Rainer Allgaier

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Monat: Juni 2014

Mit Lack und nackter Haut: ‚Don Juan‘ – das Staatsballet in der Komischen Oper***

25. Juni 2014TheaterkritikenNo Comments

Rund 3000 Bearbeitungen des „Don Juan“-Stoffes will ein französischer Forscher in den unterschiedlichsten Kunst-Bereichen gezählt haben. Jetzt hat zum Abschluss der Intendanz von Vladimir Malakhov auch das Staatsballett Berlin sich des spanischen Verführers bemächtigt: seit Wochen wirbt ein Plakat mit dem jungen Haupt-Darsteller – nur mit einer Halskrause bekleidet – für die Aufführungs-Serie im Haus der Komischen Oper.
Viel Neues erfährt der Zuschauer über die fast mythische Figur des Don Juan oder Don Giovanni (wie sein italienischer Name lautet) allerdings nicht. Auch wenn im Programmheft behauptet wird, dass es um menschliche und philosphische Fragen, um Schein und Sein, um barockes Theater und gegenwärtige Realität gehe – im Gegensatz dazu läuft auf der Bühne eine ebenso vordergründig-schlichte wie effektvolle Show ab: wie sich Don Juan aus Schlafzimmerfenstern hangelt (als raffinierter Spiegeleffekt), wie er eine Donna nach der anderen mit kühlem Gleichmut auf Tisch- oder Grabplatte legt, wie er seinen drolligen Diener Zanni mit arroganter Geste umherscheucht und wie er zum bösen Schluss in der Hölle landet – von allerlei Teufelskerlen mit nackten Hintern  feurig umschlängelt.
Eine schrille Show vor bläulich-düsteren Wänden mit vielen auf- und zuklappenden Türen und – das ist der Clou – mit sexy Fantasy-Kostümen, die vorzugsweise viel freie (vor allem männliche) Haut präsentieren – Don Juan in der Berliner Club-Szene?
Choreographiert hat diese schwarze Revue der Italiener Giorgio Madia, der mit dem Staatsballet in der Komischen Oper einst „Alice“ in ein buntes Wunderland hüpfen und den „Zauberer von Oz“ auf einem popigen Regenbogen tanzen liess . Seine Choreographie beruht auf klassischer Basis, immer hübsch und gefällig, nie tiefschürfend, doch temporeich und knallig arrangiert.
Die Tänzer sind nicht übermässig gefordert, überzeugen aber durch schöne und geschmeidige Haltung – das Diener-, Nonnen-, Furien-Ensemble ebenso wie die verführten Damen Elena Pris (Anna), Nadja Saidakowa (Elvira), Ileana Montagnoli (Isabella) und Iana Salenko (Elisa). Elegant durchschreitet Leonard Jakovina als Don Juan – nun ohne Halskrause aber mit tiefem Rückendekollté – die düstere Szene, während Michael Banzhaf als ihn begleitender Teufel dämonisch auftrumpfen darf – natürlich mit blanker Haut und umgeschnallten Gemächt.
Doch der gewiefte Choreograph Madia weiss, dass auch in einer böse endenden  Sex-Story der Humor nicht fehlen darf, und so zieht Vladislav Marino als Diener Zanni alle Lacher auf seine Seite: ein putzmunterer Arlechino, direkt aus der alt-italienischen Comedia del´arte entspungen, ein vituoses, purzelbaum-schlagendes Gummi-Kasperl – und Liebling des Abends, vom Publikum herzlich gefeiert.
PS. Die Musik stammt von Joseph Hayden – von der gelegentlich live auftretenden (und spielenden) Wiener Geigerin  Lidia Baich zusammengestellt – und tönt leider allzu grell als Konserve aus dem Lautsprecher. Dennoch: viel Beifall.

