Rainer Allgaier

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Monat: März 2013

Tag-Träumer: ‚Oh Boy‘ von Jan Ole Gerster****

28. März 2013FilmkritikenNo Comments

Ein melancholisch-bunter Berlin-Film, gänzlich in Schwarz/Weiss gedreht – ein Tag im Leben des Niko Fischer. Niko, Lebensalter etwa Ende Zwanzig, hat sein Jura-Studium vor einiger Zeit geschmissen und bummelt seitdem durch die Berliner Tage und Nächte, wechselt Wohnungen und Freundinnen, immer auf der Suche nach seinem Platz im Leben, in der Gesellschaft, getragen von einer melancholischen Freundlichkeit – auch wenn es wie an diesem Tag, den der Film schildert, immer wieder zu kleineren und grösseren Katastrophen kommt.
Zunächst trennt sich, verärgert über seine etwas nölige Unentschlossenheit, seine Freundin von ihm, dann verweigert der Polizei-Psychologe ihm die Rückgabe des Führerscheins wegen „emotionaler Unausgewogenheit“, ein Nachbar belästigt ihn mit wenig schmackhaften Fleischbällchen und Ehefrust und dann schluckt der Geldautomat auch noch seine EC-Karte. Als er deshalb seinen reichen Vater aufsucht, der gerade auf einem Golfplatz seine Sportlichkeit demonstriert, eröffnet ihm dieser mit herablassend-ironischer Mine, dass er durch Zufall von Nikos Studienabbruch erfahren hat und er ihm deshalb den monatlichen Scheck sperren wird.
Bei der anschliessenden Rückfahrt mit der S-Bahn wird Niko ohne Fahrschein erwischt, ein Freund nimmt ihn mit zum Dreh eines rührseligen Films über die Love-Story zwischen einem Nazis und einer Jüdin, eine ehemalige Schulkameradin läd ihn zu einer abendlichen Off-Theater-Performance ein, in der sie mitspielt, wobei es bei der anschliessenden Premierenfeier zu unangenehmen Auseinandsersetzungen kommt, samt Schlägerei und missglücktem Sex-Quickie, und dann trifft Niko noch spät in der Nacht in einer Kneipe einen alten Berliner, der erzählt, dass er in der Nazi-Progromnacht die Scheiben dieses Lokals eingeworfen hat. Als dieser Unbekannte kurz darauf zusammenbricht, fährt Niko im herbeigerufenen Notarztwagen mit und verbringt wartend die Nacht in der Charité. Als der Morgen graut, sieht man als letztes Bild, Niko nachdenklich in einer Cafébar sitzen, draussen rattert die Hochbahn vorbei…
Es ist erstaunlich wie überzeugend dem jungen Regisseur Jens Ole Gerster sein erster Langfilm gelingt: authentisch, spannend, raffiniert montiert, musikalisch stimmig untermalt und typengenau besetzt. Tom Schilling’s Niko ist ein ruhiger Softie, der mit wachen Augen seine Umgebung vorurteilslos mustert, oft zögerlich reagiert, aber – wenn’s drauf ankommt – auch Mumm beweist: das treffliche Portät eines – auch sprachlich – noch unsicheren jungen Mannes im Berlin von heute. Auch die überigen Darsteller, darunter Ulrich Noethen und Michael Gwisdek, brillieren in ihren meist kurzen Begegnungen mit Niko : Typen der Grossstadt, witzig, schräg, liebenswert oder abstossend.
Die gelegentliche Nähe zum Klischee wird geschickt umschifft und vom flotten Tempo des Films überspielt. Besonders schön: die immer wieder eingestreute Bild-Sequenzen der pulsierenden Stadt mit ihrem brausenden Verkehr und ihren leuchtenden Hochhausfasaden, die die einzelnen Episoden stimmungsvoll gliedern im Leben dieses modernen ‚Taugenichts‘.
Ein intelligenter, kleiner Film nicht nur für Berlin-Fans!

