Rainer Allgaier

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Monat: Dezember 2017

Schmissig: ‚Märchen im Grand-Hotel‘ in der Komischen Oper Berlin****

31. Dezember 201724. Juni 2018TheaterkritikenNo Comments

MärchenEine schöne  Ausgrabung: die Operette „Märchen im Grand-Hotel“ von Paul Abraham, die nachdem der Komponist Berlin 1933 verlassen mußte, im Jahr darauf ihre Uraufführung in Wien erlebte – ohne größeren Erfolg, da auch schon vor dem „Anschluß“ Östereichs eine antijüdische Stimmung sich dortausgebreitet hatte. Abraham floh später über Frankreich und Kuba nach New York, verbrachte die letzten Jahre seines Lebens  allerdings überwiegend in psychiatrischen Kliniken.

Verdienstvoll nun, daß die Komische Oper jedes Jahr in der Weihnachtszeit ein vergessenes Werk aus der glanzvollen Operetten-Zeit der 20-er und frühen 30-er Jahre des letzten Jahrhunderts wiederbelebt – als attraktives Konzert in Kostüm und Maske. Vor dem geschlossenen, roten Vorhang sitzen die Musiker auf dem überdeckten Orchestergraben, davor – ebenfalls auf Stühlen – die Sänger. Auf der linken Seite ein Flügel, an dem Dirigent Adam Benzwei seine Flinger virtuos über die Tasten gleiten läßt und zugleich lebhafte  Einatzzeichen für Sänger und Musiker gibt.

Das ganze „Märchen im Grand-Hotel“ ist geschickt auf pausenlose anderhalb Stunden eingedampft und reiht die musikalischen Nummern wie auf einer Perlenkette aneinander. Was dazwischen sich an Handlung ereignet, schildert als Conferencier im eleganten Frank ganz noncharlant Max Hopp. Zugleich singt und spielt er die männliche Hauptrolle: den verliebten Kellner Albert (dann mit Serviette überm Frack-Arm!). Doch in Wahrheit ist dieser Albert der Sohn des Besitzers des titelgebenden Grand-Hotels an der Cote d’Azur und zudem mit altem Adel verwandt, so daß dem Happy End mit der spanischen Infantin Isabella, die sich mit ihrem Hofstaat im französischen Exil befindet (und außerdem pleite ist) nach einigen Mißverständnissen nichts mehr im Wege steht. Und auch noch – dank der blonden Marylou, der Tochter eine nach frischem Filmstoff suchenden Hollywood-Moguls – das ganze Märchen zu einem großen Filmerfolg mutiert.

Dank der flotten Quicksteps, Foxtrots,Tangos und Walzern von Paul Abraham – noch ganz im Stil von „Victoria und ihr Husar“ oder der „Blume von Hawai“ – und dank des prächtigen Ensembles aus Musikern und Darstellern wird aus dem „Märchen im Grand-Hotel“  eine ebenso schmissige wie rasante Glitzer-Show auf der Vorderbühne. Und die auch dem Publikum in die Beine fährt…

Neben dem quitrligen Conferencier-Kellner Max Hopp zeigt Talya Lieberman als sopran-süße spanische Prinzessin straffe Haltung, mausert sich  Johannes Dauz als sie begleitender Prinz zum drolligen „Buffo“, genießt Tom Erik Lie seine Travestie-Rolle als grotesk-plappernde Hofdame, fiebert Philipp Meierhöfer als Filmmogul mit heftigem Körpereinsatz nach seinem Happy End und triumphiert Sarah Bowden als US-Film-Girl Marylou, die mit socher Verve singt, tanzt und steppt, daß die Bühnenbretter beben. Den dazu passenden Umrahmung mit viel ‚Schbi-dubi-du‘ liefern überzeugend die fünf befrackten Herren des ‚Lindenquintetts Berlin‘.

Wenn auch „nur“ konzertant –  so flott präsentiert, findet die „alte“ Operette auch heute noch ihr glückliches Ende  – und das „Märchen im Grand-Hotel“ sein begeistertes Publikum.

