Rainer Allgaier

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Monat: Oktober 2013

Gelungenes Heimspiel: ‚Sacre‘ von Sasha Waltz in der Staatsoper im Schillertheater****

27. Oktober 2013TheaterkritikenNo Comments

Tosender Beifall, stehende Ovationen am Ende des anderthalb-stündigen Abends – die Berliner Kultur-Begeisterten haben ein neues Traumpaar gefunden: Sasha Waltz und Daniel Barenboim. (Richard Wagners Musikdrama „Tannhäuser“ soll als weitere gemeinsame Arbeit im April nächsten Jahres folgen.)
Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums von Igor Strawinskys Ballett „Le sacre du printemps“ (UA: 29.Mai 1913 in Paris) hat die Berliner Choreographin erstmals das legendäre Stück inszeniert, zunächst auf Einladung von Valery Gergiev für die Truppe des Mariinsky-Theaters in St.Petersburg. Nach Vorstellungen in Paris und Brüssel erfolgt nun die Premiere in Berlin, jetzt getanzt von der eigenen Truppe und ergänzt um zwei kurze Choreographien zu Musik von Debussy und Berlioz, die dem „Sacre“ vorgeschaltet werden. Ob eine solche Ergänzung zu einem dreiteiligen Theater-Abend glücklich oder notwendig (Kasse!) ist, mag dahingestellt sein.
Im „Nachmittag eines Fauns“(Debussy) wiegen sich in äusserst langsamen, schlingernden Bewegungen 13 Tänzerinnen und Tänzer in knappen Trikots vor einer in kräftigen Farben abstrakt bemalten Wand – gefällig anzusehen, aber die Zuschauer auch etwas ratlos zurücklassend. Danach die „Scene d´amour“ aus Berlioz dramatischer Symphonie „Romeo et Juliette“, die Sasha Waltz 2007 für die Pariser Oper erarbeitet hat: ein elegischer, lyrischer Pas-de-deux, fast im Stil eines klassischen Balletts -  in Berlin von zwei Solisten der Mailänder Scala (Emmanuela Montanari und Antonino Sutera) elegant präsentiert: ein hübsches ‚Hors d´Oeuvre‘, das jedoch nicht richtig satt macht, obwohl Daniel Barenboim mit der klangschön spielenden Staatskapelle beide Werke äusserst delikat musiziert.
Nach der Pause dann der grosse Kontrast : Strawinskys „Frühlingsopfer“. Dabei legt Sasha Waltz den Schwerpunkt auf das „Opfer“, und zwar während des gesamten Stücks, den „Frühling“ – also die Natur-Kräfte – deutet sie lediglich als düsteren Hintergrund an. Die Bühne ist ein schmuckloser, schwarzer Raum, von diversen Scheinwerfern in unterschiedlichen und wechselnden Lichtstärken beleuchtet. 28 Tänzerinnen und Tänzer verschiedenen Alters – darunter auch die beiden eigenen, halberwachsenen Kinder der Choreographin – ballen sich immer wieder zu Gruppen in unterschiedlicher Stärke; Gruppen, die einzelne Personen brutal ausstossen oder (tödlich?) umschliessen. Die Frauen tragen schmale, hochgeschlitze Etui-Kleider, die Männer lange Hosen – alles zunächst in blassen, gedeckten Farben – erst gegen Ende ziehen einige Tänzer purpur-violette Mäntel über. Entsprechend der von Barenboim oft grell ausgespielten Musik (Blechbläser!) hasten, springen, hechten die Tänzer in immer neuen Formationen über die Bühne, steigern sich in einen Bewegungs-Rausch hinein, ächzen, stöhnen laut vernehmlich – ein wildes, düster-archaisches Ritual, das im Opfer einer einzelnen, fast nackten Frau endet, die sich zu Tode tanzt, während die Masse bewegungslos im Hintergrund zuschaut.
Sasha Waltz zeigt in ihrer ‚Sacre‘-Inszenierung eigentlich nichts radikal Neues, sie formt aber aus den seit der Uraufführung des Werkes entstandenen Interpretations-Ideen und Bewegungs-Erfindungen eine sehr eigenwillige und in sich geschlossene Darstellung, voll energetischer Spannung und schier platzend vor abstahlender Kraft. Mit diesem „Sacre“ gelingt Sasha Waltz ein überzeugendes, zeitgenössisches Tanz-Drama – perfektioniert wahrscheinlich durch die enge, fast symbiotische Zusammenarbeit mit den eigenen Tänzern.

