Rainer Allgaier

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Monat: Oktober 2016

Fulminant: ‚Elektra‘ in der Staatsoper im Schillertheater*****

27. Oktober 2016TheaterkritikenNo Comments

Elektra2Im ersten Jahrzehnt des 20.Jahrhunderts haben zunächst Hugo von Hoffmannsthal (1903) und später Richard Strauss (1909) den heroisch-antiken Mythos um den Mord an Agamemnon ins zeitgemäß Psychologische und sogar Pathologische gewendet. Der Einfluß von Sigmund Freud ist dabei unübersehbar.

Tochter Elektra lebt nur noch, um sich an ihrer Mutter Klytämnestra zu rächen, die mit ihrem Liebhaber Aegisth einst ihren aus dem Trojanischen Krieg zurückkehrenden Vater Agamamnon erschlug. Ihre Schwester Chrysotemis dagegen will diese Vergangenheit vergessen und nur einer glücklicheren Zukunft leben. Als der totgesagte Bruder Orest unerwartet auftaucht, ist die Stunde der Vergeltung gekommen, Klytämnestra und Aegisth werden ermordet. Elektra steigert sich in hysterischen Triumph und stirbt.

Patrice Chéreau hat  – kurz vor seinem Tod im Oktober 2013 – diese expressive Musik-Tragödie für die sommerlichen Festspiele in Aix-en-Provance inszeniert; zugleich als Koproduktion mit verschiedenen großen Opernhäusern darunter auch Berlin. In fast zeitlos modernen Kostümen und einem schlichten Bühnenbild (Richard Perduzzi) erzählt Chéreau das Drama klar und – in der Grundidee – konventionell. Sein Genie jedoch beweist der französische Regisseur in einer Fülle von Details, die genau aus Text und Musik entwickelt sind und in einer hoch-präzisen Personenführung sich konketisieren. Die 5 Mägde, die sonst nur in der ersten Szene auftauchen, bleiben hier das ganze Stück über präsent, zusammen mit weiteren Diener-Komparsen als stumme Zuschauer und Zeugen des Geschehens. Klytämnestra tritt nicht als alte, mit Talismännern behängte Vettel auf, sondern als damenhaft-königliche Erscheinung in einer eleganten, dunklen Robe. Orest, im schwarzem Mantel, weilt erst lange im Halbdunkel der Hauswand, bis er ruhig und gelassen sich Elektra zu erkennen gibt. Und nach dem Mord an seiner Mutter verläßt er stumm und stoisch Hof, Palast sowie Schwester und Dienerschaft..

Ungewöhnlich auch Dirigent Daniel Barenboim, der die Musik geradezu entfesselt, Er peitscht die Staatskapelle mit ihrem wunderbar dunklen Ton heftigst auf, schichtet Klangmassen zu dröhenden Einwürfen, läßt instrumentale Solostimmen mal scharf mal zart  aufscheinen, und versteht es bravorös der Partitur einen mitreißenden Fluß zu verleihen. Berückend auch der Kontrast in den lyrischen Passagen, etwa in der innig und zärtlich leuchtenden Erkennungsszene der Geschwister. Die Schönheit wie die krasse Expressivität der Strauss’schen Musik kommt durch Barenboim und seine prächtigen Musiker zu vielschichtig-voller, suugestiver Entfaltung.

Doch Krönung der Aufführung sind die Sänger, bis in kleinste Nebenrollen trefflich besetzt. Wobei die Staatsoper seit einiger Zeit für winzige Rollen ehemalige Stars verpflichtet (diesmal: Roberta Alexander, Cheryl Studer, Franz Mazura, Donald McIntyre), deren Stimmen zwar altersbedingt schwächer klingen, deren Bühnenpräsenz aber immer noch anrührt  – eine ebenso luxuriöse wie schöne Geste. Michael Volle ist ein zrückhaltender, strenger Orest mit wohlklingend-vollem Bariton. Waltraud Meier beherrscht die Szene als Klytämnestra, elegant in Erscheinung wie Führung ihres flexiblen Mezzos. Die Kanadierin Adrienne Pieczonka beeindruckt mit ihrem hellen, strahlenden Sopran, perfekt passend für die naive Schwesternrolle der Chrysotemis. Alle aber überragt die Elektra von Evelyn Herlitzius. Obwohl von fast mädchenhafter, zierlicher Gestalt, verfügt sie über einen hochdramatischen Sopran, dem es gelingt alle Schwierigkeiten dieser extremen Partie  souverän zu meistern – von der dunlen Tiefe bis zur leuchtenden Höhe. Darstellerisch wie musikalisch von höchster Beweglichkeit und Intensität, gelingt ihr ein Rollen-Porträt, das alle Widersprüche des Elekta-Charakters durch stimmlichen Glanz und Schönheit nachvollziehbar macht – gelegentlich sogar Mitgefühl aufkommen läßt..