Poster/Foto: X Verleih

Filmstart war der 1.November 2012, zu sehen ist er noch täglich: Hackesche Höfe Kino; Kant-Kino;  Einzel-Termine: Casablanca; Filmtheater am Friedrichshain; Sputnik

Designer-Chic: ‚Hänsel und Gretel‘ in der Komischen Oper***

25. März 2013TheaterkritikenNo Comments

Meist wird Engelbert Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ in der Weihnachtszeit auf den Spielplan gesetzt, obwohl die Geschichte von den im Wald verirrten Kinder eindeutig im Sommer spielt. Jetzt wird das populäre Stück erstmals in der Komischen Oper inszeniert, zu Beginn der Karwoche – und das dann tatsächlich ostereier-bunt.
Statt Lebkuchen und Mandelkern – Lollipops und Erdbeeren, teils in flimmernden Video-Clips, teils in täuschend echter Plastik. Der Wald besteht aus silber-glitzerndem Riesen-Besteck – nämlich sich aus dem Bühnenhimmel herabsenkenden Löffeln, Messern und Gabeln – , das Hexenhaus ist eine kreiselnde Tortenschachtel – obendrauf posiert die Hexe im grünen Pailletten-Anzug und rotem Federbusch auf dem kahlen Kopf – so als ob sie direkt aus dem Friedrichstadt-Palast herüber käme.
Auch sonst sind die Show-Anklänge nicht zu übersehen: Hänsel und Gretel tragen unisex, schicke, weisse Anzüge und rappen gekonnt zu ihren ‚Folk-Songs‘ („Suse, liebe Suse“, „Brüderchen, komm tanz mit mit“), der Vater radelt elegant auf altmodischem Drei-Rad in die weisse Designer-Stube, und nach dem Abendsegen erscheinen die 14 Engel als in weiten Röcken kreisselnde Derwische, die am Ende keck ihre strammen Popos präsentieren – natürlich mit knallroten Unterhosen bedeckt (da ja der Vorstellungsbesuch ab 6 Jahren empfohlen wird)!
Neu-Regisseur Reinhard von der Tannen ist eigentlich ein berühmter Bühnenbildner und Ausstatter, der einst Wespen in der Deutschen Oper (Nabucco) oder Ratten in Bayreuth (Lohengrin) tanzen liess, und der auch jetzt Hänsel und Gretel mit langen Häschen-Ohren schmückt oder der Hexe ein Lurch-Gesicht schminkt  – aber den giftigen Stachel, der einst das Publikum so irritierte, den hat er diesmal völlig unterschlagen. Zwar wird im Programmheft noch von allerlei unschönen Dingen wie Armut, Hunger oder Angst in schönster Dramaturgen-Lyrik philosophiert, aber auf der Bühne sieht man davon nichts – nur modisch-schickes Design und TV-taugliche Tanzschritte.
Gewichtiger geht’s da im Orchestergraben zur Sache: die aus Estland stammende, neue Dirigentin Kristiina Poska lässt die wagner-gesättigten Klangwolken flott emporwallen – wenn auch etwas ungezügelt laut. Theresa Kronthaler (Hänsel) und Maureen MaKay (Gretel) sind ein agiles und spielfreudiges Geschwisterpaar, Tom Erik Lie ihr skurril-spilleriger Vater, Christiane Oertel die strenge, rothaarige Mutter, und Ursula Hesse von den Steinen brilliert nicht nur stimmlich sondern auch darstellerisch als echt sexy ‚Knusper-Hexy‘ (Premieren-Besetzung!).
Humperdincks Dauerbrenner in der Komischen Oper: hört sich gefällig an, ist auch hübsch anzusehen in seinem modisch gestylten Look – doch herzlich oder anrührend wirkt das Opern-Märchen nie: alles Plastik!

