doch als er sie dort mit einem Zauberschleier einfängt, ihr so die Freiheit nimmt, fallen ihre Flügelchen ab und sie stirbt. Der choreographische Stil Bournovilles ist kleinteiliger als der russische von Marius Petipa, bevorzugt präzise. sich kreuzende  Schritte und einen ausladenden, eleganten ‚Port de Bras‘. Von den wechselnden Solisten des Staatsballetts überzeugten in der von mir besuchten Vorstellung die ungemein leichtfüssige Polina Semionova als fast schwebende Sylphide und der sprungstarke Alejandro Virelles als entflammter Liebhaber. Effektvoll: Arshak Ghalumyan in der Travestie-Rolle der Zauberin Magde. Harmonisch das Corps de Ballet sowohl im schicken Schottenrock wie in den knielangen, weißen Tütüs im Elfenwald.. Eine attrakive Inszenierung und  gelungene Einstudierung des Bournonville-Klasskers mit der originalen Musik des norwegischen Komponisten Herman Severin Lovebskjold, vom Orchester der Deutschen Oper etwas pauschal dargeboten. Ein hübsches Tanz-„Schmankerl‘: doch wohl eher für die jungen Ballett-Fans und/oder den konservativeren Teil des Publikums. Großer, herzlicher Beifall.

Premiere: 1.März 2019 (in der weiteren Vorstellungen wechselnde Besetzung!)

 

BABYLON in der Staatsoper Unter den Linden***

„Babylon“ ist die zweite Oper des Komponisten und (berühmten) Klarinettisten Jörg Widmann, uraufgeführt 2012 in dessen Heimatstadt München und jetzt in einer von ihm selbst revidierten Fassung an der Berliner Staatsoper durch den Regisseur Andreas Kriegenburg neu inszeniert. Das Libretto des holländischen Philosophen  Peter Sloterdijk schildert die Liebesgeschichte des Juden Tammu zu der babylonischen Priesterin Iamma zur Zeit der jüdischen Gefangenschaft im babylonischen Reich (ca 1800 vor Christus). Babylon wird in dieser Fassung als (fast moderne) Welt-Metropole gezeigt, in der die unterschiedlichsten Religionen und Kulturen tolerant miteinander leben.  Musik und Text mischen Historie und Mythologie, Religiöses und Philosophisches, private Schicksale und politische Ereignisse zu einem einem fast drei-stündigen, üppig-ausladenden Spektakel von attraktivem Schauwert und  rauschenden Klangerlebnissen. Die Bühne von Harald Thor zeigt breit-angelegte Wohn-Etagen mit Räumen in unterschiedlicher Form und Größe, die wie ein Pater-Noster mal nach oben, mal nach unter gefahren werden können. Bewohnt sind diese unfertigen, eher düsteren Kammern von vielen Menschen (Chor und Komparsen) in teils modernen, teils altmodischen, phantasievollen Klamotten. Auf dem schmalen Raum davor diskutiert der jüdische Tammu mit seiner gespaltenen Seele, die als junge Frau im weißen Gewand ihm Widerpart leistet, streitet er mit Oberpriester und Schriftgelehrten seiner Landsleute um Glaubens-Auslegungen, umwirbt er die in gold-rotem Kleid sich räkelnde Liebes-Priesterin der Babylonier. In weiblicher Gestalt und wasserblauem Reifrock  verflucht der Fluß Euphrat den Himmel, den er für die einstige Sintflut und Tod in Babylon verantwortlich macht. Und während die Juden  dehalb auf Menschenopfre verzichten, halten die Babylonier daran fest und ergreifen Tammu als nächstes Todes-Exemplar . Doch die liebende Priesterin Iamma holt ihn – dem griechischen Sänger Orpheus (spiegelbildlich-) gleich aus der Hölle zurück und vereint sich mit ihm und allen zum regenbogen-farbigen Happy End. Sloterdijks Text mischt viel Bibel- und Philosophie-Zitate mit eigener Lyrik und stopft viel abendländische Kulturgeschichte dazwischen – nicht umbedingt zum dramaturgischen Vorteil der ganzen Bildungs-Huberei. Sehr viel interessanter und raffinierter mixt Jörg Widmann die unterschiedlichten Formen und Stile von Musik und bedient sich dafür nicht nur eines großen Orchester-Apperates, sondern auch ausgefallener Instrumente wie Schofaroth-Trompeten oder Glasharmonika. Die Liebesduette klingen sanft und harmonisch, die Karnevals-Szene bayrisch-grotesk, kleinere Ensembles immitieren auf scräge Weise Jazz und Musical, dazwischen zeitgenössische Töne, immer wieder jedoch steigern sich Chor und Orchester zu pathetischen Klangexplosionen von fast unerträglicher Lautstärke. Bewundernswert wie der (für den erkrankten Daniel Barenboim) eingesprungene Christopher Ward (Musikchef in Aachen und Assisten bei der Münchner Uraufführung) Sänger und Instrumentalisten zusammenbindet und zu starken musikalischen Eindrücken animiert   – aller Über-Lautstärke zum Trotz.  Der Chor singt und agiert in Hochform, das große Solisten-Ensemble überzeugt. Die dänische Gast-Sopranistin Susanne Elmark ist eine koloratur-schillernde Liebes-Priesterin, Marina Prudenskaja eine machtvolle Stimme des Euphrat, John Tomlinson ein Oberpriester mit erzernem, wort-deutlichem Baß. Etwas blaß (und höhenscharf) bleibt die Seele der Mojca Erdmann, Charles Workmann, in der tragenden Rolle des Tammu, kommt bei den hohen stimmlichen Anforderungen gelegentlich an seine tenoralen Grenzen. Vorzüglich in den kleinen Rollen bewähren sich der Coutertener Andrew Watts als riesen-beschwanzter „Skorpionmensch“ und der Bariton Otto Katzameier als „Schwester Tod“.