Foto: Yan Revazov/ Staatsballett Berlin

nächste Vorstellungen: 26./30.Juni/ 02./06.Juli 2014

Lokale INFEKTION! ‚Footfalls/Neither‘ im Schillertheater (Staatsoper)***

23. Juni 2014TheaterkritikenNo Comments

Zur Vorgeschichte: 1976 inszenierte der irische Nobelpreisträger Samuel Beckett sein kurz zuvor in London uraufgeführtes Stück „Footfalls“ in der Werkstatt des Schillertheaters – deutscher Titel: „Tritte“. Es ist der knappe Dialog einer ständig hin- und her wandernden Tochter mit ihrer (nicht sichtbaren) rund 90jährigen Mutter, ohne dass dabei allzuviel über Leben und Verhältnis der beiden Frauen zu erfahren wäre.
Der US-amerikanische Komponist Morton Feldman (1921 – 1986) – auf der Suche nach einem Text für eine Oper – lernte Beckett bei einem Probenbesuch im Schillertheater  kennen und, obwohl beide Künstler die Oper in ihrer traditionellen Form ablehnten, versprach Beckett, sich die Sache zu überlegen. Einige Wochen später, der Komponist war wieder in Amerika, erhielt er vom irischen Autor eine ‚postcard‘ auf deren Rückseite 87 Wörter in knapper Versform standen – kein Gedicht, kein Libretto mit konkreter Handlung. Dennoch schuf Feldman daraus „An Opera in one Act“, die 1977 in Rom uraufgeführt wurde.
Ein hoher Sopran singt die Beckett’schen Worte als reine Vocalisen, unterlegt von meist sanften Klangflächen mit vielfältigen Ton-Repetitionen mittels eines grossen Orchesters, wobei häufig nur die einzelnen Instumentalgruppen wie Streicher, Bläser oder Schlagwerk eingesetzt werden. Da ein kontinuierlicher Handlungsablauf nicht zu erkennen ist, da Anfang und Ende offen scheinen, ist der szenischen Phantasie bei einer Bühnen-Realisierung kaum eine Grenze gesetzt.
Die viel beschäftigte, britische Regisseurin Katie Mitchell hat zur Grundlage ihrer Inszenierung die mit dem Schillertheater verbundene Entstehungsgeschichte des Werkes gemacht. Sie lässt zuerst das Schauspiel von Beckett spielen und schliesst die Feldman-Oper ohne Pause oder Zäsur daran an, gleichsam wie eine musikalische Fortsetzung des Stücks. Lief in „Footfalls“ die Tochter (Schauspielerin Julia Wieninger) vor einer schmucklosen Wand, an deren Seiten sich jeweils eine halboffene Türe befindet, ruhelos (und parallell zur Bühnenrampe) hin und her, so hebt sich diese Wand und zeigt weitere Wände mit den entsprechenden Seitentüren;  auch diese heben sich, vervielfachen sich in die dunkle Bühnetiefe. Immer mehr stumme Frauen laufen ebenfalls hin und her – mal im Gleichschritt, mal gegenläufig, oder sie verharren still nach strenger Choreographie: Becketts „Tritte“ gleichsam ver-sechsfacht.
In der selben einfachen, bodenlangen Kleidung wie die stummen Frauen mischt sich die Sopranistin Laura Aikins darunter, auch sie hin und zurückschreitend, ihre Vocalisen in teils extrem hoher Lage und mit berückenden Piani wie zarte Ton-Fäden durch den dämmrigen Raum spinnend. Die Staatskapelle unter Leitung des französischen Dirigenten Francois-Xavier Roth akzentuiert mal rhythmisch scharf oder lässt die sich wiederholenden Tonfolgen mal sanft kreiseln – immer auf transparente Klangschönheit bedacht.
Obwohl der gesamte Abend nur eine Stunde und 15 Minuten dauert, erschöpft sich die Idee, „Neither“ als streng choreographierte Vervielfachung von „Footfalls“ zu deuten, nach einer gewissen Weile – das ständige Hin- und Hergehen von kaum erkennbaren Frauengestalten auf der düsteren Bühne gewinnt einen esoterisch-feierlichen Beigeschmack und rückt die elegante Optik der Inszenierung in kunstgewerbliche Nähe.
Trotz dieser Einwände: eine für Musikfreunde lohnenswerte Begegnung mit diesem „Weder – noch“ – der einzigen und nicht oft gespielten Oper von Morton Feldman.

Foto: Stephen Cummiskey/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 24./27./29.Juni 2014

„Magere Hüften“ : ‚Lohengrin‘ bei INFEKTION! in der Schiller-Werkstatt /Staatsoper****

23. Juni 2014TheaterkritikenNo Comments

Eine Art modernes Melodram, das der renommierte, sizilianische Komponist Salvatore Scarrino (geb.1947) nicht nach Richard Wagner, sondern nach einer Erzählung des französischen Symbolisten Jules Laforgue (von 1887) eingerichtet hat. Einzige Person: die junge Elsa, die beklagt, das Lohengrin in der Hochzeitsnacht sich ihr nicht näherte, weil sie zu „magere Hüften“ habe und er sich dann auf einem Schwan reitend durchs Fenster entfernt habe, ins Reich der „metaphysischen Liebe“. Es bleibt offen, ob Elsa sich in einer psychiatrischen Klinik befindet oder ob sie nur tag-träumt.

