Rainer Allgaier

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Monat: Juni 2011

Im Frauenknast: ‚Gespräche der Karmelitinnen‘ in der Komischen Oper ***

27. Juni 2011TheaterkritikenNo Comments

Eigentlich finden die „Dialoques des carmelites“ von Francis Poulenc (UA: 1957 in Mailand) während der Französischen Revolution in Paris und einen nahebei gelegenen Kloster statt. Die junge Adlige Blanche ist aus Lebensangst Novizin bei den Karmelitinnen (so die Neuübertragung der Komischen Oper!) geworden, doch das Kloster wird von den Revolutionären konfisziert und geplündert, die Nonnen zum Tode verurteilt, da sie nicht bereit sind, ihrem Glauben abzuschwören. Blanche flieht entsetzt, aber als sie sieht, wie ihre 16 Glaubensschwestern eine nach der anderen tapfer die Guillotine besteigen, geht sie, ihre Angst überwindend, als letzte aufs Schafott.
In der Neuinszenierung an der Komischen Oper verlegt der spanische Skandal-Regisseur Calixto Bieito das dramatische Geschehen in ein Internierungslager oder Gefängnis des 20.Jahrhunderts. Die düster gehaltenen Dreh-Bühne wird beherrscht von raumhohen Betten-Türmen, mal von grellen Scheinwerfern, mal von hellen Neonröhren beleuchtet. Religiöse Zeichen,  Kleidung oder Symbole fehlen. Die Insassinnen tragen betont einfache, fast hässliche Alltags-Klamotten in verwaschenen Farben. Bieito vermeidet bis auf ein paar eingeschobene Momente (das Waschen einer Frauenleiche, der blutbefleckte Körper von Blanche’s ermordetem Vater) alles Provokative, erzählt die Geschichte eher umständlich und manchmal auch unverständlich auf der schmalen Vorderbühne. Die Charaktere der meisten Personen sind schematisch oder unscharf, manche Einfälle bleiben rätselhaft: die schwarz-weissen Videobilder zu beiden Bühnenseiten, die Augen oder Händen zeigen; eine halbnackte Frau, die offensichtlich geistesverwirrt durch die Bett-Etagen klettert. Unklar, was der sonst so kritisch zupackende Regisseur dem Zuschauer diesmal erzählen will, welche Haltung er selbst zu dem tragischen Geschehen einnimmt: dadurch wirkt die Inszenierung über weite Strecken farblos und fade.
Doch gleicht die gute und solide musikalische Leistung des Ensembles vieles aus: Christiane Oertel als alte, sterbende und Erika Roos als neue Priorin, Irmgard Vilsmaier als mütterlich-strenge Mutter Marie, Julia Giebel mit hellem Sopran als Freundin und jugendliche Schwester Constance sowie Maureen McKay als angstgeplagte Blanche, in der Höhe etwas schrill. Der Bonner Generalmusikdirektor Stefan Blunier dirigiert Poulenc‘ sehr gemässigt-moderne Musik mit scharfer Attacke, oft zu laut und zu zackig, erst nach der Pause im zweiten Teil findet er die ausgewogene Balance zwischen Bühne und Orchester, zwischen lyrischer Innigkeit und schneidender Dramatik. Eindrucksvoll, wenn die Frauen im weissen Hemd und mit einem Papp-Schild um den Hals („Hure Gottes“) eine nach der anderen – laut das „Salve Regina“ singend – nach hinten abgehen und im Orchester jeweils das Fallbeil brutal zu hören ist.
Eine musikalisch stimmige, szenisch jedoch  – wider Erwarten – blasse Aufführung.

