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Monat: Juni 2013

Pariser Parfüm: Massenet’s ‚Esclarmonde‘ in Dessau***

30. Juni 2013TheaterkritikenNo Comments

Erstaunlich, 123 Jahre nach ihrer Uraufführung 1889 an der Pariser Opéra-Comique erlebt ein Werk des Erfolgskomponisten Jules Massenet seine deutsche Erstaufführung – am von heftigen Einsparmaßnahmen bedrohten Anhaltischen Theater Dessau. Ein turbulentes Ritter-Spektakel voll elegant aufrauschender Musik – eine Art Blockbuster der Opernliteratur. Eine byzantinische Kaisertochter, ein französischer Ritter, Liebe und Eifersucht, ein böser Bischhof und Folterknechte, aber auch Hexen und Zauberkräfte und ein strahlendes Happy-End, das allerdings vom Regisseur Roman Hovenbitzer in der allerletzten Bühnen-Minute in eine Tragödie umgebogen wird – szenisch verstolpert, musikalisch ausser Tritt.
Sei’s drum, davor wird drei Stunden lang ein konventioneller, aber kunterbunter Bilderbogen aufgeschlagen; posiert der byzantinische Kaiser auf einem Riesensockel unter hoher Kuppel, gleiten Kaisertochter Esclarmonde und ihr silberner Ritter im schmalen Boot auf eine verwunschene Insel, füllen Ritterspiele und Feste den französischen Königshof oder finden sich am Ende die getrennten Liebenden in einem von Geister beherrschten, magischen Zauber-Wald wieder.
Die Bühne leuchtet in kräftigen Farben, Kostüme und Perücken changieren halb historisch, halb Fantasy zwischen byzantinischer Exotik, dunklen Kutten und modischem Party-Look.
Doch was wäre dies alles ohne die Musik:  Massenet’s schwelgerische Musiksprache hat von ihrem betörenden Duft nur wenig eingebüsst, auch wenn statt musikalischer Ohrwürmer fein ziselierte Koloraturen, delikate Ensembles und klangmächtige Chöre vorherrschen; mehr glänzend schillernde Oberfläche als psychologische Tiefe.
Das Orchester unter der engagierten Leitung seines Ersten Kapellmeisters Daniel Carlberg lässt Massenet’s Musik einerseits farbmächtig auf- und abschwellen,  begleitet andererseits sehr aufmerksam und delikat ein homogenes Sängerensemble. Als titelgebende Esclarmonde meistert die holländische Sopranistin Angelina Ruzzafante souverän die heiklen Anforderungen der koloraturgespickten Partie, auch wenn ihre Stimme gelegentlich zum Grellen neigt. Der Koreaner Sung-Kyu Park verkörpert den von ihr geliebten Ritter – nicht immer geschmeidig – mit hellem, aber kraftvollem Tenor, besonders überzeugend in der Folterszene am französischen Hof. Von den übrigen Solisten ragt Rita Kapfhammer als Esclarmondes Schwester durch ihren vollen, runden Mezzosopran hervor. Der vielfach beschäftigte Chor, verstärkt durch Kinder- und Extra-Chöre, klingt machtvoll und prächtig.
Eine schöne Entdeckung, diese französisch-parfümierte „Esclarmonde“ – kein Wunder, dass so viele Berliner Opernfans im Publikum zu entdecken waren!

Foto: Anhaltisches Theater Dessau

Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit: 1.Dezember 2013 / in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Alles Theater?: ‚Ihr werdet euch noch wundern‘ von Alain Resnais****

