Rainer Allgaier

Theater- und Filmkritiken

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Monat: Februar 2016

Eine Dame in Rot: ‚ Die Sache Makropulos‘ in der Deutschen Oper***

27. Februar 2016TheaterkritikenNo Comments

Emilia Marty ist eine schöne und berühmte Opern-Sängerin, doch sie hat ein seltsames Geheimnis: dank eines Elixirs, das einer ihrer Vorfahren für den Habsburger Kaiserhof entwickelte, ist sie über 300 Jahre alt, hat viele Liebhaber und auch Kinder gehabt, doch jetzt (in den 1920er Jahren) naht ihr Ende. Verzweifelt sucht sie – um ihr Leben nochmals zu verlängern – nach dem Rezept des Wundermittels, das sie vor langer Zeit einem ihrer Geliebten überließ. Durch Zufall wird sie in einer Anwaltskanzlei Zeugin eines Erbschaftsstreits und findet dadurch den heutigen Besitzer des Zauberformel-Dekrets, der sogenannten „Sache Makropulos“. Der Preis dafür ist eine Liebesnacht. Doch als sie das Wundermittel in den Händen hält, wird ihr plötzlich klar, was diese Lebensverlängerung bedeutet: ein ewiger Kreislauf dessen, was sie schon so oft erlebt hat. Sie verzichtet und stirbt.

Aus dieser leicht surrealen Theaterkomödie hat Leos Janácek eine kurze Oper in drei Akten geformt: eine dramatische Reflexion über Leben und Tod. 1926 in Brünn uraufgeführt, spiegelt das Werk den Spätstil des tschechischen Komponisten mit seinen flüßig.funkelnden Parlando-Passagen und den gewaltigen, lyrischen Orchester-Aufschwüngen.
Doch der theatralische Mix aus Vergangenem und Gegenwärtigem, aus Realismus und Groteske erweist sich auf der Bühne oft als schwieriges Unterfangen und stellt die Regie vor große Probleme.
Auch die neue szenische – nicht die musikalische! – Realisierung an der Deutschen Oper scheitert an dem anspruchsvollen, vielschichtigen Werk.
Regisseur David Hermann hat sich von seinem Ausstatter Christof Hetzer einen etwas verwinkelten, hellen Salon bauen lassen, der mittels Austausch einiger Möbelstücke als Anwaltskanzlei, Theaterraum oder Hotelzimmer fungieren kann. Auf der linken Bühnenseite jedoch wird durch Teppich und Tapete ein altertümliches Ambiente angedeutet. Darin agieren Statisten in historischen Kostümen stumm als Personen aus Emilias (bis ins 16.Jahrhundert reichender) Vergangenheit, während gleichzeitig auf der rechten Bühnenseite der Anwalt und seine Klientel die „Sache Makropulos“ verhandeln. Im letzen Akt  – wenn Emilia über Tod oder Leben entscheidet – wird sie sogar von fünf Doubles aus ihrer 300jährigen Vergangenheit – alle wie sie in roten Kleidern – pantomimisch umschwirrt, doch – Achtung: Überraschung der Regie! -  sie stirbt nicht, sondern posiert während der letzten Orchester-Takte wie zu Beginn des Abend vor einem weißen Vorhang, auf dem ihre Namens-Initialen leuchten:  das Spiel beginnt von Vorn!
Doch all diese Verdoppelungen und stummen Spielereien helfen nicht weiter – wer das Libretto nicht gelesen hat, versteht nur ‚Bahnhof‘.  Abgesehen vom falsch gedeuteten Schluß, wirken Interpretation wie Inszenierung hilflos und  bieder.
Glücklicherweise steht Generalmusikdirektor Donald Runnicles am Pult und bringt Janáceks farbenreiche Musik zum vibrierendem Klingen und Leuchten, achtet sensibel auf feine Lyrismen oder sorgt für die kraftvolle Orchester-Dramatik. Als Emilia Marty beherrscht Evelyn Herlitzius die Bühne: eine schlanke, zierliche Figur, immer in Rot – ob Straßenkostüm, Abendkleid oder Morgenmantel – und mit machtvollem, hochdramatischen Sopran. Imponierend in ihrem Bühnen-Temperament, was fehlt, ist die erregende Kälte und gleissende Künstlichkeit der Janácekschen Figur. Stimmlich sehr am Stil Richard Wagners orientiert. Treffsicher sind die männlichhen Gegenpole besetzt: Ladislav Elgr (Gregor), Derek Welton (Prus), Gideon Poppe (Janek), Seth Carici (Anwalt) und in der Rolle eines närrischen, alten Ex-Geliebten: Robert Gambill.
Musikalisch -  ein ansprechender Abend, szenisch -  ziemlich fade.

