Helden-Epos: ‚Satyagraha‘ in der Komischen Oper***
Einstein on the beach
Theater- und Filmkritiken
Einstein on the beach
Der amerikanische Komponist Philip Glass bewundert Menschen, die die Welt bewegen, und ehrt sie mit seiner Musik: Einstein, Echnaton oder Gandhi. Dem indischen Philosophen und Staatsgründer ist seine zweite Oper gewidmet: „Satyagraha“, die 1980 in Rotterdam uraufgeführt wurde. Das Wort bedeutet „Kraft der Wahrheit“ und wurde zur Grundlage für Gandhis Lehre vom gewaltfreien Widerstand.
Das – noch an keinem der drei Berliner Opernhäuser aufgeführte – musiktheatralische Werk zeigt Szenen aus Gandhis langjährigem Aufenthalt in Südafrika: wie er auf Grund von Repressalien der Kolonialherrschaft an der dort lebenden indischen Gesellschaft und durch die Lektüre der heiligen Texte („Bhagavadgita“) zur Idee des politischen Widerstands ohne Gewalt fand. Die einzelnen, historischen Episoden werden nur ziemlich abstrakt angedeudet (vorherige Lesung des Programmbuches empfiehlt sich!). Sie dienen vor allem der gedanklichen Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Personen, seien es die historischen Figuren oder enstammen sie der göttlichen Welt. Mit der Entstehung seiner Lehre findet Gandhi auch zu einem alternativen Leben, das sich auf der von ihm erbauten Farm abspielt, die er nach dem bewunderten frühsozialistischen, russischen Schriftsteller Tolstoi benannt hat. Sein Ziel: leben und arbeiten auf der Grundlage von Wahheit, Menschenwürde und Solidarität.
„Frantz““ / Deutsch-französischer Film von Francois Ozon / 2016
Nach einem französischen Theaterstück aus den Zwanziger Jahren und einem (erfolglosen) Film von Ernst Lubitsch. Die Geschichte eines französischen Soldaten, der in einem Schützengraben des 1.Weltkriegs bei einer unerwarteten Begegnung einen deutschen Soldaten erschießt. Dessen Namen (Frantz) und Herkunft (Quedlinburg) entdeckt er durch einen Brief in der Brusttasche des Getöteten. Nach Kriegsende besucht er Eltern und Verlobte des Deutschen, wobei er ihnen erzählt, ein Vorkriegs-Freund des Gefallenen zu sein. Doch seine moralischen Skrupel veranlassen ihn nach einiger Zeit, die Wahrheit zu gestehen. Francois Ozon erzählt in seinem Schwarz-Weiß-Film (es gibt nur kurze Farbeinblendungen) vom damaligen tiefen Haß der beiden Völker aufeinander, der auch nach Kriegsende weiterlebt und nur sehr schwer diesseits wie jenseits des Rheins überwunden wurde. Trotz guter Darsteller (Goldener Löwe für Paula Baer als Nachwuchsschauspielerin) und eindrucksvoller Bildgestaltung, bleibt der Film doch allzu vorhersehbar und mit viel Routine recht altmodisch und brav in Szene gesetzt. Moralisch korrekt, aber kaum Neues oder Überraschendes.
„American Honey“ / Britisch-amerikanischer Film von Andrea Arnold / 2016
Ein Dutzend junger Leute, ziemlich ausgeflippt, reist in einem Mini-Bus durch die USA. In den Vororten großer Städte, wo die gut bürgerliche Mittelschicht in kleinen Häusern mit grünen Vorgärten wohnt, betätigen sie sich als ausgebuffte Verkäufer von Zeitschriften Abos, Eine schrille Drücker-Kolonne – angeführt von der eiskalten Blondine Krystal (Riley Keough) und ihrem Lover Jake (Shia LaBoeuf) – ,Alkohol, Drogen und Sex beherrschen das Zusammenleben, das sich vor allem im Auto oder billigen Motels abspielt. Im Mittelpunkt des Films: die 18-jährige Star (Neuentdeckung Sasha Lane), die ihr tristes Heim verläßt und in Jake die große Liebe (Zuneigung und Sex) gefunden zu haben glaubt. Doch bald ihre diesbezüglichen Illusionen aufgeben muß und sich nun – wie alle anderen – dennoch vorgaukelt, ein tolles Leben in vorgeblich totaler Freiheit gefunden zu haben. Der Debüt-Film der britischen Regisseurin Andrea Arnold in Hollywood: ein bizarres Road-Movie, auf trditionelle Erzählweise ebenso verzichtend wie auf genaue Psyologie der Figuren. Die Handkamera suggeriert realistische Nähe, gelegentlich von etwas exzentrischen Naturaufnahmen konterkariert. Doch das Fehlen jeder Entwicklung der Geschichte oder der Personen lähmt schnell das Interesse, dazu fördert die ungewöhnliche Film-Länge von 163 Minuten entstehende Langeweile. Offen auch die Frage: wen oder was soll diese ausgeflippte Hipstertruppe darstellen: die junge Generation in den USA? Ein diffuses Opus.
