Rainer Allgaier

Theater- und Filmkritiken

  • Theaterkritiken
  • Filmkritiken
  • Berlinale
  • Rainer Allgaier
  • Impressum
  • Datenschutz
  • Theaterkritiken
  • Filmkritiken
  • Berlinale
  • Rainer Allgaier
  • Impressum
  • Datenschutz

Monat: Januar 2016

Kindheits-Traumata: ‚Salome‘ in der Deutschen Oper Berlin***

31. Januar 2016TheaterkritikenNo Comments

Ein kühner und ehrgeiziger Versuch, die Oper „Salome“ von Richard Strauss – seit ihrer Uraufführung 1905 ein „unverwüstlicher“ Hit auf den internationalen Bühnen – neu zu sehen und ihr jegliche orientalische Kostümierung zu verweigern.
Regisseur Claus Guth und sein Team zeigen Salome als erwachsene Frau, die immer wieder von traumatischen Erinnerungen geplagt wird: an einen herrischen Stiefvater, der sie mißbrauchte, an eine Mutter, die wegsah.
Die Bühne ist zunächst dunkel, die Personen, auf unterschiedlichen Ebenen stehend, werden lediglich von einzelnen Scheinwerfern herausgeleuchtet. In der Mitte bewegt sich unruhig auf lackschwarzem Boden Salome in einem langen, weißen Kleid. Immer wieder umhuschen sie sechs gleichfall weißgekleidete Gestalten: es sind ihre Doubels in unterschiedlichnem Alter. Aus einem mächtigen Stoffhaufen schält sich – seine Verfluchungen ausstoßend – der Prophet Jochanaan, zuächst nackt, dann von den Salome-Doubles mit Hemd, Hose und Jacke bekleidet. Beim Auftritt des Herodes erhellt sich die Bühne schlagartig: zeigt ein mehrstöckiges Schneideraltelier mit Schränke voller grauer und beiger Anzuge, mit langen Regale dezent-farbiger Kravatten. Dazu ein paar Sofas von ebenso schlichter wie nüchtern-moderner Eleganz. Herodes, Herre über diese (Ver-)Kleidungs-(oder Verhüllungs-)Stücke, trägt Brille und grauen Anzug und sieht in diesem Outfit dem Jochanaan zum Verwechseln ähnlich.(Zumindest in Salomes Augen). Mutter Herodias tritt im schwarzen Hosenanzug und mit großer Geste auf, hält sich dann aber schnell zurück, verbirgt sich hinter Kabinen-Vorhängen. Den von ihrem Stiefvater gefoderten Tanz arrangiert Salome als (von Schatten-Menschen unterstützte) Performance, in die alle miteinbezogen werden: Stiefvater, Mutter und sie selbst samt ihren sechs Doubles. Am Ende wird einer der herumstehenden Schneider-Puppen der Kopf abgerissen, die Bühne versinkt wieder im Dunkel und Salome triumphiert mit dem abgeschlagenen Propheten-Haupt am (plözlich gleißend hellen) Familientisch.
Diese psychologische Tiefenbohrung – so phantasiereich und klug sie erdacht ist – bleibt in ihrer szenischen Umsetzung, die zugleich Ent- und Verschleierung sein soll, zu geheimnisvoll – vor allem für Zuschauer/Zuhörer, die die Oper kaum oder nicht kennen. Für „Salome“-Freunde können diese optischen Paraphrasen durchaus reizvoll sein, doch auch ihnen bleibt vieles rätselhaft und unerklärlich. Bei aller raffinierten Bild-Ästhetik und eleganten Personen-Regie, überfrachtet das gedankliche Konzept die unmittelbar-theatralische Wirkung, verschlankt die üppig-glutvolle Salome zu ihrem dünnblütig-blassen Double.
Besser kommen da der Dirigent Alain Altinoglu und das riesig besetzte Orchester der Deutschen Oper zurecht – kosten die farbige Pracht der Strausschen Musik schwelgerisch und klangschön aus. In der von mir besuchten, zweiten Vorstellung fiel die Sängerin der Salome aus – notgedrungen spielte die Choreographin der Produktion, Sommer Ulrickson, die Rolle auf der Bühne, während die kurzfristig eingeflogene Allison Oakes – am linken Bühnenrand postiert – Salomes Partie sang – mit großem, einhellig gefeierten Erfolg. Auch der Interpret des Joachanaan meldete ein Indisposition – stand den Abend aber dennoch beachtlich durch.
Heftige Buhs für die Inszenierung, viel Beifall dagegen für die Sänger und Musiker. Ein kluger Ansatz, der jedoch in seiner schwer deutbaren Bühnenfassung – absehbar – das Publikums überfordert.