Eine Produktion von fast „babylonischem Ausmaß“, mit vielerlei Schauwerten und einer klug komponierten, farbigen-gemixten Musik  –  jedoch als Theater-Abend, der nicht nur bildet, sondern auch berührt,  stark überfrachtet.

Premiere war am 9.März 2019

 

THE SISTERS BROTHERS von Jacques Audiard (Frankreich/USA u.a.,2018)****

Ein Western, dessen Weg von Oregon nach Kalifornien führt, im Jahr 1851. Im Auftrag eines „Commandore“, dem heimlichen Herrscher einer Kleinstadt, verfolgen Eli und Charlie Sisters (John C.Reilly / Joaqin Phoenix), zwei Auftragkiller im mittleren Alter, einen Chemiker und Goldsucher namens Herman Kermit Warm (Riz Ahmed), der eine Formel und damit ein Mittel gefunden haben soll,mit dem das Edelmetall im Wasser zu leuchten beginnt. Doch da der „Coamdore“ den Sisters Brothers wohl nicht recht traut, hat er zudem den  Privatdedektiv John Morris (Jake Gyllenhaal)  angeheuert, den Goldsucher Herman Warm wie auch die Sisters Brothers zu überwachen. Daß der intelektuelle Morris dann die Seiten wechselt, steht auf einem anderen Blatt. Vier Westernhelden auf ihrem langen Ritt durch den amerikanischen Westen. Sie verstehen, perfekt mit ihren Waffen umgehen, erweisen sich aber sonst als ganz gewöhnliche und etwas hinterwäldlerische  Zeitgenossen. Sie quasseln und reden über sich, über  über ihr unstetes Leben und ihre vage Zukunft. Eli denkt daran, einen Kramladen  aufzumachen, sein Bruder wird im Traum von seinem gewalttätigen Vater heimgesucht, und  der fremdländisch aussehende Herman will sich einer friedliebenden, ökologisch und sozialistisch orientierten Gesellschaft in Texas anschließen. Die Zeit ändert sich: in San Francisco erlebn die kleinstädtischen Killer deine moderne Großstadt mit quirligen Menschenmassen, luxuriösen Hotels und tollen Theatern. Doch am Ende führt der lange Weg die Sister Brüder zurück nach Hause, zur taffen Mutter, in den Schutz einer Familie.

