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Monat: Juni 2017

INFEKTION! 2017 – Festival für Neues Musiktheater

28. Juni 2017TheaterkritikenNo Comments

Zwei Kammeropern aus den 1970er und 1980er Jahren stehen zwischen dem 15.Juni und dem 14.Juli 2017 im Mittelpunkt des kleinen Festivals in verschiedenen Räumen der Staatsoper im Schillertheater.

 

1. „Die Gespenstersonate“ von Aribert Reimann (UA.: 1984, Berlin)***

GespenstersonateDie Werkstatt des Schillertheaters ist weitgehend leergeräumt bis auf einen großen Tisch. Daran sitzen einige Personen der Handlung, die anderen liegen wie tot auf dem Boden, alle in schlichten, modernen Anzügen oder Kleidern – entweder schwarz oder weiß. Wenn die vierzehn Mitglieder der Staatskapelle unter der umsichtigen Anleitung von Michael Wendeberg – hinter einem Gazevorhang auf der seitlichen Empore postiert – schlagartig mit der Musik einsetzen, stürzt ein junger „Student“ herein, alle erheben sich und es beginnt das Spiel um eine in düsteren Ritualen erstarrten Familien-Gesellschaft, von der jeder und jede seine Untaten hinter Unwahrheiten und Lügen zu verbergen versucht. Bis am Ende der um Aufklärung bemühte „Direktor“ sich selbst als gemeiner Übeltäter entlarvt und das gesamte Spiel zusammenbricht. Aribert Reimann hat das Libretto nach dem gleichnamigen Schauspiel von August Strindberg geschrieben und eine packende Musik dazu komponiert, die vor allem die Gesangsmöglichkeiten virtuos bedient – auch wenn naturlich nicht im gewohnten Belcanto-Stil. Den Musikern und Sängern der Neuinszenierung kommt das sehr zu Gute, auch wenn bei einigen der sieben, sehr jungen Solisten der für die dargestellte Figur charakteristische Ausdruck noch Wünsche offen läßt. Die Inszenierung von Otto Katzameier – bisher als Sänger bekannt –  vermag zwar durch vielfachen Beleuchtungswechsel auch eindrucksvolle Szene zu arrangieren, etwa den Auftritt der „Mumie“ (Alexanda Ionis) vor einem blutrot-leuchtenden Wand-Quadrat oder die agressiven, handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen dem „Obersten“ (Noriyuki Sawabu) und dem „Direktor“ (David Ostrek), aber der komplizierte Handlungsverlauf mit seinen verzwickten Episoden und komplexen Charakteren (teils mehrfach mit dem gleichen Darsteller ohne Kostümwechsel besetzt)  bleibt in dieser stilisiertren, schwarz-weißen Raum-Installation ziemlich unklar und verliert so ihre unheimliche Doppelbödigkeit. Aus der zwischen Realismus, Expressiv-Symbolischem und Groteske schillernden „Gespenstersonate“ wird ein musikalisch zwar spannendes, szenisch jedoch  künstliches Verwirrspiel in Schwarz und Weiß.

Premiere:in der Werkstatt:  25.Juni 2017, die nachvolgenden sechs Vorstellungen:  ausverkauft.

Foto: Vincent Stefan / Staatsoper Berlin (Schillertheater)

 

2. „Jakob Lenz“ von Wolfgang Rihm (UA.: 1979, Hamburg)****

Lenz1Der Dichter Jakob Lenz („Der Hofmeister“,“Die Soldaten“) begibt sich seinem Zerwürfnis mit Goethe in die Schweiz zu einem alten Freund, dem Philosophen und Mediziner Christoph Kaufmann. Dort machen sich erste Anzeichen einer geistigen Verstörung bemerkbar. Auf Rat des Freundes besucht er im Januar 1778 den Pfarrer und Sozialreformer Oberlin im Elsaß. Doch die drei Wochen bei Oberlin enden auf Grund der sich verstärkenden, schizophrenen Anfälle im Chaos, Lenz wird gezwungen, die Vogesen zu verlassen. Oberlin selbst hat genaue Aufzeichnungen über die Tage mit Lenz verfertigt. Diese wurden später Grundlage für die bekannte Novelle von Georg Büchner, auf der wiederum die 80-minütige „Kammeroper“ von Wolfgang Rihm beruht.