Foto: Bernd Uhlig /Deutsche Oper Berlin

Premiere: 19.Febr.2016, weitere Vorstellungen:25./28.Febr.//27./ 30.April 2016

Blutige Wort-Oper: ‚The Hateful Eight‘ von Quentin Tarantino**

27. Februar 2016FilmkritikenNo Comments

Zeit: Nord-Amerika nach dem Bürgerkrieg. Ort: „Minnie’s Haberdashery“, ein einsamer Western-Saloon in den Bergen von Wyoming. Als ein gewaltiger Schneesturm ausbricht, treffen acht Personen (scheinbar) zufällig in diesem abgelegenen Holzbau aufeinander. Ein Kopfgeldjäger mit seiner weiblichen „Beute“ (10 000 Dollar wert); ein schwarzer Major, der im Bürgerkrieg für den Norden kämpfte und einen Briefwechsel mit Abraham Lincoln führte; ein frisch gebackener Sheriff; ein Cowboy, der sein Leben aufschreibt; ein aus England stammender Henker; ein alter Südstaaten-General, der nach seinem verschollenen Sohn fahndet und ein finsterer Mexikaner, der momentan den Laden führt, da die Besitzerin angeblich bei ihrer Mutter zu Besuch weilt.
Eine Kammerspiel-Situation wie in einem Krimi von Agatha Christie – jeder hat ein Geheimnis zu verbergen und versucht gleichzeitig die übrigen Anwesenden wortreich auszuforschen. Der Film – im seltenen 70-Milimeter-Format gedreht – dauert fast drei Stunden, beginnt mit einer rein musikalischen Ouvertüre (Enno Morricone) und wird durch eine 12-minütige Pause geteilt. Während vor dieser „Intermission“ überwiegend mit Worten diskutiert und gestritten wird,  erfährt der Zuschauer danach in einer Rückblende die wahren Zusammenhänge der vorgetäuschten Lebensgeschichten. Danach wird zugeschlagen: mit Fäusten, Messer, Gift, Pistolen und Gewehr – bis alle tot am Boden liegen – der rassistische Südstaatler wie der aufgeklärte Yankee.
Rasissmus als Ursache für Hass, Krieg und Mord ist das Grundthema – wie schon in Tarantinos vorangegangenem Film „Django Unchained“. Die gegewärtigen Auseiandersetzungen zwischen US-Polizei und Schwarzen sowie der Boykott-Aufruf farbiger Künstler gegen die diesjährige Oscar-Zeremonie vermitteln dem Thema eine unerwartete, aktuelle Brisanz. Doch Neues dazu ist weder der Regie noch dem Drehbuch von „The Hateful Eight“ eingefallen. Der erste Teil unter seinenlangen Dialogen, ist ermüdend und langweilig. Der zweite Teil überbietet sich dann in grellen und blutigen Prügel- und Schieß-Szenen, so daß der Rassismus lediglich als moralisches Deck-Mäntelchen für ein grotesk-effektvolles Splatter-Movie erscheint. 
Trotz virtuoser Kameraführung, guter Schauspieler (darunter Samuel L.Jackson, Kurt Russel, Jennifer Jason-Light, Tim Roth, Bruce Dern) und einfallsreichen Szenen-Details bleibt die brillante, cinematographische Fantasie, für die Quentin Tarantino so berühmt ist; in diesem, seinem achteen Spielfilm, weitgehend auf der Strecke.

Poster/Verleih: Universum Film GmbH

zu sehen u.a. CinemaxX Potsdamer Platz; CineMotion Hohenschönhausen; Cineplex Neukölln Arcaden; Cineplex Spandau; Titania Palast Steglitz; Cinestar Treptower Park; Cubix Alexanderplatz; CineStar Hellersdorf; CineStar Sony Center (OV); CineStar Tegel; Hackesche Höfe Kino (OmU); Kino in der Kulturbrauerei; Kino Spreehöfe; Rollberg Kino (OmU); UCI Colosseum; UCI Friedrichshain; UCI Gropius-Passagen; Zoo-Palast

Mein Berlinale-Tagebuch 2016

10. Februar 201624. Juni 2018BerlinaleNo Comments

1. HAIL, CAESAR!     Joel & Ethan Coen (außer Konkurrenz) ***
Satire auf das Hollywood-Kino der 1940/50-er Jahre – einer Zeit in der mächtige Studiobosse das Filmgeschäft dominierten. Parodiert und ironisiert werden die unterschiedlichen Genres wie Sandalen-Opus, Western oder Melodram, die Allüren von Produzenten, Regisseuren und vor allem von Stars, aber auch die angebliche Unterwanderung Hollywoods durch die Kommunisten. Die zahlreichen Stars, angeführt von Georges Clooney als dämlich-römischem Feldherrn-Darsteller,  chargieren mit Lust, die Dialoge sind meist flott, die Ausstattung üppig und die beiden Regisseure garnieren die unterschiedlichen Geschichten vom schauspielerisch unbegabten Westernhelden, der zickigen Wasserballett-Diva oder dem von Clooneys Entführung überforderten Produzenten mit allerlei bildlichem Witz oder hübschen Tanzszenen á la Gene Kelly. Doch der Spaß hat seine Grenzen : die vielen „guten“ Zutaten mischen sich nicht, zerbröseln in nette Einzelheiten. Der Film „langweilt auf immerhin amüsante Weise“ (Harald Martenstein im „Tagesspiegel“)

2. MIDNIGHT SPECIAL     Jeff Nichols **
Der konventionell erzählte Hollywood-Film vereint mehrere Genres: zuächst einen Action-Krimi mit rasanten Auto-Verfolgungen zwischen Texas und Louisiana – der mit magischer Augen-Kraft ausgestatte, achtjährige Alton Meyer, aufgewachsen in einer sektenähnlichen Gemeinschaft, wird entführt. Dann eine anrührende Familien-Story: der Junge ist von seinen eigenen Eltern, die ihn nur beschützen wollen, gekidnappt worden.  Schließlich eine moderen Sience-Fiction-Variante : der Junge wird von Wesen, die oberhalb der Erde hausen sollen, unter Blitz und Erdbeben „heimgeholt“ – d.h. er verschwindet einfach in einer weiten, flach-sumpfigen Landschaft. Die ihn mitjagenden Sektenmitglieder, wie die Polizei, laufen buchstäblich „ins Leere“. Temporeich und spannend inszeniert, attraktiv fotografiert und gut besetzt (Michael Shannon; Kirsten Dunst), aber zur Parabel (auf wen oder was auch immer) taugt dieses „Mitternächtliche Spezial“ um (auf der Leinwand) niemals sichtbare Aliens kaum – außer „Action“ und  „Family-Love“ nichts gewesen. Allem filmischen Realismus zum Trotz: gelegentliche Lacher im Publikum!