Eine fulminate Aufführung, in der alles zusammen paßt: Inszenierung, musikalische Interpretation und  überragende Sänger-Darsteller.  Eine schöne und hochwillkommene  Ausnahme im Berliner Opern-Alltag!

 Premiere: 23.Oktober 2016                                                                                                                 Foto: Monika Rittershaus /Staatsoper Berlin

Stücke, die mich langweilten (Kino und Theater)

25. Oktober 2016VerschiedenesNo Comments

„Frantz““ / Deutsch-französischer Film von Francois Ozon / 2016

Nach einem französischen Theaterstück aus den Zwanziger Jahren und einem (erfolglosen) Film von Ernst Lubitsch. Die Geschichte eines französischen Soldaten, der in einem Schützengraben des 1.Weltkriegs bei einer unerwarteten Begegnung einen deutschen Soldaten erschießt. Dessen Namen (Frantz) und Herkunft (Quedlinburg) entdeckt er durch einen Brief in der Brusttasche des Getöteten. Nach Kriegsende besucht er Eltern und Verlobte des Deutschen, wobei er ihnen erzählt, ein Vorkriegs-Freund des Gefallenen zu sein. Doch seine moralischen Skrupel veranlassen ihn nach einiger Zeit, die Wahrheit zu gestehen. Francois Ozon erzählt in seinem Schwarz-Weiß-Film (es gibt nur kurze Farbeinblendungen) vom damaligen tiefen Haß der beiden Völker aufeinander, der auch nach Kriegsende weiterlebt und nur sehr schwer diesseits wie jenseits des Rheins überwunden wurde. Trotz guter Darsteller (Goldener Löwe für Paula Baer als Nachwuchsschauspielerin) und eindrucksvoller Bildgestaltung, bleibt der Film doch allzu vorhersehbar und mit viel Routine recht altmodisch und brav in Szene gesetzt. Moralisch korrekt, aber kaum Neues oder Überraschendes.

 

„American Honey“  / Britisch-amerikanischer Film von Andrea Arnold / 2016

Ein Dutzend junger Leute, ziemlich ausgeflippt, reist in einem Mini-Bus durch die USA. In den Vororten großer Städte, wo die gut bürgerliche Mittelschicht in kleinen Häusern mit grünen Vorgärten wohnt, betätigen sie sich als ausgebuffte Verkäufer von Zeitschriften Abos, Eine schrille Drücker-Kolonne – angeführt von der eiskalten Blondine Krystal (Riley Keough) und ihrem Lover Jake (Shia LaBoeuf) – ,Alkohol, Drogen und Sex beherrschen das Zusammenleben, das sich vor allem im Auto oder billigen Motels abspielt. Im Mittelpunkt des Films: die 18-jährige Star (Neuentdeckung Sasha Lane), die ihr tristes Heim verläßt  und in Jake die große Liebe (Zuneigung und Sex) gefunden zu haben glaubt. Doch bald ihre diesbezüglichen Illusionen aufgeben muß und sich nun – wie alle anderen – dennoch vorgaukelt, ein tolles Leben in vorgeblich totaler Freiheit gefunden zu haben. Der Debüt-Film der britischen Regisseurin Andrea Arnold in Hollywood: ein bizarres Road-Movie, auf trditionelle Erzählweise ebenso verzichtend wie auf genaue Psyologie der Figuren. Die Handkamera suggeriert realistische Nähe, gelegentlich von etwas exzentrischen Naturaufnahmen konterkariert. Doch das Fehlen jeder Entwicklung der Geschichte oder der Personen lähmt schnell das Interesse, dazu fördert die ungewöhnliche Film-Länge von 163 Minuten entstehende Langeweile. Offen auch die Frage: wen oder was soll diese ausgeflippte Hipstertruppe darstellen: die junge Generation in den USA? Ein diffuses Opus.

