Rainer Allgaier

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Monat: Januar 2011

Samowar und Birkenwäldchen: ‚Eugen Onegin‘ im Staatstheater Cottbus****

31. Januar 2011TheaterkritikenNo Comments

Zu Beginn verhüllt ein durchscheinend-weisser Gaze-Vorhang die Bühne, dahinter sieht man schemenhaft einen spät-bürgerlichen Salon mit Wintergarten und Blick auf schlanke Birkenstämme. Auf einem Stuhl vor der Gaze sitzt Tatjana und liest in einem Roman – so dass das folgende Geschehen auch ein romantischer Traum des schwärmerischen Mädchens sein könnte.
Martin Schüler, der regieführende Intendant,  hat sehr geschickt die verschiedenen (auch zeitlich weit auseinanderliegenden) Bilder des 1. und 2.Aktes zu einer einzigen grossen Szene verbunden: die Begegnung Tantjanas mit Onegin auf dem Landgut ihrer (hier an den Rollstuhl gefesselten) Mutter;  das Schreiben des Briefes, diesmal im nächtlichen Salon;  die darauf folgende herablassende Zurückweisung Tatjanas durch Onegin;  das kleine, ländliche Fest sowie das Duell zwischen Onegin und seinem Freund Lenski (halb im Salon, halb im Birkenwäldchen-Garten) mit seinem tödlichen Ausgang.
Auch die beiden Bilder des 3.Aufzuges sind zu einem einzigen zusammengezogen (immer mit entsprechenden, kleinen Veränderungen des deutsch gesungenen Textes): es zeigt  einen pompösen Petersburger Saal mit heller Birken-Tapete, in der sich eine stark aufgebrezelte Gesellschaft in Goldlamme-Roben und Seiden-Jackets tummelt – offensichtlich eine Karikatur post-sowjetischer Neu-Reicher. Fürst Gremin ist hier ein sehr vermögender, junger Mann,  den die inzwischen damenhaft-elegante Tatjana diesmal zum heimlichen Zeugen ihrer letzten Auseinandersetzung mit Onegin macht.
Inszenierungs-Ideen, die nicht durchweg einleuchtend sind. Doch die logischen Brüche dieser Fassung werden  vom effektvollen und lebhaften Spiel der Darsteller hinweggefegt, der dramatische Schwung der Inszenierung überspielt inhaltliche Bedenken.
Auch musikalisch setzt Generalmusikdirektor Even Christ auf Drive und spielerische Leichtigkeit, die Dramatik wird erst in der Schluss-Szene hochgepeitscht – ein kluger Akzent, der die szenische Deutung geschickt ergänzt, und die hörbaren Schwächen des Orchesters überspielt.
Andreas Jäpel ist ein stimmgewaltiger Onegin, auch in der inneren Wandlung vom blasierten Land-Adligen zum verzweifelt Liebenden überzeugend,  Anna Sommerfeld seine strahlende Tatjana mit leuchtenden Tönen. Marlene Lichtenberg gefällt als Olga durch frisches Spiel und einen  tiefen, vollen Mezzosopran, während der baumlange Ingo Witzke noch recht steif seinen Gremin verkörpert. Lebhaft in seiner Darstellung, aber etwas dünn in der Stimmlage ist der Lenski von Matthias Bleidorn.
Temperamentvoll agieren das übrige Ensemble und der Chor.
Eine anspechende und spannende Aufführung, ein schöner Beweis für die Leistungsfähigkeit des – im Gegensatz zu den viel üppiger ausgesatteten Berliner Häusern -  „ärmeren“  Theaters in Cottbus.

Foto: Staatstheater Cottbus

Nächste Vorstellungen: 12.02 / 18.03. / 14.04.2011

Katzengold: ‚Die Liebe der Danae‘ in der Deutschen Oper Berlin***

28. Januar 2011TheaterkritikenNo Comments

Es ist nicht alles Gold, was glänzt: dieses Sprichwort trifft auch auf die letzte Oper von Richard Strauss zu – so schön und farbig einzelne Passagen auch  klingen und leuchten, über weite Strecken schleppt sich das Werk ziemlich kunstgewerblich dahin. Es ist die recht abstruse Geschichte um die griechische Königstochter Danae, die sich entscheiden muss zwischen dem geilen Göttervater Jupiter, der sie als Goldregen beglückt, und dem armen Eselstreiber Midas, dem  – einem göttlichem Fluch zufolge -  alles zu Gold erstarrt. 