Elsas Klage ist ein grosser, knapp 50 Minuten langer Monolog für eine weibliche Stimme: sie spricht in allen erdenklichen Tonlagen, wiederholt Worte, ahmt Geräusche nach, gluckst, keucht, zwitschert, rülpst und erst ganz am Schluss singt sie ein kleines Lied von den „Glocken an schönen Sonntagen“. Scarrino lässt dieses poetisch-abstrakten Selbstgespräch von einem kleinen Orchester begleiten (Leitung: Michele Rovetta), meist glitzernde Flagolletttöne oder zarte Bläserakzente, die die Worte und Laute Elsas  nicht untermalen, sondern zusammen mit ihrer Stimme die innere, dramatische Bewegung erzeugen.

Regisseur Ingo Kerkhof hat eine kleine Wohnung aufbauen lassen – Fenster, Bett, Bad – und zu Elsa noch eine zweite, stumme Figur hinzuerfunden: einen jungen Mann (Konstantin Bühler), der mal mit Elsa im Bett ruht oder sie ins Badezimmer begleitet – der halluzionierte Lohengrin? Auch hinter der weissen Tüllgardine schimmert gelegentlich der undefinierbare Schatten eines Mannes oder eines sich im Wind bewegenden Baumes. Wahn oder Realität?

Getragen wird der kurze Abend von der Schauspielerin Ursina Ladi (sonst Schaubühne) und ihrer fulminanten Stimm-Performance, die virtuos alle Möglichkeiten der Tonerzeugung zu einer musikalisch-leuchtenden, gewaltigen Wort-Arie fügt (in italienischer Sprache). Grosser, herzlicher Beifall.  

Foto: Thomas Jauk/Staatsoper Berlin

nächte Vorstellungen: 18./19./21. und 22.Juni 2014

Herzensbrecher: „Werther“ – die Deutsche Oper in der Philharmonie****

20. Juni 2014TheaterkritikenNo Comments

Im Grossen Haus in der Bismarkstrasse haben bereits die Sommerferien begonnen – die Bühne wird technisch erneuert. Darum Umzug in die Philharmonie mit zwei konzertanten Aufführungen von Jules Massenets französischem Musikdrama „Werther“ nach Goethes berühmtem Roman (UA: Wien, 1892). Im Mittelpunkt: der neue italienische Tenor-Star Vittorio Grigólo, der bisher in Berlin nur in einigen Repertoire-Vorstellungen aufgetreten ist.
Er präsentiert sich gekonnt als theatralisches Vollblut mit überschäumendem Bühnentemperament, der sein Publikum auch ohne Kostüm und Maske mitreisst. Aber er ist nicht nur die stürmisch-vitale „Rampensau“ – sondern auch ein fabelhafter Sänger, der mit feinesten Schattierungen die lyrischen Linien von Massenets eleganter Musik nachzeichnet. Und der es versteht, Werthers zerissenen Charakter musikalisch klug und subtil auszuloten, und seinen kraftvoll-männlichen, italienisch gepägten Tenor (mit strahlenden Spitzentönen) dem leichteren, französischen Idiom vorzüglich anzupassen. Chapeau!
Die übrigen Sänger des Abends können kaum mithalten gegenüber diesem fulminante Werther. Die Charlotte der Ekaterina Gubanova, ein schöner, ausgeglichener Mezzo, wirkt kühl und distanziert, John Chest als Rivale Albert bleibt trotz seines samtenen Baritons als Rolle zu klein, um ein echtes Gegengewicht zum Titelhelden gestalten zu können. Dagegen klingt der hohe Sopran der Stipendiatin Shiobhan Stagg leicht und frisch, wenn sie auch als Figur (Charlottes junge Schwester Sophie) recht unpersönlich bleibt. Alle anderen Mitwirkenden sind blosse Stichwortgeber. Generalmusikdirektor Donnald Runnicles, der schon öfters seine Vorliebe für das französiche Repertoire erfolgreich gezeigt hat (Berlioz!), tut sich – wie auch das Orchester – diesmal schwer: zu dunkel und dramatisch entfaltet sich der Klang, Massenets helles, geschmeidiges Flair stellt sich nur selten ein.
Dennoch, nach fast drei Stunden viel Beifall für das gesamte Ensemble und grosser Jubel für Vittorio Grigolo, der die ihm überreichten Blumen effektsicher ins Publikum zurück wirft – A Star is born!

