Rainer Allgaier

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Monat: Oktober 2014

Paprika und Geigenschmalz: ‚Gräfin Mariza‘ im Staatstheater Cottbus***

27. Oktober 2014TheaterkritikenNo Comments

Neben vielen anderen Werken gelangen dem ungarische Operetten-Komponist Emmerich Kálmán (1882 – 1953) zwei triumphale Welterfolge, die bis heute zum Standart-Repertoire des musikalischen Unterhaltungs-Theaters zählen: 1915 „Die Csárdásfürstin“ und neun Jahre später, 1924, „Gräfin Mariza“. Jetzt findet in einer Neueinstudierung des Staatstheaters Cottbus Letztere erneut breite Publikums-Zustimmung.
Natürlich ist die verwickelte Liebesromanze zwischen einer stein-reichen Gräfin und Gutsbesitzerin und einem verarmten Adligen, der ihr unter falschem Namen als Verwalter dient, heute (fast 100 Jahre später) kaum noch von Interesse. Aber die vielen populären Melodien und schmissigen Tanzeinlagen zünden wie eh und je – wenn auch vorwiegend bei älteren Zuhörern oder Klassik-Liebhabern.
Das Iszenierungs-Team in Cottbus (Steffen Piontek,Regie; Mike Hahne, Ausstattung; Winfried Schneider,Choreographie) hat sich sehr geschickt eines alten Theater-Tricks bedient: es präsentiert die neue Mariza mit viel sanfter Ironie.
Die Bühne ist ein halbrunder Salon, beherrscht von zwei hohen, weißen Türen und einer prachtvollen Landschafts-Tapete mit Rosen-Hecken und bleu-leuchtendem Himmel. Ein lustig umherspringender Zigeuner läßt seine Geige schluchzen, wenn die blonde Mariza im schwarz-silbernen Coktail-Kleid bei ihrem berühmten Auftrittslied die feurige Pusta-Klänge ihrer Heimat preist, oder wenn der nette Verwalter sehnsuchtsvoll die ’süßen und reizenden Frauen im schönen Wien“ besingt. Und wenn beide zögerlich und skeptisch sich ihre Liebe gestehen, öffnen sich die Türen und gruppieren sich allerliebste Woll-Schafe putzig um das hohe Paar.
Dazwischen wirbelt der rot-uniformierte Guts-Nachbar Zsupan mit schwarzer Schmachtlocke umher und macht keck die kleine Schwester des Verwalters im flotten Tanzschritt an: „Komm mit nach Varasdin, solange noch die Rosen blühn“! Zum (Schein-)Verlobungs-Fest wird eine rießige, rote (Kunst-)Paprika herein gerollt: darin verborgen das Budapester Tabarin – ein Nobel-Nacht-Club.
Zum turbulent-glücklichen Ende rauscht mit lauter Stentor-Stimme die reiche Tante als (finanziell) rettender Engel herein und der uralte, treue Diener löscht gerührt das romantisch flackernde KerzenLicht.
Auch musikalisch geht’s flott zur Sache: der neue Haus-Kapellmeister Ivo Hentschel stellt sich vor – noch etwas nervös, aber mit Schwung. Chor und Kinder-Chor singen frohgemut, bleiben aber – ebenso wie die Ballett-Tänzer – dekorative Folklore im Hintergrund. Als kapriziöse Grafin Mariza strahlt Gesine Forberger lässige Eleganz aus, Alexander Geller ist der ihr verfallene Verwalter – wohlklingend, wenn auch etwas steif. Debra Stanley ist das brave, nette Schwesterlein, temperamentvoll umworben von Peter Koppelmann als Guts-Nachbar Zsupan – er hat wahrhaft den Csárdás im Blut!
Ein Operettenabend, der – über weite Strecken – Sentiment und Ironie attraktiv mischt, der die etwas altbackene Boulevard-Komödie und die ungarischen Zigeunerklischee’s mit hübschem Augenzwinkern serviert und der Emmerich Kálmáns mitreissende Musik effektvoll zum Klingen bringt. Klar, manchmal fallen sprachliche oder szenische Gags auch flach oder plump aus, insgesamt aber überzeugt diese „Gräfin Mariza“ durch freundlichen Charme und schmunzelndem Witz.