Foto: Robert-Recker.de/Komische Oper Berlin

Premiere: 17.12.2017; einzige Wiederholung: 30.12.2017

Rachefeldzug eines NS-Opfers: ‚Aus dem Nichts“ von Fatih Akin****

21. Dezember 201724. Juni 2018FilmkritikenNo Comments

NichtsKatja Sekerci’s Mann ist Türke und betreibt nach seiner Haftentlassung – verurteilt wegen Drogenhandel –  ein kleines Büro für Steuerberatung und Übersetzungen in einem Szenenviertel von Hamburg. Dort tötet ihn und seinen kleinen Sohn ein Nagelbomben-Anschlag. Obwohl die Polizei zunächst erfolglos in unterschiedlichen Richtungen ermittelt, vermutet Katja, die kurze Zeit vor der Explosion eine ihr unbekannte junge Frau mit einem Fahrad vor dem Büro beobachtet hat, daß Nazis hinter dem Anschlag stecken. Der Verdacht bestätigt sich einige Zeit später, doch in der Gerichtsverhandlung wird das angeklagte junge Nazi-Paar aus Mangel an eindeutigen Beweisen freigesprochen. Verbittert spürt Katja das Paar an einem winterlich-verlassenem Strand in Griechenland auf und bastelt nun ihrerseits eine Nagelbombe…

Regisseur Fatih Akin, der zusammen mit Hark Bohm auch das Drehbuch schrieb, schildert eine Geschichte, die den grauenvollen NSU-Morden nachempfunden ist. Wobei ihn die Täter und deren politischer Hintergrund nur am Rande interessieren. Ihn beschäftigt ausschließlich die Situation der von Staat und Polizei fälschlich verdächtigten oder im Stich gelassenen Angehörigen. Mit großer Empathie verfolgt er die Empfindungen und Reaktionen Katjas:  zeigt ihren Schmerz, die tiefe seeliche Verwundung durch den Verlust ihrer kleinen Familie, aber auch ihre innere Versteinerung gegenüber Eltern, Freunden und Helfern. Ausnahme ist lediglich ihr Anwalt, dem sie vertraut, bis zum sie „tötlich“ treffenden, juristischen Freispruch des Mörder-Paares. Danach sieht sie nur noch den Ausweg in einer Selbstjusitz.

Das Drehbuch, das sich einerseits ganz auf die Gefühlslage des Opfers konzentriert, andererseits zugleich immer gängigen Kino-Regel folgt, weist dadurch einige Schwächen auf, bleibt fast immer vorhersehbar und neigt gelegentlich zu sprachlichen oder bildlichen Floskeln. Dennoch zeigt sich die Regie in Hochform, erzählt in rasanten Sequenzen, kontrastiert das Geschehen durch abwechslungsreiche Handlungsorte und zeichnet psychologisch fein die zahlreichen Nebenfiguren in präzisen Kurzauftritten. Diane Krüger als Katja bleibt (fast) 116 Minuten im Blick- und Bild-Mittel-Punkt und sie gestaltet diese Opferfigur sehr überzeugend duch starke Präsenz und nuanciertes Spiel – in Cannes erhielt sie dafür in diesem Jahr die goldene Palme als beste weibliche Darstellerin.

Fatih Akin hat mit filmischem Fingerspitzengefühl eine aktuelles Thema aufgegriffen und dabei jegliche vordergründige oder platte – politische wie menschliche –  Interpretation vermieden. Auch wenn dieser Film nicht ganz die Überzeugungskraft mancher seiner Vorgänger erreicht, besticht er sowohl duch sein kontroverses Thema und wie durch seine szenische Vitalität.