Foto: Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin

nächste Vorstellungen:27./31.März/04./06./10./11./14./19.April 2013

Musikalisches Stillleben: ‚Vanitas‘ in der Schiller-Werkstatt (Staatsoper)***

20. März 2013TheaterkritikenNo Comments

Der Sizilianer Salvatore Sciarrino (geb.1947) gehört zu den bekanntesten, zeitgenössischen Komponisten Italiens. Neben zahlreichen Instrumentalwerken, meist für kleine Besetzungen, hat er auch mehrere Partituren fürs Theater geschrieben, am bekanntesten seine Oper „Luci mie traditrici“ von 1998 (dt.Fassung „Die tödliche Blume“).
Bereits 1981 wurde in der Mailänder Piccola Scala seine Kantate „Vanitas“ in einer szenischen Einrichtung uraufgeführt, ein Zyklus von fünf überwiegend zart-melancholischen Liedern nach barocken Gedichten, vom Komponisten selbst zusammengestellt. Es sind lyrische Metaphern (Rose, Spiegel) für die Eitelkeit der Menschen und die Vergänglichkeit der Welt. Eine nacherzählbare Handlung gibt es nicht. Ein Inszenator hat also weitgehend freie Hand, die abstrakten, minimalistischen Lieder optisch umzusetzen.
Die junge Regisseurin Beate Baron hat die Werkstatt des Schillertheaters leer räumen lassen. An der Längswand eine flache Tribüne mit vier Stuhlreihen fürs Publikum, rechts davor sitzt die koreanische Pianistin Jenny Kim am Flügel, daneben Gregor Fuhrmann am Cello. Nach einem kurzen Vorspiel in flattrigen Obertönen wird eine der Eingangstüren aufgerissen und in gleissendem Neon-Licht erscheint die britische Sängerin Rowan Heller, Mitglied des Nachwuchsstudios der Staatsoper: weisses Hemd, schwarze Hose, High Heels, das blonde Haar gescheitelt und zu Schecken über den Ohren geflochten, das Gesicht stark geschminkt, fast eine Clownsmaske andeutend. Am Ende des Liedes verschwindet sie wieder, beim folgenden erscheint sie in der nächsten Tür usw.  Ein altes Schauspieler-Paar (Friederike Frerichs/ Hans Hirschmüller) tritt in glitzender Abendrobe auf, bewundert stumm zunächst einen leeren, goldenen Bilderrahmen, dann ausdauernd seine Video-Porträts in Alltagskleidung auf zwei herabgelassenen, grossen Leinwänden.
Knapp eine Stunde dauern die fünf miteinander verbundenen Lieder, virtuose Gesangsstücke für einen Mezzosopran, vom Klavier mit teils sanften, teils kraftvollen Klangkaskaden unterlegt, während das Cello die Gesanglinien gleichsam als Echo fortspinnt. Sciarrinos delikate Musik öffnet innere Welten, zwischen Traum und Realität, zwischen Kontemplation und mystischer Versenkung, zwischen raffinierten Spiegelungen und schwebenden Andeutungen. Am Schluss: eine schier endloses Glissando des Cellos, immer leiser werdend bis zum Verstummen.
Musikalisch ist der kurze Abend dank der hervorragenden Interpreten überzeugend und eindrucksvoll, als szenische Installation wirkt er dagegen beliebig und vermag die klingende Welt von Sciarrinos Welt- und Vanitas-Betrachtung kaum sichtbar zu machen.

Foto: Thomas Bartilla/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen:21./26./28.März/ 2./3.April 2013