In 13 Bildern schildert sie, wie Lenz immer mehr von inneren Stimmen in Gestalt schattenhafter Figuren heimgesucht wird und wie in der letzten Szene der philantrophische Pfarrer Oberlin und der resolte Freund Kaufmann dem halbnackten, mit eigenem Kot beschmierten Lenz resigniert die Zwangsjacke anlegen.

Wolfgang Rihm hat den verstörten Dichter Lenz mit schillernden Tönen umhüllt, zart und versonnen, aber auch laut und schrill aufschreckend. In diesen Ton-Strom sind immer wieder musikalische Zitate, leicht verfremdet, eingewoben, so das Ineinanderfließen  von Wahn und Realität hörbar machend. Elf Musiker der Staatskapelle unter dem versierten Gast-Dirigenten Franck Ollu lassen – besonders in den Zwischenspielen – diese Klang-Struktur zwischen Tonalität und Atonalität transparent und klangsinnlich leuchten.

Die Inszenierung von Andrea Breth ist eine Koproduktion mit den Opern in Stuttgart und Brüssel, wo sie schon mit großem Erfolg gezeigt wurde. Die große Überraschung war, daß Andrea Breth die bisher nur auf kleinen Studio-Bühnen gespielte „Kammeroper“ erstmals auf die „große“ Bühne der jeweiligen Häuser holte. „Das ist eine Weltgeschichte! Und diese Welt muß man … in großen, starken Bildern fassen und erzählen können“, so die Regisseurin im Programmbuch. Martin Zehetgruber hat ihr einen großes, dunkel tapezierten Zimmer entworfen mit blanken Dielen und braun gebeizten Türen. 12 der 13 Szenen spielen sich hinter einem Gazeschleier ab, der es ermöglicht mit Hilfe von Spiegel-, Wasser-  und Lichteffekten phantastische Bilder zu imaginieren, die zwischen Natur- und Innenräumen raffiniert changieren. Erst im Schlußbild hebt sich der Bühnenschleier und zeigt den Raum nun neon-grell ausgeleuchtet: eine helles Eisenbett in der Mitte. Oberlin (Henry Waddington) und Kaufmann (John Graham-Hall) legen dem verwirrten, nur noch mit einer Unterhose bekleideten Lenz (herausragend: der Bariton Georg Nigl) die weiße Zwangsjacke an.  Präzise und vielfältig versteht es Andrea Breth die sich verdüsternde Welt im Kopf von Lenz in der Bewegungs-Regie sichtbar und sinnfällig zu machen, vor allem mit Hilfe der (leibhaftig) durch die Bilder huschenden „Stimmen“ (2 Soprane, 2 Mezzos, 2 Bässe) und dem toten (Bauern-)Mädchen Friederike (magische Erinnerung an die auch von Goethe geliebte Friederike Brion),  alle in dunklen, altdeutsche Trachten zitierenden Kostümen (Eva Dessecker).

Eine starke Aufführung, die zwar eine beklemmende Geschichte zeigt, jedoch in ihrer phantasievollen, klaren Strenge und ihrer präzis geschärften Musikalität großen Eindruck hinterlässt.