24. Juni 2013FilmkritikenNo Comments

Eine prominente Schar französischer Schauspieler, darunter Sabine Azéma, Michel Piccoli, Lambert Wilson, Pierre Arditi (die alle sich selbst spielen), versammelt sich auf dem pompösen Landsitz eines ehemaligen Regisseurs und Freundes zu dessen Trauerfeier und Begräbnis. Doch zunächst bittet der Verstorbene in einer Videobotschaft die versammelten Mimen, sich die filmischen Aufzeichnungen von Proben seines Stückes „Eurydike“ durch eine junge Theatergruppe anzuschauen und danach zu entscheiden, ob den jungen Leuten das Aufführungsrecht gestattet wird. Da alle versammelten Schauspieler mit diesem Stück einst selbst erfolgreich waren, steigen sie beim Zuschauen – zunächst unbewusst – in die jeweiligen Rollen wieder ein, sprechen den Text erst leise, dann immer lauter mit, bis sich unmerklich Realität und Erinnerung vermischen: der Salon, in dem sie sitzen, verwandelt sich in die Gaststätte, in der Orpheus seine Eurydike kennen- und lieben lernte, in den Bahnhof, auf dem sie ihn heimlich verliess und dann verunglückte, in die Gaststätte, in der ein junger Mann im Regenmantel sich als Gevatter Tod vorstellte, Eurydike aus der „Hölle“ zurückholte und Orpheus sie im heftigen Wort-Streit zum zweiten Mal verliert. Nach dem Ende der von den Schauspielern parallel mitgespielen Video-Vorführung erscheint zu aller Überraschung der totgeglaubte Hausherr und Regisseur – quicklebendig hat er die Freunde aus einem Nebenzimmer beobachtet. Doch dann nimmt die Story eine ungeahnte Wendung…
Alain Resnais, heute 91 Jahre alt, revolutionierte in den 1960er Jahren die Kino-Ästhetik mit Filmen wie „Hiroshima, mon amour“ oder „Letztes Jahr in Marienbad“. Die kunstvolle Künstlichkeit dieser Werke entwickelte er in den neueren Filmen vor allem durch die Einbeziehung des Theaters und seiner Kulissenwelt weiter. Auch „Ihr werdet euch noch wundern“ (im Original: „Vous n’avez encore rien vu“) changiert zwischen Film und Bühne – basierend auf zwei Stücken des einst vielgespielten Dramatikers Jean Anouilh, dessen Markenzeichen vor allem geschliffene Dialoge sind, in denen sich der damalige Zeitgeist elegant zur Geltung bringt. Und die heute in ihrer Mischung aus poetischen und psychologischen Metaphern doch etwas langweilen.
Renais versteht es brilliant, die Theater-Sprache in filmischen Klang, die gemalten Kulissen in phantasievolle Räume zu verwandeln. Eine sehr bewegliche Kamera, sich stängig änderndes Licht, untermalende Musik-Motive, Kreisblenden oder geteilte Leinwände sind die filmischen Mittel, das verwirrende und zugleich zauberhaft-gleitende Wechseln in die unterschiedlichen Realitäts-Ebenen ist die grosse Kunst des Regisseurs, der dann durch die grosse Persönlichkeit der wunderbaren Schauspieler-Stars und ihrem sanft ironischen Charme die Krone aufgesetzt wird.
Witz und Alterweisheit, Leichtigkeit und Eleganz – französicher kann ein Film kaum sein.
 Aber Vorsicht! Nur für Theater-Fans und Cinéphile!

Poster/ Verleih: Alamode-Film

zu sehen: Babylon Mitte (OmU); fsk (OmU)