Foto: Monika Rittershaus/ Komische Oper

nächste Vorstellungen: 30.Juni/ 03./ 09./ 16.Juli 2011

Zähe Satire: ‚Candide‘ in der Staatsoper im Schillertheater**

25. Juni 2011TheaterkritikenNo Comments

Leonard Bersteins „Candide“ (uraufgeführt 1956)  tut sich bis heute – trotz zahlreicher Umarbeitungen -  schwer auf der Bühne, während die Ouvertüre und einige Musiknummern daraus sich zu Hits auf dem Konzertpodium und im Radio entwickelt haben. Auch die Neuinszenierung der Staatsoper im Schillertheater hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: missrät weitgehend zum bunten Kasperletheater ohne zündenden musikalischen Funken.
Der französische Regisseur Vincent Boussard lässt auf karger, hellglänzender Bühne eine groteske Sitten-Revue im Stil der Hogarthschen Kupfer-Stiche ablaufen – Strawinskys ‚Rake’s Progress‘ lässt deutlich grüssen. Kostüme zwischen schrägem Rokoko und heutiger Pariser Haute Couture (vom Modeschöpfer Christian Lacroix),  farbig-abstraktes Video-Geflimmer, dazu der düster gewandete Staats-Opern-Chor, der hinter einer Rampe auf halber Bühnen-Höhe das Geschehen neugierig beobachtet und klangschön kommentiert. Candide, anzusehen wie ein fescher Italo-Tenor, purzelt als naiver Tor durch die hier immer gleich aussehende, kahle Welt, vom heimischen Westphalen über Paris und Buones Aires nach Venedig, stehts auf der Suche nach seiner geliebten Cunegonde. Doch der satirisch-politische Hintergrund bleibt bei dieser vordergründigen Comic-Reise ausgeblendet -  aus dem komisch-kritischen Musical wird eine oberfächliche Klamotte.
Auch musikalisch kommt der (englisch gesungene) Abend nicht in Fahrt – trotz des kompetenten  Gast-Dirigenten Wyne Marshall : das Orchester klingt nur laut und wenig differenziert. Der Amerikaner Leonardo Capalbo spielt mit gefälligem Tenor einen agilen Candide. Maria Bengtson ist seine attraktive, blonde Cunegonde (in Lacroix’s schicken Abendkleidern), doch singt sie mit kühler Perfektion, ohne jedes ‚Glitter and be gay‘ (Funkeln und Fröhlichsein). Und Anja Silja als ‚Old Lady‘ (mal in weisser Servierschürze, mal in schrillem Pepita) ist stimmlich nur noch ein trauriges Abbild ihres einstigen Ruhms. Wirklich überzeugend präsentiert sich nur die Marthaler-Ikone Graham F.Valentine in mehreren kleinen, scharf gezeichneten, komischen Rollen.
Ein äusserlich kunterbunter Abend, aber ohne Biss, ein musikalischen Feuerwerk, das nicht zündet: Candide muss weiterhin auf Suche gehen – nach der besten aller (Bühnen-)Welten.
Foto: Clärchen und Matthias Baus/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen:26./ 28.und 30.Juni 2011