3  L‘ AVENIR     Mia Hansen-Love****
Isabelle Huppert verkörpert mit der ihr eigenen Intensität die ehemals linke, jetzt liberal-bürgerliche Lehrerin Nathalie, die Philosophie an einem Pariser Gymnasium unterrichtet. Zunächst läuft alles harmonisch, doch langsam häufen sich die Kathastrophen. Ihr Mann verläßt sie und zieht aus, ein guter, jugendlicher Freund verläßt Paris und zieht aufs Land, die Mutter muß erst ins Seniorenheim, dann stirbt sie, die beiden erwachsenen Kinder führen ihr eigenes Leben. Das Älterwerden, die Einsamkeit nahen – mit viel Selbstdisziplin bewahrt Nathalie ihre Haltung. Der Film der französischen Regisseurin Mia Hansen-Love enthält sich jeder Larmoyanz, erzählt seine Geschichte in knapper Szenenfolge, elegant ins Bild übertragen und mit schönem Witz unterlegt – statt Mann und Kindern bleibt der einsam Gewordenen am Ende nur der (ungeliebte) Kater iher verstorbenen Mutter.

4. MAHANA (The Patriarch) Lee Tamahori (außer Konkurrenz)****
Familien-Saga eines Maori-Clans im Neuseeland der 1950er Jahre.  Mit brutaler Strenge herrscht der  alte Mahana über seine zahlreichen Söhne, Töchter und deren Ehepartner und Kinder, alle eingespannt in das unter harten Bedingungen aufgebaute Schafzucht-Unternehmen. Erst der 14-jährige Enkel Simon wagt, sich dem autoritären Großvater entgegenzustellen… Regisseur Lee Tamahori hat viele Jahre in Hollywood erfolgreich gearbeitet und entfaltet – in seine Heimat zurückgekehrt – eine ebenso prachtvolles wie anrührendes Familien-Epos – ganz im Stil des alten amerikanischen Western – nur statt schneller Pistolen-Duelle führt hier der wilde Wettbewerb um die rasanteste Schafschur zum filmischen Happy End.

5. FUOCOAMMARE     Gianfranco Rosi**
Der Titel des Films bezieht sich auf eine Musikstück, das sich eine alte Einwohnerin der Insel Lampedusa  als Wunschmusik im Radio wünscht – ein Stück „normales“ Leben auf diesem Iland zwischen Lybien und Sizilien, das als Ziel überwiegend afrikanischer Migranten seit einigen Jahren in die internationalen Schlagzeilen geriet. Der italienische Dokumentarfilmer Gianfranco Rosi zeigt zwei Seiten von Lampedusa: zum einen den (nachgestellten) Alltag des 10-jährigen Samuel und seiner Familie (Schule, Arztbesuch, Fischfang), zum anderen echte Dokumentaraufnahmen vom Auffinden von Flüchtlingsbooten auf dem Meer durch Militärschiffe und wie diese erschöpften Menschen ans Land und in Auffanglager gebracht werden. Doch eine Korrespondenz zwischen diesen Welten – ob sie sich wahrnehmen und wie – , das wird im Bild nicht gezeigt, das muß sich ein williger Zuschauer denken oder erahnen. Insofern bleibt diese Halb-Dokumantation unbefriedigend und ein verschenktes Thema.

6. 24 WOCHEN Anne Zohra Berrached****
Astrid Lorenz ist erfolgreiche TV-Kabaretistin, ihr Lebensgefährte Markus managt sie. Beide wohnen mit ihrer kleinen Tochter in einer modernen, schicken Vorstadt,  Astrids Mutter hielft gelegentlich im Haushalt mit, auch ein Kindermädchen erleichtert den berufstätigen Eltern das Leben. Ein zweites Kind wird freudig erwartet, bis die ärzliche Diagnose das Baby erst als mongoloid, später noch als herzgeschädigt erkennt. Eine Abtreibung oder ein behindertes Kind aufziehen? Freunde und Bekannte haben unterschiedliche Meinungen dazu – beide Elternteile stürzen in tiefe Verwirrung, schwanken in ihrer Meinung, bis Astrid sich für die in Deutschland mögliche Abtreibug nach der 24.Schangerschaftswoche entscheidet, das Kind wird dabei getötet.
Der Film der jungen Hochschulabsolventin Anne Zorah Berracheds ist keine Diskussion über das Thema Abtreibung, sonder konzentriert sich ganz auf die psychologische Entwicklung Astrids, auf ihr Erschrecken, ihre Verwirrung, ihre Angst und Unsicherheit, ihre Suche nach Hilfe bei Mann, Freunden oder Mutter und schließlich die Erkenntnis, daß nur sie allein entscheiden will und muß.
Ob diese Entscheidung richtig oder falsche war, vermag sie später selbst nicht zu sagen: vielleicht, meint sie, ein bißchen von beidem. Der Film bleibt seinen Personen ganz nah: Handkamera und Großaufnahmen (auch von Details) werden bevorzugt und im Gesicht der großartigen Schauspielerin Julia Jentsch wird jede Regung Astrids sicht- und auch nachvollziebar. Anrührendes Kino aus dem intimen Blick einer Frau.