Foto: Bettina Stoess/Deutsche Oper Berlin

Mit plakativer Wucht: ‚Die Soldaten‘ in der Komischen Oper Berlin ****

16. Juni 2014TheaterkritikenNo Comments

Eine Monster-Oper: musikalisch aufwendig und schwierig. Bis zu ihrer Uraufführung 1965 in Köln duch den wagemutigen Dirigenten Michael Gielen galten „Die Soldaten“ des Zwölftöners Bernd Alois Zimmermann als unspielbar. Zwar gibt es fast 50 Jahre danach keine spiel-technischen Hindernisse mehr für Musiker und Sänger,  dennoch ist jede Aufführung eine riesige Herausforderung für alle Mitwirkenden. Und auch wenn die jetzt vorgestellte Inszenierung (klugerweise) „bloß“ eine Übernahme aus Zürich und Stuttgart ist, so bleibt überaus bewunderungswürdig, wie souverän das umfangreiche Ensemble der Komischen Oper diese Riesen-Aufgabe meistert.
Regisseur Calixto Bieito hat sich auf der offenen  Bühne ein grosses, vielteiliges Gerüst aus Eisenstangen mit mehreren unterschiedlichen Emporen bauen lassen. Darauf platziert er das über 100-köpfige Orchester und den Dirigenten – gekleidet in einfache, heutige Soldaten-Uniformen. Der überdeckte Orchestergraben wird zur (leeren) Vorderbühne, auf der die traurig-tragische Geschichte von der (Bürgers-)Tochter Marie vorgeführt wird. Wie sie aus sozialem Ehrgeiz immer neue (adlige) Offiziere zu Liebhabern nimmt, immer wieder verlassen und schliesslich von rüden Soldaten misshandelt und vergewaltigt wird und wie sie am Ende als Bettlerin auf der Strasse nicht einmal mehr von ihrem Vater wiedererkannt wird.
Bernd Alois Zimmermann benutzt ein Schauspiel aus dem 18. Jahrhundert als Vorlage für sein musikalisches Menetekel gegen Krieg und die dadurch erfolgte Verrohung des Menschen, ein Aufschrei gegen die Gewalt nicht nur von und unter Soldaten, sondern auch gegen vielfältige Mißhandlungen, die sich alle Menschen gegenseitig zufügen. Es ist eine sehr pessimistische Weltsicht, die kaum Hoffnung zulässt, dass der Kreislauf des Bösen durchbrochen werden könnte.
Regisseur Bieito – skandalberüchtig – verzichtet auf allzu realistisch-gezeigte Grausamkeiten, deutet eher abstrakt und pantomimisch die sadistischen Spiele und brutalen Demütigungen an – allerdings so dick aufgetragen und plakativ, daß daraus eine theatralisch-aufgepumpte Horror-Picture-Show wird, die kaum echte Betroffenheit oder gar Nachdenklichkeit auszulösen vermag – eigentlich doch die Absicht von Zimmermanns unkonventioneller Oper.
Doch das eigentliche Zentrum des Werkes ist die Musik. Die hochkomplizierte (auch musiktheaorethisch unterfütterte) Partitur ist in ihrer Vielschichtigkeit (an einem Abend) jedoch kaum zu erfassen. Sie kombiniert fast alle Möglichkeiten des Musizierens und  fast jeden Stil (von Bach bis Jazz), mischt Elektronisches mit raffiniertem Schlagwerk, hört sich mal kakophonisch laut, mal sensibel-zart an und erfordert von den Musikern und vor allem vom Dirigenten höchste Konzentration. Gabriel Feltz meistert die scheinbar unmögliche Anforderung (auch mit Hilfe eines zweiten Dirigenten in der ersten Zuschauerreihe, der den Sängern auf der Vorderbühne den Einsatz gibt). Dabei hält er das Orchester zu expressivem Musizieren an. Beim Schlußbeifall erscheint er im sichtbar durchgeschwitzten, grünen Soldatenhemd.
Von den zahlreichen Solisten, der als Rockerbande bestens einstudierte Herrenchor miteingeschlossen, überzeugen besonders Tom Erik Lie als von Marie zurückgewiesener Bräutigam Stolzius sowie Martin Koch und Günter Papendell als arrogante Offiziere. Nöemi Nadelmann kehrt als böse Gesellschafts-Zicke mit spitzen Tönen an die Komische Oper zurück. Die Krone aber gebührt der dänischen Sängerin Susanne Elmark, die den menschlichen und sozialen Abstieg und Untergang der Marie vom naiven Teenager zur ausgegrenzten Un-Person mit klarem Sopran und darstellerischer Intensität höchst eindrucksvoll nachvollzieht.
Ein gewichtiger Abend – für den Zuschauer musikalisch nicht leicht zu erschliessen, dafür szenisch effektvoll, wenn auch ziemlich vordergründig.