Aufgepfropfte Philosophie: ‚The Tree of Life‘ von Terrence Malick ****

19. Juni 2011FilmkritikenNo Comments

Texas/USA – eine ganz gewöhnliche Familie in den 1950er Jahren. Der Vater (Brad Pitt) ist Ingenieur bei einer grossen Firma, die Mutter (Jessica Chastain) kümmert sich um das hübsche Vorstadt-Haus und den dazugehörenden grünen Rasen. 3 Söhne wachsen hier scheinbar sorgenfrei auf.
Der Film baut sich in vier Abschnitten auf.  Im ersten erhält die Mutter einen Brief, der ihr den Tod des 19-jährigen Sohnes mitteilt (im Krieg gefallen ?).  Schnitt: der zweite Sohn (als Erwachsener: Sean Penn) ist erfolgreicher Architekt geworden, hetzt durch moderne Glas- und Stahl-Paläste, erinnert sich dabei an Bilder aus seiner Kindheit.
Der sofort daran anschliessende zweite (sehr lange) Film- Abschnitt ist eine gewaltige Flut von Aufnahmen aus der Natur: Sonnenexplosionen, Vulkane, Wasserfälle, urtümliche Tier- und Pflanzenwelten, raffiniert geschnitten und mit viel klassischer Musik und gelegentlichen Bibel-Worten unterlegt.
Dann der dritte und ausführlichste Abschnitt des Films. Wie der Vater liebevoll, aber mit strenger Autorität seine Söhne erzieht, die sich (in diesem Teil) etwa im Grundschulalter befinden. Der geregelte Tagesablauf mit gemeinsamen Mahlzeiten und Freizeitbeschäftigungen wie Musizieren, Gartenarbeit oder sportlichen Spielen – meist unter dem grossen ‚Lebensbaum‘ vor dem Haus. Spannungen enstehen zwischen dem Vater und dem langsam aufbegehrenden mittleren Sohn, autoritäre Erziehung provoziert jugendlichen Trotz. Die sanfte Mutter hält sich meist schweigend zurück, nimmt ihre Kinder aber immer in Schutz.  Dieser Teil endet mit der Entlassung des Vaters durch seinen Arbeitgeber und dem Auszug der Familie aus dem gepflegten Vorort-Haus (wohin -  bleibt offen).
Im (vierten und) abschliessenden Abschnitt trifft dann der erwachsene Sohn als Architekt in bizarren Landschaften noch einmal die Personen seiner Vergangenheit, surreale Begegnungen, bei denen alle stumm aneinander vorbei laufen: eine Art Befreiung oder Erlösung zu Musik von Berlioz‘ Requiem ?
Schon bei seiner (mit der Goldenen Palme ausgezeichneten) ersten Aufführung in Cannes im Mai 2011 standen sich Begeisterung und Ablehnung des Films schroff gegenüber. So auch jetzt im Kino:
die Mischung aus Natur-Mysthik und Familien-Story bleibt problematisch. Formal ist der Film hervorragend gestaltet, dramaturgisch ungewöhnlich gebaut, exzellent photographiert und geschnitten, und darstellerisch trefflich besetzt (auch wenn der Auftritt von Sean Penn etwas kurz ausgefallen ist). Doch die philosophisch aufgeladenen Bilder-Fluten und surrealen Sequenzen (Dinosaurier am Bach!) bleiben flach und ohne Tiefe. Die dazu dröhnende Musik (Smetana,Gorecki, Mahler u.a.) verstärkt nur den Eindruck esoterischen Kunstgewerbes.
Ungewöhnlich ist dieser ‚Lebensbaum‘ durch die sensibel erzählte Familengeschichte – immer nur aus der Erinnerung des erwachsenen Sohnes: zeitlich und inhaltlich sprunghaft, oft nur kurz aufblitzende Bilder und angerissene Szenen, die jedoch ein wunderbar stimmiges Portät der gezeigten Menschen und ihrer Welt ergeben,  ihres Denkens und Fühlens, das zugleich ihrer Zeit verhaftet und  – in seinen Verhaltensmustern – zeitlos erscheint. 
In diesen Teilen triumphiert Terrence Malick‘ aussergewöhnliche Begabung des filmischen Erzählens – der philosophische Überbau durch die breit ausgewalzten Natur-Bild-Sequenzen zeigt zwar handwerkliche Virtuosität, bleibt ansonsten aber leer.

Poster/Verleih: Concorde Filmverleih GmbH

zu sehen: CineStar Sony Center (OV); Hackesche Höfe Kino (OmU); Odeon (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; Delphi; Filmtheater am Friedrichshain; International; Kulturbrauerei; Yorck