Foto: Marlies Kross/Staatstheater Cottbus

nächste Vorstellungen: 28./30.Okt.//05./21.Nov.//07./31.Dez.2014//01.Jan.2015

Fade Spurensuche:’The Cut‘ von Fatih Akin *

23. Oktober 2014FilmkritikenNo Comments

1915, eine armenische Gemeinde im Süden der (noch osmanischen) Türkei. Nazaret, der Dorfschmied, wird eines Nachts von türkischen Soldaten rekrutiert und mit anderen Männern des Orts zu harter Arbeit beim Bau einer Wüstenstrasse gezwungen. Später werden diese wie Sklaven behandelten Männer brutal umgebracht. Nazaret hat Glück im Unglück, ihm weden nur die Stimmbänder, nicht die Kehle wie bei den anderen durchschnitten. Stumm flieht er in die Wüste, trifft auf ein zerstörtes Lager, in dem die türkischen Militärs armenische Frauen, Männer und Kinder grausam verdursten und verhungern lassen. Im syrischen Aleppo wird Nazaret von einem mitfühlenden Kaufmann aufgenommen und erfährt durch Zufall, dass seine beiden Zwillingstöchter den Genozid überlebt haben und jetzt in einem libanesischen Waisenhaus leben sollen. Er begibt sich daraufhin auf eine lange, mehrjahrige Suche, die ihn über den Libanon, Kuba bis nach Nord-Amerika führt – wobei er an jedem Ort einen ihm wohlgesonnenen Helfer findet. Im Winter 1923 gibt’s in der weiten, ärmlichen Landschaft von Nord-Dakota ein Happy End – wenn auch mit einer traurigen Einschränkung.
Der 138 Minuten lange Film zerfällt in zwei Teile:  der erste klagt den Völker-Mord an den Armeniern während des 1.Weltkrieges durch die Türkei an, der zweite Abschnitt imitiert klassisches Road-Movie-Kino, bei dem der amerikanische (oder auch italienische) Western deutlich Pate stand.
Doch Regisseur Fatih Akin gelingt es weder, die grausame Vergangenheit der Armenier im Schicksal eines Einzelnen zu spiegeln, noch den Western-Vorbildern Hollywoods dramatisches Leben einzuhauchen.
Das Drehbuch wirkt wie eine brav gestrickte Seminararbeit angehender Filmschüler, bei der alle Handlungs-Fäden ordentlich zusammen genäht und alle angedachten Problem-Felder mit kurzen Bild- oder Ton-Sequenzen illustiert werden. Die Kamera schwenkt zwar oft in breiten, schönen Panorama-Bildern von Bergen, Wüsten oder Meer, doch die übrige Szenerie riecht heftig nach Pappe und Schminke – überdeutlich im düsteren Wüstenlager mit den dekorativ arrangierten Leichen oder stöhnenden Sterbenden. Auch vermag der Darsteller des Nazaret seine furchtbare Odysee kaum  in Körper-Haltung oder Minen-Spiel sichtbar werden zu lassen: er bleibt von Anfang bis Ende der gleiche junge Mann, in dessen hübschem Gesicht sich nicht eine Spur seines leidvollen Schicksals eingräbt.
Sicherlich, es gibt immer wieder mal ein paar Sequenzen, in denen Fatih Akins Regie-Talent aufblizt, beispielweise in der Szene, in der ein früher Stummfilm von Charlie Chaplin bei den einfachen, arabischen Zuschauern ebenso freudiges Lachen wie Tränen der Rührung auslöst, -  und wie es Akin bisher so eindrucksvoll in seinem Berlinale-Sieger „Gegen die Wand“ oder in dem deutsch-türkischen Aktivisten-Drama „Auf der anderen Seite“ bewiesen hat.
Schade deshalb, dass das ehrgeizige und teuer produzierte filmische Epos über ein Kapitel Zeitgeschichte des frühen 20.Jahrhunderts zu einem Flopp mißraten ist — überfrachtet, lebenlos und langweilig.

Foto/Poster: Pandora Filmverleih

zu sehen: Hackesche Höfe Kino (OmU); Capitol; CinemaxX Potsdamer Platz; Delphi; Filmtheater am Friedrichshain; Kino in der Kulturbrauerei; Yorck