 

 

Opern-Oratorium: ‚Fidelio‘ in der Staatsoper im Schillertheater***

20. Oktober 2016TheaterkritikenNo Comments

fidelioZu Beginn des Abends dirigiert Daniel Barenboim die Leonoren-Ouvertüre Nr.2, nicht das gewöhnliche Fidelio-Vorspiel. Er läßt sie – in extrem langsamen Tempi – scharf und kantig musizieren und versieht so das vom Pianissimo zum donnernden Forte gesteigerte Jubel-Thema am Schluß gleichsam mit einem Fragezeichen. Dann hebt sich der Vorhang und zeigt – als minuziös gemalten Prospekt – den Goldenen Sall des Wiener Musikvereins. Davor stehen ein Konzertflügel mit marmorner Beethoven-Büste und ein großer Sängerchor in Alltagskleidern. Doch schnell fällt der Prunksaal-Prospekt zusammen und zeigt dahinter eine steinerne Gefängniswand voller größerer und kleinerer Graffitti (allerdings nur mit Opernglas zu entziffern). Sänger mit dem Klavierauszug in der Hand beginnen die ersten Szenen des „Fidelio“ zu proben.

Diese Idee einer gespielten Probe zieht sich durch den ganzen Abend, wobei die Sänger-Darsteller meist voll in ihre Rollen einsteigen und sich mit ihnen identifizieren. Die Geschichte von der als Mann verkleideten Leonore, die ihren unschuldig verhafteten Gatten Florestan im Gefängnis sucht und glücklicherweise befreien kann, wird klar und deutlich nacherzählt. Doch immer wieder treten die Sänger aus diesem Spiel heraus, greifen zum Klavier-Auszug oder beobachten distanziert Geschehen und Partner. Am Ende verwandelt sich die düstere Gefängnis-Bühne wieder in den goldenen Prunksaal und Chor wie Solisten treten an die Rampe und schmettern den Beethovenschen Jubelgesang direkt in den Zuschauerraum.

Harry Kupfer, der den „Fidelio“ schon mehrmals auf verschiedenen Bühnen – auch mit ähnlicher Grundidee – inszeniert hat, wurde von Daniel Barenboim eingeladen, mit ihm diese Oper neu herauszubringen – eigentlich gedacht zur Eröffnung des renovierten Stammhauses unter den Linden. Doch daraus wurder wegen der baulichen Verzögerungen nichts und findet die Beethoven-Premiere zu Beginn der neuen Spielzeit 2016/17 noch im Ausweich-Quartier an der Bismarckstrasse statt.

Dirigent wie Regisseur bemühen sich alles falsche Pathos, das so oft in diese Oper hineinprojeziert wird, zu vermeiden. Doch das ständige Pendeln zwischen symbolischer Andeutung und realem Spiel, zwischen der Form der Oper und des Oratoriums findet keine theatertaugliche Balance. Alles ist zwar klug und intelligent erdacht und umgesetzt, doch in fast keine Moment wirklich überzeugend oder gar berührend. Der gedankliche wie musikalische Aufbruch, der Schwung, das Neuartige und Mitreißende dieser einzigen Beethoven-Oper will sich nicht einstellen. Entsprechend die Resonanz des Publikums: freundlich und verhalten.

Die durchwegs guten Sänger können daran auch nicht viel ändern. Gefällig und stimmig das junge Paar Evelin Novak als Marzelline und Florian Hoffmann als Jaquino. Falk Struckmann  (Don Pizarro) und Matti Salminen (Rocco) haben auf Grund ihres Alters den jeweiligen stimmlichen Höhepunkt überschritten, bleiben darstellerisch jedoch immer noch sehr präsent. Der Florestan des noch jungen Andreas Schager verfügt über eine gute Figur und einen hellen, kräftigen Tenor, leider neigt er durchgängig zu übermäßiger Lautstärke. Die Finnin Camilla Nyland ist als Erscheinung ein glaubwürdiger Fidelio und eine sehr menschliche Leonore, sie besitzt einen runden, klaren Sopran mit schönem lyrischen Timbre, dramatische Durchschlagskraft ist ihre Sache eher nicht. Klang-schön der Gefangenen-Chor der Männer im ersten Akt, klang-voll der gesamte Staatsopernchor im Finale (Einstudierung: Martin Wright). Fein differenziert folgt die Staaskapelle ihrem engagierten Dirigenten.