Melancholisches ‚Coming-out‘: ‚Beginners‘ von Mike Mills ***

17. Juni 2011FilmkritikenNo Comments

Oliver ist ein 38-jähriger, mässig erfolgreicher Designer in Los Angeles. Zu Beginn des Films entrümpelt er das Haus seines soeben verstorbenen Vaters – dem ehemaligen Direktor eines Museums für moderne Kunst. Der etwas schüchterne, zurückhaltende Oliver hat den krebskranken Vater aufopfernd gepflegt und erzählt nun in vielfältigen, etwas sprunghaften Rückblenden die Geschichte seiner engeren Familie: wie 1955 seine Eltern trotz oder wegen ihrer unterschiedlichen Charaktere und Veranlagungen heiraten; wie er als Kind die unterschwelligen Spannungen zwischen den Eltern instinktiv spürt, ohne den Grund dafür zu erkennen; wie ihm nach dem unerwarteten, schnellen Krebs-Tod der Mutter der inzwischen pensionierte Vater seine homosexuelle Veranlangung eröffnet und diese nun in schwulen Kreisen auzuleben versucht; und wie Oliver selbst eine fragile Liebesbeziehung zu einer jungen, französischen Schauspielerin eingeht: ob er dabei seine – wohl durch unbewusste Kindheitserfahrungen erworbene – bisherige Bindungs-Unfähigkeit überwinden kann, – das bleibt am Ende des Film offen.
Hollywood-Regisseur Mike Mills („Thumbsuckers“) hat eine heitere Komödie inszeniert – mit leisem Witz und sanfter Melancholie. Locker eingeblendete alte Fotos und (Schallplatten-)Musik aus der jüngeren amerikanischen Geschichte, spielerisch-elegante Comic-Zeichnungen sowie der ererbte, treublickende Hund Arthur  (der gelegentlich seine Gedanken in Untertiteln verät) verbinden sich zu einer unterhaltsamen Reflexion über moderne Geschlechter- und Familien-Beziehungen im Amerika von heute – ohne dabei allzu tief zu gründeln oder zu psychologisch zu werden.
Der grosse Reiz der sommerlich-leichten Films beruht jedoch auf seinen beiden männlichen Hauptdarstellern: Ewan McGregor als der liebenswürdig-nette Sohn Oliver mit seinem unsicher-unentschlossenen Verhalten gegenüber seiner Umgebung und Christopher Plummer als der sich vital-outende, schwule Vater, der aber schon bald die bittere Pille seiner tötlichen Krankheit schlucken muss.
Eine mit leichter Hand inszenierte, melancholische Komödie mit zwei fabelhaften Hauptdarstellern – ein etwas zügigeres Tempo und ein gelegentlich kräftigerer Witz hätte das Vergnügen daran noch erhöht.

Poster/ Verleih: Universal Pictures Germany

zu sehen:CineStar Sony Center (OV); Babylon Kreuzberg (OmU); Hackesche Höfe Kino (OmU); Capitol; Cinema Paris; CinemaxX Potsdamer Platz; Kino in der Kulturbrauerei; Filmtheater am Friedrichshain; New Yorck

Kreislauf der Diktaturen: ‚Macbeth‘ in der Deutschen Oper ****

17. Juni 2011TheaterkritikenNo Comments

Vor 13 Jahren entstand diese Inszenierung des Verdi’schen ‚Macbeth’  für die Kölner Oper – und es spricht für ihre Qualität, dass sie sich auch heute noch behaupten kann.
Der kanadische Regisseur Robert Carsen verlegt die Handlung in eine zwar nicht näher gekennzeichnete Militär-Diktatur im einstigen Ostblock – doch dürften Rumänien und sein grausames Herrscher-Paar Ceausesu als Vorbild gedient haben. Eine graue Beton-Wand beherrscht die weitgehend kahle Bühne:  mal blutbeschmiert, mal mit schmalen Türen bestückt oder beklebt mit den Fotos der verschollenen oder getöteten Angehörigen der Geflüchteten und Exilanten. Bei Banquo’s Ermordung stehen Schreibtische vor dieser Wand wie in einem Stasi-Büro und in der Bankettszene schiebt sich eine lange, mit Silberbesteck und Blumen geschmückte Tafel herein. Mal scheint das (raffiniert gesetzte) Licht bläulich-fahl auf diese abweisenden Beton-Räume, mal schimmern sie veredelt in bräunlich-goldenen Tönen. Wie in einem Film läuft das grausame Geschehen ab: die Hexen huschen hin-und her als Gruppe gespentischer Putzfrauen, Macbeth ersticht den schlafenden König in einem spartanischen Bett, die Bankett-Gesellschaft tanzt dezent vor einem riesigen Diktatoren-Porträt an der Wand, die Lady zieht in ihrer Wahnsinn-Szene – eine stark-strahlenden Taschenlampe in der Hand – die blutige Uniform ihres Mannes nach sich, während dieser von einem wie im Blutrausch agierenden Macduff getötet wird, für den – als dem neuem Diktator -  prompt der rote Teppich ausgerollt wird und für den dann die Soldaten zum abschliessenden Siegeschor martialisch Spalier stehen.
Vielleicht ist diese Macbeth-Deutung als sich selbst fortzeugende Gewaltherrschaft etwas überzogen und von Verdi sicherlich nicht so gemeint gewesen – aber die erzählerische Stringenz und ihre – bis ins kleinste Detail – fantasievoll-theatralische Umsetzung verleiht der Inszenierung dramatische Wucht und grosse Überzeugungskraft. Zumal der Dirigent Roberto Rizzi Brignoli und das sehr flexibel agierende Orchester diese Interpretation durch geschärften Klang und durch präzise, dem Geschehen angepasste Tempi bestens unterstützen. Grossartig der Chor in seinen unterschiedlichen Formationen (Hexen, Soldaten,  Flüchtlinge, Diktatoren-Staffage) – immer klangschön, aber zugleich die jeweilige Bühnen-Situation genau charakterisierend.
Anton Keremidtchiev (alternierend mit Thomas J.Mayer) singt mit noblem Bariton einen schon früh von Skrupeln geplagten Macbeth, Anna Smirnova ist seine ehrgeizige, stramme Lady: ihr voluminöser, vibratoreicher Mezzo, der aber auch über intimere Töne verfügt, beherrscht mit grossem gestischen Ausdruck die gesamte Szene, Pavol Breslik berührt in seiner kurzen Schmerzens-Arie durch seinen sensibel-geführten, kraftvollen Tenor und Ante Jerkunica überzeugt als ein väterlich-sorgenvoller Banquo mit sonorem Bass.
Eine spannende, szenisch kluge und musikalisch sehr ansprechende Aufführung – trotz ihres pessimistisch-düsteren Themas.