Zwei berühmte Theater- und Film-Schauspieler erinnern sich an ihr Leben und ihre Karriere, die stark vom politischen Hintergrund der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts beeinflußt waren: Tilla Durrieux (1880 – 1972) und Emil Jannings (1884 – 1950). Beide wurden zu Stars in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts – Durrieux hauptsächlich auf den Bühnen in Berlin, Jannings vor allem durch in Babelsberg und Hollywood gedrehte Stummfilme. Nach 1933 ging Tilla Durrieux iins Exil nach Zagreb, während Jannings als Mitläufer in den Propaganda-Filmen der Nazis brillierte. Nach 1945 erhielt er darum von den Alliierten lebenslanges Berufsverbot, zog sich nach Kärnten zurück, wo kurz darauf er an Krebs starb. Tilla Durrieux, deren jüdischer Mann von den Nazis in Kroatien umgebracht wurde, verdingte dort sich als Näherin in einem Puppentheater, kehrte 1952 nach Deutschland zurück, wo ihr eine beachtliche, aber mühsam erworbene Alterskarriere glückte.
Das Libretto schrieb der Schriftsteller Christoph Hein, der bereits vor ein paar Jahres ein (am Deutschen Theater uraufgefürtes) Stück über die Durrieux verfasst hatte. Für das Musiktheater „Comeback“ schaltet er Erinnerungs-Szenen von Durrieux und Jannings abwechselnd parallel und läßt sie so zeitlich chonologisch deren Schicksal erzählen. Doch was vielleicht auf dem Sprechtheater funktioniert hätte, erweist sich fürs Musiktheater als völlig untauglich. Auch wenn die Musik des noch jungen, argentinischen Komponisten Oscar Straßnoy geschickt zeitgenössisches Idiom durch Anklänge an Jazz, Chanson oder Kabaret der 20er Jahre aufmischt – die singenden Theater-und Filmstars gerinnen zu manirierten Kunstfiguren, die sich in aufgebrezelten Platitüden ergehen. Da beide Figuren sich auch nie begegnen und in einen kontroversen oder spannenden Dialog treten, bleibt die für einen gelungenen Theaterabend notwendige Dramatik aussen vor: Langeweile stellt sich ein.
Die Aufführung selbst ist schlicht aber solide. Regisseur Ingo Kerkhof zeigt auf einer flachen, nur mit ein paar Requisiten (Sofa, Garderoben-Stange) bestückten Bühne das jeweilige Geschehen in klaren Bildern und einsichtiger Personenführung. Die Figur der Durrieux ist doppelt besetzt: die Schauspilerin Maria Husmann steckt als Tilla 2 wie einst Becketts Winnie („Glückliche Tage“) bis zur Taille im Boden, diverse Hüte und Fächer um sich herum, während die Sopranistin Jdie osephine Renelt als Tilla 1 sich im blaublassen Abendkleid frei bewegen darf: was der Wortverständlichkeit nicht gerade gut tut. Ralf Lucas sitzt mit dunkler Brille als Jannings im Rollstuhl und gibt seinem kurzbehosten Neffen Jörg (Johannes Euler), der die Schauspiel-Kunst erlernen will, mit gewaltig dröhnendem Baß-Bariton platte Ratschläge, während seine Frau Gussy Holl (Nadia Steinhard) dem schüchternen Jüngling erotisch zu Leibe rückt. Max Renne leitet die zehn Musiker der Staatskapelle (darunter Akkordeon, E-Gitarre und Schlagzeug) präzise durch Oscar Straßnoys Partitur, aber die Position dieses kleinen Orchesters auf dem seitlichen Balkon bringt die Klangbalance mit dem Ensemble auf der Bühne ins Wanken.
Nach 70 Minuten ist dieses musikalische „Comeback“ der beiden Alt-Stars des Berliner Theaters zu Ende – die Wiederbegegnung hat sich kaum gelohnt !
Am 3.Oktober 2010 soll im umgebauten Schillertheater der Vorhang erstmals fuer die Staatsoper hochgehen – dann beginnt ein rund 3-jaehriges Gastspiel der verschiedenen Ensembles des Hauses unter den Linden in der alten Staatlichen Schauspiel-Hochburg an der Bismarckstrasse. Waehrend dieser Zeit wird das Staatsoperngebaeude vollstaendig renoviert und auf den neusesten technischen Stand gebracht, der Zuschaerraum – nach heftiger oeffentlicher Diskussion – im Stil des Wiederaufbaus von 1955.