Lautstark: ‚Attila‘ – konzertant in der Philharmonie***

22. Juni 2013TheaterkritikenNo Comments

Giuseppe Verdis – inzwischen viel gespieltes – Drama „Attila“, uraufgeführt 1846 in Venedig, ist ein partiotisches Spektakel: wie die christlich-mannhaften Italiener zur Zeit der Völkerwanderung (5.Jahrhundert) die barbarischen Hunnen aus ihrem Land vertreiben. Natürlich spielen auch Liebe und Verrat, Rachsucht und verletzter Stolz ein Rolle – politische Korrektheit im heutigen Sinn darf man natürlich nicht erwarten. Dafür aber viel anfeuernde, mitreissende Musik, virtuose Arien, flotte Ensemble-Nummern.
1971 wurde „Attila“ zuletzt an der Deutschen Oper gezeigt: in einer pompös-konventionellen Inszenierung, die offen lies, ob sie ironisch oder ernst gemeint war – musikalisch jedoch von grandioser Wirkung (Patané; Janowitz, van Dam, Wixell, F.Tagliavini). Wegen umfangreicher Restaurations-Arbeiten im Bühnenbereich des Hauses in der Bismarkstrasse ist der neue „Attila“
zum frühen Spielzeitende lediglich als rein konzertante Aufführung in der Philharmonie
zu erleben.
Dirigent Pinchas Steinberg heizt Orchester und Chor der Deutschen Oper mächtig an, putscht insbesondere die Stretta-Finali zu ohrenbetäubendem Kampfgetöse hoch, dem ein begeistertes Publikum mit fast ebenso lautstarken Bravi-Geschrei und tosendem Applaus antwortet. Das erfordert natürlich Sänger mit umfangreich-voluminösen Stimmen, um im ständigen Dauer-Forte mithalten zu können. Allen voran als entschlossene Freiheitskämpferin Odabella lässt die Ukrainerin Liudmyla Monastyrska ihren geschmeidigen Trompeten-Sopran stählern blitzen; für den vorgesehenen, aber erkrankten Star des Abends Erwin Schrott als Attila sprang ein hierzulande noch kaum bekannter, junger Italiener ein: Roberto Tagliavini, ein kraftvoller Bass, dem es allerdings (noch) ein bisschen an Persönlichkeit fehlt. Der kroatische Bariton Dalibor Jenis singt mit eleganter Routine Attilas italenischen Gegenspieler Ezio und der Tenor Massimo Giordano versteht es, den martialischen Kriegsgesängen auch ein paar lyrische Töne beizumischen.
Ein temperamentvoll-schmissiger Abend der lauten und robusten Töne -  eher musikalischer Blockbuster als feingestaltete Opern-Kunst.

Foto: Bettina Stoess/Deutsche Oper Berlin

Vorstellungen:19./21.Juni 2013

‚Infektion!‘ – neues Musik-Theater in der Staatsoper

15. Juni 2013TheaterkritikenNo Comments

Der etwas kuriose Titel „Infektion!“ bezeichnet ein etwa zwei- bis dreiwöchiges Festival mit neuen Musikwerken, das die Staatsoper jeweils am Ende einer Spielzeit ansetzt. Eigen- und Ko-Produktionen werden an verschiedenen Spielstätten zur Diskussion gestellt. In diesem Jahr sind es drei aufwendige Werke im Schillertheater und der Schaubühne am Lehniner Platz („AscheMOND“,“Hanjo“,“For the disconnected Child“) und zwei kleinere Inszenierungen in der Schillerwerkstatt: „Récitations“ des griechischen Komponisten Georges Apergis sowie die Wiederaufnahme der „Europeras 3&4“ von John Cage. Das Festival dauert vom 14. bis zum Spielzeitende am 30.Juni dieses Jahres.

1. „To the disconnected Child“ (Premiere: Schaubühne, 14.6.2013)***
Libretto und Texte stammen vom Schaubühnen-Regisseur Falk Richter, der sechs noch wenig bekannte Komponisten und einen isländischen Singer/Song-Writer um Teil-Vertonungen bat. Herausgekommen ist ein gut zweistündiger Abend, der geschickt und optisch effektvoll E- und Pop-Musik mit Tanz und reinen Sprechtheater-Szenen collagiert. Ausgehend von Tschaikowsky’s Oper „Eugen Onegin“ verzweifeln Frauen über fehlende oder fehlgeschlagene Liebesbeziehungen, meiden Männer jegliche feste Bindung, wollen angeblich ihre Freiheit bewahren.
Manchmal ist es ganz witzig und grotesk, wie die heutigen Zeitgenossen erfolglos chatten oder soziale Netzwerke bemühen, oft aber bleiben die turbulenten Beziehungs-Jagden oder Fluchten nur modisch oder banal.
Gerahmt wird das bunte Wer-mit-Wem durch sentimentalen Pop, ansonsten unterlegen die Komponisten die verschiedenen Spiel-Sequenzen mit zeitgenössischer Musik, doch sie bleibt Hintergrund, fällt kaum ins Gewicht – auch nicht durch ein paar eingewobene Tschaikowsky-, Puccini- oder Schubert-Melodien (gespielt am rechten Bühnenrand von Musikern der Staatskapelle unter Leitung von Wolfram-Maria Märtig).
Regisseur Falk Richter lässt die 5 Schauspieler (Schaubühne), drei Tänzer und vier Sänger (Staatsoper) auf einer zweistöckigen, treppenverbundenen Bühne vor bunt flimmender Video-Tapete hin und her laufen, hoch und runter klettern oder Purzelbaum schlagen: so täuschen schnelles Tempo und optische Effekte fast darüber hinweg, dass sich hinter diesem bunt gefälligen Theater-Mix nur harmloser Gefühls-Kitsch verbirgt.
Weitere Vorstellungen: 17./18./20./21./23./25./29.30.Juni 2013