Mr.H.,wie haben Sie das gemacht.: ‚Hitchcock‘ von Sacha Gervasi***

17. März 2013FilmkritikenNo Comments

Keine filmische Biographie über Alfred Hitchcock (1899-1980), sondern die Entehungsgeschichte seines komerziell erfolgreichsten Werkes „Psycho“ im Jahr 1959. Hitchcock war damals 60 Jahre alt, lebte mit seiner Frau Alma in einem komfortablen Haus in Hollywood, ein erfolgreicher und angesehener Regisseur von über 40 Filmen. Doch jetzt bekam er Schwierigkeiten mit seinem neuen Projekt, der Roman-Verfilmung „Psycho“, einem düsteren Kammerspiel um einen schizophrenen Mörder in Schwarz/Weiss. Die Paramount, seine Produktionsgesellschaft, lehte zunächst ab, der Zensor verweigerte Drehgenehmigungen für einzelne Szenen, sogar seine Frau, sonst die vertrauteste Mitarbeiterin, riet ihm ab. ‚Hitch‘ – wie er von allen genannt wurde – setzte sich jedoch durch, verpfändete sogar sein Haus für die Finanzierung, überredete den Zensor mit raffinierter List und gewann – nach einer gründlichen Überarbeitung des bei der studio-internen Voraufführung noch abgelehnten Films – auf der ganzen Linie :  13 Millionen Reingewinn soll „Psycho“ eingespielt haben.
Regisseur Sacha Gervasi („Anvil“) hat dieses ‚Making of … ‚ mit (erfundenen?) Eheproblemen zwischen Hitchcock und seiner Frau verknüpft. Alma, mit der er seit seinen ersten Filmen im England der 1920er und 30er Jahre als Cutterin und Drehbuch-Autorin eng zusammenarbeitete, fühlt sich von der Arbeit an „Psycho“ ausgeschlossen, beginnt stattdessen mit einem befreundeten Autor an einem eigenen Drehbuch zu arbeiten. Ausserdem ärgert sie sich über den Hang ihres Mannes zu seinen blonden Darstellerinnen, er wiederum wird eifersüchtig und unterstellt Alma ein Liebesverhältnis mit ihrem Co-Autor. Natürlich löst sich alles am Ende in neuer (Ehe-)Harmonie auf – ganz im Gegensatz zum grausigen Schluss von „Psycho“.
Diese private Liebes- und Ehe-Story – was immer an ihr stimmen mag – wirkt sehr konventionell und vorhersehbar, während der Produktionsprozess und die Entstehungsgeschichte von „Psycho“ einige interessante Einblicke in die damaligen Verhältnisse der amerikanischen Filmindustrie geben und auch ein paar weniger bekannte Seiten der Persönlichkeit Hitchcocks schildern – wenn dabei auch nicht allzu tief geschürft wird, und immer die Regeln des heutigen Mainstream Hollywoods die Grenzen setzen. Am gelungensten ist die Szene, die Hitchcock zeigt, wie er bei der Premiere von „Psycho“ im Foyer den Erschreckensrufen und Schreien des Publikums im Saal lauscht und diese stakkatoartige Laut-Kulisse wie ein tanzendes Rumpelstilzchen dirigierend begleitet.
Als Protagonisten des in opulenten Bildern inszenierten Films sind zwei berühmte britische Schauspieler aufgeboten: Anthony Hopkins und Helen Mirren. Hopkins ahmt vor allem sprachlich den herablassend-näselnden Tonfall und den trocknen-bissigen Humor seines Vorbilds überzeugend nach, darstellerisch erstickt er aber fast unter seiner volominösen, äusseren Körper- und Gesichts-Maske. Helen Mirren, eine ebenso elegante wie taffe Alma, zieht sich mit professioneller Routine aus der tatsächlichen oder gespielten Affäre. Mit hübschem Witz: Scarlett Johansson als superblonde Janet Leigh, verblüffend James D´Arcy als Anthony Perkins.
Hitchcock, eigenwillig-genialer Gross-Meister des amerikanischen Kinos – diesmal eingedampft
als freundlich-unterhaltende Mainstream-Produktion – gut drei Jahrzehnte nach seinem Tod.

Poster/Verleih: Deutsche Fox

zu sehen: CineStar Sony Center (OV); Hackesche Höfe (OmU); Odeon (OmU); Rollberg-Kino (OmU); Adria; Blauer Stern; Cinema Paris; CinemaxX Potsdamer Platz; Filmtheater am Friedrichshain; International; Kulturbrauerei; Yorck; Thalia in Potsdam

