Rainer Allgaier

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Monat: Februar 2019

Meine BERLINALE 2019

10. Februar 201917. Februar 2019Allgemein

THE KINDNESS OF STRANGERS von Lone Scherfig (Dänemark)**

Eine junge Frau, Clara, flieht vor ihrem gewalttätigen Mann, einem Polizisten, mit ihren beiden kleinen Söhnen nach New York. Als der Schwiegervater dort ihr jede Hilfe verweigert, sucht sie Essen und Unterschlupf in den öffentlichen Hilfs-Organisationen, in Suppenküchen, Obdachlosenheimen, später bei der hilfsbereiten Krankenschwester Alice in einer kirchlichen Einrichtung. Oder sie klaut auf einer Party in einem russischen (Nobel-)Restaurant Essen für ihre kleinen Kinder. Dabei trifft sie auf den jungen Manager dieses „WinterGarden“ – der Beginn zum glücklichen Ausgang des Films. Panorama-Aufnahmen von New York wechsel mit schön gefilmten Sozial-Stationen, wo auch die Ärmsten der Armen aufeiander angewiesen sein müßten („The Kindness of Strangers“), dazu viel ( auch witziger) Dialog sowie als skurrile Einlage die Figur des kauzig-komischen Besitzers des Russen-Restaurants, in dem die Wege aller Personen sich kreuzen. Unterlegt mit rauschendem Geigensound.  Ein Film zum Wohlfühlen – trotz aller vorgeführten Mißstände,. Mainstream – so glatt wie solide.

 

GRACE A DIEU von Francois Ozon (Frankreich)***

Im Bistum Lyon soll der französische Priester Bernard Preynat, der auch die dortigen Pfadfinder betreute, Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre etwa 70 Jungen sexuell mißbrauchct haben. Obwohl Eltern wie Kirchenleute davon wußten (oder ahnten) wurde geschwiegen. Bis 2016 einige der inzwischen erwachsenen und verheirateten  Männer sich zusammen taten und die Gruppe „La Parole Liberèe“  gründeten. Ziel war die juristische Anklage (trotz Verjährung) gegen Preynat und den ihn deckenden Kardinal Philippe Barbarin. Der Prozeß soll in diesem Frühjahr 2019 mit einem Urteil zu Ende gehen. Francois Ozon ist durchs Internet auf die Lyoner Opfergruppe aufmerksam geworden, hat sich mit den Mitgliedern unterhalten und dann daraus einen Film entwickelt. In Spielszenen wird das Schicksal dreier dieser Männer nacherzählt, ihre seelische Verwundung und deren Auswirkung auf ihr späteres Leben und das ihrer (teils mitwissenden) Eltern, Ehefrauen oder Kinder. Ozons Film richtet sich nicht gegen den Glauben, aber gegen die die Katholische Kirche, gegen ihr Wegschauen, Verleugnen und Vertuschen. Ozon konzentriert sich sich allein auf die Opfer. Dabei neigt der Film zu ausführlichen Worten (meist aus den Off vorgelesenen Brief-Dokumenten) und inhaltlichen Wiederholungen. Dennoch besitzt der halb-dokumentarische Spielfilm eine starke Ausstrahlung.

 

DER GOLDENE HANDSCHUH von Fatih Akin (Deutschland)*

Verfilmung des Bestseller-Romans  von Heinz Strunk über die bekannt-berüchtigte Hamburger Hafen-Kneipe und über den dort verkehrenden vierfachen Frauenmörder Fritz Honka bis zu dessen Verhaftung 1975. Der Film spielt fast ausschließlich zum Einen  in dieser Kaschemme, die von alten Säufern und heruntergekommenen Wracks beiderlei Geschlechts bevölkert wird, und zum Anderen  in der schäbigen Dachwohnung Honkas, wohin er seine meist älteren Frauen abschleppt. tötet und ihre Leichen zersägt. Wohl um allem Pitoresken dieses Milieus zu entgehem, zeigt Akin alles Schreckliche und Häßliche besonders drastisch und übertriben, bis fast ins Grot. Die Maskenbildner haben ganze Arbeit geleistet, um die Gesichter und Körper der Darsteller zu verunstalten, die Schauspieler selbst  müssen betont ordinär srechen und den mimischen Ausdruck bis ins  Karikaturistische (Monster-Klischee!)  steigern. Aikin will in seinem Film  das Phänomen der Gewalt  in iihrer schlimmsten Form und ungeschönt zeigen, Doch er vermag nur Scheuslichkeiten in Pappkulissen und Kunstblut zu präsentieren, erhellend ist dieser „Goldenen Handschuh“ kaum.