Seit Anfang dieses Jahres bevoelkern etwa 30 Fachfirmen mit 80 Mitarbeitern das Schillertheater, reissen Bauteile ab und bauen andere auf, verwandeln ein Sprech- in ein Musik-Theater, was in erster Linie eine veraenderte Akustik bedeutet: aus einem relativ trockenem Auditorium mit kurzem Nachhall wird mit allerlei technischen Hilfen ein sehr viel machtvollerer Klang-Raum fuer grosses Orchester, Chor und Saenger. Was unter anderem zur sichtbaren Folge fuehrt, dass die schwarze Wandfarbe im Zuschauerraum (ein haessliches Ueberbleibsel der Gobert-Intendanz) abgekratzt und der alte helle Natur-Holzton wiederhergestellt wird.
Die ersten Parkettreihen sind bereits entfernt, ein riesiges Bauloch laesst den kuenftigen Orchestergraben fuer bis zu 120 Musiker ahnen – allerdings veringert sich dadurch die Anzahl der dann zur Verfuegung stehenden Zuschauerplaetze auf auf nicht ganz 1000 (wobei die alten Sessel – frisch aufgepolstert – erhalten bleiben).
Auch Foyers und Garderroben sollen im alten Glanz wiedererstrahlen – leider laesst der fuer diesen Umbau auf rund 23 Millionen Euro begrenzte Etat eine vollstaendige Rekonstruktion des alten Theaters, wie es sich so stimmig im Stil der 50er Jahre unter Boleslaw Barlog praesentierte, nicht zu. Doch die Leitung der Staatsoper und die Senatsbauverwaltung sind optimistisch, dass die bauliche Umgestaltung sehr attraktiv fuer Kuenstler wie Publikum ausfallen wird und auch rechtzeitig beendet werden kann, um ab Herbst 2010 einen normalen Repertoire-Betrieb aufnehemen zu koennen – Neuinszenierungen (u.a. Wagner’s „Ring“) wie Uebernahmen aus den alten Haus, einschliesslich Konzert und Ballett.
Und wenn die Staatsoper dann nach 3 Jahren ins frisch renovierte Stammhaus unter den Linden zurueckkehrt, soll – so die momentane Planung – die Komischen Oper in das Schillertheater einquartiert werden, denn auch das Haus in der Behrenstrasse bedarf einer laengeren, gruendlichen Sanierung.
Schiller macht’s moeglich.
Foto: Senatsverwaltung fuer Stadtentwicklung
Die Nationalgalerie am Potsdamer Platz praesentiert in diesem Sommer eine kaum bekannte private Sammlung. Zusammengetragen in den letzten 40 Jahren vom Berliner Ehepaar Ulla und Heiner Pietzsch, konzipiert und finanziert vom „Verein der Freunde der Nationalgalerie“. Titel der umfangreichen Ausstellung: „BilderTraeume“ (die eigene Sammlung klassischer Moderne verschwindet deshalb im Depot – eine nicht unproblematische Entscheidung). Es handelt sich um erstmals in Berlin gezeigte Arbeiten von Max Ernst, Rene Magritte, Paul Delvaux, Salvatore Sali, Juan Miro, Andre Masson, Yves Tanguy, Hans Bellmer u.v.a. Diese Surrealisten und ihre Verwandten (z.B.Leonor Fini, Frida Kahlo) bilden den Schwerpunkt der ueber einen leichten Parcour sich erschliessenden, sehr geschickt inszenierten Ausstellung. Daneben ueberrrascht eine bisher wenig beachtete, aber wichtige Verbindung zu amerikanischen Kuenstlern der 40er Jahre, die von den Errungenschaften der aus Europa exilierten Malern und Skulpteuren profitierten: Jackson Pollock, Ad Reinhardt, Mark Rothko, Robert Motherwell, Barnett Newman. Werke dieser damals noch jungen Maler – bevor sie ihren eigenen Stil zur anerkannten Meisterschaft entwickelt haben.
Ergaenzt wird die oppulente Schau, die vor allem die Vorlieben und Moeglichleiten ihres Sammler-Ehepaares dokumentiert, durch historische Kunst-Zeitschriften und beruehmte Portraet-Fotos der ausgestelltem Kuenstler, unter anderm von Man Ray, Brassai oder Cartier-Bresson.