 

Premiere: 8.Juli 2017, weitere Vorstellungen:  8./ 10./ 12./ 14.Juli 2017

Foto: Bernd Uhlig / Staatsoper Berlin (Georg Nigl als Lenz)

Kremel-Intrigen: ‚Boris Godunow‘ in der Deutschen Oper Berlin****

25. Juni 2017TheaterkritikenNo Comments

Boris GDie Oper „Boris Godunow“ des russischen Komponisten Modest P. Mussorgskij liegt in unterschiedlichen Fassungen oder Bearbeitungen vor, die sich stark voneinander unterscheiden. Die Deutsche Oper Berlin hat in Kooperation mit dem Royal Opera House Covent Garden eine Inszenierung des englichen Regisseurs Richard Jones übernommen, die auf der sogenannten „Urfassung“ beruht. Mussorgskij hat sie in den Jahren 1868/1870 komponiert; sie ist unter allen Fassungen die inhaltlich knappste und musikalisch schroffste Deutung des berühmten Machtkampfes um den Zaren Godunow. Das Libretto hat der Komponist aus einem Versdrama von Puschkin kompiliert, das in sieben nur lose miteinander verbundenen Szenen Bilder eines mittelalterlichen Russlands entwirft – zwischen Machtkämpfen am Zarenhof in Moskau und dem Leben des überwiiegend armen Volkes in den Weiten des Landes.

Regisseur Jones blättert diese sieben Szenen pausenlos nacheiander auf (Dauer: 2,15 Stunden),  verzahnt sie geschickt und läßt sie gleichsam als lebende Bilder ablaufen, ganz einer strengen Ästetik verpflichtet, die sich an russischen Meistern von Rubeljow bis Tarkowski zu orientieren scheint. Zwar wird die Psychologie der einzelnen Personen in Bewegung und Gestus genau ausgeleuchtet, aber immer in einem choreographischen Rahmen gesetzt. Die Bühne (Miriam Buether) ist zweistöckig: unten ein leerer, dunkler Raum, in den gelegentlich ein Stuhl, ein Tisch oder eine Bilderwand herein- und heraus-geschoben werden, und in dem das Volk sich zu beeindruckenden Gruppen postiert – mal in folkloristisch-festlichen Kostümen zur Zaren-Krönung, mal in dunkel-zeitlosen Gewändern als aufbegehrende Masse. Der obere Teil der Bühne zeigt eine umlaufende, kuppelüberwölbte Galerie, auf der sich der zum Wahnsinn führende Alptraum Godunows von der Ermodung des kindlichen Thronfolgers Dimitrij pantomimisch mehrfach wiederholt – dabei hält der Junge immer einen Kreisel in der Hand, ein Symbol endloser Wiederholung. 

Diese streng-formalisierte, aber zugleich elegant-flüssige Regie ermöglicht den Sängern, ihre Figuren auf deren wesentliche Charakterzüge zu konzentrieren und diese deutlich und plastisch zu entfalten. Unter den vielen kleinen und mittleren Partien überzeugen Burkard Ulrich als Fürst Schuiskij, Ante Jercunica als Pimen, Robert Watson als falscher Dimitrij, Oleg Budaratskiy als Waarlam sowie – eine ungewöhnliche Besetzung! – der Dortmunder Chorknabe Julius Röttger in der Rolle des jungen Fjodor, dem Sohn und Nachfolger von Boris Godunow. Überragend der estnische Sänger Ain Aigner in der Titelrolle, ein Boris von machtvoller Ausstrahlung und intensiver Gestaltung, ein kraftvoller Baß-Bariton, der seine flexible Stimme so perfekt wie differenziert einzusetzen versteht. Unterstützt wird das gut ausgewählte Solisten-Ensemble durch den klangvoll-mächtigen Chor der Deutsche Oper (einschließlich eines Extra- und eines Kinderchores) sowie duch das in Hochform musizierende Orchester. Alle unter der anregenden Leitung des hier noch wenig bekannten, ukrainischen Dirigenten Kirill Karabits, inzwischen Musikchef in Weimar. Souverän koordiniert er Bühne und Orchester und versteht es zugleich die folkloristisch eingefärbte Klangfülle wie die ungewohnten Schroffheiten der Musik dieses „Ur-Boris“  deutlich hör- und erlebar zu machen.

Sicherlich, insgesamt ein konventioneller Opern-Abend, der Anspielungen auf Aktuell-Politisches meidet und auch keine neue Sichtweise auf Russisches behauptet, dafür aber bietet diese Neu-Produktion einen klar und schön erzählten Bilderbogen sowie viel anregend-musikalischen Genuß.