Alltag einer Ehe: ‚Take This Waltz‘ von Sarah Polley***

12. März 2013FilmkritikenNo Comments

Margot und Lou, ein junges Paar, seit 5 Jahren glücklich verheiratet, noch kinderlos, wohnen in einem hübschen Vorort-Häuschen im kanadischen Toronto. Sie betätigt sich als Reiseschriftstellerin, er testet Rezepte und schreibt Kochbücher. Freundlich unkomplizierter Alltag mit gelegentlichen Besuchen von oder bei Verwandten und Freunden. Als der Kunstmaler Daniel, der sich seine Miete als Rikscha-Fahrer verdient, eines Tages als neuer Nachbar auftaucht, beginnt es unter der idyllischen Oberfläche zu brodeln: Margot fühlt – zunächst ganz unbewusst – , dass in ihrer Ehe etwas fehlt, dass ihre Beziehung zu dem gutmütigen Lou sich ändert. Doch auch als ihr klar wird, dass sie sich in Daniel heftig verliebt hat, will sich keine Entscheidung treffen zwischen den beiden Männern. Erst als der Künstler entäuscht in ein anderes Wohnviertel zieht, verlässt Margot ihren verdatterten und ratlosen Ehemann, zieht zum Geliebten. Am Schluss des Films jedoch sitzt Margot in der Karusell-Gondel eines Vergnügungsparkes, in der sie einst, als sie noch mit Lou zusammen lebte, mit Daniel einen glücklichen Nachmittag verbracht hatte  – jetzt ganz allein. Bedeutet dies das Ende des Verhältnisses mit Daniel?
Es sind ganz normale Leute, die die kanadische Regisseurin (und Schauspielerin) Sarah Polley porträtiert, junge Durchschnitts-Bürger des gehobenen Mittelstandes – auch wenn das soziale Umfeld in seiner Beschreibung etwas vage bleibt. Polley, die auch am Drehbuch mitarbeitete, interessiert sich in erster Linie für die Psychologie ihrer weiblichen Hauptfigur, konzentriert sich auf die inneren Veränderungen, die in der Beziehung der mädchenhaft sanften Margot zuerst zu ihrem Mann Lou, dann auch zum Geliebten Daniel vorgehen. Das ganz allmähliche Bewusstwerden einer Änderung ihrer Gefühls- und Lebenswelt. Gegen die sie sich am Anfang stark wehrt, und die sie nur langsam – auch rational – erkennt und akzeptiert.
Erzählt wird diese innere Wandlung der Gefühle überwiegend in filmischen Ellipsen. Sarah Polley hat sich attraktive Bild-Sequenzen dafür einfallen lasssen, wie beispielsweise die erwähnten Szenen auf dem rotierenden Karusell oder jene exzentrische Kamerafahrt, die Margot und Daniel beim Liebesakt in dessen neuem Loft zur filmtitelgebenden Musik von Leonard Cohens „Take This Waltz“ ständig  umkreist. Und mit jeder neuen Umdrehung füllt sich der Raum mit Möbeln und Requisiten, verändern sich Haltung und Kleider der Personen – schreitet die Zeit fort.
Leider walzt Polley ihre schönen Regie-Einfälle oft allzu sehr aus, so dass der Spannungsfaden lahmt und die Geschichte sich in die Länge zieht.
Das Glück des Films aber sind seine beiden wunderbaren Hauptdarsteller, die aus dem gedanklichen Konstrukt der Story erst echte Menschen machen: Michelle Williams als mädchenhaft unbefangene und zugleich taffe Margot sowie der etwas korpulente Seth Rogen als ihr Ehemann Lou: ein netter, lustiger Kumpel, der zum melancholischen Verlierer wird. Luke Kirby als Künstler Daniel bleibt schön und blass.
Sarah Polleys hat diese Veränderung einer Ehe-Beziehung sehr genau und ohne moralische Wertung beobachtet und einfallsreich in Szene gesetzt – ist dabei aber ins Weitschweifige geraten. Dadurch  mangelt es dem Film an Spannung und dramatischem Biss.