2. „AscheMOND oder The Fairy Queen“ (Premiere: Schillertheater, 16.6.2013)****
Uraufführung der neuen Oper des gefragten Komponisten Helmut Oehring (geb.1961 in Ost-Berlin), der eigene Texte mit solchen von Shakespeare, Stifter, Heine und allerlei Mythologischem verbindet. In enger Zusammenarbeit mit dem Regisseur Claus Guth, der seinerseits Lyrisches und Biographisches aus dem kurzen Leben der amerikanischen Dichterin Sylvia Plath einbrachte, entstand ein beeindruckender Musiktheater-Mix aus Sprech- und Gesangs-Partien, aus originalen Purcell-Arien und zeitgenössischen Klängen.
Ein Mann (Ulrich Mattes) kehrt nach Jahren in das leerstehende Haus seiner Eltern zurück. Beim Lesen des Tagebuchs seiner Mutter, die sich einst selbst umbrachte, erinnert er sich an seine Kindheit: die Räume der leeren Wohnung füllen sich langsam mit Möbeln und Menschen – nocheimal erlebt er Szenen aus dem Familienleben, beobachtet sich selbst als kleinen Jungen, seinen Vater (Topi Lehtipuu), die taubstumma Haushälterin (die Gebärdendolmetscherin Christina Schönfeld), vor allem aber seine damals noch junge Mutter (hervorragend: Marlies Petersen) mit ihren zunehmenden Depressionen, ihrer Flucht in die Arme eines Liebhabers (Roman Treckel) und ihren Selbstmord. Reale Szenen mischen sich dabei mit irrealen, wenn schwarz gekleidete „Feen“ oder einfach Andersartige (Staatsopern-Chor) bedrohlich in die unterschiedlichen Wohnräume eindringen und die Mutter mit düsterem Singsang oder Gebärden bedrängen. Am Schluss wirft der erwachsenen Sohn erschüttert das Tagebuch weg und verlässt schnell das Haus.
Claus Guths Regie besticht durch stringente Erzählweise und klare Personenführung. Helmut Oehrings Musik mischt raffiniert die englische Barock-Musik (besonders vortrefflich gesungen von Bejun Metha in der Rolle eines teilnahmsvollen „Freundes“ der Familie) mit athmosphärisch dichten heutigen Orchesterklängen – und ballungen, verstärkt durchelektronische Instrumente und vielelei eingespielte Geräusche. Es spielen im Orchestergraben links die ‚Akademie für Alte Musik‘ (live Leitung Benjamin Bayl, die Staatskapelle Berlin unter dem souveränen Dirigat des kurzfristig eingesprungenen Johannes Kalitzke sowie ganz rechts im Graben drei Musiker mit Solo-E-Gitarren/resp E-Kontrabass.
Ein sehr komplexes Werk, das viel Aufmerksamkeit und wohl auch einiges Vorwissen sowie Ausdauer von Zuschauer verlangt (2 Stunden 15 Minuten ohne Pause). Vielleicht auch ein bisschen überfrachtet mit seinen zahlreichen Mythologien und seiner überbordenden Metaphorik.
Weitere Vorstellungen: 19./21./23./28.Juni 2013