Dafür ist dem zur Entstehungszeit schon greisen Strauss nicht mehr allzuviel Neues eingefallen. Er bedient sich vielmehr – wenn auch sehr gekonnt – seiner alten musikalischen Erfahrungen, seiner virtuosen Kunst der Orchesterbehandlung, dem raffinierten Einsatz grosser wohlklingender (vor allem weiblicher) Stimmen. Ein bisschen lustige ‚Ariadne‘, ein wenig tragische  ‚Frau ohne Schatten‘ oder ‚Arabella‘: es wird eine ekklektische,  „heitere Mythologie“, wie das Werk im Untertitel heisst, mit schlecht und recht holpernden Versen (Libretto: Joseph Gregor). Dennoch: effektvoll sind der silbern-glitzernde (orchestrale) Goldregen, ein paar Duette  und die aufrauschenden Finali, besonders – im 3.Akt – der resignativ-melancholische Schlussmonolog des von Danae abgewiesenen Jupiter‘, der an Wotans Abschied in der „Walküre“ erinnert, aber wohl auch  die Resignation des 80-jährigen Komponisten ausdrückt, der seine menschliche und geistige Welt zusammenbrechen sieht: die Oper wurde während des 2.Weltkrieges geschrieben, erlebte ihre Uraufführung aber erst 1952, drei Jahre nach Strauss‘ Tod. Sie erscheint bis heute nur sehr selten auf einer Bühne.
Kirsten Harms, die scheidende Intendantin der Deutschen Oper, hat die ‚Liebe der Danae’  2001 in Kiel inszeniert – mit grossem Erfolg. Sozusagen als Abschieds-Geschenk an Berlin hat sie diese Aufführung mit einigen kleinen Abänderungen nun ins Haus an der Bismarckstrasse übernommen – ob der einstige Erfolg sich auch jetzt nach 10 Jahren wiederholt, scheint mir fraglich. Zu brav erzählt sie die Geschichte,  zu durschnittlich agieren Sänger und Orchester. Aus dem antiken Königshof wird der moderne Salon eines bankrotten Kunsthändlers, dem die Gläubiger die Bilder davon tragen: übrig bleibt ein an der Decke hängender Flügel. Statt Gold regnen Notenblätter auf die sich wohlig räckelnde Kunsthändlerstochter Danae. Im Schluss-Akt ist diese (bürgerliche) Welt ganz zusammengebrochen: das nun verarmte Paar Midas-Danae robbt in schäbig-dunklen Mänteln über schräg-geschichtete Bretter, während der muntere Merkur Torte verteilt und Jupiter in weissem Anzug und ebensolchem Schlapphut seinen resignativen Abschied von der menschlichen Welt nimmt.
Manuela Uhl singt die Danae mit etwas schrillem Sopran, Matthias Klink verkörpert den glücklichen Liebhaber Midas mit schlankem Tenor, Mark Delaven ist in seiner üppigen Erscheinung und mit seinem kernigen Kavaliers-Bariton ein trefflicher Jupiter, gegen Ende machen sich jedoch einige Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Gut das übrige Ensemble.
Der Amerikaner Andrew Litton dirigiert das Orchester der Deutschen Oper kraftvoll und zupackend – aber er vermag (wie auch die Sänger) die Strauss’sche Musik nicht zum charakteristischen „Blühen“ und „Leuchten“ zu bringen.
Ein wesentliches Verdienst der Intendantenzeit von Kirsten Harms bleiben die Aufführungen vergessener Werke des spätromantischen Musiktheaters. Aber eine nicht sehr spannende Oper von Strauss – nur brav und solide dargeboten – das ist für eine repertoire-taugliche Wiederentdeckung dann doch zu wenig.