Broadway entert Eiffelturm: ‚Die schöne Helena‘ in der Komischen Oper***

18. Oktober 2014TheaterkritikenNo Comments

Vor genau 150 Jahren, im Dezember 1864, erlebte Jacques Offenbachs „La belle Hélène“ in Paris ihre überaus erfolgreiche Uraufführung – eine musikalische Satire auf die Gesellschaft der damaligen Zeit im Gewand der Antike. Helena, die von Venus als schönste Frau der Welt gepriesene Gattin des leicht vertrottelten Königs von Sparta, Menelaus, wird durch Paris, den flotten Prinzen von Troja, erst – angeblich im Traum – verführt und dann aus ihrer spiessigen Ehe befreit und auf eine glückliche Insel entführt. Der Trojanische Krieg findet nach dem Happy-End, d.h. nach dem Schluß dieser melodienseligen „Opéra bouffe“ statt.
Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper und Regisseur der Neu-Inszenierung, hat klar erkannt, daß die satirischen Pfeile dieses „Mutterschiffs“ der Operette heute stumpf erscheinen – bis auf ein paar Seitenhiebe auf die Institution der Ehe. Auch als politischer Subtext zu Antike, Seconde Empire oder Gegenwart – wie oft behauptet wird – hat diese französische Farce ausgedient. Dafür entdeckt Barrie Kosky die komisch-grotesken, die parodistischen und surrealen Facetten der Geschichte – französischer Dada beflügelt angelsächsischen Nonsens, Monty Python trifft Wooy Allen!
Prinz Paris tänzelt mit dunkler Sonnebrille und in schwarzer Cowboy-Kluft herein, Helena girrt, zischt und määht schafsgleich silberne Töne, Menelaus – mit Augenklappe – wird im Rollstuhl umhergefahren, Ober-Priester Kalchas witzelt und watschelt wieselflink trotz gut gepolsterter Fleischmassen unterm strengen Prälatenrock, eine männliche „Brieftaube“, Dirndl tragend,  überreicht auf Spitzen trippelnd ihre Botschaft und die ‚hilfs-bereite‘ Tänzerriege blonder Jungs in knappen Lederhosen schiebt nicht nur das blaue Riesensofa passgenau vor die klassizischischen Salonwände oder auf den runden Orchester-Laufsteg, sondern präsentiert sich auch als virtuos exerzierende Palast-Wache auf Rollschuhen.
Musikalisch wird ebenfalls  kräftig gescherzt: aus dem alten Trichter-Grammophon krächzen Töne von Richard Wagner und Charles Aznavour, eine Klezmer-Band und ein Bandoneonspieler tätigen klangvolle Kurz-Auftritte, Beethoven oder Richard Strauss steuern ebenfalls karikierende Akzente bei und im Schluß-Akt darf Helena mit Edith Piaf versichern „Non, je ne regrette rien“. Wahrend Menelaus – nun wie alle anderen auch im gestreiften Badekostüm – jammert „Ne me quitte pas!“
Tempo! Tempo! heisst die Devise und das Ensemble der Komischen Oper macht diesem Motto alle Ehre. Solisten (wegen der zahlreich angesetzten Vorstellungen in wechselnder Besetzung), Chor und Orchester (unter einem schwungvollen Henrik Nánási) singen, tanzen, witzeln, kalauern, wechseln Perücken und Kostüme (von Buki Shiff köstlich entworfen) und verspühen dabei ansteckend und andauernd gute Show-Laune.
Der Hacken jedoch ist: ein Zuviel an Gags und Einfällen. Der Abend dauert über drei Stunden – für eine Unterhaltungs-Revue einfach zu lang! Die elegante Musik Offenbachs wird überfrachtet und die zu Beginn knackig-nackten Hintern der Boys wirken dann nach langen drei Akten einfach schlaff.
Barrie Kosky bezeichnet im Programmheft seine vielen Zutaten als „Kräuter, die man über den Braten streut“. Doch diesmal hat er die Mahlzeit – so appetitlich-effektvoll sie angerichtet ist – einfach überwürzt. Dennoch: der Großteil des Publikums hat sich wie einst Bolle „janz köstlich amüsiert“.

Foto: Iko Freese /Komische Oper Berlin (Nicole Chevalier als Helena)
nächte Vorstellungen: 19./25.Okt.// 08./15./23.Nov.//11./31.Dez.2014