Foto: Monika Rittershaus/Deutsche Oper Berlin

Premiere: 24.Jan.2016, weitere Vorstellungen: 29.Jan./03./06.Feb.//02./06.April 2016

Auswanderer-Romanze: ‚Brooklyn‘ von John Crowley***

27. Januar 2016FilmkritikenNo Comments

Eine Kleinstadt in Irland, Anfang der 1950er Jahre; es herrschen Armut und Arbeitslosigkeit. Die junge Eilis lebt mit ihrer verwitweten Mutter vom kargen Bürogehalt ihrer älteren Schwester Rose. Da ihre Zukunft perspektivlos scheint, entschließt sie sich – wie viele andere Landsleute  auch – , nach Amerika auszuwandern. Dort findet sie Aufnahme in der irischen Gemeinde von Brooklyn, deren Pfarrer ihr einen Wohnplatz in einer Pension für junge Frauen und eine Arbeit als Verkäuferin in einem Warenhaus vermittelt. Doch die schüchterne Landpommeramze Eilis fremdelt in der riesigen Stadt, wird von heftigem Heimweh geplagt, auch wenn der Gemeindepfarrer als Gegenmittel eine Abendkurs-Ausbildung zur Buchhalterin arrangiert. Erst als Eilin sich in Tony verliebt, einen jungen Klempner mit italienischen Eltern, söhnt sie sich langsam mit der neuen Heimat aus. Der plötzliche Tod ihrer Schwester Rose ruft sie für kurze Zeit nach Irland zurück. Dort hat sich die Situation inzwischen geändert – eine Arbeit als Buchhalterin ist möglich, ein alter, wohlhabender Jugendfreund bietet ihr – und ihrer einsamen Mutter – Hand und Haus an. Doch Eilis schreckt vor der gesellschaftlichen Enge ihrer alten Heimat zurück und kehrt – innerlich zu Eigenständigkeit gereift – nach Brooklyn und zu Tony zurück.
Der irische Regisseur John Crowley („True Detective“/“Unter Beobachtung“) und sein renommierter Drehbuchautor Nick Hornby halten sich eng an die literarische Vorlage, den gleichnamigen, 2009 erschienen Roman von Colm Tóibín. Sehr feinfühlig und diskret erzählen sie Eilins inneren Prozeß des Erwachsenwerdens und der Loslösung von der alten und der Aussöhnung mit einer neuen,  fremden Heimat. Die sorgfältige Ausstattung, die ruhige Bildführung, die dezente musikalische Begleitung und ein bis in die kleinsten Nebenrollen überzeugendes Darstellerensemble – darunter Julie Walters als schlagfertig-strenge Pensionsbesitzerin und Jim Broatbent als lebensweiser Gemeindpfarrer – bewahren die glücklich endende Auswanderer- und Liebesgeschichte vor naheliegender Rührseligkeit und Kitsch.
Getragen aber wird der anrührende Film vom intensiven Spiel der irischen Hauptdarstellerin Saoirse Ronan. In ihrem hellhäutigen, offenen Gesicht, auf dem die Kamera öfters lange ruht, spiegelt sich – ohne überdeutliche Mimik – die sanfte Wandlung von der scheuen, irischen Auswanderin zur selbstbewußten, amerikanischen Neubürgerin.
Daß der Film, der Eilins Story in 113 Minuten erzählt, nicht die Dichte und Tiefe der literarischen Vorlage erreichen kann, muß in Kauf genommen werden – bei aller filmischen Stimmigkeit und Schönheit der Bilder vom ländlichen Irland und großstädtischen Brooklyn.
In drei Kategorien (Bester Film; Beste Hauptdarstellerin; Bestes adaptiertes Drehbuch) ist „Brooklyn“ für den diesjährigen Oscar nominiert.