Foto: Bernd Uhlig/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellung: 02. Nov. 2013 (ausverkauft); weitere Vorstellungen im Nov. 2014

Ausstattungs-Orgie: ‚Der Nussknacker‘ beim Staatsballet in der Deutschen Oper***

26. Oktober 2013TheaterkritikenNo Comments

Was den Opern-Freunden „Hänsel und Gretel“, das bedeutet den Ballett-Fans „Der Nussknacker“: ein alle Weihnachten wiederkehrendes Spektakel für Gross und Klein. 1892 wurde Tschaikowsky’s Klassiker in St.Petersburg uraufgeführt, damals allerdings mit geringem Erfolg. Und da Staatsballett-Chef Vladimir Malakhov schon immer einen ausgeprägten Hang zur russischen Tanz-Vergangenheit bezeugte, lag es nahe, dass er – in seiner letzten Berliner Spielzeit – die Uraufführung des Werkes von einem Spezialisten-Team aus Moskau und St.Petersburg gleichsam rekonstruieren lies.
Dieser neue „Nussknacker“ triumphiert in erster Linie als eine ungemein aufwendige Kostüm- und Bühnenbild-Show. Romantisch gepinselte altdeutsche Stadt-Ansichten, ein pompöser Biedermeier-Salon samt Riesen-Weihnachtsbaum, ein verschneiter Winterwald und eine neobarocke, zuckrig-goldene Schloss-Kulisse, dazu unzählige – oft sehr einfallsreich entworfene – vielfarbige Kleider und Umhänge, Fräcke und Uniformen, Tiermasken, Zirkus-Gewandungen oder Phantasie-Kostume für Engelchen, Blumenkinder oder silbern-glitzernde Schneeflöckchen. Auf der Bühne herrscht ständiges Kommen und Gehen, Auf- und Abtreten, Stolzieren und Tanzen, mischen sich Kinder, junge Nachwuchs-Eleven und das grosse Cops de Ballett – eine turbulente Revue für Auge und Ohr. Nur gelegentlich wird ein etwas altmodisch-eleganter Pas-de-deux oder sind kleinere Ensemble-Nummern ein-choreographiert – tänzerisch bleibt das Märchen eher bescheiden, auch wenn Iana Salenko als Clara und Marian Walter als ihr Nussknacker-Prinz durchaus gute Figur machen. Maitre de Plaisier aber ist Michael Banzhaf, der als effektvoll seinen Umhang schwingender Onkel Drosselmeier alle Fäden der märchenhaften Geschichte in der Hand hat, ob bei der Weihnachtsfeier, der Schlacht mit dem Mäusekönig oder beim grossen Verlobungs-Fest mit seinen bunt-nationalen Tanz-Einlagen, das dann in einem pomös-flimmernden Goldregen wahrlich glanzvoll endet.
Ein grosser Wurf ist dieser retrospektive „Nussknacker“ nicht und allzu oft muss die aufwendige Ausstattung die schwache Dramaturgie und die schmalspurige Choreographie dieses Ballett-Märchens überdecken. Doch die sich aufdrängende Frage: Kitsch oder Kunst? dürfte sich von selbst lösen – durch die einhellige Begeisterung des Publikums und die entsprechende Kartennachfrage an der Theater-Kasse.

