Rainer Allgaier

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Monat: April 2013

Ausladende Psycho-Show: ‚Der fliegenden Holländer‘ in der Staatsoper im Schillertheater****

29. April 2013TheaterkritikenNo Comments

Zeit: 19 Jahrhundert. Ort der Handlung: ein von zwei Kristall-Lüstern meist schwach erhellter Salon mit vielen Bücherregalen und einem riesigen, goldgerahmten See-Gemälde im Hintergrund. Schon während der Ouvertüre schleicht sich bei Nacht die noch ganz junge Reeders-Tochter Senta herein, holt einen alten Schmöker aus dem Regal, vertieft sich lesend darin und beginnt zu träumen. Das Riesen-Gemälde im Hintergrund öffnet sich – gleichsam eine zweite, kleinere Bühne – mit Bilck auf Felsengestade, Meer und Schiffe. Und so phantasiert sich Senta die Begegnung ihres Vaters Daland mit dem romantisch-düsteren Holländer des Buches zusammen, dessen Wunsch eine Frau ist „treu bis in den Tod“.
Dann aber geht das Licht an: die nun erwachsene junge Frau wird von einem guten Dutzend weissbeschürtzter Dienstmädchen angekleidet, Bücher werden abgestaubt und der Fusssboden geschrubbt, bis Vater Daland in den Salon tritt und Senta einen biederen Herrn als Bräutigam präsentiert. Doch die sieht in ihm nur ihren Traum-Holländer, der prompt wieder hinter dem Gemälde auftaucht und mit dem sie in ihrem Wahn die Ehe einzugehen glaubt. Doch die Hochzeit artet durch Dalands Angestellte (Matrosen, Dienstmädchen) zur wilden Party aus , Alkohol fliesst reichlich und als der Holländer durch ein Missverständnis sich von Senta verraten glaubt, öffnet sich nocheinmal das Gemälde und die jetzt schon etwas ältere Senta (die auf dem Sofa nebst dem realen Ehemann kräftig einer Flasche zuspricht) erblickt den auf seinem Schiff abfahrenden Holländer und sich selbst als Doubel, das ihn zurückzuhalten versucht. In ihrem Schmerz verwirren sich Realität und Fiktion total: mit einem Messer tötet sie erst ihren (realen) Ehemann und dann sich selbst.
Auf unterschiedlichen Ebenen erzählen Regisseur Philipp Stölzl und sein Team die Geschichte der Wagner-Oper vom verfluchten, holländischen Seefahrer:  es sind die Wahnvostellungen einer Frau, die aus dem starren Korsett ihres bürgerlichen Milieus auszubrechen versucht, einer Büchernärrin, die Dichtung und Wahrheit verwechelt. Und zwar ihr Leben lang: vom jungen Teenager bis zur reifen Frau -  und das wegen dieser Realitätsblindheit tragisch enden muss.
Ob Richard Wagner dies auch so gesehn hat, mag dahin gestellt sein. Geschickt jedenfalls realisiert Stölzl diese Deutung: vor allem mit Hilfe der Doppelbühne, auf der Handlung und Personen (durch mehere Doubles und allerlei Komparsen) raffiniert zwischen dem Salon-Realismus des 19.Jahrhunderts und der phantasisch-romantischen Traumwelt changieren. Elegante Kostüme und wirkungsvolle Beleuchtung unterstützen die optische Oppulenz der Inszenierung, obwohl ihre Grundidee weder neu ist noch neue Einsichten fördert. Es ist vor allem eine theatralisch effektvolle Show.
Auch musikalisch kann sich diese Inszenierung, die vom Theater Basel übernommen wurde, hören lassen. Michael Volle triumphiert als grosser, schlanker Holländer mit warmem Bariton und vorbildlicher Text-Aussprache, die Schwedin Emma Vetter verfügt als Senta über einen ebenen, gleichmässigen Sopran und überzeugendes Spiel-Talent, ebenso wie der als zurückgewiesener Liebhaber Erik eingesprungene Tenor Stephan Rügamer. Tobias Schabel ist ein eher zurückhaltender Daland mit weich-fliesendem Bass, Simone Schröder (Mary) ein resoluter Haus-Drachen im streng bürgerlichen Salon.
Die Chöre klingen gut, die auf der Bühne kaum sichtbar werdende Natur braust stürmisch im Orchester, und der in aller Welt gefragte Gastdirigent Daniel Harding (einst Assistent bei den Philharmonikern unter Abbado) hält alles mit kraftvollem Drive zusammen, gelegentlich ein wenig zu routiniert.
Ein Opern-Abend mit eigenwilligen, doch niemals provozierenden Akzenten, und dank seiner optisch-schicken Üppigkeit ein einhelliger Publikums-Erfolg
Foto: Matthias Baus/Deutsche Staatsoper
nächste Vorstellungen: 1./4./10./16./19./22.Mai 2013