Poster/Verleih: Fox Deutschland

zu sehen u.a.: CinemaxX Potsdamer Platz; CineStar Sony Center (OV); Filmtheater am Friedrichshain; Hackesche Höfe Kino (OmU): Kant-Kino; Kino in der Kulturbrauerei (dt. und OmU); Passage Neukölln; Rollberg-Kino (OmU); Zoo-Palast; Thalia-Theater Potsdam (dt. und OmU)

Sarkastische Rückschau: ‚The Big Short‘ von Adam McKay****

23. Januar 2016FilmkritikenNo Comments

Die Finanzkrise brachte Banken und ihre Märkte im Jahr 2008 zu Fall mit verheerenden Auswirkungen, vor allem im Immobilienbereich. „The Big Short“ erzählt mit bissigem Witz die Geschichte davor: wie ab 2005 einige Investoren, Analysten oder Hedgefond-Manager die sich anbahnende Katastrophe förmlich riechen und versuchen, daraus ihren persönlichen Nutzen oder Gewinn zu ziehen.
Zum Beispiel Mark Baum (Steve Carell), der immer noch an moralischen Postulaten im Reich der spekulativen Gier festhält, oder der exzentrische Investor Michael Burry (Christian Bale), der sich in seinen Schlabberhosen und billigen T-Shirts bewußt als Gegenpol zum Etablisment stilisiert. Ben Rickert (Brad Pitt) zieht sich als weiser Finanz-Guru aufs Land zurück und interessiert sich scheinbar nur noch für ökologische Apfelzucht, während Jared Vennet (Ryan Gosling) den smarten Banker mit Durchblick vortäuscht und sich im Film zugleich als zynischer Ezähler der unterschidelichen Finanz-Tricksereien präsentiert.
Eloquent erzählt er:: wie immer neue und wertlosen Bankprodukte erfunden und wie sie an den Mann, bzw. an die Frau gebracht werden. Wie die großen Banken der Wall-Street,  Dummheit und Unwissenheit ihrer meist kleinbürgerlichen Kunden scham- und rücksichtslos ausnützen. Aber auch wie Hausbesitzer ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen können und spurlos verschwinden oder wie eine Stripperin sich Häuser und Wohnungen als zukunftträchtiges Vermögen aufschwatzen läßt  -  total wertlos wie sich später herausstellt.
Regisseur Adam McKay hat ein ebenso wildes wie buntes Puzzle aus der Finanzwelt jener Jahre zusammengefügt – eine grelle Mischung aus Bildern, Statements, Video-Clips, Kinoausschnitten und Schrift-Zitaten – scheinbar eine kritische Fernseh-Dokumentation – doch alles ist ironisch-satrkastische Film-Komödie. Scharfzüngige Dialoge, rasante Schnitte und knallig-laute Rockmusik vermitteln die hektische Atmosphäre der ins Trudeln geratenden Finanzwelt. Am eindrücklichsten als auf einem Banker-Kongreß in Las Vegas während eines offiziellen Streitgespäches im Sekundentakt auf den Smartphons der Zuhörer die Aktien fallen und alle den Saal fluchtartig verlassen. Oder als bei „Lehman-Bros“ die Angestellten entlassen werden und aus dem Buroturm mit ihren persönlichen Habseligkeiten fliehen  und  darauhin zwei aufstrebende Newcomer sich (mit Hilfe ihnen  überlassener Budgets) Zugang verschaffen und nun die riesigen Etagen-Räume mit ihren leeren Schreibtischen und toten Computern vorfinden – das erschreckend trostlose Bild einer verlorenen, zeittypischen Schlacht.
„The Big Short“, der große Ausverkauf innerhalb der Bankenkrise von 2008, ist heute allerdings schon Geschichte, die problemlos sarkastisch oder zynische geschildert werden kann – wie hier mit hohem Unterhaltungswert. Was aber droht morgen in den Finanz-Distrikten, wenn weltweit digitale Automatisierung und Algoritmen statt Menschen das Feld beherrschen ?

Poster/Verleih: Paramount Pictures Germany

zu sehen u.a.: Central Hackerscher Markt (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; CineMotion Hohenschönhausen; Filmpalast Treptower Park; Cubix Alexanderplatz; CineStar Sony Center (OV); CineStar Tegel; Filmtheater am Friedrichshain (dt. und OmU); Kino in der Kulturbrauerei (dt. und OmU); Movimento (OmU); Neues Off (OmU); Sputnik (OmU); UCI am Eastgate; Kinowelt Colosseum; UCI Friedrichshain; UCI Gropius Passagen; Zoo-Palast