Foto: Bettina Stöß/Staatsballett Berlin

nächste Vorstellungen:27.Nov.//06./11./17./25./27.Dez.2013//01.Jan.2014

Schrille Show: ‚Liberace‘ von Steven Soderbergh****

17. Oktober 2013FilmkritikenNo Comments

Steven Soderbergh’s Film ist keine Bio-Pic über den US-Entertainer Liberace, sondern schildert ausschliesslich dessen späte Beziehung zu dem jungen, angehenden Veterinärmediziner Scott Thorson, auf dessen Erinnerungen das Drehbuch basiert. Es sind etwa die letzten 10 Jahre in Liberace’s Karriere, der 1987 – am Ende des Films – im Alter von 67 Jahren in Palm Springs an Aids stirbt. Soderbergh zeigt vor allem, was „Behind the Candelabras“- so der Originaltitel – geschieht. Wie der alternde Glamour-Star, der seine Homosexualität in der Öffentlichkeit stehts verleugnet (sogar gerichtlich), privat aber in seiner ganzen Exaltiertheit ein unermüdlicher Jäger nach jungem Männerfleich ist. Wie er den unerfahrenen Scott durch ein Leben in unvergleichlichem Luxus gewinnt, verführt und adoptiert und wie diese glamouröse Beziehung des ungleichen Paares nach einigen Jahren immer mehr zerbröselt und endlich ganz zerbricht.
Die Kunst des Regisseurs und seines Drehbuchschreibers besteht dabei in der geschickt austarierten Balance zwischen Kitsch und Kunst, Realität und Groteske, durch die er vermeidet aus Liberace und seinem Liebhaber schrille Karikaturen zu machen -  obwohl der Lebensstil Liberace’s mit seinen pompösen Kronleuchtern, protzigen Juwelen, teuren Pelzen und ausgefallenen Kostüm-Kleidern, den zahlreichen Villen, Luxus-Autos, Privat-Flugzeugen leicht dazu verleitet. Auch die das Paar umgebende Entourage von Anwälten, Show-Gestaltern, Schönheitschirurgen, Freunden und Beratern wird in ihren Extravaganzen mit feiner Ironie, aber ganz real und sehr menschlich gezeigt. Und in einer wunderbar-leisen Szene taucht auch Liberace’s legendäre Mutter auf – klaglos vereinsamend in ihrem luxuriösen Pflegeheim.
Doch getragen wird der Film von seinen grossartigen Darstellern. Michael Douglas als Liberace – einerseits der selbstbewusste Superstar des Showbussiness, grosskotzig und affektiert, ein harter Geschäftsmann, andererseits vermag er grossen Charme und Herzlichkeit auszustrahlen – und er  besitzt viel schlagkräftigen Witz und Selbstironie. Mit spielerischem Furor bündelt Douglas all diese Facetten zu einer schillernden, anrührenden, zwiespältig-menschlichen Figur. Und Matt Demon ist ihm ein ebenbürtiger Partner, der die Naivität des jungen Liebhaber, dessen oft verzweifelte Selbstbehauptung, seine missglückten Fluchtversuche aus dem goldenen Käfig und die endgültige Niederlage überzeugend und glaubhaft verkörpert. Sehr sorgfältig sind die vielen Nebenrollen besetzt – scharf gezeichnete Typen oder Charaktere – nie zu Witzfiguren abgestempelt.
Steven Soderbergh, der auch sein eigener, brillanter Kameramann und Cutter ist, gelingt mit diesen (für einen Pay-TV-Sender prodzierten) Film ein ebenso genauer wie unterhaltsamer Blick auf die (gestrige wie heutige) amerikanische Gesellschaft – auf Sex, Lügen und ihre mediale Vermittlung.

Foto/Poster: DCM Filmverleih

zu sehen u.a.: CineStar Sony Center(OV); Hackesche Höfe Kino(OmU); Odeon(OmU); Rollberg(OmU); Astor Film Lounge; Blauer Stern Pankow; Capitol Dahlem; CinemaxX Potsdamer Platz; Titania-Palast; Cubix; Cine Star Tegel; Delphi