KIZ KARDESLER (A Tale of Three Sisters) von Emin Alper (Türkei)*

Drama um drei Schwestern in einem abgelegenen Bergdorf in Anatolien. Alle drei Töchter wurden von den armen Eltern in die Stadt geschickt, um dort zu arbeiten und ein besseres Leben zu führen.  Aber alle drei kehren aus unterschiedlichen Gründen zum streng konservativen Vater zurück. Die älteste wurde von ihrem Arbeitgeber geschwängert und darum mit dem Dorftrottel, einem Schafhirten, verheiratet, Die mittlere Tocher bekam Alpträume und wurde krank, die jüngste von ihrem Arbeitgeber entlassen. Diese Schicksale werden in überlangen Dialogen in der schlichten, väterlichen Hütte oder gelegentlich vor gewaltiger Bergkulisse ausführlichst erzählt, zu Beginn des Films im Sommer, zum Schuß im nebligen Winter. Erstaunlich: die drei Töchter – untereinander verzankt – fügen sich bereutwillig der alten Herrschafts-Tradition und der Film schildert diese gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse fast ohne Kritik. Ziemlich langweilig.

 

L’ADIEU À LA NUIT von André Téchiné (Frankreich)****  – außer Konkurrenz –

Muriel (Cathérine Deneuve) betreibt in Südfrankreich eine Obstplantage und einen Reiterhof. Ihr Enkel Alex (Kacey Mottet Klein), den sie großgezogen hat, kommt zu Besuch, um sich zu verabschieden, da er zusammen mit seiner Freundin Leila (Oulaya  Amamra), Pflegerin im nahen Altersheim, für längere Zeit nach Kanada reisen will. Doch bald entdeckt Muriel, daß Alex zum Islam kovertiert ist und nicht nach Kanada, sondern nach Syrien ausreisen will. Sie versucht, ihn daran zu hindern, sperrt ihn im Pferdestall ein, bittet einen zurückgekehrten Dschihadisten auf den Hof, um ihn aufzuklären:: vergeblich!  Schließlich wendet sie sich an die Polizei, die Alex in letzter Minute im Reisebus  an der Landesgrenze zu Spanien verhaftet und ihn – erklärt der Beamte der verzweifelten Muriel  – vor Gericht stellen wird.

Der 75-jährige André Téchiné  hat mit seiner großen Kino-Erfahrung einen sehr spannenden, klug gebauten und sinnlich ansprechenden Film gedreht – ohne jeden moralischen Zeigefinger, aber mit dem Erstaunen des Älteren über den Fanatismus der jugen Generation. Hervorragend unterstützt durch ein überzeugendes Darsteller-Ensemble – allen voran die älter und fraulicher gewordene Cathérine Deneuve als nüchterne, aber sehr menschlich handelnde Geschäftsfrau und Obst-Plantagen-Betreiberin (der Film spielt an 5 Tagen zur Baumblüthenzeit)) und Kacey Mottet Klein („Mit siebzehn…“) als energie-geladener, aber verbohrter Enkel Alex, der auch nach  Verhaftung und Verurteilung seine Überzeugung wohl nicht aufgibt… Konventionel in seiner Erzählweise, aber ansprechendes französisches Kino – ielegant und intelligent.

 

VARDA PAR AGNÈS     Dokumentarfilm (Frankreich)****

9o Jahre ist sie alt, die berühmte französische Regisseurin Agnès Varda. Vergnügt sitzt sie in ihrem Regiestuhl und plaudert, mal vor großem Publikum in der Pariser Oper, mal in einem Kinosaal vor kleinem Kreis, mal spricht sie einfach direkt in die Kamera. Munter und ohne Unterbrechung erzählt sie über sich und ihre Arbeit, über ihre Nachbarn und Freunde, berühmte und wenig bekannte, wohltuend zurockhaltend über ihre engere Familie. Nicht chronologisch, sondern wie es ihr gerade in den Sinn kommt, berichtet sie über einige Filme, die sie gedreht hat, über „Cléo de 5 à 7“, dazu werden Ausschnitte vorgeführt und von ihr kommentiert, über „Le Bonheur“ oder – im Gespräch auf freier Wiese –  mit Sandrine Bonnaire über die Arbeit an „Vogelfrei“. Aber auch über gescheiterte Projekte wie zum 100jährigen Jubiläum der Französischen Republik.  Die stattliche und  gut gelaunte Regisseurin erinnert sich auch an ihre Lieblings-Strände in Frankreich, an die turbulenten Jahre, die sie mit ihrem Mann Jacques Demy in Los Angeles und Hollywood verbrachte, aber auch an ihre beruflichen Amfänge als Theater-Fotografin beim Festival d´ Avignon Anfang der 50er Jahre, und an die späteren Arbeiten der bildenden Künstlerin, als sieauf der Biennale in Venedig bewegte Bilder von herzförmigen Kartoffeln austellte. Ein bißchen lang ist die filmische Plauderei zwar ausgefallen, aber die alte Dame erzählt ihre Geschichten mit soviel freundlichem Charme und auch trockenem Witz und weiß dies überzeugend mit passenden Bildern zu illustrieren, daß die 115 Minuten Länge „wie im Flug“ vergehen.