3. „Hanjo“ (Premiere: Schillertheater, 22.6.2013)****
Oper in einem Akt (Dauer: 80 Minuten) des renommierten japanischen Komponisten Toshio Hosokawa (geb.1955), die 2004 als Auftragswerk des Festivals in Aix-en-Provence uraufgeführt wurde. In einer Ko-Produktion mit der Ruhrtriennale 2011 hat sie nun in Berlin Premiere.
Eine junge Frau wartet täglich auf ihren Geliebten und wird darüber wahnsinnig. Eine ältere Künstlerin nimmt sie bei sich auf, bewundert die vergeistigte Schönheit der Wartenden. Als der Geliebte wider Erwarten eines Tages auftaucht, versucht die eifersüchtige Künstlerin ihn zunächst zu vertreiben, er reagiert darauf schroff und brutal, so dass die Wartende
ihn nicht mehr wiedererkennt, da sie nur ein menschlich edles Bild von ihm in ihrem Inneren bewahrt. Der Mann ertränkt sich, die beiden Frauen bleiben wie in einem erlösten Zustand beieinander.
Diese Geschichte basiert auf einem japanischen No-Spiel, das in der 1950er Jahren in ein modernes Schauspiel umgewandelt wurde und dessen englische Übersetzung dem Komponisten Toshio Hosowaka 2003 – leicht gekürzt – als Libretto diente. Realität und Traum verschmelzen zu eindringlichen Klangbildern, sanfte, zirpende Streichertöne und leise Glöckchen konstrastieren schroff mit lauten Trommel- und Bläser-Kaskaden, verweisen einerseits auf Ruhe, Natur, Glück wie andererseit auf die Brutalität menschlichen Handelns. Eine Art Sprech-Gesang ist vorherrschend, gelegentlich expressiv auffahrend.
Die Inszenierung des spanischen Regisseurs Calixto Bieito taucht den Kampf der drei Personen umeinander und ihre innere Wandlung in magisch, fahles Licht. Eisenbahnschienen führen auf einem Damm aus grobem Schotter diagonal über Bühne und Orchestergraben, rechts undd links davon ein paar Quadratmeter Rasen oder Wasser. Die Wartende balanciert im weissen Tüllröckchen und pinkfarbenen Strümpfen auf dem Geleis – mit fast blutenden Füssen. Die Künstlerin – ganz in Schwarz mit langem glatten Haar – gleicht einer Dämonin, die heftig um ihren Schützling kämpft, während der ersehnte Geliebte unter grellem Scheinwerferlicht wie eine monströse Dampflock auf dem dem Schottergleis auftaucht und mit Macho-Gebärden das Spiel an sich zu reissen versucht.
Eine raffinierte Mischung aus Hyperrealismus und magischer Stilisierung,  aus kalt-schimmernder Traumwelt und düster-menschlichen Abgründen, die am Ende jedoch in sanfter Ruhe ausklingt.
Exzellent die Musiker der Staatskapelle, die rechts und links des Schotterweges fast im Dunkel und mit künstlich gebleichtem Gesicht spielen müssen, sensibel geleitet von Günther Albers. Ihnen und den drei vorzüglichen Interpreten (Ingela Bohlin, Ursula Hesse von den Steinen, Georg Nigl) gilt der starke Applaus des Publikums.
(Vom gleichen Komponisten war 2011 im Schillertheater die Oper „Matsukaze“ in einer Inszenierung von Sasha Waltz zu sehen)
Weitere Vorstellungen: 24./30.Juni 2013