„Fidelio“ ist ein schwieriges Stück. Oper oder Oratorium ? Auch wenn in dier Aufführung dieser Zwiespalt deutlich ausgestellt wird – der inszenierte Versuch einer Antwort bleibt sehr pauschal und plakativ und läßt so allzu viele Fragen offen. 

Foto: Bernd Uhlig /Staatsoper

Premiere: 3.Oktober 2016

Kühle Glitzer-Show: ‚Der Nußknacker‘ in der Deutschen Oper***

20. Oktober 2016TheaterkritikenNo Comments

Der Nussknacker Foto Fernando Marcos A050300Weihnachten naht und damit beim Staatsballett der beliebte Tschaikowsky-Klassiker vom „Nußknacker“. Vor drei Jahren erlebte eine Neuproduktion im Stil der russischen Uraufführung ihre aufwendige Premiere, jetzt zeigt Ballett-Chef Nacho Duarto seine eigene Fassung des klassischen Tanzmärchens, die er ursprünglich für St.Petersburg choreographiert hat und später dann auch an der Scala in Mailand einstudierte.

Laut Programmbuch spielt Nacho Duartos „Nußknacker“ 1918, im Jahr nach der Oktoberrevolution.. Das ermöglicht ihm, zu Beginn einen hellen Salon mit leichten Jugendstil- Anklängen zu zeigen, in dem eine elegante Gesellschaft den Weihnachtsabend zelebriert, die Damen in fließender Seide, die Herren im dunklen Frack. Onkel Drosselmeier, ein mittelalterlicher, quicker Herr in Kniebundhosen präsentiert pompös verpackte Geschenke, wobei die kleine Clara besoners entzückt ist vom ihr überreichten, hölzernen Nußknacker. Als die Gäste den Salon verlassen haben, verwandelt er sich in einen dunklen Raum vor einer hell-flimmernmden Sternenwand: Clara träumt und der Nußknacker verwandelt sich erst in eine roboterhaft sich bewegende, große Puppe, die den bösen Mäusekönig und dessen umherflitzende, graue Mäusekrieger im Zweikampf rasch besiegt. Und dann wird der Nußknacker zum lebendigen schönen Prinzen, der Clara ins Reich der tanzenden Sterne (statt Schneeflocken) entführt.

Diesem klar erzählten, aber nicht beonders „weihnachtlichen“ erste Teil, folgt – nach der Pause – eine flott ablaufende Tanz-Revue, deren einzelne Nummern (spanischer, arabischer, russischer Tanz usw.) ohne erzählerischen Zusammenhang hintereinander zügig ablaufen. Lediglich zu Beginn dieses Divertissements wird der Faden zur Sternen-Reise Claras und ihres Prinzen aufgenommen und dann wieder ganz am Ende zur „Apotheose“: alle Tänzerinnen und Tänzer verlassen die sich verdunkelnde Bühne, Clara bleibt allein zurück – im Arm der wieder zum hölzernen Nußknacker geschrumpfte Prinz.

Nacho Duarto hat den Tschaikowsky-Klassiker gleichsam auf zeitgenössischen Stil gebürstet – kühl, schnörkellos und geschickt dem aktuellem Geschmack angepasst. Die Formen des klassischen Tanzes werden zwar berücksichtigt, aber neu kombiniert, teils überraschend, teils ein wenig fade. Es wird keine weihnachtliche Stimmung oder märchenhafte Atmosphäre entfaltet, sondern eine temporeiche Tanz-Show präsentiert:  in schicken Kostumen und voll modischer Glitzer-Effekte. Ein „Nußknacker“ in Stil eines weltweit vermarktbaren Ballett-Musicals.