Flüchtlingselend und Menschenschmuggel: ‚Carmen‘ im Staatstheater Cottbus***

16. Oktober 2013TheaterkritikenNo Comments

Am Beginn schwarz-weisse Video-Bilder von überfüllten Flüchtlingsbooten in einem südlichen Hafen; dann auf der realen Bühne Frauen in schwarzen Burkas, Soldaten – das Maschinengewehr im Anschlag – Fabrikarbeiterinnen in Kittelschürzen : Bizets romantische Tragödie vor aktueller Kulisse. Zwar starrt Don Jose zunächst auf seinen Laptop, doch bald wird er ganz konventionell von Carmen ‚angemacht‘ und das bekannte Drama nimmt seinen Lauf. Im zweiten Akt bedienen Carmen und ihre Freundinnen in greller Folklore-Ausstattung die Männer in einer modisch-kühlen Bar, im dritten werden statt Waren verhuschte Menschen in und aus grauen Containern geschmuggelt, und im vierten und letzten Akt räkeln sich Carmen und der etwas füllige Toreador Escamillo im Lotterbett, während der Chor (in Abendgarderobe) von den Balkon-Logen des Prozeniums den Stierkampf, der offensichtlich hinter Bett und Bühne stattfindet, lautstark kommentiert.
Kurz: Carmen hat ein modisches Mäntelchen bekommen, aber darunter lockt, liebt und eifersüchelt es wie eh und je, mit feurigen Blicken, ausgestreckten Sänger-Armen und angedeuteden Flamenco-Schritten – auch wenn statt der Kastagnetten nur ein paar zerbrochenen Tellerscheiben benutzt werden dürfen. Matthias Oldag’s Regie und Ausstattung bleibt eine Mogelpackung – weder romantische Oper noch aktuelles Drama.
Darunter leiden auch die Sänger, müssen unter Umständen sogar – wie die beiden Zigeuner-Anführer – durch modisch-übertriebenes Out-Fit als lachhafte Karikaturen agieren. Im Mittelpunkt die Carmen der Marlene Lichtenberg: hübsche Figur, dramatisch-satter Mezzo, aber ohne die erotische Faszination, die sie auf Männer ausübt, nachvollziehbar machen zu können. Ein auch stimmlich attraktiver Don Jose ist der allseits bewährte Jens Klaus Wilde, am Schluss jedoch übertreibt er sein Eifersuchts-Spiel ins Groteske (hier hätte der Regisseur mässigend eingreifen müssen). Gesine Forberger als Micaela verkörpert eine sehr selbstbewusste junge Frau, die mit Roll-Koffer an – und bei dem tristen Spektakel, das sich ihr bietet, wahrscheinlich auch bald wieder abreist. Escamillo (James Roser als Gast) bleibt blass.
Lob aber verdienen Chöre und Orchester, die unter der zügigen Leitung von Marc Niemann, Bizet’s populäre Melodien effektvoll und klangschön ausmusizieren – und ganz ohne modische Mäzchen!
Gesungen in deutscher Sprache (nach der Übersetzung von Walter Felsenstein).

Foto: Marlies Kross/Staatstheater Cottbus

Premiere war am 11.Okt./weitere Vorstellungen: 13.Okt./ 6.Nov./ 5.u. 25.Dez.2013/ 19.Jan.2014