7. QUAND ON A 17 ANS André Téchiné****
Eine kleine Stadt in den französischen Pyrenäen. Thomas und Damien, beide 17 Jahre sind  Einzelgänger in ihrer Klasse. Thomas ist der adoptierte Sohn, wohl nordafrikanischer Herkunft,  auf einem abgelegenen Bauernhof, Damien das Kind der Landärztin, der Vater dient in der Armee und ist daher oft abwesend. Geschildert wird in realistischen Bildfolgen, die eindrucksvoll die Berg-Landschaft und ihre wechselnden Jahreszeiten miteinbeziehen, das schwierige Coming-out der beiden jungen Männer, die vielen psychologischen Windungen, ihre schwule Veranlagung zu erkennen und dann damit zurechtzukommen. Die Rolle ihrer Umwelt (Schule, Lehrer, Eltern) spielt dabei nur eine Nebenrolle – außer der klarsichtigen und tatkräftigen Mutter Damiens, die immer wieder hilfreich den Prozeß des Erwachsenwerdens unterstützt. Altmeister André Téchiné weiß seine trefflich besetzten jugendlichen Darsteller überzeugend in Szene zu setzen  – und Sandrine Kiberlain ist als Land-Ärztin und Mutter ebenso patent wie natürlich. Daß die Story dramaturgisch ein wenig grob und vorhersehbar getrickt ist, wird durch die Eleganz der Inszenierung geschickt überspielt.

8. ALONE IN BERLIN   Vincent Perez***
Nachdem vor ein paar Jahren die erste englische Übersetzung von Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“ (1946) sich zum Welt-Bestseller entwickelte, war klar, daß diesem Erfolg eine internationale Kino-Version folgen würde. Sie feiert jetzt bei der Berlinale ihre Premiere : in Babelsberg gedreht, in englischer Sprache und aus vielen deutschen und ausländischen Finanz-Töpfen gespeist. Herausgekommen ist eine sehr konventionelle, brave Nacherzählung für ein internationales Publikum. Die britischen Schauspieler Emma Thompson und Brendan Gleeson spielen das ältere Ehepaar Quangel, das mit dem heimlichen Verteilen von gegen Hitler gerichteten Postkarten im Berlin des 2.Weltkrieges seinen ebenso tapferen wie bescheidenen Widerstand leistete. Sie überzeugen, weil sie unter der Regie des Schweizer Vincent Perez jede Sentimentalität vermeiden und ihren Figuren so ein klares, sehr menschliches Profil verleihen. Problematischer die Figur des sie verfolgenden Gestapo-Fahnders Escherich (Daniell Brühl), der in dieser Fassung durch die Kartenaktion aufgerüttelt wird und sich erschießt. Ob der fernsehtaugliche Film und sein Thema heute noch  – oder schon wieder? –  ein internationales Publikum interessiert?

9. CHANG JIANG TU (Crosscurrent) Yang Chao****
Ein junger Kapitän fährt auf einem alten, rostigen Lastkahn den Jangtse flußaufwärts – von Shanghai über den mächtigen Drei-Schluchten-Staudamm bis zur Quelle. Er hat soeben seinen Vater nach einem seltsamen chinesischen Ritual (mit schwarzem Fisch) beerdigt und sehnt sich nach einer bestimmeten Frau, die ihm aber nur ab und zu am Ufer oder auf einem gegenläufigen Schiff erscheint. Die phantstische Fahrt durch atemberaubende Landschaften – blaustichig, nebelverhangen – wird mit allerlei Gedichten und philosophischen Sentenzen (als Schriftbilder) ausgeschückt, der Kapitän trifft in einer verfallenden Pagode auf Buddah-Stimmen oder er begegnet seiner Wunsch- Frau in einem gespenstischen, verlassenen Inseldorf, wobei immer ein raffinierter Kontrast zwischen Realität und Phantasie sich magisch entfaltet. Ob Poesie oder Kitsch – für den mit der chinesischen Kultur nicht vertrauten Zuschauer bleibt der von mächtig aufrauschender Musik untermalte Film über weite Strecken ein merkwürdiges – wenn auch ein optisch überaus attraktives Rätsel.

10. CHI-RAQ   Spike Lee (außer Konkurrenz)***
Bandenkämpfe unter Schwarzen im heutigen Chicago, hochgepeitscht von Sex, Drogen und Waffen. Nach dem Tod eines Kindes bildet sich ein Front taffer Frauen: No Peace, no pussy! Lysistrata lässt grüßen. Gefilmt im Stil eines tubulenten, effektvollen Musicals – es wird viel gesungen, gerappt, getanzt und in gereimten Dialogen gesprochen. Eine szenisch einfallsreiche, schrill-bunte Show mit fabelhaften, fast ausschließlich schwarzen Darstellern, aber doch sehr vordergründig und allzu – wenn auch gut gemeint – agitatorisch-plakativ.