Leicht überkandidelt: ‚Ball im Savoy‘ in der Komischen Oper***

13. Juni 2013TheaterkritikenNo Comments

Berlin, Dezember 1932, erfolgreiche Premiere der Operette „Ball im Savoy“ des ungarisch-jüdischen Komponisten Paul Abraham. Die neuen Jazz-Klänge elektrisieren, der frivole Dialog-Witz triumphiert : Höhe- und Endpunkt der (kulturell) ‚goldenen‘ Zwanziger Jahre, denn ein paar Monate später fliehen Komponist und Darsteller vor den Nazis ins Exil oder den Tod.
Der Intendant der Komischen Oper, Barrie Kosky, versucht mit seiner ausladenden Neu-Inszenierung einem, wie er meint, Meisterwerk seiner Gattung – das im Dritten Reich verboten, in der Bundesrepublik ins Bieder-Sentimentale verwässert wurde -  endlich theatralische Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen.
Die Story ist eine freche Komödie, ein ins mondäne Nizza der frühen 1930er Jahre verlegter „Fledermaus“-Verschnitt. Der reiche Ehemann besucht heimlich den Ball im Savoy-Hotel zu einem Stelldichein mit einer Verflossenen, die clevere Gattin erscheint maskiert ebenfalls, rächt sich durch ein angebliches Rendezvous, doch am Ende bleibt alles beim Alten. Umrankt wird dieses erotische Verwirrspiel durch ein entsprchendes Buffo-Paar: sie ist eine – unter männlichem Pseudonym – erfolgreiche, amerikanische Komponistin, er ein erotischer Vielfrass und zynischer Weltbürger, in diesem Fall ein ‚türkischer‘ Diplomat, da ‚jüdische‘ Figuren auf der Bühne damals schon unerwünscht waren.
Die Partitur ist nach der Original-Handschrift neu bearbeitet, das jazzige Klangbild farbig rekonstruiert -  und wird vom Orchester der Komischen Oper unter der anfeuernden Leitung von Adam Benzwi fetzig gespielt. Chorsolisten und Tänzer hotten und steppen temperamentvoll über die schlicht ausgestattete Bühne – ein paar verschiebbare Revue-Treppchen, viel dunkel-wallende Vorhänge – und die Kostüme changieren reizvoll zwischen Glitzer-Fummeln, Smoking, weisser Herrenunterwäsche und Nackt-Trikots. Dem seitensprung-süchtigen Ehemann verleiht Christoph Späth die nötige stimmliche und körperliche Beweglichkeit, Dagmar Manzel glänzt als scheinbar betrogene Gattin vor allem in den komödiantischen Szenen, Helmut Baumann vermag mit Charme die heute doch sehr sexistisch wirkenden Witze und Kalauer zu überspielen, doch den Vogel schiesst Katharine Mehling als quicklebendige Amerikanierin ab, die nicht nur alle Arten des neuen Jazz-Gesangs ausspielen kann, sogar „akrobatisches Big-Band-Jodeln“, sondern auch tänzerisch-beweglich eine mitreissende Figur macht.
Tempo, Tempo hiess das Motto der damaligen Zeit und Regisseur Barrie Kosky versucht es noch zu übertreffen – über drei Stunden wechseln sich in rasender Abfolge Gesangs- und Revue-Nummern unerbittlich ab – Ruhepunkte gibt es kaum, und so stellt sich statt abwechslungsreichem Tempo sterile Hektik ein. Das Geschehen ist kunterbunt, lässt aber kalt. Erst im letzten Teil gibt es auch ein paar melancholische Momente: etwa wenn das Diener-Paar in einem berührenden Duett sich an seine Vergangenheit in Wien erinnert – in jiddischer Sprache, oder wenn die scheinbar betrogene Gattin ihre immer noch vorhandenen Liebes-Gefühlen nicht wahrhaben will und zu bekämpfen versucht.
Bewegend auch der raffiniert inszenierte Schluss: nachdem das gesamte Ensemble sich verbeugt und den starken und herzlichen Applaus des Publikums entgegengenommen hat, verabschieden sich die Künstler mit dem (nur vom Klavier begleiteten) leise vorgetragenen Lied: „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände, Good Night, Good Night, Good Night“. Berührender kann man Paul Abraham’s nicht gedenken.

Foto: Komische Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 15./18./21./23./26.Juni/ 3.Juli 2013

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