Foto: Bettina Stöss/Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 19./21./24./28./30.Juni und 03.Juli

Vom Zahn der Zeit: ‚Der Tribun‘ in der Staatsoper /Schiller-Werkstatt***

8. Juni 2011TheaterkritikenNo Comments

Ein kurzer Abend an langen Holztischen und auf schmalen Bänken;  junge Damen im feschen Dirndl servieren Bier oder Wein, aus den Lautsprechern tönt Blasmusik: die kleine Schiller-Werkstatt präsentiert sich als improvisierter Biergarten. An der Stirnseite ein erhöhtes Podium, davor nehmen Musiker der Staatskapelle Platz – auch sie in zünftig-bayrischer Tracht. Zunächt  – gleichsam als Ouvertüre – eine kurze Suite von John Cage für zwei Schlagzeuger, Klavier und Radio, 1942 unter dem Titel „Credo for us“ geschrieben als witzige Satire auf den damaligen, amerikanischen Musik-Geschmack. Mächtige Schlagzeug-Kaskaden, die immer wieder von knappen (oft jazzigen) Klavier-Einwürfen unterbrochen werden oder denen ein Radio dazwischen quäckt : am Premierenabend war’s – ein hübscher Einfall ! – die Übertragung des Fussballspiels Deutschland-Aserbaidschan.
Nach diesem rein musikalischen Auftakt schliesst sich ohne Unterbrechung eine szenische Einrichtung des Hörspiels „Der Tribun“ an, das Mauricio Kagel 1979 aus mehreren, ironisch-gebrochenen, fiktiven Politiker-Ansprachen und den  – von ihm dafür komponierten – ’10 Märschen, um den Sieg zu verfehlen’  zusammengebastelt hat. (Ein Jahr später wurde die WDR-Produktion mit dem renomierten Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet.)
In der heiteren Bierzelt-Atmosphäre der Schiller-Werkstatt lässt der junge Regisseur Thorsten Cölle den britischen Bass-Bariton Nicholas Isherwood die grotesk-absurden Ansprachen des Tribunen von dem mit Tisch und Stuhl ausgestatteten Podium mit mächtiger Stentor-Stimme (und perfekter deutscher Aussprache) in den Saal trompeten, manchmal darf er sich mit Hand-Mikro unters kichernde Publikum mischen. Immer wieder werden diese bizarr-bösen Sprach-Klischees und hohlen Polit-Stereotypen – wie auf Knopfdruck – vonden 10 schrägen Militär-Märschen unterbrochen, ‚falschen‘ Tönen, die die Bläser der Staatskapelle mit hoher Präzision und grossem Vergnügen (unter Stabführung von Günther Albers) schmettern lassen. Dabei nützt der Tribun diese flotten, schrillen Zwischenmusiken, um immer wieder Brille, Bärtchen oder Perücke zu wechseln, einen Sacko oder ein Kleid überzustreifen, auf diese Weise Person und Geschlecht zu tauschen und zwar in makabrer Steigerung: am Ende ballert ein wild gewordener Frankenstein mit dem Revolver sinnlos umher.
Ein kurzweilig-gefälliger Abend, der aber auch deutlich macht, dass der Zahn der Zeit an den einstigen Provokationen eines Cage oder Kagel mächtig genagt hat, dass die Satire fast jeden Biss verloren hat – und dem Regie-Team wenig eingefallen ist, den heute harmlosen Werkchen -  künstlerisch wie intellektuell -  neue oder frische Schärfe zu verleihen. (Was hätte wohl ein Christoph Schlingensief daraus gemacht?).