Das Ensemble des Berliner Staatsballetts macht dabei gute Figur. Zwar fehlen – noch immer – die herausragenden Super-Stars, aber die – vielfach wechselnden –  Solisten überraschen durch geschmeidige Bewegung und temperamentvolle Darstellung. Ob als sanfte Clara, hübscher Prinz, wirbelder Mäusekönig, ob als spanisches Paar, arabische Bauchtänzerin oder russische Matrosen: alle großen und kleinen Tänzerinnen und Tänzer, wie auch die riesigen Ensemble-Gruppen mit ihren eleganten „Chorus-Lines“ in Rosa und Weiß erzielen immer wieder reichlichen und begeisterten Beifall eines überwiegend jugendlichen (!) Publikums im großen Haus der Deutschen Oper.

Ein „Nußknacker“ hipp und heutig ?

Premiere: 7.Oktober 2016 in der Deutschen Oper

Foto: Fernando Marcos /Staatsballett

Flott getwittert: ‚Der Barbier von Sevilla‘ in der Komischen Oper Berlin****

14. Oktober 2016TheaterkritikenNo Comments

Barbier1Liebe im Zeitalter des Internets. So interpretiert der junge russische Erfolgs-Regisseur Kirill Serebrennikov die  200 Jahre alte, bis heute höchst populäre Opera buffa „Il barbiere di Sevilla“ von Gioachino Rossini. Bestens unterstützt vom gut gelaunten, mitagierenden Dirigenten Antonello Manacorda, dem Chef der Kammerakademie Potsdam.

Bei Rossini geht die Geschichte so: Graf Almaviva ist verliebt in Rosina, dem Mündel des Dr.Bartolo. Doch der alte Zausel hat selbst ein Auge auf die gutbetuchte Rosina geworfen. Doch mit Hilfe des schlauen Barbiers Figaro und durch allerlei Verkleidungs – und Vertuschungs-Manöver ertricksen sich  Almaviva und Rosina ein fröhliches „Happy End“ mit anschließender Hochzeit.

In der Komischen Oper ist Rossinis Komödie jetzt in der Gegenwart gelandet. Almaviva, in Jeans und Kapuzenpulli, singt sein Ständchen zur E-Gitarre und postet die Aufnahme sofort an Rosina, deren Foto bei Facebook auf der Bühnenrückwand zu sehen ist. Auch später verkehren die beiden Verliebten so häufig über Smartphone, daß der strenge Figaro im schwarzen Gothic-Look sich genötigt sieht, ihnen die Geräte aus der Hand zu nehmen, um so die fällige Umarmung zu ermöglichen. Überhaupt: sogar die herbeigerufenen Polizei zieht das Smartphon aus Tasche, um noch schnell ein Selfie mit dem sich zu erkennen gebenden Grafen Almaviva zu schießen.

Gegenüber dieser vernetzten Welt der jungen Leute stehen die Alten: Dr. Bartolo ist ein Antiquar – schütteres Haar, graue Strickjacke – inmitten erlesener Gemälde und wertvoller Möbel, lediglich über einen Flachbildschrim flimmern aktuelle Informationen aus aller Welt in die schmale Stube. Auch der Musiklehrerlehrer Basilio ist Kavalier alter Schule und leicht verliebt in seine Schülerin Rosina, aber auch einem kleinen Schnäpschen nicht abgeneigt – was Figaro und Almaviva Gelegenheit bietet, den Alten geschickt auszumanövriren. In diese stilvolle Umgebung passt allerdings nicht Almavivas ursprünglicher Trick, als verkleideter Soldat sich in Bartolos Haus einzuquartieren: um in heutigen Tagen den entsprechenden Schock bei dem alten Antiquar zu erzielen, erscheinen Almaviva und seine Mannen als arabische Flüchtlings-Krieger verkleidet, die sofort mit ihren Gebetsteppichen den kleinen Haushalt in Bedrängnis bringen. Und als dieser böse Trick mißlingt, erscheint  – in einem weiteren Versuch –  Almaviva als Aushilfs-Musiklehrer im grellen Outfit einer Conchita Wurst. Rosina, erst in legerer roter Trainingshose (mit Streifen), später im schicken ‚kleinen Schwarzen‘ nimmt im Gegensatz zu ihrem Vormund dies alles gelassen hin und weiß ihre Lage mit List und Handy geschickt zu ihren Vorteil zu nutzen – Glück für sie, Pech für  Dr.Bartolo, den in dieser Sichtweise eine leise Tragi-Komik umflort.