Poster/Verleih  Warner Bros. GmbH

zu sehen: Babylon Kreuzberg; CinemaxX Potsdamer Platz; Delphi Filmpalst und Delphi Lux; Eva Lichtspiele; Filmtheater am Friedrichshain; Hackesche Höfe Kino; Kino in der Kulturbrauerei;Passager Neukölln; UIC Colosseum; Yorck-Kino

Knallbunter Zirkus: ‚Hänsel und Gretel‘ in der Deutschen Staatsoper***

12. Dezember 201724. Juni 2018TheaterkritikenNo Comments

HänselDer Zuschauerraum in der frisch renovierten Staatsoper glänzt in Weiß-Rot-Gold. Die Bühne dagegen  (einschließlich Proszenium und Orchestergraben) ist eine riesige, dunkle Höhle, voll bestückt mit winzigen, funkelnden Sternen. Im Hintergrund ein roter Theatervorhang, dahinter eine Leinwand, auf der zu Beginn der Dirigent als Video-Biild den Auftrittsapplaus des Publikums entgegennimmt, und danach sich allerlei überblendende, halb abstrakte Schwarz-Weiß-Zeichnungen abwechseln. Putzige Tiere hüpfen herein: eine große weiße Katze (mit Mäusen auf der Zunge), ein Huhn, ein Bär, ein winziger Frosch. Hänsel und Gretel, die sich singend und tanzend dazugesellen, gleichen lustigen Comic-Figuren: tragen den ganzen Abend über riesige, helle Schwellköpfe mit großen, beweglichen Kuller-Augen. Auch ihre dazwischen fahrende, zeternde Mutter Gertrud, die den Milchtopf aus Pappe umstößt und die Kinder in den Wald zum Beerensuchen jagt, gleicht einer grotesken Figur: mit kalkweiß geschminktem Gesicht, rotem Dutt und gleichfarbiger Riesen-Krinoline.

Regsseur und Ausstatter Achim Freyer schwört aller gewohnten, romantischen Märchenerzählung ab und beschwört stattdessen einen ostereierbunten Grotesk-Zirkus. Und dies im wörtlichen Sinn. Wenn Hänsel und Gretel im Wald ihren Abendsegen gebetet haben und von ihren vierzehn Englein träumen, dann erscheint ein peitschen- schwingender, dem Vater ähnelnder Zirkusdirektor mit winzigen Flügelchen auf dem grünberockten Rücken und lässt die putzigen Tierlein, die jetzt ebenfalls kleine Flügel tragen, um den Orchestergraben munter herum -paradieren. Eine schwarze Kreuz-Spinne tentakelt dazu hefigt in der Höhe. Auch das Knusperhäuschen und die dazugehörige Hexe zeigen sich in ungewohnter Erscheinung – statt Mandel und Lebkuchen wird ein rotes (Zucker-?)Herz angeknabbert und die böse Hexe erscheint als großer, blutroter Mund mit darüber gestülpter, dampfender Kaffetasse. Und als die Alte hinter dem Vorhang, auf den nun lodernde Flammen projeziert werden, verschwunden ist, hüpfen und tanzen die verzauberte, jetzt erlöste Kinderschar in bunten Strampelanzügen durch die sternenglänzende Bühnenhöhle und stimmen zusammen mit Hänsel. Gretel, den herbeieilenden Eltern und Tieren in den großen Schlußgesang ein  – eine fröhliche, leicht groteke, dico-bunte Bühnen-Show.

Auch Dirigent Sebastian Weigle darf sich in die folgende muntere Applaus-Ordnung einreihen, er hat geschickt das wuchtige Richard-Wagner- Orchester herab-gedimmt auf sängerfreundlichen Begleit-Ton und beschwingten Knusper-Walzer-Rhythmus. Die Gesangsrollen sind auf Grund der zahlreichen, dicht getakteten Vorstellungen doppelt besetzt, In den ersten Aufführungen waren Karin Wundsam und Elsa Dreißig das titelgebende Kinder-Paar: mit anmutigen Bewegungen und hellen, klaren Stimmen unter ihren weißen Schwell-Köpfen, die sie erst beim Schlußbeifall abnehmen durften.  Auch das übrige Ensemble einschließlich des hauseigenen Kinderchores  zeigte sich gutgelaunt und bestens in Form.

Eine typische Achim-Freyer-Produktion: ein farbiger, verspielter, schräger Bühnen-Zirkus, der Spaß macht, aber kaum berührt.