„Eine Sammlung aus Leidenschaft und Liebe“ – so Christina Weiss, die Vorsitzende der „Freunde“ -, die hoffentlich von vielen Kunst-Freunde und -Interessierte in diesem Sommer (19.6. – 22.11.) bestaunt wird – denn im Winter sollen die Bilder, Skulpturen und Mobiles wieder in die schoene Villa zurueckkehren, die sich Ulla und Heiner Pietzsch in Berlin fuer diese Werke erbaut haben.
Foto:F.Friedrich/Staatliche Museen zu Berlin
Eine schoene Idee: das soeben fertiggestellte, „kritisch“ restaurierte Neue Museum mit Musik- und Tanz der Oeffentlichkeit vorzustellen. Sasha Waltz laesst ihre Taenzer, das Vocalconsort Berlin und das Solistenensemble Kaleidoskop die vielen noch leeren Raeume in fliegenden Wechsel bespielen: mit kurzen taenzerischen Sequenzen, mit klangschoenen Chorgesaengen und – ueberwiegend – zeitgenoessischer Kammermusik (Ligeti,Kurtag,Xenakis u.a.) Das Publikum darf waehrend der zweieinhalb-stuendigen Performance frei durch das Museum wandern, den Taenzer, Choristen und Musikern zuschauen oder zuhoeren, kann aber auch an ihnen vorbei in den naechsten Saal oder ins naechste Stockwerk schlendern. Oder in der grossen Bar im Keller eine Erfrischung geniessen, denn Sitzgelegenheiten sind – bis auf wenige kleine (Heizungs-)Baenke - rar. Besonders wirkungsvoll ist ein Zwischenspiel der gesamten Ensembles im monumentalen Treppenhaus: hier bewirkt der alte Theatertrick mit der Show-Treppe verblueffende und faszinierende Effekte. Eher sentimental bleibt dagegen das Schluss-Tableau -ebenfalls in der Treppenhalle: zum Adagio aus Bruckners Streich-Quintett betten sich alle Mitwirkenden dekorativ um die Musiker herum wie zur erhabenen Kunst-Andacht.
Ueberhaupt: die einzelnen Tanz-Sequenzen scheinen oft beliebig, jeder Zuschauende darf – so er Lust dazu verspuert – in die Bewegungsablaufe Bezuege zu den jeweiligen Raumen hinein-deuteln. Manche der meist elegant-schlichten Kostueme und Kopfbedeckungen geben dazu auch Anlass; viellfach aber schwanken die Szenen zwischen Minimalismus und grosser Geste, Pathos und leiser Ironie, Kunst und Kunstgewerbe. Der heilige Ernst mit dem die Taenzer durch die bewusst als Ruinen gelassenen Raeume schreiten oder sich drehen, wirkt eher komisch als kuenstlerisch,, manchmal droht die Grenze zum Bedeutungs-Kitsch.
Fabelhaft aber ist die akustische Seite der Vorstellung und der exzellente Vocalconsort sowie die flexiblen Musiker des Ensembles Kaleidoskop hinterlassen die besten Eindruecke. Insgesamt ein zeitgeistig-vielschichtiger, aber auch etwas praetenzioesen Abend.
Foto: Bernd Uhlig
Nur noch bis 30.Maerz 09; alle Vorstellungen sind ausverkauft
Ausstellung ueber den Pianisten Wilhelm Kempf. Geboren 1895 in Jueterbog, aufgewachsen in Potsdam. Ausgebildet in Berlin, seit den 1920er Jahren erfolgreicher Pianist in den grossen Konzertsaelen Europas und auch in Japan. Wohnhaft mit seiner Familie bis zum Ende des 2.Weltkrieges am Potsdamer Neuen Garten und veranstaltete im Mamor-Palais jaehrlich vielbeachtete Meisterkurse. Lies sich jedoch von den Nazis als kuenstlerisches Aushaengeschild missbrauchen, obwohl – aus christlicher Ueberzeugung – er der Partei nie angehoerte oder sich politisch aktiv betaetigte. Nach dem Krieg lebte Kempf in Bayern und konnte – nach Freigabe durch die Entnazifizierungsbehoerde – schnell wieder an seine Vorkriegs-Karriere anknuepfen. In den spaeten 50er Jahren siedelte er sich im italienischen Positano an und gab kostelnlose Beethoven-Kurse fuer gegabte Nachwuchs-Musiker. Nach krankheitsbedingtem Rueckzug aus dem Musikleben 1986, starb er 1991 in seiner italienischen Wahl-Heimat.
Die Ausstellung der Akademie der Kuenste im Potsdamer Kutschstall am Neuen Markt, zeigt viele Dokumente und Fotos, bietet aber auch Tonaufnahmen mit Interviews und Lesungen sowie Fernsehmitschitte von Konzertauftrtten. Noch bis zum 1.Februar 2009.