Kino & Theater – Mai / Juni 2019

M  –  EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER in der Komischen Oper Berlin***

Regisseur Barrie Kosky, Dramaturg Ulrich Lenz und der Komponist Moritz Eggert haben nach dem berühmten Ton-Film „M“ von Fritz Lang (1931) ein zeitgenössischen Musiktheater entwickelt und jetzt an der Komischen Oper uraufgeführt. Eine Mischung aus deutschem Singspiel à la Brecht/Weill, tragischem US-Musical und moderner Elektronik. Der opern-dramaturgische Trick: am Beginn läuft M (der sehr flexible Bariton Scott Hendricks in Jeans dunklem T-Shirt und Sneakers) erregt, fast verzweifelt auf der kahlen Bühne hin und her, windet sich wie im Schmerz, wird offensichtlich von den Bildern der nachfolgenden Handlung in seinem Kopf geplagt. Dabei bleibt offen, ob diese Vorstellungen Realität oder Fantasie sind. Aus sich öffnenden, schmalen Türen kommen Leute, Kleinbürger diskutieren, schreien, schimpfen über eine Mord-Serie an Kindern, über deren unzulängliche Aufklärung durch die unfähige Polizei, und sie streuen allerlei Verdächtigungen aus. Nach etwa 100 Spiel-Minuten ist der Mörder, dem ein Kind den Buchstaben M mit weißer Farbe auf den Rücken gemalt hat, entlarvt und starrt ratlos ins Publikum. Regisseur Kosky treibt diesen bösen Film-Krimi stark ins Groteske. Das Volk wird durch Kinder-Komparsen dargestellt, die große Schwellköpfe aus Pappe tragen und heftig gestikulierend ihre Figuren vorspielen. Ihre Stimmen, die gesprochenen wie gesungenen Worte, Sätze und Sentenzen kommen aus dem Off,  denn Solisten wie Chor bleiben dem Zuschauer unsichtbar. Moritz Eggerts Musik mischt viel Blech und Schlagwerk, die den Text stark akzentuieren und rhythmisieren, verstärkt durch vielerlei elektronische Attacken, meist in gewaltiger Lautstärke.  Im Kontrast dazu werden  die Arien in den intimeren, leisen Szenen von einem sanften, fast süßlichen Streicher-Sound unterlegt. Der pausenlose Abend  spult sich gleich einer verfremdeten, ironisch-surrealen Revue ab – temporeich und optisch sehr effektvoll. Das große Gesangs-. Musiker- und Statisten-Ensemble spielt, singt und tanzt mit überzeugendem Engagement –  straff und pointiert zusammengehalten von Musikchef des Hauses Ainars Rubikis.  Das Publikum dankt mit viel Beifall.

Eine durchaus flotte Bühnen-Show, aber Betroffenheit oder gar tiefere Berührung vermag dieser synthetische Opern-„M“  kaum auszulösen.

Premiere war am 5.Mai 2019

 

BALANCHINE / FORTHYTE / SIEGAL – Das Staatsballett in der Staatsoper****

Klug erdachter und gut getanzter Ballett-Drei-Teiler. Zuerst „Theme and Variationen“ eine Erinnerung von George Balanchine an seine russische Jugend-Zeit aus dem Jahr 1947. Klassische Arrangemants, leicht von amerikanischer Energie beflügelt zu Musik von Tschaikowsky (Orchester-Suite Nr.3). Elegant vom Berliner Ensemble exekutiert.

Danach „The Second Detail“: ein abstraktes Ballet von William Forsthyte (1991) für 14 Tänzerinnen und Tänzer, in einem hellen Raum mit glatten Wänden, alle in weiße Trikots gekleidet, bis auf eine Tänzerin im Schlußteil, die ein ebenfalls weißes, aber extravagant geschnittenes Kleid vom japanischen Modeschöpfer Issey Miyake trägt. Kräftige Bewegungen im Raum, unterschiedliche Perspektiven ausnutzend, alle Möglichkeiten der Tänzer-Körper erforschend. Die Musik (bom Band) stammt wie meist bei Forthyte von Tom Willems. Starker Beifall des Publikums.

Den Abschluß des 130 minütigen Abends bildet „Oval“, eine Uraufführung des amerikanischen Choreographen Richard Siegal. Ein dunkles, farbig beleuchtetes ovales Objekt schwebt und kreiselt über der dunklen Bühne, darunter bewegen sich die in merkwürdige, dunkel schimmernde, trikotartige Kostüme gekleideten Tänzer. Schneller Wechsel von Auftritten und Bewegungen von Tänzergruppen in größeren wie kleineren Formationen unter dem ständig kreiselnden Schwebe-Objekt. Wirkt noch etwas „unausgegoren“ und „performance-lastig“,  trotz des großen Einsatzes der 12 Tänzer/innen. Die Musik – ein Auftragswerk – stammt von Carsten Nicolai.

Premiere: 4.Mai 2019

 

HÄNDEL- FESTSPIELE HALLE  (31.Mai – 16.Juni 2019)

1.  JULIUS CAESAR IN ÄGYPTEN (HW 17) im Opernhaus Halle

Das Festspielorchester (mit teilweise alten Instrumenten) wird vom Gastdirigenten Michael Hofstetter, einem Gluck- und Händel-Spezialistem,  geleitet – klanglich gut ausbalanciert, aber etwas neutral. Die Inszenierung stammt vom renommierten Peter Konwitschny, der vor den bunten, zeichenhaften Kulissen seines alten Künstler-Freundes Helmut Brade altmodisch-popig und etwas bieder-albern Komödie spielen läßt. Das Solisten-Ensemble ist guter Durchschnitt (Vanessa Waldhart / Cleopatra; Svitlana Sylvia / Cornelia; Jake Arditti – in der Partie des Sextus, hier aber als toter Pompejus). Der Premieren-Erfolg ist gemischt.

Premiere: 31.Mai 2019

 

2.  IL PASTOR FIDO (HW 8 a) im Goethe-Theater Bad Lauchstädt

Gastpiel des „Orkiestra Historyczna“ aus Kattowitz (Polen) unter seiner Gründerin und Leiterin Martyna Pastuszka. Mit viel Schwung und Farbigkeit musiziert. Der freie, deutsche Regisseur Daniel Pfluger erzählt die alt-griechische, lyrische  Liebesgeschichte (und deren Irrungen und Wirrungen)  zwischen einer Nymphe und einem Schäfer aus heutiger Sicht als nüchtern, lässiges Spiel um Liebe und Eifersucht pathos-frei und mit leichter Ironie. In den Hauptrollen: Philipp Mathmann (Counter) als Schäfer und Sophie Junker (Sopran) als verliebte Nymphe, Rinnat Moriah (Sopran) ist die taffe Rivalin. Die Bühne zeigt einen nüchtenen, farbig beleuchteten Kasten-Raum mit breitem Bett und mehreren Türen, die Sänger tragen an keine bestimmte Zeit gebundenen, hübsche Kleider. Ein freundlicher Erfolg.

Premiere: 1.Juni 2019