Der französische Regisseur Jacques Audiard („Ein  Prophet“,2009) hält sich streng an den Rahmen des Western-Genres, doch seine „Helden“ sind ganz unheroische, normale Durchschnitts-Menschen. Sie erledigen ihren Job als Auftragskiller, machen sich aber auch Gedanken über diesen „Beruf“, fragen sich, wie es mit ihnen in der  Zukunft weitergehen soll ( den Drugstor eröffnen ?) Die beiden – im Charakter so unterschiedlichen Brüder reden und diskutieren ungewöhnlich viel, ob beim Reiten, ob am Lagerfeuer, der zustoßende Dedektiv John Morris führt sensibel Tagebuch über sein Tun und seine Gedanken und Goldsucher Herman träumt von der idealen (demokratischen) Gesellschaft, Sie staunen über den Fortschritt ihrer Zeit, entdecken Zahnbürste und Wasserkloset. Dabei vermeidet der Regisseur Karikatur und Spott, zeigt stattdesseb mit subtilem Witz die „wahren“, also alltäglichen Helden des Gentrs, die nicht nur reaktionsschnell Schießen können, sondern dazwischen auch mal pinkeln müssen. Hervorragende  Schauspieler, einfallsreiche Gestaltung von Bild und Schnitt, klug eingesetzte Musik – ein moderner, unterhaltsamer „amerikanischer Western“  –  erdacht in Frankreich, gedreht in Spanien und Rumänien. Silberner Löwe in Venedig.

Der Film läuft seit 7.März 2019 in deutschen Kinos

 

ASCHE IST REINES WEISS  von Jia Zhangke (Frankreich/China 2018)****

In einer kleinen Stadt im Norden Chinas, geprägt von sterbenden Kohlabbau, ist der schlaue Bin das anerkannte Oberhaupt einer lokalen Mini-Gangster-Gruppe und genießt mit seiner hübschen Freundin Qiao ein flottes Leben in der sonst ärmlichen Umgebeung. Bei einer blutigen Schlägerei mit agressiven Jugendlichen rettet ihn Qiao durch einige Warnschüsse mit einer Pistole, Doch privater Waffenbesitz ist in China verboten: Qiao wird zu fünf Jahren harter Haft verurteilt. Nach ihrer Entlassung macht sie sich auf die Suche nach ihren Geliebten Bin (dem die fatale Pistole eigentlich gehörte). Der ist inzwischen in einer reicheren Provinz im Süden zum Unternehmer aufgestiegen, hat eine neue Freundin. Enttäuscht reist Qiao scheinbar ziellos durch China.(Eine Episode spielt am Jamtse und der versinkenden Drei-Schluchten-Welt, die Regisseur Zhangke bereits in seinen preisgekrönten Film „Still Life“ von 2006  so eindrucksvoll porträtiert hat).Im letzten Teil des Films treffen sich Qiao und Bin wieder in der – nun veränderten – alten Heimat wieder:  sie ist eine bittere, einsame (Geschäfts-)Frau geworden, er scheint ein altes,krankes Wrack im Rollstuhl zu sein – eines Tages verschwindet er.

Eine Liebesgeschichte, die sich über fast zwanzig Jahre hin zieht, Gefühle, die sich im Laufe dieser Zeit ändern, aber kein Ende finden – eine starke Bezeihung, die keine Erfüllung findet. Gespieget in den gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen eins sich wandelnden Chinas. Belebten Bahnhöfen, Kreuzfahrtschiffe und Eisenbahnzüge, die durch unterschiedlichste Landschaften fahren, sind Metapher und Bild-Symbol der scheiternden Liebe von Qiao und Bin wie der allgemeinen politische Umwälzung zugleich: Zukünftige Entwicklungen bleiben offen oder ungewiss. Auch die der chinesischen Gesellschaft. Ein erstaunlicher, vielschichtiger Film!

Seit dem 28.2.2019 in den deutschen Kinos (OmU und dt.Fassung)

 