11. GENIUS   Michael Grandage****
Die – historisch verbürgte – kreative Beziehung zwischen dem Verleger Max Perkins und dem Schriftsteller Thomas Wolfe. Wie die beiden charakterlich so unterschiedlichen Männer im Jahr 1929  aus einem überbordenden Manuskript den Welterfolg „Schau heimwärts, Engel“ filterten, wie sie an einem weiteren Roman („Von Zeit und Fluß“) arbeiteten und wie darüber die privaten Beziehungen der beiden zu ihren Frauen und Familien großen Schaden nahm: Der eigentlich unfilmische Stoff wird von dem britischen Theatermann Michael Grandage geschickt in Szene gesetzt und durch die beiden hervorragenden Darstellern bestens beglaubigt: Colin Firth als zurückhaltender, eher puritanischer Verleger, Jude Law als exzentischer, selbstgefälliger Dichter.  Ein intelligent-unterhaltsames Kammerspiel für Literaturfreaks und  Freunde subtiler Schauspielkunst.

12. KOLLEKTIVET (The Commune)  Thomas Vinterberg***
Der Titel (der in der deutschen Fassung mit „Die Kommune“ übersetzt wird, Kinostart: 21.April) erweckt falsche Erwartungen. Es geht nicht um linkspolitische Wohn- und Lebensgemeinschaften. Sondern: Erik (Ulrich Thomsen), Archtektur-Professor in Kopenhagen und Anna (Trine Dyrholm), Nachrichtensprecherin beim dortigen Fernsehn, beide so um die 40, erben eine stattliche Villa. Da dieses Haus zu groß für das Paar und seine 14jährige Tochter Freija ist, werden Freunde und Bekannte zum Mitbewohnen eingeladen. Zunächst ein fröhliches Kollektiv: Zusammen wird gegessen, getrunken und gefeiert, schließlich spielt die Geschichte in den 1970er Jahren. Doch als Erik ein Verhältnis mit seiner Studentin Emma eingeht, kommt der Hausfrieden ins Wanken. Zwar gibt Anna sich zuerst cool und ist sogar einverstanden, daß Emma mit ins Haus zieht, doch dann bricht sie zusammen. Nach qualvollen Wochen verläßt sie auf Rat ihrer Tochter Villa und Gemeinschaft. Regisseur Thomas Vinterberg, Mitbegründer der dänischen Dogma-Bewegung, hat die ürsprünglich strengen Regeln dieser Theorie stark gemildert und einen – in seiner Machart – sehr konventionellen Film gedreht, in dem das titelgebende Kollektiv lediglich den Hintergrund für eines der üblichen Ehedramen abgibt. Anfangs schildert der Film mit einigem Witz die Marotten der   Wohngemeinschaft, später dominiert die eheliche Dreiecks-Story. Wobei Spannung und Interesse des Zuschauers vor allem durch das intensive Spiel von Trine Dyrholm als der grundlos verlassener Ehefrau geweckt werden. Nicht das Kollektiv, sondern sie allein trägt den Film.

13. ZJEDNOCZONE STANY MILOSCI  (United States of Love)  Tomasz Wasilewski***
Plattenbau-Silos am Rande einer polnischen Kleinstadt. In ausgebleichten Farben schildert der Regisseur Tomasz Wasilewski (geb.1980) das freudlose Dasein von vier Frauen. Agata, verheiratet, eine halbwüchsige Tochter, hat sich erfolglos in den hübschen Priester verliebt, die Schuldirektorin Iza quält sich als unglückliche Geliebte eines Arztes, die einsame Lehrerin Renata sucht verzweifelt die Freundschaft zu ihrer Wohnungs-Nachbarin Marzena, einer Aerobic-Trainerin, die von einem Leben als Model träumt (und vorerst nur ausgenützt wird). Diese frustrierenden Liebes- und Sex-Geschichten spielen Anfang der 1990er Jahre, vom Aufbruch wie in den umliegenden Ex-Ostblock-Ländern ist in dieser winterlich-trostlosen Gegend Polens noch nichts zu spüren. Kühl und distanziert – mal mit erregter Handkamera, mal in lang stehenden Einstellungen – führt der Film seine Personen und ihre Umwelt vor, den tristen Alltag im „sozialen Realismus“, eine erstarrte Gesellschaft zwischen Kirche und „Fick-Zellen“. Ein filmisch kunstvoller Rückblick ohne Nostalgie: Vergangenheits-Bewältigung oder Mahnung für heute?

14. STAINT AMOUR  Benoit Delepine/Gustave Kervern (außer Konkurrenz)**
Gérard Depardieu spielt einen Landwirt und Viehzüchter im Rentneralter, der mit seinem erwachsenen Sohn und Nachfolger (Benoit Poelvoorde) eine Reise durch die französischen Weingebiete unternimmt. Im Sommer – auch wenn häufig dunkle Wolken den Himmel bedecken – und im Taxi. Es wird reichhaltig gegessen, gesoffen und gevögelt – mit allerhand überraschenden Nebenwirkungen, an denen auch der junge Taxifahrer kräftig mitmischt. Das eigentliche Ziel der Reise, nämlich das schlechte Verhältnis von Vater und Sohn zwecks Nachfoge auf dem Hof zu verbessern, gelingt unerwartet gut: eine für alle drei Männer passende Reiterin (in jeder Beziehung!)reist mit zurück aufs heimische Gut. Eine derbe Komödie, in der auf jede „gender corectness“ großzügig verzichtet wird, um dafür die nach wie vor männliche Präsenz von Gérard Depardieu und die Clownerien seines belgischen Partners Benoit Poelvoorde effektvoll auszustellen –  ein draller Spaß. Ein Frankreich-Trip, der trotz witziger Bild- und Text-Einfällen für feinere Gemüter Geschmackssache bleibt.