Engelbert Humperdinck´s Musik jedoch schildert eine andere Welt – nämlich die eines romantischen Märchens. Mit viel Gefühl und – vor allem – Herzlichkeit.

Foto: Monika Rittershaus / Deutsche Staatsoper Berlin

Premiere: 8.Dezember 2017, weitere Vorstellungen: 11./ 12./ 23./ 25./ 29. Dez.2017

Mit Chuzpe und Herz: ‚Anatevka‘ in der Komischen Oper Berlin****

6. Dezember 201724. Juni 2018TheaterkritikenNo Comments

AnatevkaEin Junge im grünen Kapuzen-Pulli rollert über die Bühne. Dann öffnet er eine große Schranktüre, darin versteckt findet er eine Geige. Er spielt darauf die ersten Töne: gleichsam ein „Fiddler on the Roof“. Unterbrochen von starkem Klopfen öffnet der Junge die Türe nocheinmal: jetzt erscheint unter fröhlichem Kichern Tevje, der Milchmann, mit Schläfenlocken und Hut. Er könnte der Ur-Ur-Großvater des Jungen sein, und er erzählt ihm von seinem Leben, seiner Familie und dem kleinen Stedl Anatevka im zaristischen Russland. Schon purzeln Tevjes Frau Golde, seine fünf Töchter, die Nachbarn und weitere Bewohner des kleinen Orts aus einen hochgetürmten Berg alter Schränke und Komoden, die Bühnenbilder Rufus Diwiszus auf die kreiselnden Drehbühne als fast surreale Skulptur gestellt hat . Tevje, arm wie eine Synagogenmaus, und immer hadernd mit seinem Gott („einerseits-andrerseits“) hält fest an Glauben und Tradition – gleichsam als Überlebens-Strategie. Doch die drei älteren Töchter sehen das ganz anders. Sie wollen nichts von Ehemännern wissen, die Vater und Mutter oder die geschwätzige Heiratsvermittlerin Jente für sie ausgesucht haben, von dieser Tradition halten sie wenig und wählen statt des reichen Fleischers, den armen Schneider oder den kommunistischen Studenten aus Kiew – denn Trditionen müssen sich auch ändern, um zu überleben. Wie Tevje dann auch im Gespräch mit seinem Gott einsieht. Nur als die dritte Tochter sich einem nichtjüdischen Russen verlobt, bricht Tevje jeden Kontakt mit ihr ab – hält an seiner jiddischen Tradition fest.

„Anatevka“ –  geschrieben nach Erzählungen von Scholem Alechem von Joseph Stein, komponiert von Jerry Bock – erlebte seine Uraufführung 1964 als Musical in New York. Nach der deutschen Erstaufführung 1968 in Hamburg, holte Walter Felsenstein 1971 das Werk an die Komischen Oper Berlin und schuf eine seiner legendären Inszenierungen, die mit großem Erfolg siebzehn Jahre lang auf dem Spielplan stand (bis 1988). Geschickt hat nun Intendant Barrie Kosky seine Neuinszenierung in dieser Spielzeit angesetzt, die zugleich die 70. der Komischen Oper ist und damit ein doppeltes Jubiläum publikumsträchtig für Haus und Werk kreiert.

Regisseur Barrie Kosky, dessen Vorfahren einst aus einem russischen Stedl nach Australien auswanderten, erzählt die alten Familien- und Lebens-Geschichten aus Anatevka mit viel Fingerspitzengefühl. Im rasanten ersten Teil birst die Drehbühne mit ihrem vielfältig bespielbaren Möbelturm fast vor turbulentem Kleinstadtleben, turteln und zanken sich die unterschiedlichen Paare, versucht die Heiratsvermittlerin ihre schrägen Geschäfte zu arrangieren, träumt Tevje davon: „wenn ich einmal reich wär“, wirbeln die Tänzer wild über Tisch und Stuhl, sprüht der jiddische Humor und singen gemeinsam die Nachbarn bei festlichem Speis und Trank. Der (kürzere) zweite Teil schildert dann wie die Juden aus ihren Stedl vertrieben werden und wie Tevjes Familie und ihre Freunde diese Progrome erstaunlich fatalistisch erdulden und sich in alle Welt zerstreuen. Keine Feier mehr, keine Tänze: die Möbel sind abtransportiert, die Bühne wird zur grauen Schnee-Landschaft, melancholisch erklingen am Schluß die Geigentöne des nun einsamen, jungen „Fidler on the Roof“.