Foto: Bernd Uhlig /Deutsche Oper Berlin (Ain Anger/Boris und Julius Röttger/Fjodor)

Premiere: 17.Juni 2017

Weitere Vorstellungen: 23./ 27.Juni // 1./ 4./ 7.Juli 2017

Spießer-Krieg am Gartenzaun: ‚Zoroastre‘ in der Komischen Oper Berlin**

20. Juni 2017TheaterkritikenNo Comments

ZoroastreJean-Philippe Rameau’s barocke Oper „Zoroastre“, 1756 in Paris uraufgeführt, macht seine abstrakte Gedankenwelt, die über die Mächte des Lichts und der Finsternis, über Güte, Liebe und Hass reflektiert, in einer antikisierenden Handlung um Könige, Prinzessinen und mythologische Erscheinungen sichtbar. Natürlich triumphieren im Zeitalter des französischen Absolutismus und der Aufklärung am Ende Licht, Klarheit und Helle.

Wie kann diese ferne (Geistes-)Welt einem heutigen Zuschauer nahegeebracht werden? In der Komischen Oper setzen Dirigent (Christian Curnyn) und Regisseur (Tobias Katzer) auf’s Schlichte: den Streit um einen Gartenzaun zwischen zwei modernen Vorort-Häuschen. Das eine gehört dem feingeistigen Zoroastre, mit Bücherwand und üppigen Blumenrabatten, das andere andere dem prolligeren Abramane, in Jeans und Cowboystiefeln, der eher auf Computerspielen steht. Ihr ausbrechender Streit um ein Stück Rasen und den immer wieder verschobenen Gartenzaun (vom Baumarkt geliefert), eskaliert sehr schnell. Vor der Pause sieht sich das überwiegend komisch und grotesk an, nach der Pause wird‘ s hinter Sandsäcken und Betonbarrikaden nur noch grau und düster. Da tragen auch die sybolisch auf der Videowand (oder in den Prszeniumslogen) kriechenden und als Ameisen verkleideten Chormitglieder wenig zur Verhinderung des Spießer-Streites am Gartenzaun bei:  statt Licht und  Aufklärung nur eine banale Alltags-Affaire.

Und die Musik? Passend zum rabiaten Geschehen auf der Bühne tönt es laut und polternd aus dem Orchestergraben. Von der Feinheiten und Raffinessen der Rameauschen Partitur – im Programmheft extra hervorgehoben  – wenig zu hören, nur gleichförmiges Dauer-Forte. Die Sänger müssen sich dehalb mit viel Kraftanstrengung und Überdruck durchsetzen, was bei einigen schlicht zur Überforderung führt.

„Zoroastre“ von Rameau wird mit dieser Inszenierung erstmals auf einer Berliner Bühne gezeigt – dem großen Komponisten hat sie eher einen „Bärendienst“ erwiesen – auch wenn in der Premiere der Gartenzaun-Klamauk nach fast drei Stunden heftig beklascht wurde.

Premiere: 18. Juni 2017

weitere Vorstellungen: 24./ 28.Juni. // 6./ 8./14.Juli 2017

Foto: Monika Rittershaus / Komische Oper Berlin (Thomas Dolié als Abramane und Nadja Mchantaf als Erinice)

Kurztrip zu Georg Friedrich Händel 2017

3. Juni 2017TheaterkritikenNo Comments

Haendel Halle

1. Göttingen

Im Deutschen Theater die selten aufgeführte italienische Oper „Lotario“ (London 1729). Die italienische Königin Adelaide, deren Mann ermordet wurde, soll den Sohn des hinter dem Mord steckenden, adligen Intrigen- Paares, dessen treibende Kraft die ehrgeizige Mathilde ist, heiraten, um so die Herrschaft über Italien an sich zu reissen. Doch Adelaide ruft den deutschen König Lotario (eigentl. Otto) zu Hilfe. Ein Machtkampf beginnt, das Happy End am Schluß wird von der Regie durch ein lebendes Bild  in Frage gestellt – dem neuen König wird ein Giftbecher angeboten…