Falscher Hase: ‚Rigoletto‘ in der Deutschen Oper**

25. April 2013TheaterkritikenNo Comments

Die Gedanken und Überlegungen, die der renommierte Schauspiel-Regisseur Jan Bosse zu Giuseppe Verdis populärer Oper „Rigoletto“ (UA: Venedig, 1851) im Programmheft der Deutschen Oper äussert, klingen klug und einsichtig. Was er jedoch daraus auf der Szene macht, ist hahnebüchen und kaum nachvollziehbar. Das Bühnenbild ist eine verkleinerte Spiegelung des Zuschauerraums mit Holztäfelung, Rang und den senfgelben Sitzreihen. Rigoletto stolpert als gold-glitzender Osterhase herein, Gilda verpuppt sich in weissen Gaze-Schleiern, der mit Goldkettchen behängte Herzog wechselt mehrmals sein Outfit von schwarzer Lederhose zu pink-grellen Anzug. Der Chor, d.h. die ‚Zuschauer‘ auf der Bühne – teilweise in üppigen gold-glitzernden Röcken – macht es sich auf den Sitzplätzen bequem, bevor im letzen Bild, Wände und Stuhlreihen von einer Heerschar Bühnenarbeitern erst auseinander genommen werden und anschiessend in der Versenkung verschwinden. In dem nun leeren, kalt ausgeleuchtenen Raum findet Rigoletto – jetzt im dunklen Zweireiher – seine halbtote Tochter im schwarzen Sack: das einsame Ende einer selbstverschuldeten Tragödie.
Doch diese Bild-Metaphern der kahlen Bühne oder des gespiegelten Zuschauerraums („Sieh her, liebes Publikum, Ihr seid gemeint!“) sind altbacken und ausgelaugt. Und szenisch untauglich: Sänger und Chor quälen sich – von jeder Bewegungs-Regie verschont – mit routinierten Gesten durch den Rang oder vor den gelben Zuschauerreihen auf der Bühne – ein ziemlich albernes und sinnloses Szenario.
Das Glück im Unglück: Verdis geniale Musik und ein junger Dirigent, der Spanier Pablo Heras-Casado, der sie mit Verve aufs Dramatischste entfaltet, ohne Pathos, ohne Gefühls-Kitsch. Das Orchester folgt ihm mit aufmerksamer Flexibilität, der Chor, vor allem die stark geforderten Herren, agiert klangschön, vielleicht eine Spur zu wuchtig. Von den Sängern überzeugen vor allem die beiden Damen: Lucy Crowe als Gilda mit brillant-klarer Koloratur und schöner, satter Mittellage sowie Clémentine Margaine, hier als (zur Doppelrolle aufgewertete) Amme Giovanna und als durch einen samtenem Mezzo verführerische Maddalena. Andrzej Dobber – ein kraftvoller Verdi-Bariton – spielt den Hasen-Rigoletto und verfluchten Vater mit routinierter Überlegenheit, während der kurzfristig als Herzog eingesprungene Eric Fennell eine Nummer zu schmal bleibt: für das grosse Haus der Deutsche Oper fehlen ihm Strahlkraft und Attacke. Die Nebenrollen sind dagegen aus dem Haus- eigenen Ensemble überzeugend besetzt.
Fazit des Abends: Verdis grandiose Theater-Musik überstrahlt auch die verschrobenste Inszenierung. Doch darf dies kein Pladoyer sein für konzertante Aufführungen – denn nur im Spiel auf der Bühne entfaltet die Oper ihre Grösse und Lebendigkeit.

Foto: Bettina Stoess/ Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 28./30.April 2013