Blut im (Ballett-)Schuh: ‚Black Swan‘ von Darren Aronofsky ****

23. Januar 2011FilmkritikenNo Comments

Nina (Natalie Portman), eine junge hochbegabte Tänzerin im heutigen New York, strebt nach technischer und tänzerischer Perfektion, malrätiert dafür täglich ihren zarten Körper. Umsorgt, aber auch ausgebeutet von ihrer übermächtigen, fast dämonischen Mutter (Barbara Hershey), die ihre eigenen, gescheiterten Ballett-Ambitionen in der Tochter verwirklichen möchte. Nina hat Glück. Der Theater-Direktor und Choreograph Thomas (Vincent Cassel) besetzt in seiner neuen Schwanensee-Produktion die berühmt-schwierige Doppel-Rolle der Schwanenkönigin mit ihr, wobei er deutlich zu erkennen gibt, dass er ihrer keuschen Mädchenhaftigkeit wohl die Rolle des „Weissen Schwans“ zutraut, dass ihr aber der verführerische Sex-Appeal des bösen „Schwarzen Schwans“ noch fehle. Mit dreisten, auch sexuellen Avancen versucht er Nina zu lockern: sie solle „loslassen“, nicht in kalter Tanz-Technik erstarren – denn die Kunst setze erst nach der Perfektion ein.
Nun beginnt für Nina bis zur Premiere ein regelrechter Alptraum, bei dem sie (und auch der Zuschauer) nicht mehr zwischen Realität und Wahn zu unterscheiden vermögen: mit der Kollegin Lily (Mila Kunis), die ihr mal als liebenswürdige Freundin, mal als bösartige Konnkurrentin erscheint, entweicht sie der strengen, mütterlichen Obhut und ihrem mit Stoff-Kuschel-Tieren angefüllten Jungmädchenzimmer, probiert Drogen, geht Sex-Affären ein. Sie entdeckt merkwürdige Verwundungen an ihrem zarten Körper:  blutige Kratzer auf dem Rücken (verursacht durch schwarze Pfeile?)  oder schmerzhaft eingerissene Fingernägel. Sie besucht ihre kalt abservierte, danach durch einen Autounfall verletzte Vorgängerin Beth (Winona Ryder) im Krankenhaus, entdeckt deren grässliche Bein-Narben, flieht entsetzt, und glaubt schliesslich sogar, in ihrer Garderrobe eine neidische und eifersüchtigen Kollegin ermordet zu haben. Ein Horror-Trip an dessen Ende die glanzvoll-umjubelte Premiere mit ihr als neuem Ballett-Star steht: allerdings mit tödlichem Ausgang.
Dem 42-jährigen Hollywood-Regisseur Darren Aronofsky ist – nach seinem letzten, in Venedig 2008 preisgekrönten Film „The Wrestler“ – ein neuer Treffer gelungen. Wiederum die spannend beobachtete, stark emotional mit-empfundene Zerstörung einer Persönlichkeit – nicht nur durch die Umgebung, hier: der hoch-gedrillten Ballett-Welt, sondern vor allem durch eigene Schwächen und Abgründe der Psyche. Wie in Tschaikowskys „Schwanensee“ in der Doppel-Rolles des schwarzen und des weissen Schwans die beiden Seiten einer einzigen Persönlichkeit verkörpert werden, so entdeckt im Film die Tänzerin Nina in ihrem jungmädchenhaften, aber auch frigiden Körper ihren gespaltenen Charakter. Die Flucht in die (äusserliche) Perfektion der Kunst erweist sich bei ihr als tragischer Irrtum, die scheinbare Rettung durch die Kunst wird zur todbringenden Falle.
Nicht nur inhaltlich deutet Aronofsky den „Schwanensee“ neu, sondern auch formal, indem er  Tschaikowskys dramatische Ballett-Musik raffiniert und virtuos in weitausschwingende, filmische Bewegungen umgesetzt, geradezu choreographiert.  Dabei konzentriert er sich (mittels Handkamera) besonders auf Gesicht oder Hinterkopf von Nina: der Zuschauer erlebt dadurch direkt mit, was sie sieht oder wahrzunehmen scheint – Einbildung und Wirklichkeit sind kaum zu unterscheiden. Geschickt verwendet der Regisseur Stilmittel und Ideen aus der Filmgeschichte  (von Michael Powells Ballettklassiker „Die Roten Schuhe“ bis zu Hitchcock, Polanski u.a.), aber er setzt diese Mittel  auf sehr eigene Weise ein, indem er sie heutigen filmtechnischen Möglichkeiten anpasst und intellektuelle Erkenntnisse über Gesellschaft und Psyche geschickt einbezieht .
Seine emotionale Intensität erlangt der Film aber neben dieser ausgeklügelten Regie besonders durch die exzellente Kameraarbeit, den raffinierten Schnitt und eine mal aufpeitschende, mal unheimliche Musik-und Geräusch-Kulisse -  vor allem aber durch das intensive Spiel von Natalie Portmann als ehrgeizig-scheuer Nina, die allmählich die düster-abgründigen Seiten ihrer Psyche entdeckt: eine brillante, darstellerische ‚tour de force‘, die soeben berechtigt mit einem ‚Golden Globe’  ausgezeichnet wurde.
Manche Szene, manches Detail mag ein bisschen überspitzt, zu ausgeklügelt oder klischeehaft erscheinen,  insgesamt gelingt Darren Aronofsky jedoch ein ebenso spannender wie mitreissender Höllentrip durch die menschliche Psyche, gespiegelt in der zugleich harten wie filigranen Kunst-Welt des Balletts – ein Thriller von düsterer Schönheit.