Töne aus dem Trichter: ‚My Fair Lady‘ in der Komischen Oper***

16. Januar 2016TheaterkritikenNo Comments

Ein bizarrer Einfall: die Drehbühne wird zur rotierenden Riesen-Schallplatte, altmodische Trichter-Grammophone in den Größen von S bis XXXL werden immer wieder herbei geschoben oder weggerollt. So soll das Publikum  – auch im obersten Rang – kapieren, daß Professor Henry Higgins ein berühmter Sprachforscher ist und vorzugsweise Dialekte auf Schellack bannt. Higgins, ein eingefleischter Junggeselle der Londoner „Upper Class“, wettet mit dem befreundeten Oberst Pickering, dem kess-quatschende Blumenmädchen Eliza Doolitle binnen weniger Monate Sprache und Verhalten einer „Herzogin“ beibringen zu können. Allerdings übersieht der reiche Chauvi, daß Eliza nicht nur äußerlich zur Dame umgemodelt wird, sondern dabei sich selbst zur selbstbewußten Frau entwickelt.
Als „My Fair Lady“ feierte das  – nach dem Theaterstück „Pygmalion“ von G.B.Shaw – geschickt gebastelte Musical (Text: Alan Jay Lerner, Musik: Frederick Loewe) 1956 in New York seine triumphale Uraufführung. Fünf Jahre später (1961) wiederholte sich der Riesenerfolg auch in der deutschen Fassung (von Robert Gilbert) im Berliner Theater des Westens. Seitdem gastiert die urbritische Lady als Dauerbrenner auf allen Bühnen der Welt.
Auch in der Komischen Oper Berlin versteht sie es – einigen Altersfalten zum Trotz – in einer Neuinszenierung das Publikum zu begeistern. Dabei muß der Regisseur Andreas Homoki, Ex-Intendant in der Behrenstraße und jetzt Opern-Chef in Zürich, keine theatralischen Sprünge oder Klimmzüge wagen – er läßt einfach vom Blatt spielen und die Handlung in die „goldenen“ 20er Jahre verlegen. Die schlagfertigen Dialoge und die mitreißende Musik sorgen für beste Unterhaltung, dazu ein erprobtes Sänger- und Darsteller-Ensemble plus einer Handvoll temperamentvoller Tänzer – da läuft die Vorstellung „wie geschmiert“. Da spielt es kaum eine Rolle, daß das Bühnenbild nur Grammerphon-Trichter und einen pompösen, auf- und zugehenden, blauen Rollvorhang mit Goldquasten zu bieten hat; daß die Kostüme ein wenig die Extravaganz vermissen lassen und manche Nebenrolle eher dem soliden Opernalltag als einem ironisch-leichtes Musiktheater entsprungen scheint.
Dirigentin Kristiina Poska drückt mächtig auf Tempo, das lustvoll mitspielende Orchester läßt das „Grün“ munter „grünen“ oder Elizas „Ich hätt‘ geträumt heutnacht“ elegant ausschwingen.
Max Hopp ist der kauzig-attraktive Professor Higgins – ein erwachsener Lausbub: arrogant und klug, egomanisch und witzig, tollpatschig und charmant – ob sprechend oder singend, immer bestens atikulierend und raumbeherrschend. Die Rollen von Eliza Doolittle, ihrem proletarischen Vater Alfred mit seinem „kleen bißchen Glück“, dem freundlich-vermittelnden Oberst Pickering oder von Elizas jugenlichem Verehrer Freddy Eynsford-Hill sind jeweils mit unterschiedlichen Darstellern besetzt, wechseln innerhalb der Vorstellungs-Serien (Eliza: Katharine Mehrling/Winnie Böwe).
60 Jahre alt wird diese „Fair Lady“ im März diesen Jahres . scheinbar unverwüstlich. Auch wenn ihr neuer Berlin-Auftritt – diesmal in der Komischen Oper – nicht ganz so spektakulär und glamourös ausfällt, kann man Professor Higgins nur zustimmen: “ Bin so gewöhnt an ihr Gesicht…“

Foto: Komische Oper Berlin/ Iko Freese/drama.berlin.de

Premiere : 28.Nov.2015, nächste Vostellungen: 8./20.Febr.//19.März//15./18./28.Juni//1./8.Juli 2016