Deutschland im Vormärz: ‚Die andere Heimat‘ von Edgar Reitz****

9. Oktober 2013FilmkritikenNo Comments

Wenn heute grosse Flüchtlingsströme sich nach Europa aufmachen, aus wirtschaftlicher Armut oder wegen politischen Drucks, dann sind das die gleichen Motive, die viele Bewohner Deutschlands im 19.Jahrhundert zur Auswanderung in das damals gelobte Land ‚Amerika‘ zwangen. Vor diesem sozial-politischen Hintergrund schlägt der – inzwischen 81-jährige -  Regisseur Edgar Reitz ein neues Kapitel seiner ebenso erfolgreichen wie populären Film-Serie „Heimat“ auf. Bisher spielten alle Geschichten um die Bewohner des fiktive Hundsrück-Dorfes Schabbach im 20.Jahrhundert, zeigten die Auswirkungen von Nazi-Zeit, Weltkrieg, Mauerbau und Wiedervereinigung auf deren normalen Alltag. Jetzt schildert Reitz sozusagen die historische Vorgeschichte.
Im Mittelpunkt steht der junge Jakob Adam Simon, der davon träumt, nach Brasilien auszuwandern, ein Land, über das er sich in vielen Bücher vor allem wissenschaftlich informiert – zum Verdruss seines strengen Vaters, des dörflichen Schmiedemeisters. Sprachbegabt erlernt Jakob als Autodidakt nicht nur Spanisch, Portugiesisch oder Englisch, sondern er beherrscht auf diese Weise auch die Sprachen vieler südamerikanischer Indianer. Doch sein Traum erfüllt sich nicht, Jakob muss – besonders als sich sein älterer Bruder und die geliebte Schwägerin den auswandernden Freunden anschliessen – die alt und schwach werdenden Eltern unterstützen, Haus und Schmiede-Werkstatt – so gut es geht – betreuen. Am Ende erhält er – inzwischen verheiratet – einen Brief des Bruders, der schildert, dass auch Brasilien kein Land ist, in dem Milch und Honig fliessen, sondern die Ausgewanderten hart und nicht immer erfolgreich um ihr Dasein und ihren Unterhalt kämpfen müssen.
Edgar Reitz und sein Drehbuchautor Gert Heidenreich entfalten in üppigen Schwarz-Weiss-Bildern – nur gelegentlich mit ein paar Farbtupfer versehen – ein fast umfassendes Panorama der Vormärz-Jahre in einer ländlichen, deutschen Provinz.  Karges Leben, Krankheiten, Hunger, Tod, Gewalt durch Natur und Staat, Kindersterblichkeit, religiöse Intolleranz beherrschen den Alltag der Bauern und Handwerker. Nur kurze Freuden wie eine ausgelassene Kirmes, eine feierliche Hochzeit, schüchterne Jugend-Flirts oder schneller Sex hinter dunklen Mauern hellen das Leben ein wenig auf. Doch der Film badet nicht in Elendsbildern als Selbstzweck, sondern zeigt -  mal nüchtern-realistisch, mal poetisch-überhöhend -  die Geschichten von Menschen, die versuchen ihr Leben auf die bestmöglichste Weise zu meistern. Die ihr Glück nicht nur in äusseren Dingen suchen, sondern in innere Zufriedenheit. Das dies oft nur eingeschränkt möglich war, zeigt diese „Chronik einer Sehnsucht“, wie der Untertitel lautet.
Filmisch von hoher Qualität – eindrucksvoll die ruhig gleitende Kamera mit ihren stimmungsvollen Landschafts-Panoramen; ein gut ausgewähltes, mundartlich artikulierendes Schauspieler-Ensemble, eine bis ins kleinste Detail sorgfältig realisierte Ausstattung. Einziger Einwand: dass trotz aller Raffinesse der Inszenierung immer wieder das dramaturgisch Konstruierte, die aufkärerisch-didaktische Absicht der Filmerzählung zu deutlich sichtbar sind – fast alles vorhersehbar ist und nur wenig Überraschendes passiert.
Das 230 Minuten lange Epos wird so – besonders in der zweiten Hälfte – sehr episch!

Foto/Poster: Concorde Filmverleih GmbH
zu sehen: Capitol Dahlem; CinemaxX am Potsdamer Platz; Delphi; Hackesche Höfe Kino; International; Kant-Kino; Passage Neukölln

Russland sucht den Superstar: ‚Die Zarenbraut‘ in der Staatsoper (im Schillertheater)****