Poster/ Verleih: Twenthies Century Fox

zu sehen: Cine Star Sony Center (OV); Babylon Kreuzberg (OmU); Central Hackescher Markt (OmU); Astor; Cubix; Titania Palast;  Delphi; International;  Kulturbrauerei; Passage Neukölln; Colosseum u.a.

Berliner Szenen-Leichtgewicht: ‚Drei‘ von Tom Tykwer ***

13. Januar 2011FilmkritikenNo Comments

Hanna (Sophie Rois) und Simon (Sebastian Schipper) leben seit 20 Jahren in einer hübschen Berliner Altbauwohnung zusammen, ohne Kinder, ohne Ehering. Beide arbeiten im Kulturbereich  – sie als TV-Moderatorin, er leitet ein kleines Baubüro für junge Künstler -  materiell haben sie deshalb keine Sorgen. Man geht ins Kino, in Ausstellungen oder ins BE, man treibt Sport oder isst mit Freunden: gut-bürgerlicher Alltag der Post-68er. Bis sich beide – ohne vom anderen zu wissen – in den selben Mann verlieben: in Adam (Devid Striesow), einen Stammzellenforscher, der nach gescheiteter Ehe mal mit Männern mal mit Frauen schläft. Nach guter alter Lustspiel-Tradition kommt’s dadurch zu allerlei Verwicklungen und komischen Turbulenzen, bis am glücklichen Ende nicht nur eine flotte ‚Menage a trois‘ eingegangen wird, sondern Hanna auch noch ein Zwillings-Pärchen erwartet.
Diese neu-alte Beziehungs-Komödie spielt vor hübsch aufgeputzter Berliner Szenen-Kulisse, vom Mauerpark bis zum Badeschiff, mit kleinen Ausflügen ins Brandenburger Umland oder an die Ostsee;  zeigt mit leicht ironischem Blick  Leben, Lieben und Marotten der „angesagten“ Kultur-Schickeria.  Wobei die inneren Probleme der Drei mit ihrer Sexualität kaum eine tiefere oder psychologische Rolle spielen, es geht hier lediglich um eine überraschende, schicke Abwechslung – eine modische Beziehungskiste eben – eine kuriose Dreiecksgeschichte konstruiert wie auf den Schwank-Bühnen von anno dunnemals .
Leider glaubt Regisseur Tom Tykwer, diesen flotten Dreier mit allerlei Neben-Personen und Parallel-Handlungen aufmöbeln zu müssen: eine Hermann-Hesse-Gedichte rezitierende Mutter (Angela Winkler) stirbt und lässt ihren Körper bei Gunter von Hagen ausstellen; Simon hat Hodenkrebs, wird operiert und entdeckt unter den Operateuren eine Ex-Freundin, die ein Kind von ihm abgetrieben hat;  Hanna  zeigt sich als heftig streitendes Mitglied einer konservativen Ethik-Kommission über Zellforschung, verliert aber während ihrer Talk-Show mit einer über Spinoza endlos quasselnden Expertin (Corinna Kirchhoff) den Moderations-Faden; Adam treibt so viele Sportarten in seiner Freizeit (Fussball, Schwimmen, Judo, Segeln), geht ins Theater, singt im Chor oder streitet sich mit seinem pubertierenden Sohn über die neuesten ‚Games-Spiele‘, dass man sich wundert, wie er dabei seinem Beruf nachkommt. All diese Einfälle – so witzig sie in manchem Detail sind – wirken in ihrer Anhäufung sehr konstruiert und überflüssig, sie schaden dem Rhythmus und Tempo des Films, ziehen ihn unnötig in die Länge und langweilen.
Dass der Film trotz solcher (Drehbuch-)Mängel über weite Strecken amüsiert und unterhält, verdankt er seinen drei hoch-komödiantischen Haupt-Darstellern: der burschikosen, sehr direkten Sophie Rois mit ihrer charackteristischen Reibeisen-Stimme als Hanna, dem schlacksigen Sebastian Schippers als unsicher-linkischem Softie Simon und – vor allem – dem spitzbübisch-blonden Devid Striesow als recht zwielichtigem Adam, dessen raffiniert-schillerndem Charme die beiden andern nur zu verständlich unterliegen.
Treffliche Schauspieler, ein paar schlagfertige Dialoge und einige ironisch-aufgespiesste Lebens- und Gesellschafts-Beobachtungen machen zwar noch keinen grossen Film, garantieren jedoch – vor allem für Berliner Szenen-Kenner – einigen Unterhaltungswert.