Foto: Komische Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 20./25.Juni// 1./9.Juli 2014

Im Pailletten-Korsett:’Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny‘ in der Staatsoper (Schillertheater)**

13. Juni 2014TheaterkritikenNo Comments

Statt der berühmten Brecht-Gardine gleiten Perl-Vorhänge unentwegt auf der fast leeren Bühne des Schillertheaters auf und ab. Spiegel-, Beleuchtungs- oder Video-Effekte beleben (meist abstrakt) diese glitzernd-beweglichen Wände. In der Mitte ein erleuchteter Türbogen, der mal ins Bordell, mal ins Gericht führt. Die Goldgräberstadt als Revue-Palast – entsprechend treten die Frauen in pompös-popigen Kleidern und knallbunten Perücken auf, die Männer dagegen in schlichten dunklen Anzügen mit Bowler. Leokadja Begbick, eine Matrone in Silberlamé, beherrscht das rüde Geschäft mit Fressen, Lieben, Boxen und Saufen – nur das Geld zählt, Kapitalismus pur. So auch als Jim Mahoney sein erarbeitetes Gold verprasst hat: kaltblütig wird er zum Tode verurteilt und erhängt – seine Liebe zur Hure Jenny bleibt nur ein melancholisches Apercus.
Als Bertold Brecht und Kurt Weill diesen „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ 1929/30 schufen, wollten sie Front gegen die vorherrschende (bürgerliche) Opern-Tradition machen: statt schwelgerischem Genuß, distanzierende Aufklärung über gegenwärtige Zustände – allerdings noch ohne den späteren (kommunistischen) Gegenentwurf. Die Musik: eine schwungvolle Mischung aus Songs, Jazz und aktuell-moderner Tonsprache.
Doch was in den späten Zwanziger-Jahren als neu und mitreissend, agressiv oder progressiv empfunden wurde, pendelt in der Neu-Inszenierung der Staatsoper nur noch zwischen gefällig und langweilig.
Regisseur Vincent Boussard sorgt zwar für ständige Bewegung, lässt die zahlreichen Goldgräber und Nutten über die in changierendes Licht getauchte, halbdunkle Bühne wuseln, bleibt aber dabei im bloss Dekorativen stecken. Der Modeschöpfer Christian Lacroix entwarf für die Damen voluminöse Show-Roben mit vielen, glitzernden Pailletten – schick, aber kaum charakteristisch für die jeweiligen Rollen.
Auch die Sänger-Darsteller vermögen der aufgebrezelten Revue keinen echten Schwung verleihen. Gabriele Schnaut als Begbick: eine füllige Wagner-Heroine im Silber-Look; Evelin Novak als Jenny: eine brave, junge Frau ohne jede Ausstrahlung; allein Michael König als Jim überzeugt durch seinen kraftvollen Tenor, als Darsteller wirkt er blass. Der britische Gast-Dirigent Wayne Marshall heizt Chor und Orchester meist kräftig an, bleibt insgesamt aber undifferenziert.
Ein Abend der Unentschiedenheit – bunt und belanglos.