Verwirrende Gefühle: ‚The Danish Girl‘ von Tom Hooper***

14. Januar 2016FilmkritikenNo Comments

In ausgefeilt schönen Bilder wird die wahre Geschichte des dänischen Landschaftsmalers Einar Wegener erzählt, der in den 1920er Jahren in seiner Heimat außerordendlich erfolgreich arbeitete, zusammen mit seiner Frau Gerda, die ebenfalls Malerin war. Aus Jux und Tollerei besuchte Einar Wegener zusammen mit Gerda einen Künstlerball, verkleidet als seine angebliche Kusine Lily. Doch aus Spaß wurde Ernst: Einar entdeckte in sich das Gefühl, eine Frau zu sein und nach anfänglicher Verwirrung entschloß er sich, zu zwei Operationen bei einem Spezialarzt in Dresden, wahrscheinlich die erste operative Geschlechtsumwandlung der Welt überhaupt. Er hat die Eingriffe nicht überlebt.
Der effektvoll und in wunderschönen (teils historischen) Häusern und Landschaften (Kopenhagen, Paris, Dresden) gedrehte Film von Tom Hooper („The King’s Speech“) konzentriert sich ganz auf die psychische Entwicklung seines Helden resp. Heldin, auf seine völlig unerwartete Entdeckung und Erfahrung des eigenen Körpers und dessen Sexualität, auf die dadurch entsehende Verwirrung und Unsicherheit, bis hin zur überzeugten Akzeptanz des neuen „Selbst“ und damit der bedingungslosen Bereitschaft zum riskanten, physischen Schritt einer Geschlechtsumwandlung. Soziale oder medizinisch-wissenschatliche Aspekte werden nur kurz angedeutet oder am Rand angespielt.
Um dem Zuschauer diese seelische Entwicklung des dänischen Malers begreiflich zu machen, wird seine Ehefrau Gerda als Identifikations-Figur aufgebaut. Sie ist die „normale“ Frau, die erst verwirrt, dann konsterniert und ablehnend ihrem Mann gegenübersteht. Erst im Lauf der Geschichte – und auf Grund der immer noch bei beiden bestehenden ehelichen Liebe – überwindet sie ihre Enttäuschung und Ablehung der ihr eigentlich unfaßbaren Verwandlung ihres Mannes -  bis zu Bereitschaft, ihn zu akzeptieren und ihm – so gut es geht – zu helfen.
Dazu stehen dem erfahrenen Regisseur Hooper zwei hervorragende Schauspieler zur Verfügung, die beide durch diskrete Gestaltungskunst und hoch-sensible Präsenz überzeugen. Der Brite Eddie Redmayne („My Week with Marilyn“; „Die Entdeckung der Unendlichkeit“) versteht es, alles Peinliche oder Tuntige zu vermeiden und einen  – sowohl als Einar wie als Lily – komplexen Charakter lebendig werden zu lassen. Ihm ebenbürtig die schwedische Schauspielerin Alicia Vikander („Die Königin und der Leibarzt“, „Inside WikiLeaks“), die als malende, junge Ehefrau Gerda einerseits die tiefe Liebe zu ihrem Mann und andererseits die Unfassbarkeit der Vorgänge, ihr Entsetzen darüber, ihr Entäuschung und Wut, sowie – am Schluß – Akzeptanz und selbstlose Hilfe ebenso überzeugend wie attraktiv zu gestalten weiß.
Der konservativ inszenierte Film schwelgt in üppig ausladenden und erlesenen Bildern und vermeidet alles Unschöne, Häßliche oder auch Lächerlich-Goteske dieser historisch frühen Geschlechtsumwandlung. Die Erzählung blendet entsprechende Details des Lebens von Einar Wegener aus, glättet das „Unfaßbare“ ins Gefällige. „Trangsgender“-Problematik wird fürs  große Kino und den Mainstream weichgespült. Eigentlich schade – zumal die Schauspieler mit glänzenden und „Oskar“-reifen Leistungen souverän punkten können. (Und inzwischen auch nominiert sind!)