Poster/Verleiher: X-Verleih

zu sehen: CinemaxX Potsdamer Platz; Cine Star im Sony Center;  Delphi;  Filmtheater am Friedrichshain; Capitol;  Hackesche Höfe; International;  Kulturbrauerei;  Yorck;  Passage Neukölln  u.a.

Grelle Posse: ‚Im Weissen Rössl‘ in der Komischen Oper **

10. Januar 2011TheaterkritikenNo Comments

„Singspiel in drei Akten“ nennt sich diese Berliner Revue-Operette aus dem Jahr 1930. Ralph Benatzky ist der Komponist, aber einige der erfolgreichen Musiknummern stammen aus anderen Federn. Und nicht nur musikalisch, auch inhaltlich floss in das alte Volksstück von 1897 viel vom kecken, frivolen Zeitgeist der angeblich goldenen 20er Jahre des letzten Jahrhunderts ein.
In der Neuinszenierung an der Komischen Oper ist dieser flotte Ton aus dem wilden Berlin vor allem in der Musik zu hören: nach vor ein paar Jahren wiederaufgefundenen Manuskripten wurde die Original-Partitur wiederhergestellt – und sie klingt einfach formidabel : eine raffinierte Mischung aus Wiener Walzer-Seeligkeit und dem angejazzten,  trocken-lakonischen Ton eines Kurt Weill.
Das Orchester der Komischen Oper – verstärkt um Banjo-und Zither-Spieler und sogar um einige Mitglieder des BVG-(Blas-)Orchesters – spielen die populären Walzer, Märsche, Tangos oder Foxtrotte – unter der anfeuerenden Leitung von Koen Schoots – so schwungvoll und mitreissend : man mag kaum stille sitzen auf den Zuschauersesseln!
Leider hat die Regie von Sebastian Baumgarten diesem musikalischen Steilpass wenig entgegenzusetzen. Das „Weisse Rössl“ präsentiert sich als dunkle Bauern-Haus-Fassade, in der sich immer wieder Türchen und Fenster wie bei einem Adventkalender öffnen und so Einblicke in  kleine, hell erleuchtete, aber sparsam möblierte Kämmerchen zeigen. Stubenmädchen, Hausburschen, Kellner und Gäste saussen immer wieder rein und raus und auch die blond-bezopfte Wirtin (Dagmar Manzel) und ihr Oberkellner Leopold (Max Hopp) müssen ihr Techtelmechtel im Laufschritt zwischen Vorplatz und Dachkammer austragen.
Die Dialoge werden so schnell gesprochen, und dabei so schlecht artikuliert, dass sie nur bruchstückweise zu verstehen sind. Szenisch wird auf jeden ironischen Pfeil ein grober Klotz gesetzt: das ganze fesche Salzkammergut verstömt hier den Charme eines Ferienlagers aus unseeligen Zeiten – mit Kostümen wohl vom Billig-Discounter.   Auch die auftretenden Berliner Feriengäste bedienen hier nur schmalspurige Klischees: Dieter Montag als Trikotagenfabrikant Giesecke bellt prollig vor sich hin, Kathie Angerer als sein naiv-doofes Töchterchen plappert ununterbrochen mit hoher Pips-Stimme, Peter Renz bleibt als Sigismund so schön wie blass und Irm Hermann nimmt als Kaiser ebenso hölzern wie steif die Pimpf-Parade ab. Auf Revue- und Show-Einlagen wird (aus Kostengründen?) verzichtet, die wenigen Tanzschritte der Solisten bewegen sich im bieder-braven Stil von Provinz-Theatern: eine Parodie?
Und all diese Possen wollen kein Ende nehmen : immer wieder werden – besonders in 3.Akt – die Musik-Nummern wiederholt, noch ein Gag eingefügt, noch ein Einfall ausgewalzt, dreieinhalb Stunden zieht sich diese Klamotte nach Casdorfschem Volksbühnen-Muster hin, Langweile breitet sich aus.
Da hilft auch die routinierte Quirligkeit von Dagmar Manzel nichts, auch die komödiantische Energie Max Hopps (mit seinen fast virtuosen Slapstick-Einklagen) läuft sich tod – und nur die Musik hilft diesem plump-überdrehten Operetten-Abend über die Runden -  dessen Regisseur das ironisch-kesse  „Weisse Rössl“ mit einer faden  „Pension Schöller“  verwechselt hat.

Foto:Iko Freese/Komische Oper

nächste Vorstellung:26.Januar 2011

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