Klug hat Barrie Kosky dieses „Schauspiel mit Musik“ in den beiden zentralen Rolles nicht mit Opernstimmen besetzt, sonderm mit singenden Schauspielern (leider mit Mikroport). Max Hopp ist ein fast noch jungendlicher Tevje, mit schlanker (Sing-)Stimme und pointiert serviertem, pfiffig-jüdischem Wortwitz. Dagmar Manzel spielt Golde (eher eine Nebenrolle) mit schnoddrig-resoluter Herzlichkeit. Alle übrigen Personen werden treffsicher von Ensemble der Komischen Oper verkörpert , oft sind es nur kleine Auftritte, die aber höchst präsent und eindringlich wirken. Der Chor (einstudiert von David Cavelius) ist wie immer sehr beweglich, die Tänzer (Choreographie: Otto Pichler) fabelhaft, das Orchester unter Koen Schouts tifft den Klezmer-Ton perfekt, ob im melancholischen  Nachklang oder im rauschend-wirbelden Hochzeits-Takt.

„Anatevka“ wird auch diesmal einen Siegeszug feiern können. Dank Barrie Koskys gekonnter Mischung aus historischen, leicht verklärten Geschichten und schmissig serviertem Unterhaltungstheater. Und nicht zuletzt dank des – wiede einmal – prächtig agierenden Ensembles der Komischen Oper: Masel tov!

Foto: Iko Freese / drama-berlin.de / Komische Oper Berlin

Premiere: 3.Dez.2017, weitere Vorstellungen: 5./ 6./ 9./ 16./ 21./ 22./ 27./ 29./ 31.Dez.2017

Im düsteren Breitwand-Format: ‚Le Prophète‘ in der Deutschen Oper***

1. Dezember 201724. Juni 2018TheaterkritikenNo Comments

ProphetMit dem Musikdrama „Der Prophet“ beendet die Deutsche Oper Berlin einen über mehrere Spielzeiten verteilten Zyklus von vier Opern des legendären Komponisten Giacomo Meyerbeer, dem Hauptvertreter der französischen „Grande Opera“ im 19.Jahrhunderts. Werke, die auf Grund ihres Aufwandes nur selten im Repertoire auftauchen und deren musikalische Gestaltung lange Zeit für zweitrangig angesehen wurden, (Ausnahmen wie die umjubelte, popig-elegante Inszenierung der „Hugenotten“ von 1987 an der Deutsche Oper scheinen diese Vorbehalte nur zu bestätigen.) Auch die innerhalb des neuen Zyklus präsentierten Aufführungen überzeugen nur partiell und lassen manche Fragen offen.

„Der Prophet“ (UA.:1849 in Paris) schildert die historische Episode der grausamen Herrschaft der reformatorischen Wiedertäufer-Sekte im westfälischen Münster sowie deren gewaltsames Ende 1535. Die Oper verknüpft diese Gottes-Staats-Revolte mit dem (erfundenen) privaten Schicksal eines ihrer Anführers, dem Niederländer Jan van Leiden. Nach Meyerbeers und seinen Co-Autors Eigène Scribes Libretto steht der holländische Schankwirt Jan zunächst den Wiedertaufern, die in Gestalt einer strengen Drei-Mann-Gruppe bei ihm auftauchen, skeptisch gegenüber. Doch als ein Adliger seine Braut Berthe entführt und vergewaltigt, schließt er sich der aufsändischen Volks-Meute an, erobert Münster, wo die Wiedertäufern ein brutales „Gottes-Reich“ errichten, in dem nackte Gewalt regiert, und geht als die kaiserlichen Truppen die Stadt zurückerobern, zusammen mit seiner ehemaligen Braut Berthe und seiner treuen Mutter Fidés unter:  in der neuen Inszenierung an der Deutschen Oper erschießt er sich selbst, auf die gewaltige, alles zerstörende Pulver-Explosion des Originals wird verzichtet.