Poster/Verleih: Universal Pictures Germany

zu sehen u.a.: Blauer Stern Pankow; Capitol Dahlem; CinemaxX Potsdamer Platz; CineStar Potsdamer Platz (OV); Delphi; Hackesche Höfe Kino (OmU); International (dt. und OmU); Kino in der Kulturbrauerei; Odeon (OmU); Rollberg (OmU); New York

Überlebensdrama im Schnee: ‚The Revenant – Der Rückkehrer‘ von Alejandro Gonzáles Inárritu****

12. Januar 2016FilmkritikenNo Comments

Schauplatz: der „wilde“ Westen Nordamerikas um 1820 – endlos-weite und tief verschneite Landschaften. Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) ist Trapper und hilft – zusammen mit seinem Sohn, einem Halbindianer – einer Gruppe rauher Pelzjäger den Rückweg zu ihrem Ausgangs-Stützpunkt, einem militärischen Fort, zu finden. Gefährlich nicht nur wegen Kälte und Schnee, sondern vor allem wegen der immer wieder angreifenden Indianer, die sich für den Raub ihre Tiere und das brutale Töten ihrer Frauen und Kinder, das Niederbrennen ihrer Hütten rächen. Doch Glass wird von einer Grizzly-Bärin angegriffen und schwer verwundet, seine Überlebenschancen scheinen gering. Der Großteil der Männer, unter ihnen auch begleitende Soldaten, zieht weiter, Glass bleibt mit seinem Sohn, dem Pelzjäger Fitzgerald (Tom Hardy) und dem jungen, unsicheren Serganten Bridger (Will Poulter) zurück. Fitzgerald behauptet, Glass werde nicht überleben, tötet – in einem unbeobachteten Augenblick – dessen Sohn, nötigt den ängstlichen Serganten, mit ihm abzuhauen und den halbtoten Trapper zurückzulassen. Wider Erwarten kommt Glass langsam zu Kräften und rafft sich auf – zunächst kriechend, dann am Stock – ,  um Rache – vor allem für seinen Sohn – an Fitzgerald zu nehmen. Er meistert extremste Situationen: versteckt sich vor feindlichen Indianern in düsteren Höhlen, wird von einem eiskalten Fluß mitgerissen, ernährt sich von dürren Grashalmen oder vom rohen Fleisch eines toten Tieres, schlüpft sogar einmal – um nicht zu erfrieren – in den Bauch eines ausgeschlachteten Pferdes. Am Ende dann der große „Showdown“: Glass und Fitzgerald kämpfen mit Beil und Messer im tiefen Schnee – bis eine Indianer-Truppe auftaucht, und Glass ihnen seinen Feind überläßt – im Wissen, daß sie ihn töten werden und er sich so den (unchristlichen) „Rache-Mord“ erspart.
Der mexikanische Regisseur Alejando Gonzáles Inárritu, der auch für das Drehbuch mitverantwortlich zeichnet, erzählt in beeindruckenden Bildern und virtuosen Sequenzen diesen Überlebens- und Rachekampf im damals noch fast unberührten Westen. Er schildert die harte Arbeit der Pelzjäger und Trapper, aber auch ihre rücksichtslos-brutale Ausbeutung der Natur und deren indigenen Bewohnern. Jedes romantische Abenteuer- und Western-Klischee wird bewußt zerstört: hier gibt es (fast) nur den egoistischen Kampf ums nackte Überleben. Hier zieht eine dumpfe Männergesellschaft marodierend durch eine grandiose, winterliche Natur-Landschaft.
Effektvoll gefilmt: geschmeidig-gleitende Kamerafahrten (Emmanuel Lubezki) wechseln temporeich zwischen detail-gespickten Großaufnahmen und eindrucksvollen Landschafts-Panoramen. Dabei wird der Blick von unten nach oben bevorzugt: daduch soll eine mysthische Überhöhung suggeriert werden: beispielsweise scheinen – in solcher Perspektive – die Wälder mit ihren schlanken, riesigen Tannen einem hohen und heiligen Dom der Natur zu gleichen.
Vielfach beherrschen Nahaufnahmen von blutigen Details die breite Film-Leinwand:  gräßliche Wunden, die die Bärien Glass an Hals und Rücken zufügt, die tödlichen Pfeile der Indianer, die sich ins Fleich der Trapper bohren, die rohen Innereien eines geschlachteten Pferdes. Sie kontrastieren wirkungsvoll mit den scheinbar erhabenen Natur-Panoramen: den leeren oder wolkenverhangenen Himmeln, den steilen und schroffen Berg-Felsen, den reißenden Flüssen und den endlosen Wäldern.
Leonardo DiCaprio verkörpert sichtlich mit großem Engagement den (historischen) Trapper Glass als überlebesgroßen „Schmerzensmann“, Tom Hardy verleiht seinem fiesen Gegner und Sohnes-Mörder Fitzgerald scharfes Profil.
Doch trotz dieser raffinierten und einfallsreichen filmischen Inszenierung hinterläßt dieser „Rückkehrer“ einen zwiespältigen Eindruck: seinem optischen Hyperrealismus steht die Unwahrscheinlichkeit  und der Geschichte entgegen: die eines alle Widrigkeiten überlebenden (Film-)Helden. Hier siegt die Konvention des Hollywood-Kinos über jede Lebens-Realität. Was in einem „romantischeren“, das heißt stilisierteren Western durchaus Sinn machen könnte. Aber nicht in dieser extrem-realistischen Deutung – auch wenn sie noch so brilliant ins Bild gesetzt ist wie hier der schmutzig-blutige Daseinskampf von Amerikas historischen „Helden“.
Poster/Verleih: Fox Deutschland