Foto: Barbara Braun/Staatsoper

nächste Vorstellungen: 10./ 11./15.Juni 2011

Königs-Intrige und Marionetten-(Theater-)Glück: Händel in Halle 2011 ***

6. Juni 2011TheaterkritikenNo Comments

Zur Eröffnung der diesjährigen Händel-Festspielen ein Kaiser-Drama: „Ottone“ (UA: London 1723) – ein recht konventioneller Mix aus politischen und privaten Intrigen am römischen Hof der deutschen Ottonen, eine nur wenig überzeugende Verquickung von Historie und Fiktion. Auch Komponist Händel steuert dazu nur gefällig-musikalisches Handwerk bei: Arie reiht sich an Arie – mehr oder weniger abwechslungsreich. Zündende Hits fehlen.
Regisseurin Franziska Severin versucht im Opernhaus zu Halle mit sanfter Ironie ein abwechslungsreiches Spektakel auf die kreiselnde Drehbühne zu zaubern: zwischen mittelalterlichen Burg-Zinnen und mediterranen Palmen-Silhouetten versuchen die Sänger in knallbunten Theater-Kostümen ein augenzwinkerndes Historien-Spektakel lebendig werden zu lassen. Doch trotz des Engagements aller Beteiligten, trotz der zügigen musikalischen Leitung durch Marcus Creed und trotz einiger attraktiver Sänger vermag dieser alt-deutsche Ottonen-Kaiser im barocken Gewand beim heutigen Publikum nur wenig nachhaltigen Erfolg zu erzielen.
Ganz anders am Tag darauf im historischen Goethe-Theater von Bad Lauchstädt: bei sommerlich- hohen Raum-Temperaturen begeistert die phantastischen Zauber-Oper „Rinaldo“ (UA: London 1711) das Publikum in aussergewöhnlichem Maass. Denn: die berühmte ‚Compania Marionettistica Carlo Colla e Figli‘ aus Mailand lässt im wahrsten Sinn des Wortes die Puppen tanzen: Ritter und Sarazenen bekämpfen feuerspuckende Drachen, liebliche See-Sirenen umgirrten den blonden Ritter Rinaldo, Kamele und hochgeschirrte Pferde trabten durch Wüsten und Palmenhaine, und am Ende funkelten Sterne und Feuerwerk über dem wiedervereinten Paar.
Vor dieser prachtvoll-barocken Puppentheater-Bühne animiert Wolfgang Katschner seine bewährte Lauten Compagney zu munterem Spiel auf historischen Instrumenten – und von den Seiten-Emporen herunter leiht ein junges Sänger-Ensemble den graziösen Marionetten Stimme und Wohlklang (was besonders auf die Herren zutrifft, den Damen fehlt dagegen die virtuose Geläufigkeit). Und über allem leuchtet Händels wunderbare Musik: hier jagt ein musikalischer Einfall den anderen, hier herrschen Tempo und Wohlklang, bilden Schönheit und Eleganz der Musik eine effektvolle Einheit. Eine tolle Oper – eine hübsche, gefällig-naive Aufführung – wenn auch mit einigen (vor allem musikalischen) Einschränkungen.

Foto:  Händel-Festspiele-Halle

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