Nicht jeder Gag dieser Neu-Produktion zündet, nicht jeder Einfall überrascht – etwa die kurzen, schwarz-weissen Nachspiele der beiden rasanten Finali. Aber insgesamt gelingt dem russischen Regieteam eine frische Sicht auf eine alte Geschichte, voller Ironie und satirischen Seitenhieben auf heutige Befindlichkeiten.

Und Rossinis Musik – so schwungvoll und federnd wie unter Antonello Manacorda gespielt – begeistert nach wie vor durch  ihre koloraturgespickten Arien und raffinierten Ensembles von hinreißender Vitalität. Die Sänger der Komischen Oper halten da bestens mit. Tansel Akzeybek ist mit hellem Tenor der lässig-lockere Almaviva, Nicole Chevalier eine schlaue, selbstbewußt perlende Rosina und Dominik Köninger mit Hipster-Bart und modisch-gestyltem Dutt beweist sich als baritonaler Maitre de Plaisir, der geschickt seine Fäden zieht. Zwei lustige Nebenrollen: der ein bißchen begriffs-stutzige Musiklehrer Basilio von Tareq Nazmi und die watschelnde, gut gepolsterte Haushälterin Berta der Julia Giebel. Im Mittelpunkt aber Philipp Meierhöfer:  fast schon berührend in der Rolle des gefoppten, wenn auch etwas sturen Dr. Bartolo – am Ende hat er alles verloren: seine Antiquitäten wie sein Mündel.

Auch im Zeitalter des Internets – der alte „Barbiere“ zeigt noch immer, was eine echte Theater-Harcke ist!

Premiere: 9.Oktober 2016

Foto: Monika Rittershaus/Komische Oper

 

Grell und laut: ‚Gianni‘ in der Tischlerei der **

13. Oktober 2016TheaterkritikenNo Comments

Nichts für Freunde der klassischen oder zeitgenössischen Oper. Stattdessen ein rund 100 Minuten langer Mix aus dröhnendem Rock-Konzert, hochgepuschtem Musical-Sound und einer schrillen Mode-Revue in bziarren Kostümen. Eine pausenlose Abfolge von Musiknummern, deren roter Ideen-Faden vage an Leben und Tod des italienischen Modezaren Gianni Versace geknüpft ist. Der aber selbst als Person nie in Erscheinung tritt, anders als sein ihn ermordender Liebhaber: der darf sein leidvolles Dasein im Luxus besingen, um dann in eleganter Tanzbewegung das tödliche Messer aufblitzen zu lassen (in Wirklichkeit wurde Versace in Miami erschossen). Auch ein paar antike Personen (Pythia, Medusa – ein Medusakopf war das Firmenzeichen Versaces)) paradieren hüftschwingend und kraftvoll singend zwischen Säulen aus bunten Neon-Leuchten und einem angedeudeten Laufsteg. Links davon unterlegt die Rock-Band „Brandt Brauer Frick“, die auch für die musikalische Erfindung der Show einsteht, mit harten Beats die grelle Mode-Revue in der Mitte, rechts tummeln sich „Jedermänner“ in weißen T-Shirts und Jeans an einer kleinen Bar. Dazu ständig wechselnde, farbige Licht- und ein paar flammende Video-Effekte. Arrangiert von dem englichen Regisseur und Performer Martin Butler, engagiert gesungen und getanzt im „Voguing“-Schritt von Mitgliedern (Claron McFadden, Seth Carico) und Gästen (Amber Vineyard, Alexander Geist) der Deutschen Oper. Im Prorammzettel wird dieses „Gianni“(Versace)- Spektakel als Parabel über Aufstieg und Fall, Sein und Schein gedeutet. Ein bißchen arg hochgestapelt, dennoch freundlicher Beifall. Offensichtlich sucht die Intendanz der Oper mit dieser Produktion ein neues, jüngeres Publikum, das sonst kaum einen Saal im Haus in der Bismarckstrasse betritt. Ob das klappt, wird sich noch zeigen müssen.