zu sehen u.a.:CineStar Sony Center (OV); Rollberg (OV und OmU); Hackesche Höfe Kino (OmU); Passage Neukölln (dt. und OmU); Kulturbrauerei (dt. und OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; CineMotion Hohenschönhausen; Cineplex Neukölln Arcaden; Cineplex Spandau; Titaniapalast Steglitz; Cinestar Trptower Park; Cubix Alexanderplatz; CineStar Hellersdorf; CineStar Tegel; Filmtheater am Friedrichshain; Kant-Kino; UCI am Eastgate; UCI Colloseum; UCI Friedrichshain; UCI GropiusPassagen; Zoo-Palast

Emmerich Kálmán wiederbelebt ? „Die Zirkusprinzessin“ in der Komischen Oper***

1. Januar 2016TheaterkritikenNo Comments

Die Komische Oper Berlin und ihr Intendant und Spiritus Rector Barry Kosky stellen jede Spielzeit – so um die Weihnachts/Silvester-Zeit herum – ein überwiegend unbekanntes oder kaum gespieltes Werk des ungarischen Operettenmeisters Emmerich Kálmán zur Diskussion. In nur zwei Vorstellungen, überwiegend konzertant, aber unterhaltsam arrangiert.
In diesem Jahr: „Die Zirkusprinzessin“, 1926 im Theater an der Wien uraufgeführt, kurz danach im damaligen Berliner Metropoltheater (der heutigen Komischen Oper) mit großem Erfolg nachgespielt. Die Geschichte spielt in einem Wanderzirkus, der in den ersten beiden Akten in St.Petersburg, im dritten in Wien gastiert. Eine geschiedene, russische Fürstin verliebt sich in einen Zirkusartisten, der ihr – von einem verschmähten Liebhaber – als Prinz in Cognito „verkauft“ wird. Sie heiratet ihn, um dann böswillig als „Zirkusprinzessin“ verhöhnt zu werden. Doch im Operetten-Wien der 20er Jahre wendet sich die Miß-Heirat von russisch-stolzer Fürstin und scheibarem Zirkus-Akrobaten selbstversständlich zum walzerseligen Happy End.
In der Komischen Oper befindet das Orchester leicht gestaffelt auf der leeren  Bühne, der Chor steht erhöht dahinter. Davor sitzen oder agieren die Gesangsolisten in Kostümen, die der Zeit der Uraufführung nachempfinden.  Als weiblicher Direktor tritt in schwarz-grün-goldener Zirkus-Uniform Désirée Nick auf und führt mit ihrer berüchtigten Kotterschnauze durchs Programm, das heißt sie erzählt und kommentiert ironisch die Handlung und bindet so die einzelnen Musiknummern zusammen, die von den Sängern mehr oder weniger temperamentvoll an der Rampe ausgespielt werden (Alexandra Reinprecht, Zoltán Nyári, Julia Giebel, Peter Renz, Ivan Tursic). Natürlich läßt sich Désirée Nick nicht die Butter vom Brot nehmen: kickst schräge Koloraturen á la „Königin der Nacht“ oder stellt als schrille „Fledermaus“-Adele ihre diversen Talente zur Schau. Und nebenbei flirtet sie in ihrer schnoddrig-direkten Art mit dem Publikum: wundert sich, daß nur mittelalterliche Herren in der ersten Reihe sitzen (wo bleibt da das Weibliche ?) oder fragt sich keck,  ob nicht die Handlung einer Kálmán-Operette die intelektuellen Fähigkeiten des Publikums überfordere.
Nach pausenlosen 90 Minuten ist diese unterhaltsame Mischung aus Nick-Show und Operetten-Schmalz (schwungvoll dirigiert von Stefan Soltesz) zu Ende – länger oder mehr, wäre sicher zu viel gewesen. Zumal diese „Zirkusprinzessin“ trotz der flotten (aber sehr gleichförmigen) Musik nur über einen echten Hit verfügt: „Zwei Märchenaugen“. Doch ein solches Augenpaar allein – und sei es noch so lockend – , taugt kaum fürs Repertoire: da haben „Csárdásfürstin“ oder „Grafin Mariza“ deutlich mehr zu bieten.