Elegante Inszenierung in einem historisch anmutenden Bühnenbild – einer Bilder-Galerie mit Goldrahmen und Samtvorhang – durch den venezuelanischen Regisseur Carlos Wagner und dirigiert von Laurence Cummings, dem gegenwärtigen Leiter  der Göttinger Festspiele. Fast ungekürzt vier Stunden lang, getragen von  guten Sängern (Ursula Hesse von den Steinen /Matilde, Marie Lies /Adelaide, Sophie Rennert /Lotario) und dem klangschönen Göttinger Festspiel-Orchester.

Gesehen am Freitag, dem 26.Mai

 

2. Bad Lauchstädt

Im Goethe-Theater gastiert eine tschechische Musikergruppe mit „Acis und Galathea“, einem Stoff, den Händel mehrfach vertonte. Hier die englische Fassung von 1718. Inszeniert mit Sängern in den Hauptrollen und ergänzt durch Marionetten des Prager Puppentheaters „Buchty a loutky“. Das seit 1997 bestehende Alte-Musik-Ensemble „Collegium Marianum“ spielt sehr flott und auf Effekt bedacht unter ihrer Leiterin, der Traversflötistin Jana Semerádová. Die antike Pastorale um das Liebespaar Acis und Galathea wird allzu putzig und – im wörtlichen Sinn – blumig aufgeführt, mit neckischen (Puppen-)Schmetterlingen und Krabbel-Tierchen aller Art. (Inszenierung: der Leiter des Puppentheaters Veit Brukner) Überzeugend der Acis des isländischen Tenors Benedikt Kristjansson, ebenso die Galathea der Sophie Junker, auch wenn ihre Höhen nicht ganz rund ausfallen. Großer Erfolg beim Publikum, das sich über die bunten Regie-Einfälle köstlich amusiert.

Gesehen am Sonnabend, dem 27.Mai

 

3. Halle

Im Opernhaus am Ring wird das englischsprachige Oratorium „Jephta“ (Händels letztes großes Werk, London 1752 ) durch die renommierte Gast-Regisseurin Tatjana Gürbaca in Szene gesetzt. Auf einer bühnenbeherrschenden, runden Schiebe – gelegentlich gedeckelt durch einen gleichgroßen, aus dem Bühnenhimmel herabfahrenden Spiegel – spielt sich zwischen den sehr beweglichen Chor-Gruppen das Drama des jüdischen alttestamentarischen Anführers und Richters Jephta ab. Dieser hatte nach einer erfolgreichen Schlacht gelobt, dasjenige, das ihm bei seiner Rückkehr als erstes in der Heimat begegnet, Gott als Brandopfer darzubringen. Zu seiner Verzweiflung ist es seine Tochter Iphis. In modernen Kostümen, die den 1970er Jahren nachempfunden sind, wird die Frage nach Glaube, Religion und Gerechtigkeit gestellt und versucht im unterschiedlichen Handel der Personen sichtbar zu machen. Auch hier am Ende musikalische Festigkeit, szenisch aber offene Fragen – die Hauptpersonen verlassen ratlos die Bühne. Eine sehr durchdachte und engagierte Inszenierung, die herausfordert, auch wenn nicht alle Details gelingen. Unter den Sängern: ein sehr wohlklingender Baß-Bariton in einer Nebenrolle sowie die Sopranistin Ines Lux als Iphis. Etwas blasser der Sänger der Titelrolle (Robert Sellier). Die Chöre klingen prachtvoll und agieren sehr geschmeidig. Das Händel-Festspiel-Orchester Halle musiziert klangsatt auf alten Instrumenten unter der umsichten und kompetenten Leitung von Christoph Spering.