15. CARTAS DA GUERRA  Ivo M. Ferreira****
António Lobo Antunes, einer der bekanntesten Schriftsteller Portugals, leistete in seinen jungen Jahren Militärdienst als Arzt in Angola, einer der letzten Kolonien seiner Heimat (1971 – 73). Er hatte kurz zuvor geheiratet und schrieb seiner jungen Frau, die ein Baby erwartete, lange Briefe aus dem afrikanischen Lager. (2005 wurden sie veröffentlicht). Der Film von Ivo M. Ferreira entwickelt daraus eine reizvolle, wenn auch komplizierte Doppel-Struktur. Aus dem Off hört man die Stimme der Frau, die die an sie gerichteten Liebes-und Sehnsuchtsbriefe liest, während man im Bild  nachgespielte Szenen aus dem Leben der Soldaten – unter ihnen Antunes (Miguel Nunes) als Sanitäter und Arzt – in den einfachen Zelt- und Barackenlagern im angolanischen Busch sieht. Alle Bilder sind in stark verschattetem Schwarz-Weiß gehalten: der dumpfe Militär-Alltag, die Verwundeten auf beiden Seiten, die ungewohnte, geheimnisvolle Natur, die steigende Unzufriedenheit und Angst unter Offizieren wie Manschaften. Demgegenüber die Briefe, die die Sehnsucht des Autors nach seiner Frau und dem zu erwartenden Baby durchziehen, aber auch sein sich immer mehr vergrößerndes Befremden über die Rechtmäßigkeit des Kolonialkrieges und die Angst vor kommenden Katastrophen oder einem möglichen Tod. Ein kunstvolles filmisches Puzzle aus sich nur indirekt ergänzendem Bild und Ton, raffiniert gemischt, realistisch und poetisch zugleich, voll erhellender Melancholie.

16. A QUIET PASSION  Terence Davies (Berlinale Special)****
Bio-Pic über die amerikanische Dichterin Emily Dickinson (1830 – 1886). Als eine der bedeutensten Lyrikerinnen der USA wurde Emily Dickinson erst nach dem zweiten Weltkrieg entdeckt. Sie selbst wohnte zeit ihres Lebens zurückgezogen auf dem Anwesen ihrer Eltern in Amherst, Massachusetts.
Von ihren über 1700 Gedichten hat sie kaum etwas veröffentlicht, erst ihre Nichte gab den Nachlass, frei, wobei sie meist starke Eingiffe in die einzelnen Gedichte vornahm. Über Emilys Alltag ist nur wenig bekannt, so daß der Regisseur Terence Davies die einzelen Geschehnisse und Episoden für seinen zweistündigen Spielfilm vorallem aus den zahlreichen Briefe der Dichterin filterte. Der erste,
kürzere Abschnitt schildert Emilys frühzeitigen (krankheitsbedingten?) Abschluß ihrer Ausbildung auf dem Amherst-College und die Rückkehr ins Elternhaus, wobei sie sich schnell als selbstdenkende und zum Widerspruch neigende Tochter erweist. Der zweite Teil erzählt von ihrer platonischen Liebe zu einem verheirateten Pfarrer, vom Tod ihrer Eltern und vom eigenen, durch Krankheit bedingten Sterben. Elegant gefilmt in schöner historischer Ausstattung mit trefflichen Darstellern, die die Vorbilder knapp und plastisch charakterisieren können und die vor allem die Gedichte (oder auch Breifausschnitte) wunderbar zum Klingen bringen. Für Literatur-Freunde sehenswert.