Betrogene Betrüger? :’Gone Girl – Das perfekte Opfer‘ von David Fincher***

14. Oktober 2014FilmkritikenNo Comments

Eine im Grund alltägliche und banale Story: die (kinderlose) Ehe eines junges Paar steht an seinem 5.Hochzeitstag vor dem Aus – auch wenn das öffentlich keiner der Beteiligten zugeben möchte. Nick (Ben Afflek) und Amy (Rosamund Pike) sind durch die Wirtschaftskrise 2008 arbeitslos gewordene Journalisten. Sie  zogen deshalb von New York in Nick’s Heimatort in Missouri, wo er nun mit seiner Schwester Margo (Carrie Coon) eine bescheidene Bar betreibt, während Amy sich um (Vorort-)Haus und Garten kümmert. Doch jetzt, genau am Hochzeitstag verschwindet Amy – umgestürzte Möbel und Blutspuren lassen zunächst auf eine Entführung schliessen. Die Polizei untersucht routinemässig die Spuren, verdächtigt aber bald – auch auf Grund von Zeugenaussagen der Nachbarn – Nick als Mörder seiner Frau. Eine sensationslüsterne, einseitige Berichterstattung im lokalen Fernsehn verstärkt den Eindruck einer ehelichen Mordtat, obwohl Nick – unterstützt von seinen aus New York herbeigeeilten Schwiegereltern – immer wieder beteuert und (vergeblich) nachzuweisen versucht, dass er sich Amys Verschwinden nicht erklären kann und er kein Mörder sei. Er verschweigt dabei aber, dass die anscheinend glückliche Ehe innerlich schon längst zerbrochen ist und er ausserdem ein Verhältnis mit einer jungen Frau unterhält. Dann findet die Polizei ein Tagebuch von Amy, in dem sie schildert, wie ihre Ehe durch Nicks Egoismus und Brutalität scheiderte, und in dem sie zugleich andeutet, daß Nick ihr etwas antuen könnte. Nick sitzt damit endgültig in der Täter-Falle, doch plötzlich nimmt die Geschichte einen unerwarteten und ganz anderen Verlauf…
David Finscher („Fight Club“; „Zodiac“) inszeniert diesen Thriller nach einem sehr erfolgreichen Roman von Gillian Flynn, die auch selbst das Drehbuch schrieb. Pinschers filmischer Trick und seine Rafinesse jedoch bestehen darin, daß er die blutige Geschichte aus den unterschiedlichen Perspektiven von Nick und Amy erzählen läßt. Und zwar so, daß die jeweiligen Schilderungen der unterschiedlichen Sichtweisen sich nicht ergänzen, im Gegenteil sich sogar widersprechen. Es bleiben so nicht nur für die ruhig und besonnen untersuchende Polizei-Offizierin Rhonda Boney (Kim Dickens) viele Fragen offen, sondern auch für den Zuschauer des Films.
Es werden zwar die Umrisse des Ehedramas, die psycho-pathologischen Charakterzüge einzelner Personen, die fatal-fahrlässige Berichterstattung amerikanischer TV-Kanäle, die populistisch-hysterischen Verhaltensweisen sogenannter „normaler“ Durchschnitts-Bürger deutlich, aber vor allem zeigen sich hier die Grenzen scheinbarer Objektivität.  Eine einfache oder eindeutige Wahrheit – so die Quintessenz von Pinchers etwas zu lang und teilweise zu plakativ geratenem  Thriller – gibt es nicht! 
Das Bild, mit dem der Film beginnt und dann auch endet, zeigt in Großaufnahme das fragende Gesicht Amys, und dazu hört man (im Off) die ruhige Stimme von Nick: „Ich denke darüber nach, ihren Schädel einzuschlagen und ihr Gehirn zu sezieren, um eine Antwort auf die Frage zu finden: Was haben wir einander angetan?“

Foto/Poster: Verleiher Fox Deutschland

zu sehen: u.a. CineStar Sony Center (OV); Babylon Kreuzberg (OmU); Filmtheater am Friedrichshain (OmU); Kino in der Kulturbrauerei (OmU und Dt.); Sputnik (OmU und Dt.); Astra; CineMotion Hohenschönhausen; CinemaxX Potsdamer Platz; Cineplex Neukölln-Arcaden; Titania Palast Steglitz; CineStar Treptower Park; Cubix Alexanderplatz; CineStar Hellersdorf; CineStar Tegel; Kino Spreehöfe; UCI am Eastgate; Colosseum; UCI Friedrichshain; UCI Zoo-Palast