Der französische Regisseur Olivier Py und sein Ausstatter Pierre-André Weitz verlegen die Story in eine heutige, ziemlich triste Stadtlandschaft, Die ständig kreiselnde Drehbühne gibt Blicke frei auf nackte Hauswände, eine kleine Bar, ein leeres Schlafzimmer, die nackten Räume einer Militär-Kaserne sowie – am Ende – einen großen leeren Raum (im Libretto: das Innerer des Doms zu Münster). Gelegentlich hellen ein paar bunte Reklame-Tafeln die düstere Atmosphäre auf. Der große Volks-Chor in schlicht-farbloser Kleidung postiert sich vorwiegend in breiter Linie an die Rampe, singt direkt ins Publikum und auch die Solisten verharren – oft symmetrisch arrangiert – auf der Vorderbühne mit kurzem Blick-Kontakt zum Dirigenten. Dafür hechten ein knappes Dutzend Tänzer als halbnackte Soldaten über Hauswände, Etagen und Balkone, treiben Waterboarding und andere Gewaltakte, schleppen Särge von links nach rechts oder üben mit ihren Nutten wilde Nahkämpfe  – und ersetzen dadurch auch – unter Beibehaltung der gesamten Musik – das ländlich-hübsche „Schlittschuh-Läufer“- Ballett des Originals auf alberne Weise (was zu kräftigen Buh-Rufen im Publikum führt). Meyerbeers vielfältig-bunter Bilderbogen, mal ganz unverbunden folkloristisch-lyrisch, mal revolutionär-dramatisch, wird hier zum düstern Breitwand-Thriller eingedampft.

Animierender fällt die musikalische Seite des Abends aus. Dirigent Enrique Mazzola beweist viel Sinn und Gefühl für Meyerbeers Musik, für die farbige Mischung aus zarter Lyrik und dramatischer Steigerung, für das stilistisches Pendeln zwischen eleganten Belcanto-Koloraturen und psychlogisch motiviertem, hochgepuschtem Ausdruck. Mazzola beachtet die leisen, instrumentalen Zwischentöne ebenso wie die auftrumpfenden Schmetter-Finali, er ünterstützt dezent die melodiesatten Arien und Duette der Solisten, und animiert mit Verve die Klang-Pracht der Chöre. Über einzelne Tempi lässt sich streiten,, doch der Gesamteindruck überzeugt und bringt Meyerbeers so sensible wie gefällige  Musik zu bester Wirkung.

Von den zahlreichen Solisten überzeugen vor allem Clémentine Margaine als taffe Mutter Fidés mit kraftvollem, in der Höhe fast metallischem Mezzo und Elena Tsallagova in der Rolle der vergewaltigten Braut Berthe durch ihren klaren, runden Sopran. Diese Ausdruckskraft der beiden Frauen und Ensemble-Mitglieder erreicht die Männer-Riege nicht,  .Vor allem Gregory Kunde in der Titelrolle des „Propheten“ Jan van Leiden vermag die Unebenheit seiner Gesangslinie durch trompetengleiche Spitzetöne nur mühsam zu kaschieren. Seth Carico als baß-bariton-lastiger Bösewicht bleibt zu blaß

Giacomo Meyerbeer, gebürtiger Berliner und französischer Star-Komponist seiner Zeit ist auch nach diesem ehrgeizigen und aufwendigem Zyklus an der Deutschen Oper eine weiterhin zu knackende Nuss – vor allem für Regisseure. Sänger und Musiker dagegen finden offensichtlich leichteren Zugang zu seinen opulenten Spektakeln und „Großen Opern“.

Foto: Bettina Stöß / Deutsche Oper Berlin

Premiere: 26.November 2017; weitere Vorstellungen: 30.Nov.; 3./ 9./16. Dez.2017

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