Leerlauf: ‚Comeback‘ in der Schiller-Werkstatt (Staatsoper)***

5. Oktober 201624. Juni 2018VerschiedenesNo Comments

Zwei berühmte Theater- und Film-Schauspieler erinnern sich an ihr Leben und ihre Karriere, die stark vom politischen Hintergrund der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts beeinflußt waren: Tilla Durrieux (1880 – 1972) und Emil Jannings (1884 – 1950). Beide wurden zu Stars in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts – Durrieux hauptsächlich auf den Bühnen in Berlin, Jannings vor allem durch in Babelsberg und Hollywood gedrehte Stummfilme. Nach 1933 ging Tilla Durrieux iins Exil nach Zagreb, während Jannings als Mitläufer in den Propaganda-Filmen der Nazis brillierte. Nach 1945 erhielt er darum von den Alliierten lebenslanges Berufsverbot, zog sich nach Kärnten zurück, wo kurz darauf er an Krebs starb. Tilla Durrieux, deren jüdischer Mann von den Nazis in Kroatien umgebracht wurde, verdingte dort sich als Näherin in einem Puppentheater, kehrte 1952 nach Deutschland zurück, wo ihr eine beachtliche, aber mühsam erworbene Alterskarriere glückte.

Das Libretto schrieb der Schriftsteller Christoph Hein, der bereits vor ein paar Jahres ein (am Deutschen Theater uraufgefürtes) Stück über die Durrieux verfasst hatte.  Für das Musiktheater „Comeback“ schaltet er Erinnerungs-Szenen von Durrieux und Jannings abwechselnd parallel und läßt sie so zeitlich chonologisch deren Schicksal erzählen. Doch was vielleicht auf dem Sprechtheater funktioniert hätte, erweist sich fürs Musiktheater als völlig untauglich. Auch wenn die Musik des noch jungen, argentinischen Komponisten Oscar Straßnoy geschickt zeitgenössisches Idiom durch Anklänge an Jazz, Chanson oder Kabaret der 20er Jahre aufmischt – die singenden Theater-und Filmstars gerinnen zu manirierten Kunstfiguren, die sich in aufgebrezelten Platitüden ergehen. Da beide Figuren sich auch nie begegnen und in einen kontroversen oder spannenden Dialog treten, bleibt die für einen gelungenen Theaterabend notwendige Dramatik aussen vor: Langeweile stellt sich ein.

Die Aufführung selbst ist schlicht aber solide. Regisseur Ingo Kerkhof zeigt auf einer flachen, nur mit ein paar Requisiten (Sofa, Garderoben-Stange) bestückten Bühne das jeweilige Geschehen in klaren Bildern und einsichtiger Personenführung. Die Figur der Durrieux ist doppelt besetzt: die Schauspilerin Maria Husmann steckt als Tilla 2 wie einst Becketts Winnie („Glückliche Tage“) bis zur Taille im Boden, diverse Hüte und Fächer um sich herum, während die Sopranistin Jdie osephine Renelt als Tilla 1 sich im blaublassen Abendkleid frei bewegen darf: was der Wortverständlichkeit nicht gerade gut tut. Ralf Lucas  sitzt mit dunkler Brille als Jannings im Rollstuhl und gibt seinem kurzbehosten Neffen Jörg (Johannes Euler), der die Schauspiel-Kunst erlernen will, mit gewaltig dröhnendem Baß-Bariton platte Ratschläge, während seine Frau Gussy Holl (Nadia Steinhard)  dem schüchternen Jüngling erotisch zu Leibe rückt. Max Renne leitet die zehn Musiker der Staatskapelle (darunter Akkordeon, E-Gitarre und Schlagzeug) präzise durch Oscar Straßnoys Partitur, aber die Position dieses kleinen Orchesters auf dem seitlichen Balkon bringt die Klangbalance mit dem Ensemble auf der Bühne ins Wanken.

Nach 70 Minuten ist dieses musikalische „Comeback“ der beiden Alt-Stars des Berliner Theaters zu Ende – die Wiederbegegnung  hat sich kaum gelohnt !

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