Ohne Glanz und Glamour: ‚Tosca‘ in der Staatsoper im Schillertheater**

4. Oktober 2014TheaterkritikenNo Comments

Giacomo Puccini’s veristischer Reisser „Tosca“ (UA in Rom 1900) gehört zum Standard-Repertoire jedes grösseren Opernhauses, meist als bühnenpraktische Plattform für reisende Stars. Entsprechend langlebig (und verschlissen) sind die jeweiligen Inszenierungen. Deshalb wurde in der Staatsoper nach 38 Jahren Laufzeit die alte „Tosca“ verschrottet, und jetzt zu Spielzeitbeginn durch eine neue ersetzt : aufwendig präsentiert von dem  (zu ?) vielbeschäftigen, lettischen Regisseur Alvis Hermanis und mit Daniel Barenboim höchstpersönlich am Dirigentenpult.
Doch schnell stellte sich beim festlich gestimmtem und erwartungsvollen Publikum der Premiere Nüchternheit ein. Am Ende, nach gut zwei Stunden (einscliesslich einer langen Pause) gab’s lediglich ein paar obligatorische Bravos für die Musiker, Buhs für das Regie-Team, insgesamt nur knappen Beifall, der schnell beendet war. Was war da passiert, dass einem solch beliebten, hochdramatischen Opern-Knüller so rasch die Bühnen-Luft ausging?
Der Regisseur – auf Originalität erpicht – hatte den wenig erhellenden Einfall, die Story doppelt vorzuführen. Zum einen als realistisches Spiel vor einer klassizistischen Säulen-Wand und in Kostümen, die der Zeit der Uraufführung nachempfunden sind, zum andern als auf einer breiten Leinwand – hoch über den Köpfen der Sänger – ablaufende Bilder-Folge:  Skizzen und Zeichnungen, die die Ausstatterin Kristine Jurjane bei einem Aufenthalt an den römischen Original-Schauplatzen gemacht hat. Eine Art Comic-Strip in Perücken und Kleidern um 1800, jener politisch unruhigen Zeit, in der „Tosca“ laut Libretto spielt. Doch die beiden Erzählweisen korrespondieren kaum, die Verdopplung wirkt eher störend und albern, zumal dem Regisseur auf der realistischen Ebene – vor allem in der Personenführung – kaum etwas eingefallen ist. Lediglich ein paar alteingeschliffene Inszenierungs-Details hat er aufgegeben: so muss beispielsweise Tosca die Leiche des von ihr ermordeten Scarpia nicht mehr mit Kerzen und Kreuz umstellen, sondern darf erschöpft in einen Sessel fallen und ein Glas Rotwein schlürfen. Und am Schluss stürzt sie sich nicht von der Engelsburg herab, sondern schreitet mit erhobenen Armen (engelsgleich?) ins Dunkle, während die Comic-Zeichnung sie tot auf dem Pflaster liegend zeigt.
Eine solch gedanklich überfrachtete Inszenierung kann oft durch die Musik überspielt werden. Doch auch hier weitgehend Fehlanzeige: Anja Kampe als Titelheldin verfügt zwar über einen in allen Lagen wolklingenden, flexibel geführten Sopran, macht auch darstellisch durchaus gute Figur, aber ihrer Tosca fehlen Strahlkraft, Glamour und jene Italianità, die diese Bühnen-Diva so einzigartig und langlebig macht. Als fieser Polizeichef Scarpia beeindruckt Michael Volle, gerade zum „Sänger des Jahres“ gekürt, durch seinen satten Bariton und seine sattliche Erscheinung, stilistisch ist er eher dem deutschen als dem italienischen Fach verpflichtet – von der dämonischen Eleganz dieses Bösewichts ist deshalb (musikalisch) wenig zu spüren. Allein Fabio Sartori vermag als politisch engagierter Maler Cavaradossi seinen hellen Tenor musikalisch überzeugend einzusetzen, als Darsteller beschränkt ihn seine Körperfülle auf wenige, andeutenden Gesten. Die übrigen Darsteller und die kurzen Chorauftritte – solides Stadttheater!
Auch Daniel Barenboim hat Schwierigkeiten mit seinem ersten Puccini-Opern-Dirigat. Zwar gelingen ihm immer wieder sehr schöne Passagen, brutal schmetternde oder zart lyrische, die dann auch von den Solisten der Staatskapelle wunderbar ausgeführt werden, aber all diese Einzelheiten fügen sich nicht zum überzeugenden Ganzen, verdichten sich nicht zum spannenden und schliesslich explodierenden Psycho-Thriller. Barenboim entdeckt vielerlei Klangfarben und stilistische Anklänge von der Romantik bis zur Moderne in Puccinis Partitur, doch der Zerfall in einzelne „Nummern“ und die meist sehr langsamen Tempi zerstören den raffiniert aufgebauten Spannungsbogen und bringen „Tosca“ so um ihren Glanz und ihren dramatischen Effekt.
Schade.

Foto: Staatsoper Berlin/ Hermann und Clärchen Baus

nächste Vorstellungen:06./12./16./19./22./25.Oktober 2014

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