Elegische Sommer-Idylle: ‚Jewgeni Onegin‘ in der Komischen Oper Berlin****

4. Februar 2016TheaterkritikenNo Comments

Regisseur Barrie Kosky und seine Bühnenbildnerin Rebecca Ringst haben die (Dreh-)Bühne der Komischen Oper fast naturalistisch in eine leicht hügelige Wiesenlandschaft mit kleinem Wäldchen verwandelt. Raffinierte Beleuchtung sorgt für wechselnde Stimmungen, vom Morgengrauen bis zur tiefen Nacht. Eine muntere Gesellschaft – pastellfarbene Sommerkleidern die Damen,  leichte Anzüge für die Herren – picknikt unter seidenen Sonnenschirmchen, während die Herrin des Anwesens und die Amme Marmelade in Gläser verteilen. Tochter Tatjana liegt im Gras und liest, ihre Schwester Olga tanzt und singt. Eine perfektes, sommerliches Idyll – ein russisch-impressionistisches „Frühstück im Grünen“.
So beginnt die Neuinszenierung von Peter Tschaikowski’s Oper „Eugen Onegin“, die 1879 in Moskau uraufgeführt wurde. Als „Lyrische Szenen“ hat der Komponist sein Werk bezeichnet, von Barrie Kosky in der geschilderten Wiesen-Landschaft mit feiner Melancholie nachempfunden. Seine Personenregie versteht es, durch phantasievolle Details in Haltung und Bewegung die literarischen Figuren des 19 Jahrhunderts wie lebendige Menschen von heute erscheinen zu lassen, von den fabelhaften Sänger-Darstellern mit großer Sensibilität in schöne Natürlichkeit übersetzt. Ein Beispiel für die liebevolle Charakterisierung der Personen: die unruhig-hektischen Armbewegungen Tatjanas und ihr nervöses Nesteln an Kleid als sie die Antwort Onegins auf ihren Brief erwartet oder: wie Onegin und Lenski mit Flasche in der Hand volltrunken zum Duell erscheinen, was die Sinnlosigkeit und Zufälligkeit des Duell-Ausgangs stark betont. Der Pistolenkampf findet im dunklen Wald statt – auf der Wiese die erregt-wartende Tatjana – sie (wie auch das Publikum) hört nur die beiden Schüsse, dann stürtzt der verwirrte Onegin aus dem Wald – „getötet“ – und flieht.
Durch das festegefügte (Einheits-)Bühnenbild muß Regisseur Kosky allerdings auf die Ballszenen des 3.Aktes im fürstlichen Palast von St.Petersburg verzichten,. Stattdessen arrangiert er einen kleinen Stehempfang zwischen klassischen Salon-Wänden, und – nach deren Entfernung durch Bühnenarbeiter – spielt die letzte Auseinandersetzung zwischen Onegin und Tatjana, die inzwischen die Gestik einer selbstbewußten Frau und Dame der Gesellschaft sich angeeignet hat, wieder im Freien auf der Wiese. Diesmal jedoch – etwas plakativ den Verzicht und die Trennung der Liebenden betonend -  im strömenden Regen.
Beglaubigt wird die realistisch-impressionistische Inszenierung durch die Musik. Chefdirigent Henrik Nánási verbindet – sehr fein abgestuft – die lyrischen Momente mit den dramatisch zugespitzten
Szenen, das Orchester folgt ihm delikat in den solistischen Passagen, klangprächtig in den berühmten Instumental-Nummern (Polonaise, Ecossaisen). Günter Papendell ist ein attraktiver, blonder Onegin mit füllig-geschmeidigem Bariton, Asmik Grigorian eine berührende Tatjana, ein slavischer Sopran mit leichter Schärfe, aber ungemein ausdrucksstark. Karolina Gumos als dunkel timbrierte Olga, Ales Briscain als hell-tenoraler Lenski, der etwas steife Alexey Antonov als Fürst Gremin und vor allem Margarita Nekrasova als dunkelstimmige, warmherzige Amme Filippewna ergänzen (neben anderen) bestens das vorzügliche Ensemble – wobei der Klang der russischen Sprache Tschaikowskis melancholisch-gefühlvolle Musik erst zu ihrer vollen Wirkung bringt.
Dieser stimmungsvolle, russische „Onegin“ dürfte ein weiterer Publikumsrenner im vielfältigen Spielplan von Barrie Koskys Komischen Oper werden.

Foto: Komische Oper Berlin//Iko Freese/drama-berlin.de

Premiere: 31.Jan.// weitere Vorstellungen: 03./06./26./28.Feb.//03./12.März// 06.Juli 2016

Bildungsbeflissen: ‚Mord an Mozart‘ in der Staatsoper im Schillertheater**

3. Februar 2016TheaterkritikenNo Comments

Nach allem was man heute weiß, ist Wolfgang Amadeus Mozart im Dezember 1791 eines natürlichen Todes gestorben. Doch schon bald danach kamen erste Verschwörungstheorien auf : daß das Genie vergiftet worden war und zwar von seinem angeblichen Todfeind Antonio Salieri, dem erfolgreichen Hofkapellmeister aber mittelmäßigen Komponisten.
Alexander Puschkin erfand 1830 ein Dramolett darüber, Nikolai Rimsky-Korsakow schuf nach dieser Vorlage 1898 eine kleine Oper. Doch dauert dieses Öperchen nicht einmal eine Stunde, so daß für einen vollen Theater-Abend üblicherweise ein weiteres (mehr oder weniger passendes) musikalisches Werk hinzugefügt wird.
Die Staatsoper im Schillertheater wählt einen anderen Weg und collagiert um  Rimsky-Korsakow’s „Mozart und Salieri“ herum einen „Kessel Buntes“.
1. Als Prolog: Klavier-Variationen von Mozart über eine Salieri-Arie vorgetragen auf verschiedenen Instrumenten wie Vibraphon oder Akkordeon.
2. Die Oper  „Mozart und Salieri“ von Rimsky-Korsakow
3. Von einem „Erzähler“ vorgetragene Briefe Sigmund Freuds an Albert Einstein über erotische und zerstörerische Triebe, umrankt von einer Mozartschen Violinsonate, die eine Geigerin mit Einstein-Perücke interpretiert .
4. Lesung des Kapitels „Der Großinquisitor“  aus Dostojewskijs Roman  „Die Brüder Karamasow“, verschnitten mit dem Streichquartett Nr.8 von Dmiti Schostakowitsch – gewidmet den Opfern von Gewalt und Faschismus – abwechselnd im Original und der Fassung für Streichorchester.
5. Als Epilog: eine dissonantenreiche Übermalung von Mozarts Requiem durch den Hauskomponisten der Staatsoper Robert David Coleman, zu der nicht nur alle Mitwirkenden noch einmal singend oder musizierend auftreten, sondern auch die Gestalt des Aktionskünstlers und Kunsttheoretikers Joseph Beuy bedeutungsvoll mit Hirtenstab umherirren darf.
Dieser kulturgesättigte Mix aus Dichtung und Musik in Häppchen-Form – nur die Oper von Rimsky-Korsakow wird in Gänze geboten – spielt sich auf der Vorderbühne des Schillertheaters ab, dem überdeckten Orchestergraben, vor dem grau-glatten Bühnen-Vorhang, der gelegentlich als Schrifttafel dient und nur hochgezogen wird, wenn die Damen und Herren der Staatskapelle (die nicht an der aktuellen Japan-Tournee teilnehmen) im riesigen, dunkel gehaltenen Bühnenraum mit-musizieren müssen. Was sie auch munter tun.
Auch alle übrigen Beteiligten dieses ehrgeizigen Projekts sind exzellente Darsteller, Sprecher, Instrumentalisten und Sänger: Roman Trekel (Salieri), Stephan Rügamer (Mozart), Angela Winkler (Freud/Großinquisitor/Beuys), Adrian Heger (Pianist), Valentin Butt (Akkordeonist), Sophie Heinrich (Geige/Einstein).
Erdacht, gebastelt und gestrickt haben diesen knapp zweistündigen, pausenlosen Abend mit dem ironischen Untertitel „Eine relative Vernichtungstheorie“ der Dirigent Max Renne, die Regisseurin Elisabeth Stöppler, die Ausstatterin Annika Haller und der Dramaturg Jens Schroth.
Doch es ist vergebliche Liebesmüh‘ – die unterschiedlichen Teilchen fügen sich nicht zu einem überzeugenden Ganzen.
Dieser schillernde Bühnen-Cocktail – obwohl flott gerührt und geschüttelt – hinterläßt durch seine hochtrabende Bildungsbeflissenheit jedoch einen faden Nachgeschmack.