Foto: Matthias Baus /Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen:15./20./25.Juni 2014

Unter Männern: ‚Billy Budd‘ in der Deutschen Oper Berlin***

1. Juni 2014TheaterkritikenNo Comments

Die Oper von Benjamin Britten (uraufgeführt 1951 in London) beruht auf einer Erzählung des Amerikaners Herman Melville. Sie spielt auf einem Kriegsschiff im Dienst des englischen Königs während der Napoleonischen Kriege. Der zwangsrekrutierte, neue Matrose Billy Budd, ein freundlich- naiver Sunnyboy, wird von den Mit-Matrosen sehr bewundert und geschätzt, erregt aber das Misstrauen des bösartigen Waffenmeisters Claggart. Dieser versucht ihn beim hochangesehenen und erfahrenen Kapitän Vere der Meuterei anzuschuldigen. Als Vere daraufhin Billy mit Claggert konfrontiert, kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der erregte Billy seinen Ankläger Claggert durch einen Faustschlag tötet. Vere verurteilt Billy zum Tod durch Erhängen – ob er dazu durch das Gesetz gezwungen war, ob er der Umstände wegen Gnade hättte gewähren können, oder ob er in Zeiten der Revolution weitere Meutereien verhindern wollte, bleibt offen. Nach Billys öffentlicher Hinrichtung auf dem Schiffsdeck jedenfalls, fügen sich die murrenden Matrosen widerwillig der Schiffs-Obrigkeit. Im Epilog – Jahre später – räsoniert der altgewordene Kapitän Vere über seine damalige Entscheidung und tröstet sich damit, dass Billy das Todesurteil ohne Klage akzeptiert hat.
Die (in einer 1960 revidierten Fassung) zwei-aktige Oper konzentriert sich ganz auf die inneren Spannungen zwischen dem naiv-guten Billy Budd, dem böswilligen Claggart und dem Kapitän Vere, der Psychologie und Verhalten der beiden zwar klar durchschaut, aber im Umgang und Handeln mit dieser Situation unsicher ist und schwankt.
In Brittens Musik – tonal grundiert, mit ein paar Dissonanzen gewürzt – spielt das Meer die zentrale, begleitende Rolle -  ob lyrisch ruhig oder stürmisch bewegt. Matrosen-Lieder oder Schiffs-Signal-Töne werden raffiniert einbezogen, die Männer-Chöre der Seeleute schäumen immer wieder effektvoll auf.
Donnald Runnicles leitet das klangvoll aufspielende Orchester der Deutschen Oper  sicher durch Brittens mal still leuchtende, mal stürmisch rauschende Meereswogen. Wuchtig der von William Spaulding einstudierten Herren-Chor, einschliesslich eines Ensembles frisch klingender Knaben. John Chest singt mit weichem Bariton einen blond-empfindsamen Billy Budd, Gidon Saks überzeugt als Jago-ähnlicher, dunkelstimmig-teuflicher Gegenpart Claggert und Burkhard Ulrich charakterisiert mit seinem hellen Tenor den zwischen Gesetz, Recht und Gnade schwankenden Kapitän Vere.
Die Inszenierung von David Alden ist eine Übernahme von der Englischen Nationaloper London, wo sie im Juni 2012 Premiere hatte. Der Regisseur versucht geschickt zu abstrahieren, die Geschichte zwar real nachzuerzählen, aber zugleich ins Allgemeine zu übertragen. Die verdeckten homoerotischen Motive im Verhältnis der Männer untereinander werden angedeutet, spielen aber nur eine untergeordnete Rolle. Die (Einheits-)Bühne von Paul Steinberg wird beherrscht von einer hölzernen, balken-verstärkten Schiffs-Bauch-Wand, die Kostüme – meist dunkle Hosen, Jacken oder lange, matt glänzende Mäntel – passen zu jeder Epoche zwischen 1797 (dem Jahr von dem im Prolog die Rede ist) und heute. Die Personen singen meist direkt ins Publikum, ihre Bewegungen sind eher zeichhaft, dennoch dramatisch aufgeladen: Matrosen klettern und ziehen dicke Taue, der Kapitän hält Kriegs- und Gerichtsrat in einer schmalen, weissen Zelle, aus einem riesigen Kannonenrohr knallt kurz einmal ein Kugelblitz, Billy Budd räsonniert nach seiner Verurteilung hoch zwischen den Schiffs-Wand-Balken gleichsam wie in einer Todeszelle und am Ende, im Epilog, sinkt der alte Kapitän Vere vor einer herabgelassenen, pechschwarzen Wand stumm und tonlos zu Boden.
„Billy Budd“ – eine selten gespielte Oper, ein wenig plakativ in Bild und Ton, aber überzeugend in ihrem menschlichen Impetus.

Foto: Marcus Lieberenz /Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 3./ 6.Juni 2014

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