Poster/ Verleih: Kool

zu sehen: Central Hackescher Markt (OmU); fsk (OmU); Bundesplatz-Kino; CinemaxX Potsdamer Platz; Filmtheater am Friedrichshain; Kant-Kino; Passage Neukölln

Politik und Marketing: ‚NO!‘ von Pablo Larrain****

9. März 2013FilmkritikenNo Comments

Der chilenische General und Diktator Augusto Pinochet war sich seiner Herrschaft so sicher, dass er für Oktober 1988 eine Volks-Befragung anberaumte, in der die Bürger über seine Wiederwahl im darauffolgenden Jahr mit „Ja“ oder „Nein“ stimmen konnten. Zugleich sollte mit diesem Referendum die – seiner Diktatur gegenüber kritische – Weltöffentlichkeit besänftigt werden, zumal Pinochet und seine Generäle wegen der unter ihrer Regierung erzielten wirtschaftlichen Prosperität die grosse Masse der Chilenen hinter sich wussten. Da konnte der Diktator es sich sogar leisten, den Oppositions-Parteien täglich 15 Minuten Wahlwerbung im Staatsfernsehn zu erlauben (wenn auch zu nachtschlafender Zeit).
Die Geschichte dieses kurzen, nur ein paar Wochen dauernden, kuriosen Wahlkampfes erzählt der chilenische Regisseur Pablo Larrain, der sich schon zuvor in zwei Spielfilmen mit der politischen Vergangenheit seines Landes auseinandergesetzt hat.
Im Mittelpunkt steht der junge Werbefachmann René Saavedra – ruhig und intensiv verkörpert vom mexikanischen Star-Schauspieler Gael Garcia Bernal („Die Reise des jungen Che“,“La Mala Education“,“Babel“).
Obwohl sein Chef regierungstreu und er eher unpolitisch ist, lässt René sich überreden, die TV-Kampagne für die vereinigten Oppositions-Parteien mitzugestalten. Doch zunächst verstört sein  – nach kommerziellen Werbestrategien organisiertes -  Konzept: dessen Ziel ist nicht die schreckliche Vergangenheit und Gegenwart anklägerisch aufzubereiten, sondern Hoffnung zu wecken auf eine zukünftige, fröhliche Demokratie, ‚allegria‘ heisst hierfür das spanische Zauberwort.
Aber auch persönlich gerät René durch sein Engagement für die Opposition in Schwierigkeiten; der Geheimdienst scheint ihn und seinen bei ihm wohnenden kleinen Sohn zu bedrohen und zu verfolgen. Doch am Ende geschieht das Unwahrscheinliche: seine Kampagne mit dem gekrümmten Regenbogen hinter dem dicken, schwarzen NO, seine Spots mit fröhlich tanzenden und singenden Menschen, gelegentlich unterbrochen von Auftritten verfolgter Politiker oder Dokumentar-Szenen brutaler Polizei-Gewalt, diese – bei vielen der Oppositionellen heiss umstrittenen – Wahl-Sendungen führen zum Sieg und zum (langsamen) Übergang Chiles zur Demokratie.
Im Epilog spielt René – inzwischen Teilhaber in der Firma seines Chefs – neue Werbe-Clips einer gutbetuchten Kundschaft vor – mit wachem, nachdenklichem Blick…
Regisseur Pablo Larrain liess den Film in einem altmodische Video-Format (mit Unschärfen und verwaschenen Farben) drehen, um sie den eingefügteen Original-Dokumenten anzugleichen. Inhaltlich erzählt er seine Geschichte mit komödiantischen oder satirischen Untertönen als sehr unterhaltsamen Polit-Thriller. Ganz wie seine Hauptfigur: nicht anklägerisch, sondern freundlich-listig überredend. Ohne dabei die politische Wirklichkeit der Schreckens-Diktatur Pinochets mit ihren Tausenden Ermorderter, Gefolteter oder Vermissten zu bagatellisieren oder als verharmlosenden Hintergrund zu missbrauchen. Aber ohne agressiv zugespitzte Anklage – wie sie auch viele der Oppositionellen im Film gefordert haben.
Kein Zufall, dass Cannes und Hollywood begeistert waren – wenn auch die diesjährige Oscar-Nominierung als bester fremdsprachiger Film gegenüber Michael Hanekes „Liebe“(Amour) keine Chancen hatte.