Foto: Vincent Stefan/Staatoper Berlin

Premiere: 28.Feb./ weitere Vorstellungen: 30.Jan.//02./04./07./13.Feb.2016

Kolonial-Komödie: ‚Die Entführung aus dem Serail‘ im Staatstheater Cottbus***

1. Februar 2016TheaterkritikenNo Comments

Martin Schüler, Intendant des Cottbusser Theaters und Regisseur der neuen Iinszenierung von Mozarts Türken-Oper aus dem Jahr 1782, hat die Geschichte dieser doppelten Entführung in die Kolonialzeit des frühen 20.Jahrhunderts verlegt und dadurch das Aufeiandertreffen zweier Kulturen dem Verständnis eines heutigen Publikums nähergerückt. Keine Rokoko-Puppen mit orientalischem Kolorit, sondern (fast) moderne Menschen, deren Verhaltensweisen kritisch wie komödiantisch vorgeführt werden.
Ein heller, eleganter, aber etwas angegammelter Salon (zerbrochenes Glasdach, bröckelnde Wände) mit prächtigem Ausblick auf Himmel und Meer, ein noch junger, hochgewachsen-attraktiver Selim Bassa mit Dreitagebart, ein ebenfall noch junger, body-gestählter Osmin als sein grobianistischer Haus-Verwalter sowie eine ganz Schar wieselnder Harems-Frauen unter schwarzen Burkas. In dieses hübsche Landhaus dringt – in weiß-smarter Uniform – der schneidige Belmomte ein, um seine geraubte Konstanze (samt ihres Dienerpaares) wieder in die spanische Heimat zu-rück-entführen. Doch die blonde Konstanze schwankt zwischen ihrer alten Bindung an Belmonte und der männlich-erotischen Ausstrahlung des Bassa. Und auch ihre kecke Zofe Blondchen – schwarzes Kleid, weißes Servierschürze – ist durchaus empfänglich für die Reize des strammen Osmin – obwohl sie ihrem Pedrillo bei entsprechender Frage handgreiflich klarmacht, bei wem ihre Priorität liegt.
Trotz aktualisierender Zutaten wie den säbelschwingenden, dschihadisten-ähnlichen Kriegern des Bassa, Selims rachsüchtigem „Allahu-Akbar“-Ruf oder den unterm Schleier schwatzend-kommentierenden Burka-Frauen – die Regie betont vor allem das Lustspiel. Viele hübsche Einfälle wie der mit Glühbirnen vituos jonglierende Osmin oder das slapstick-artige Spiel mit der langen (Entführungs-)Leiter werden ergänzt durch eine ausgefeilte Personenführung. Immer der Musik verpflichtet, zeichnet sie sich durch eine ebenso kluge wie genaue Charakterdeutung aus -  beispielsweise in der drastischen Sex-Attacke während Konstanzes großer Arie von den  „Martern aller Arten“.
Passend dazu betont Chefdirigent Evan Christ die dramatischen, rauheren Seiten der Musik, läßt die „türkischen“ Instrumente kräftig dazwischenfahren, das Lyrisch-Gefühlvolle wird weniger betont. Dadurch überzeugen bei den Sängern auch besonders das temperamentvolle Buffo-Paar: die kesse Katerina Fridland als Blonde und der flink agierende Hardy Brachmann als Perillo sowie Ingo Witzke als „Langer Lulatsch“ Osmin, auch wenn ihm (noch) die orgelnde Baß-Tiefe fehlt.
Als recht selbstbewußte Konstanze debütiert in dieser Rolle Laila Salome Fischer, beachtlich in der flexiblen Führung und Spannweite ihres hellen Soprans. Ein wenig fehlt es ihr -  wie auch dem etwas steifen Belmonte von Alexander Geller -  an Schmelz und Wärme;  aber dieser das Dramatische betonende  Singstil eignet sich bestens für diese realistische und flott-komödiantische Inszenierung von Mozarts vieldeutig-populärem „Culture-Clash“.

Foto: Marlies Kross/Staatstheater Cottbus

Premiere: 30.Jan./nächste Vorstellungen: 10./20./24.Feb.//24.März/03.April 2016

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