Grelle Muppet-Show: ‚Peter Pan‘ im Berliner Ensemble***

14. April 2013TheaterkritikenNo Comments

James Matthew Barrie (1860-1937) war seinerzeit ein vielgespielter englicher Autor, berühmt aber macht ihn bis heute die Figur jenes Jungen, der nicht erwachsen werden wollte: Peter Pan. 1904 betrat Peter erstmals eine Londoner Bühne und seitdem verzaubern er und Wendy, die Fee Tinkerbell und Kapitän Hook in vielerlei Kostümen Kinder wie Erwachsene in aller Welt: als Bücher-, als Trick- und Spielfilm-, oder als Musical-Helden.
Jetzt hat der Texaner Robert Wilson am „Berliner Ensemble“ die phantastisch-poetischen Abenteuer der viktorianischen Kinderschar zu einer seiner typischen Grotesk-Revuen stilisiert. Grell geschminkte Gesichter, hoch toupierte Perücken, dunkel-glänzende Kostüme vor ständig farbig wechselnden Bühnen-Horizonten. Es gibt viel Musik, mal sanft ätherisch zwitschernd, mal steel-trommelnd rockend. Gesprochen und gesungen wird oft im englichen Original, gelegentlich in der (nicht immer deutlich artikulierten) deutschen Übersetzung von Erich Kästner, dazu wird viel gehüpft , gesprungen und manchmal auch getanzt. Und am Ende, wenn die Nachthemden-Kinder ins Heim ihrer Augen rollenden Eltern zurückgekehrt sind, entschweben Peter (schmal und aufgeschossen: Sabin Tambrea) und Tinkerbell (exzentrisch zappelnd unter blonder Frisur: Christopher Nell) in die blauen Lüfte von Nimmerland.
Immer wieder verblüfft Wilson durch raffinierte Beleuchtungs-Effekte, zeigt surreal-komische Schau-Kämpfe zwischen dem mit Hand-Haken bewehrten Kapitän Hook und seiner schwarzen Bodygard, oder er lässt die drollig-dicke Tigerlilly kräftig rocken. Doch so richtig in Schwung kommt die märchenhafte Parabel nicht, zieht sich durch Wiederholungen oft unnötig in die Länge und verheddert sich in dramaturgischen Schwächen, wenn Bühnenumbauten durch ständiges Hin-und Her-Rennen vor dem herabgelassenen Vorhang überbrückt werden müssen. Auch die Musik der beiden New Yorkerinnen „CocoRosie“ zündet nur selten, untermalt zwar popig-gefällig, besitzt  aber wenig eigenen Stil.  Die Schauspieler (darunter Anna Graenzer als Wendy) vermögen sich kaum zu profilieren, agieren eher wie  aufgezogene Marionetten am Faden ihres Regisseurs – optisch durchaus effektvoll, insgesamt aber (bei fast drei Stunden Spieldauer) langeweilend.
Wer noch nie eine Inszenierung von Robert Wilson erlebt hat, der wird sicherlich staunen, wer jedoch seinen Stil kennt, den dürfte dieser grotesk verfremdete Peter Pan kaum verzaubern.

Foto: Lucie Jarisch/Berliner Ensemble

Diese Kritik wurde geschrieben nach der 2.Voraufführung am 13.4.2013; die Premiere fand am 17.4.2013 statt.
Die nächsten Vorstellungen: 18./19./21./22.April/11./12.Mai/01./02.Juni 2013

Opern-Paraphrase: ‚La Finta Giardiniera‘ – wieder in der Staatsoper im Schillertheater***