Poster/Foto/Verleih: Piffl Medien GmbH

zu sehen:Hackesche Höfe Kino (Sp.OmU); Neues Off (Sp.OmU); Filmtheater am Friedrichshain; Kant-Kino; Passage

Fades Relief: ‚Götterdämmerung‘ in der Staatsoper im Schillertheater**

4. März 2013TheaterkritikenNo Comments

Mit einem heftigen Buh-Konzert für das belgische Regie-Team um Guy Cassiers endete die „Götterdämmerung“-Premiere im Schillertheater und damit die seit 2010 gestartete Neu-Inszenierung des Wagnerschen „Ring“ – einer Gemeinschfta-Produktion mit der Mailänder Scala.
Wie in allen vier Teilen dominieren Video-Tapeten die Bühne, mal flimmern abstakte Muster darüber, die je nach Farbe als Feuer, Wasser oder Wald gedeutet werden können, mal scheinen undeutliche, zombieartige Gesichter oder menschliche Gliedmassen sich in schwarz/weiss zu zeigen. Spielt die Handlung in der Gibichungen-Halle fahren marmorweisse Treppen-Segmente mit unschönem Knarren herein, auf denen sich dann der Chor plazieren darf – eine seltsame Gesellschaft in extravaganten Kleidern, halb 19.Jahrhundert, halb  modischer Fantasy-Film.
Auch die Solisten sind in ausladende, hässliche Patschwork-Kostüme gesteckt, die Damen mit meterlangen Seidenschleppen, die Herrn mit Hosenträger und Zylinder. Gelegentlich mischen sich überflüssigerweise wieder ein paar dunkel gewandete Tänzer zwischen die überigen Personen, in der Tarnkappen-Szene am Ende des 1.Aktes dürfen sie die erschrockene Brünnhilde unter schwarzen Tüchern begraben – oder vergewaltigen?
Ganz am Ende, nachdem Brünnhilde unter den roten Video-Flammen verschwunden ist und die nicht sichtbaren Götter ebenfalls, senkt sich – gleich einem eisernen Vorhang – ein riesiges Relief herab, darauf abgebildet ein Knäuel aus sich krümmenden, nackten Menschen – laut Programmbuch dem Kunstwerk eines belgischen Bildhauers von 1899 nachempfunden: ‚Les passions humaines‘ (Die menschlichen Leidenschaften). Ein für diese Inszenierung nicht unpassender Titel, der sowohl Alles wie Nichts aussagt.
Glücklicherweise rettet die Musik doch manches. Daniel Barenboim wählt zwar ungewöhnlich langsame Tempi, vermag aber die Dynamik äusserst fein abzustufen, und dank der hervorragenden Staatkapelle bringt er die Klangfarben wunderbar zum Leuchten. Besonders die reinen Instrumental-Passagen (Siegfrieds Rheinfahrt, Trauermarsch) und der apotheotische Schluss gelingen vortrefflich. Dazwischen allerdings fordert die bedächtige Gangart auch ihren langatmigen Tribut.
Johannes Martin Kränzle gestaltet sehr prägnent seinen Kurz-Auftritt als Alberich, Marina Prudenskaja ist eine stimmschöne Waltraude, während Gerd Grochowski als Gunther und Mikhail Petrenko als Hagen solide singen, aber gelegentlich Präsenz und Durchschlagskraft vermissen lassen. Schwach mit vibratoreichem Tenor: der Siegfried von Ian Storey, dagegen überrascht Irene Theorin als hellblonde Brünnhilde neben ihren schrillen Höhen mit anrührenden, leisen Tönen – leider erst im Schlussgesang.
Manchmal vermag ein gelungenes „Götterdämmerungs“-Ende, Schwächen des vorangegangenen „Rheingoldes“, der „Walküre“ oder des „Siegfrieds“ auszugleichen, diesemal ist jedoch das Gegenteil der Fall: der fade Abschluss-Abend drückt der gesamten berlin/mailänder Ring-Inszenierung (nicht ihrer musikalischen Deutung!) den Stempel auf:  vordergründig-pompös und überflüssig.

Foto:Monika Rittershaus/Deutsche Staatsoper

nächste Vorstellungen: 6.und 10.März 2013 (während der Festtage vom 23.3. – 1.4. steht der gesamte „Ring“ auf dem Programm)

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