DER ZWERG in der Deutschen Oper Berlin***

Als Prolog wird in dieser Inszenierung eine knapp 10-minütige Pantomime zu Arnold Schönbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene, op.34“ vorangestellt:  in einem bürgerlichen Salin sitzt Alma Schindler (spätere:Mahler-Werfel) mit ihrem Komponisten-Lehrer Alexander von Zemlinsky am Flügel – erst üben sie vierhändig, dann tändeln sie, schließlich stößt Alma den handgreiflichen Komponisten vom Hocker und rauscht davon. Vorhang.  Ohne Pause schließt sich die anderthalb stündige Zemlinsky-Oper „Der Zwerg“  nach dem Märchen von Oscar Wilde an.  Der zur Zeit stark „gehypte“, junge Regisseur Tonias Kratzer verlegt das tragische Märchen in einen heutigen, hellen Konzertsaal samt (Komparsen-)Orchester. Vor dem Podium nimmt die muntere Prinzessin im kurzen,  kupferfarbenen Paletten-Kleid (mit klarem Sopran Elena Tsaliagova) die Geburtstags-Geschenke entgegen – darunter einen quicklebendigen Zwerg im schwarzen Frack, der sich in sie prompt verliebt, aber später an ihrem Desinteresse zu Grunde geht. Diesen Zwerg läßt der Regisseur gleichzeitig in doppelter Gestalt auftreten – einmal als kraftvoll singender Tenor (David Butt Philip), zum andern als stumm agierender Liliputaner (Mick Morris Mehnert) – warum auch immer!  Auch sonst allerlei Sonderbarkeiten, wenn der Zwerg das Orchester dirigiert und dieses darauf die Instrumente zerschmettert und die Bühne verlässt. Innerhalb des eigenwilligen Konzepts zwar durchaus geschickte Personenführung – doch die Aufführung wirkt insgesamt allzu modisch und aufgeplustert. Musikalisch bleibt der Eindruck ebenfalls mittelprächtig (Dirigent: Donald Runnicles), wenn auch durchaus auf hohem Niveau. Dem Publikum hat‘ die „schräge“ Aufführung sehr gefallen, es gab viel Applaus.

Premiere: 24.März 2019

 

POROS in der Komischen Oper Berlin***

Die fast unbekannte Oper von Georg Friedrich Händel (uraufgeführt 1731 in London) wird von Harry Kupfer inszeniert, der damit nach 17 Jahren erstmals an den Ort seiner großen Erfolge zurückkehrt. Händel erzählt darin eine Episode aus dem antiken Feldzug Alexanders des Großen nach Indien. Harry Kupfer und sein Team verlegen das Geschehen in die Zeit der Uraufführung: im Auftrag der „Ost-Indien-Kompanie“ erscheinen der englische Offizier Sir Alexander samt seinen Tropenhelm-bewehrten Soldaten im indischen Reich des Königs Poros. Doch den erschrecken weniger die kolonialen Absichten der Briten, als die möglichen Avancen, die Sir Alexander der von Poros geliebetne Königin Mahamaya macht und die diese  – zum Schein – erwiedert. Kurz: Liebe und Eifersucht spielen die Hauptrolle in dieser chorlosen Kammeroper – natürlich mit großem Happy End der Liebespaare, während eine riesige englische Flagge alls Schlußvorhang – hübsch ironisch – die Szene beendet.  Kupfer läßt die Story in einem dichten Urwald spielen, die elegant-folkloristischen indischen Seiden-Kostüme sorgen für leuchtende Farbtupfer in dieser grünen Pflanzen-Höhle (Bühne:Hans Schavernoch/Kostüm:Yan Tax). Doch das Spiel bleibt brav und bietet wenig Überraschung – Harry Kupfer zeigt zwar seine enorme Bühnen-Erfahrung, doch seine einstige Regie-Pranke ist zahm georden. Die Aufführung, vom jungen Barock-Musiker Jörg Halubek schwungvoll dirigiert, ist nicht streng „historisch informiert“, sondern zielt mit den Sängern des Haus-Ensembles auf direkte Wirkung für ein „normales“ Publikum. Es wird in deutscher Sprache gesungen, die langen Da-Capo-Arien sind gelegentlich gekürzt oder die Wiederholungen werden mit zusätzlichen, neuen Versen bestückt. Bariton Dominik Köninger als bezopfter König Poros, die armenische Gast-Sopranistin Ruzan Mantashyan als elegante Geliebte Mahamaya, der Countertenor Eric Jurenas als blasser Sir Alexander, sowie iIdunnu Münch (Mezzo) und Philipp Meierhöfer (Baß) in den Nebenrollen  können sich sehen und hören lassen – auch wenn sie keine Spezialisten für barocken Gesang sind. So bleibt Harry Kupfers Rückkehr an die Komische Oper insgesamt ein freundlicher, aber auch hausbackener Abend. Die hochgesteckten Erwartungen wurden nicht ganz eingelöst.

Premiere: 16.März 2019