5. Oktober 2013TheaterkritikenNo Comments

Nikolai Rimsky-Korsakow’s Oper „Die Zarenbraut“, 1899 in Moskau uraufgeführt, ist ein ausladender Historien-Schinken. Dieser erzählt wie Zar ‚Iwan der Schreckliche‘ (1530-1584) sich Hunderte von jungen Mädchen vorführen liess, um eine adäquate Braut zu finden und verknüpft diesen historischen Hintergrund mit einem tödlich endenden Liebes- und Eifersuchtsdrama um die auserwählte junge Frau namens Marfa. Musik-dramatugisch greift der Klang-Magier Rimsky-Korsakow dabei auf  alt-bewährte Formen zurück: wohlklingende Arien und Duette sowie ausschweifende, wenn auch durchaus dramatische Ensembles.
Im Westen wird dieses typisch russische Werk nur selten gespielt, und deshalb ist es sehr verdienstvoll, wenn Daniel Barenboim mit dieser gleichsam unbekannten Oper seine diesjährige Spielplan-Saison eröffnet – allerdings abgesichert als Ko-Produktion mit der Mailänder Scala, wo die „Zarenbraut“ in der gleichen Sänger-Besetzung im kommenden Fühjahr gezeigt werden wird.
Als Regisseur wurde Dmitri Tscherniakov verpflichtet, der bereits Mussorgsky’s „Boris Godunov“ und Prokofjev’s „Spieler“ zusammen mit Barenboim – jeweils erfolgreich in modernem Gewand – an der Lindenoper herausgebracht hat. Auch die „Zarenbraut“ versetzt Tscherniakov, der wie immer sein eigener Bühnenbildner ist, in heutige Zeiten. In einem TV-Studio (mit vom ZDF ausgeliehenen Schaltpulten und Video-Wänden) präsentieren sich die hübschen, jungen Frauen wie modisch gestylte Models der Kamera als Traumfrau für den grossen Herrscher. Doch diesen – so die ironische Regie-Pointe – gibt es gar nicht: er ist nur eine raffiniert-gescannte Bildschirm-Figur, die lediglich in unterschiedlichen Haltungen und Kleidern virtuell existiert.
Der zweite Schauplatz ist die bühnenbreite Wand eines Hauses mit einem riesigen Bogen-Fenster: durch dieses erblickt man den etwas spiessigen Wohnraum der Familie der Zarenbraut Marfa mit weissen Plüsch-Sesseln und Flachbild-TV. Hier flirtet der Backfisch Marfa mit dem netten Verlobten Lykow, versucht der ältere TV-Redakteur Grjasnoj sie für sich zu gewinnen, während vor dem Fenster dessen eifersüchtige Geliebte Ljubascha auf Rache sinnt. Am Schluss stirbt Mafra, die zur echten Braut des virtuellen ‚Führers‘ erwählt wurde, vergiftet von Ljubascha bei Aufnahmen in der Green-Box des Fernseh-Studios – doch letztes Bild bleibt die Gross-Aufnahme ihres lächelnden Gesichtes.
Regisseur Tscherniakov versucht auf diese Weise den kritischen Spagat zwischen einerseits einer Medien- und Polit-Satire, und anderseits einer realistisch gezeichneten, menschlichen Liebestragödie. Doch ganz geht die Absicht nicht auf: Groteske und Gefühlsdrama wollen sich nicht verbinden, zumal auch die konventionell gestaltete Musik hierbei wenig hilft (im Gegensatz beispielsweise zum ironischen angelegten „Goldenen Hahn“).
Daniel Barenboim und seine Staatskapelle haben – am Premierenabend -  zu Beginn einige Mühe mit der reich instrumentierten Partitur, erst im Verlauf des Abends gewinnt die Musik Farbe, Spannung und – gelegentlich – expressive Schärfe. Hervorragend das bestens gecastete Solisten-Ensemble: die international aufstrebende Russin Olga Peretyatko (Marfa) mit leichtem, klarem Sopran, die Georgierin Anita Rachvelishvili (Ljubascha) mit üppig-vollem Mezzo (wenn auch gelegentlich zu laut), Johannes Martin Kränzle als bariton-mächtiger, abgewissener Liebhaber sowie der tschechische Tenor Pavel Cernoch als wohltönender Verlobter. Dazu in kleineren Rollen altbewährte, immer noch glänzende Stars: Anatoli Kotscherga (Abbados ‚Boris Godunow‘), ein echt-russischer, tiefer Bass oder Anna Tomowa-Sintow, einst Karajans bevorzugte Primadonna, jetzt immer noch bühnenpräsent (und ein bisschen wackelig auf den Beinen) als betulich-elegantes Mütterchen.
Insgesamt ein hochinteressanter Abend – auch wenn Werk und Inszenierung einige Fragen oder Wünsche offen lassen.

Foto:Monika Rittershaus/Staatsoper im Schillertheater

nächste Vorstellungen:8./13./19./25.Oktober/1.Nov 2013

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