7. April 2013TheaterkritikenNo Comments

Mozart war achzehn Jahre alt, als er seine Oper „La finta Giardiniera“ als Auftragswerk für München schrieb. Grundlage war ein italienisches Libretto, das in der Art der buffa-opera die Liebesverwicklungen dreier Paare auf dem Landgut eines reichen Adligen schilderte. Der Erfolg nach der Uraufführung im Januar 1775 war so gross, dass bald darauf eine deutsche – von Mozart wohl gebilligte – Fassung entstand, die ebenfalls mit grossem Erfolg in verschiedenen Städten gezeigt wurde. Dennoch geriet diese ‚Schlaue Gärtnerin‘ schnell in Vergessenheit und wurde erst wieder in der Mittes des 20.Jahrhunderts von einigen Theatern in unterschiedlichen Fassungen wiederbelebt.
Im November 2012 hat der Regisseur Hans Neuenfels seinerseits das Mozartsche Frühwerk unter dem Titel „Die Pforten der Liebe“ für die Staatsoper Berlin bearbeitet und zur Premiere gebracht, und jetzt in einer Wiederaufnahme erneut zur Diskussion gestellt.
Die Musik Mozarts, hauptsächlich Arien und nur wenige Ensemble-Nummern, bleibt unangetastet, und auch die Grundkonstellation der Handlung wird beibehalten. Gesungen wird in der italienischen Originalsprache, die Texte zwischen den Gesangsnummern sind deutsch und vollkommen neu. Ausserdem hat Neuenfels ein weiteres, ausschliesslich sprechendes Paar hinzuerfunden: einen Grafen und eine Gräfin, die über Mozart, Sex, Liebe und Tod räsonieren: Rollen, die Elisabeth Trissenaar und Markus Boysen mit weissen Perücken und lässiger Eleganz verkörpern – die berühmten ‚Gefährlichen Liebschaften‘ von Laclos lassen grüssen.
Ob diese personelle Ergänzung viel Sinn macht oder das Ganze nur in die Länge zieht, bleibt unentschieden. Denn Neuenfels verzichtet auch auf eine flüssig ablaufende Handlung. Statt dessen stellt er die einzelnen Personen demonstrativ aus, gleichsam eine Reihung von Solo-Dramen – jedes eine Spielart der Liebe verkörpernd: den bis zur Mord-Attacke eifersüchtigen Grafen Belfiore, die ihn trotzdem liebende und als verkleidete Gärtnerin suchende Marchesa Violante; der alte geile Gutsbesitzer (Podestá) und die ihn verachtende, aber um seines Geldes wegen schätzende Dienerin Serpetta; die von ihrem Liebhaber Ramiro zurückgewiesene und dann nach Rache schreiende Nichte Arminda. Dass dieser Liebhaber Ramiro (bei Mozart eine Hosenrolle) sich in dieser Fassung offen als verkleidete Frau outen muss, mag als weitere Spielart der Liebe gedacht sein, wirkt jedoch in diesem Fall recht aufgesetzt.
Neuenfels‘ zweisprachige Spiel-Fassung der alten Buffa ist intelligentes Theater von heute, klug und kenntnisreich, aber oft auch allzu kopflastig. So recht kommt die Geschichte nicht in Schwung, so kunstvoll der auch als Regisseur fungierende Neuenfels und sein Ausstatter Reinhard von der Thannen die unterschiedlichen Liebes-Facetten in Szene gesetzt haben – mal im dunklen, leeren Raum, mal vor bemalter Kulisse. Sieben pantomimische Hilfskräfte – in kurzen Hosen und bunten T-Shirts – schieben farbige Möbelstücke oder gläserne Särge umher, treiben derbe Scherze mit Möhren und Orangen oder helfen den Marquisen und Grafen zu effektvollen Auf- und Abtritten. Ein proffessionell-souveränes Spiel mit und auf dem Theater, das ohne Mozarts Musik allerdings ins Beliebige oder Belanglose abgleiten würde.
Der englische Dirigent Christopher Moulds animiert die Staatskapelle zu flüssigem Musizieren und begleitet die darstellerisch stark geforderten Sänger mit helfender Aufmerksamkeit. Annette Dasch ist die als Gärtnerin verkleidete, liebende Marchesa: eine junge Frau, blond, in schwarz fliessendem Gewand, mit schönem Piano. Eine Entdeckung: der lyrische Tenor Joel Prieto, ein schmaler Jüngling mit scharzer Haartolle und flexibler, warmer Stimme. Alex Penda, roter Samt, weisser Pelz, ist die racheschwörende Mezzo-Furie und Stephanie Atanasov, als verkleideter Mann eher dünn bei Stimme, läuft erst als verstossene Frau in schwarzen Dessous zu grosser Form auf. Ein hübsches Dienerpaar: die schwyzerdütsch plappernde, koloratur-schnippische Serpetta von Regula Mühlemann und der komisch brummelnde Bariton Aris Argiris als etwas täppischer Diener Nardo. Stephan Rügamer spielt mit Glatze, Korsett und etwas engem Tenor den eigentlichen Verlierer im wilden Liebesreigen – den am Ende alleingelassenen Gutsherrn.
Neuenfels hat einzelne Musiknummern entsprechend seinem Konzept umgestellt – so folgt auf das (ursprüngliche) Happy-End Finale, nach dem hier die einzelnen Personen auseinanderlaufen, erst das versöhnliche Duett der ‚finta giardiniera‘ und ihres gräflichen Geliebten – und im Hintergrund verweisen – schwach schimmernd – Sonne, Mond und Erde auf kosmischen Dimensionen:  der Liebe?

Foto: Ruth Walz / Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 11./19.April 2013