Foto: Iko Freese-drama berlin.de/Komische Oper Berlin (Désirée Nick/Ivan Tursic)

Die beiden Vorstellungen fanden am 20. und 30.Dezember 2015 statt,

Kategorien

  • Allgemein
  • Berlinale
  • Filmkritiken
  • Theaterkritiken
  • Verschiedenes

Neueste Beiträge

  • Ende der Spielzeit 2018/19 in den Berliner Opernhäuser
  • Kino & Theater – Mai / Juni 2019
  • Gelungenes Musiktheater: „Oceane“ in der Deutschen Oper Berlin****
  • Kino & Theater März 2019
  • Meine BERLINALE 2019

Schlagwörter

Nase Reise nach Reims

Archive

  • Juni 2019
  • Mai 2019
  • März 2019
  • Februar 2019
  • Januar 2019
  • Dezember 2018
  • November 2018
  • Oktober 2018
  • Juli 2018
  • Juni 2018
  • Mai 2018
  • März 2018
  • Februar 2018
  • Januar 2018
  • Dezember 2017
  • November 2017
  • Oktober 2017
  • Juli 2017
  • Juni 2017
  • Mai 2017
  • April 2017
  • März 2017
  • Februar 2017
  • Januar 2017
  • Dezember 2016
  • November 2016
  • Oktober 2016
  • Juli 2016
  • Juni 2016
  • Mai 2016
  • April 2016
  • März 2016
  • Februar 2016
  • Januar 2016
  • Dezember 2015
  • November 2015
  • Oktober 2015
  • August 2015
  • Juli 2015
  • Juni 2015
  • Mai 2015
  • April 2015
  • März 2015
  • Februar 2015
  • Januar 2015
  • November 2014
  • Oktober 2014
  • September 2014
  • August 2014
  • Juni 2014
  • Mai 2014
  • April 2014
  • März 2014
  • Februar 2014
  • Januar 2014
  • Dezember 2013
  • November 2013
  • Oktober 2013
  • September 2013
  • August 2013
  • Juli 2013
  • Juni 2013
  • Mai 2013
  • April 2013
  • März 2013
  • Februar 2013
  • Januar 2013
  • Dezember 2012
  • November 2012
  • Oktober 2012
  • September 2012
  • August 2012
  • Juli 2012
  • Juni 2012
  • Mai 2012
  • April 2012
  • März 2012
  • Februar 2012
  • Januar 2012
  • Dezember 2011
  • November 2011
  • Oktober 2011
  • September 2011
  • August 2011
  • Juli 2011
  • Juni 2011
  • Mai 2011
  • April 2011
  • März 2011
  • Februar 2011
  • Januar 2011
  • Dezember 2010
  • November 2010
  • Oktober 2010
  • September 2010
  • August 2010
  • Juni 2010
  • Mai 2010
  • April 2010
  • März 2010
  • Februar 2010
  • Januar 2010
  • Dezember 2009
  • November 2009
  • Oktober 2009
  • September 2009
  • August 2009
  • Juli 2009
  • Juni 2009
  • Mai 2009
  • April 2009
  • März 2009
  • Februar 2009
  • Januar 2009
  • Dezember 2008
  • November 2008
  • Oktober 2008
  • September 2008
  • Juli 2008
  • Juni 2008
  • Mai 2008
  • April 2008
  • März 2008
  • Februar 2008
  • Januar 2008
  • Dezember 2007
  • November 2007
  • Oktober 2007
  • September 2007
  • August 2007
  • Juli 2007
  • Juni 2007
  • Mai 2007
  • April 2007
  • März 2007
  • Februar 2007
  • Januar 2007
  • Dezember 2006
  • November 2006
  • Oktober 2006
  • September 2006
Proudly powered by WordPress | Theme: Doo by ThemeVS.