Gesehen am Sonntag, dem 28.Mai

Natur-Mystik und Hakenkreuz: ‚La Dammnation de Faust‘ in der Staatsoper im Schillertheater***

2. Juni 2017TheaterkritikenNo Comments

Fausts VerdammnisDer amerikanische Filmregisseur Terry Gilliam („Time Bandits“/“Brazil“), geboren 1940 und berühmt als Mitbegründer von „Monty Python“, inszenierte 2011 erstmals eine Oper: „La Dammnation de Faust“ von Hector Berlioz an der Londoner National Opera. Diese Bühnenfassung des musikalischen Zwitters zwischen Oper und Oratorium (Uraufführung konzertant 1846 in Paris, erstmals szenisch 1893 in Monte Carlo) wird nach Palermo und Antwerpen nun auch in Berlin nachgespielt.

Darin zeigt Gilliam mit großem Aufwand an Bühnenbildern (Hildegard Bechtler), Kostümen (Katarina Lindsay) ,Licht (Peter Mumford), Video (Finn Ross), Chormassen (Martin Wright), Tänzern (Leah Hausman) und Komparsen zu Berlioz hochromantischer Musik eine grell-groteske Geschichte Deutschlands vom Königs- und Kaiser-Reich des 19.Jahrhunderts bis zum Holocaust der Nazis. Die dunkel glühenden Landschaften eines Casper David Friedrichs wandeln sich fast filmisch in die grotesken Politkonferenzen, die zum ersten Weltkrieg und zu dessen Massenschlachten führten, wandeln sich zu zwielichtig-schrägen Kneipen der 1920er Jahren mit ihren Otto-Dix-Figuren, danach marschieren Männerriegen in Braun-Hemden auf und mischen sich unter weiß gekleideten Turner-Scharen wie von Leni Riefenstahl choreographiert. Menschen werden verhaftet und ins Dunkle abtransportiert, das Ende wird beherrscht von Totengebein und leise  ausklingender Trauer im finster-leeren Bühnen-Raum.

In diese satirisch gebrochenen Geschichts-Bilder bettet Regisseur Gilliam die bekannten Faust-Szenen, so wie sie Berlioz nach Goethe zusammengestellt hat,  – technisch brillant, doch die damit beabsichtigte  Provokation läuft oft ins Leere. Gretchens (Margérithe’s) Schicksal als Jüdin, die ihre dunklen Haare eher komisch als erschreckend unter einer blonden Zopf-Perücke zu verstecken versucht, und ihre später erfolgende Verschleppung als Holocaust-Opfer sind zwar berührend, haben jedoch mit der Musik nichts zu tun. Der elegische Ton von Marguérithes berühmter Romanze zielt nun mal aufs Menschliche nicht auf Politisches. Andererseits verblasst die Figur des Faust in dieser Lesart zur schrullig-komischen Nebenfigur, die des Mephisto zum spöttisch-eleganten Show-Conferencier.

Simon Rattle rettet musikalisch den Abend, fächert die ganze Fülle von Berlioz‘ Musik brillant auf, spielt virtuos mit Rhythmus und Dynamik, von zarter Melancholie bis zum vielfarbigen Klangrausch, federnd und leicht, bestens unterstützt vom warmen Ton der Staatskapelle. Charles Castelnuovos Tenor klingt in der Rolle des Faust zwar rund und voll, doch eher nach italienischer als französischer Manier. Florian Boesch als Mephisto überzeugt durch einen runden, hohen Bariton und idiomatische Geschmeidigkeit, während Magdalena Kozenas Mezzo dem sanften Charakter Marguértithes eine schöne Festigkeit verleiht. Die Chöre, bestens vorbereitet, klingen ebenso macht- wie klangvoll.

Ein eigenwilliger, ungewöhnlicher Abend: seine hoch-theatralischen, fast filmischen Bild-Folgen bieten politisch-historisch viel Scherz und Satire, deren tiefere Bedeutung aber offen bleibt oder in die falsche Richtung läuft.  Musikalisch jedoch:  Berlioz vom Feinsten.

Foto: Matthias Baus /Staatsoper Berlin

Premiere: 27.Mai 2017, weitere Vorstellungen: 1./ 4./ 9./ 11.Juni 2017

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