Happy End in der Lausitz: ‚Götterdämmerung‘ im Staatstheater Cottbus****

1. April 2013TheaterkritikenNo Comments

Vor 10 Jahren begann, jetzt gelangte er zum glücklichen Ende: der „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner. Am Ostersonnabend ging nicht nur Siegfrieds Scheiterhaufen in kräftig qualmendem Rauch und flackernd-roten (Beleuchtungs-)Flammen auf, sondern es nahm bei der finalen Götterdämmerung auch ein stummer Wotan in einer hinzuerfundenen Pantomime ergreifenden Abschied von seiner Lieblings-Walküre Brünnhilde und seinem ermordeten Wunsch-Helden Siegfried.
So deutlich und realistisch erzählt der Cottbusser Intendant und Regisseur Martin Schüler das Ende der gewaltigen Ring-Tetralogie – auch wenn das Programmheft von einer ‚halbszenischen‘ Aufführung spricht. Halbszenisch heisst im schönen Jugendstil-Theater, dass der Orchestergraben zu schmal für das gross-gefächerte Musiker-Ensemble ist und deshalb das gesamte Orchester – sichtbar fürs Publikum – auf der Bühne untergebracht ist. Davor agieren in Kostüm und Maske und mit wenigen Requisiten die Sänger. Doch dieser Stil, der zu Beginn der Tetralogie im Jahr 2003 noch in knapper Andeutung bestand, hat sich im Laufe der Jahre und der nachfolgenden Werke vervollkommnet, so dass jetzt in der abschliessenden „Götterdämmerung“ von einer Voll-Inszenierung gesprochen werden muss. Zwar residiert das Orchester immer noch in der Bühnenmitte, davor und dahinter – und verbunden durch einen hellen Steg mitten durchs Orchester – kann sich die tragische Geschichte von der betrogenen Braut Brünnhild, ihrem unwissend untreuen Siegfried, dem geraubten und schliesslich den Rheintöchtern wieder zurückgegebenem Nibelungen-Gold voll entfalten.
Dabei wird der Nachtalb-Nachkomme Hagen in Cottbus zum eigentlichen Drahtzieher des verhängnissvollen Geschehens: er zerschneidet schon zu Beginn den Faden der Nornen, öffnet den Tresor, reiht die Stühle; er führt Gunther und dessen Schwester Gutrune wie Marionetten am Faden, putscht die Mannen zum Aufruhr, bis er am Schluss sichtbar an seiner eigenen Intrigue scheitert und von den inzwischen gealterten Rheintöchtern unter wasser-blauen Seidentüchern verschwindet.
Mitunter ist das von Martin Schüler ein wenig grob gestrickt und allzu brav nach realistischen Regie-Mustern arrangiert, insgesamt aber besitzt der Abend trotz seiner Länge von 5 Stunden durchgängig Spannung und dramatische Attraktivität.
Letzteres verdankt er natürlich vor allem dem ausgezeichneten Sänger- und Darstellerensemble, allen voran der Brünnhilde von Sabine Paßow. Sie verkörpert die zur Menschen-Frau gewordene Walküre darstellerisch ungewöhnlich temperamentvoll und ausdruckstark in ihren jeweiligen Gefühlen,  musikalisch mit einem warmen, sehr flexiblem Sopran, der nicht bloss durch Spitzentöne verblüfft, sondern die vielschichtige Partie in schönem Fluss differenziert gestaltet. Ebenfalls überzeugend in der Gesamt-Gestaltung seiner Figur: Gary Jankowski als kluger, strippenziehnder, aber finsterer Hagen. In ihrer kurzen Szene mit Brünnhilde beeindruckt Marlene Lichtenberg als Walküren-Schwester Waltraude mit dunkel-dramatischem Mezzo. Andreas Jäpel verfügt über einen klangvollen Bariton, muss darstellerisch als schwacher König Gunther jedoch fast bis zur Karikatur übertreiben. Den Siegfried spielt der hochgewachsene, strohblonde Amerikaner Craig Birmingham in schwarzer Lederhose rollendeckend, gesanglich bleiben einige Wünsche offen (Legato!). Als Nornen und Rheintöchter ergänzen Cornelia Zink, Debra Stanley und (zusätzlich) Marlene Lichtenberg das insgesamt hochkarätige Ensemble. Dazu der durch Sänger aus Bratislava verstärkte, ausgezeichnete Chor.
Even Christ sorgte als Dirigent für zügigen Ablauf und klangschöne Details, gelegentliche Intonationstrübungen mögen der ungewöhnlichen Position mitten auf der oft nur schwach erleuchteten Bühne geschuldet sein.
Das Publikum war begeistert, wie auch schon 2003 beim „Rheingold“, dessen grosser Erfolg erst bewirkt hat, dass 2008 „Die Walküre“, 2010 „Siegfried“ und jetzt „Götterdämmerung“ szenisch aufgeführt wurden. Ein Wermutstropfen bleibt nur, dass eine Gesamt-Aufführung aller vier Teile die Möglichkeiten eines mittleren Theater wie Cottbus übersteigt.

Foto(Schluss-Szene): Marlies Kross/Staatstheater Cottbus

nächste Vorstellungen: 06./28.April 2013

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