 

YA MIAO ZHONG (One Second) von Zhang Yimou (China)

Der neue Film des berühmten chinesischen Regisseurs  Zhang Yimou, der eine Episode aus der Zeit der Kulturrevolution erzählen soll, wurde während des laufenden Wettbewerbs durch Peking zurückgezogen, angeblich wegen technischer Probleme bei der Postproduktion (?). Die Berliner Festspielleitung präsentierte in der angesetzten Vorstellung im Berlinale Palast und den ersten Wiederholungen im Friedrichstadtpalast sattdessen  (außerhalb des Wettbewerbs)  einen älteren Film des Regisseurs : „HERO“  aus dem Jahr 2003. Einen Historien-Schinken aus der Zeit, als China noch aus unterschiedlichen Königsreichen bestand und deshalb um deren Vereinigung gekämpft wurde. Massenszenen von reitenden Kriegern und virtuose Schwertduelle, bei denen die Kämpfenden anmutig duch die Luft fliegen, bilden den Mittelpunkt des ganz auf Schauwerte reduzierten Farb-Spektakels. Trotz üppiger Ausstattung, raffinierten Bildern und kunstvoller Cadrierung – wirkt der Film heute ziemlich fade und langweilig.

 

LA PARANZA DEI BAMBINI  von Claudio Giovannesi (Italien)**

Der Film beschreibt wie eine Gruppe neapolitanischer Jugendlicher sich in die Machenschaften krimineller Banden verstricken, bzw. sich verstricken lassen. Im Mittelpunkt steht der 15jährige Nicola, der zunächst beobachtet, wie seine Mutter, die einen kleinen Geschäftsstand betreibt, Schutzgeld zahlen muß. Um sie davon zu befreien, läßt er sich mit den Erpressern ein. Als Gegenleistung verlangen diese zunächst kleine Hilfdienste wie Drogen an Klienten zu übergeben oder selbst Schutzgelder einzukassieren. Gekötert mit Geld für neue Klamotten oder teure Disco-Besuche,, geraten Nicola und seine Freunde immer enger in die Kreise mafiöser Verbrechen, das Ende bleibt offen… Die Vorlage ist ein Roman des bekannten (und unter Polizeischutz lebenden) Journalisten Roberto Saviano („Gomorrah“), der auch das – mit einem silbernen Bären ausgezeichnete – Drehbuch zu diesem Film schrieb.  Doch Regisseur Claudio Giovannesi überdeckt die radikal-gezeichnete Realität mit den spektakulären Mitteln des üblichen Gangster-Thrillers: oppulente Breitwand-Bilder, rasche Schnitte, pitoreske Kulisse (Neapel zu jeder Jahreszeit!), gut aussehende Darsteller-Typen, rasantes Tempo. Statt kritischer Zustandsbeschreibung – ein durchschnittlicher, wenn auch effektvoller Unterhaltungs-Krimi.

 

 

 

Murx den Belcanto: ‚La Sonnambula‘ in der Deutschen Oper Berlin****

8. Februar 20198. Februar 2019Allgemein

Ort und Zeit der Handlung von Vincenzo Bellini’s „Schlafwandlerin“ (UA: Mailand, 1831) sind ein Dorf in der Schweiz im frühen 19.Jahrhundert. Doch die Neu-Produktion der Deutschen Oper Berlin überträgt die italienische Belcanto-Oper in die Gegenwart. Die szenische Gestaltung ist aus Stuttgart übernommen, erdacht und erarbeitet vom damaligen Intendanten Jossi Wieler und seinem Dramaturgen Sergio Morabito und dort  2012 zur  „Aufführung des Jahres“ gekürt. Für die Bühnenbild und Kostüme war und ist Anna Viebrock zuständig – und prompt scheint die gesamte, dreistündige Aufführung einem von Christoph Marthaler gestalteten Abend zu gleichen. Das somnambule Verwechslungsspiel ereignet sich in einem traditionell-eingerichteten Gasthaus von heute, vorwiegend in einem großen Saal mit gewölbter Verputzdecke, hölzernen Wand-Panelen, auf- und zuklappbaren Tischen und Bänken. Meist gefüllt von braven, gut gekleideten Bürgern, die gerne ihrer Sangeslust in kräftigen Chören frönen. So auch bei der anstehenden Hochzeit zwischen der hübschen Dorf-Waise Amina und dem reichen Landwirt Elvino. Immer misstrauisch beobachtet von der blond-eleganten Wirtin Lisa, die sich selbst Hoffnungen auf den selbstbewußten Bräutigam gemacht hat.  Eine turbulente Komödie beginnt – zwischen Hyperrealismus und Groteske, zwischen dörflichem Biedersinn und anrührender Menschlichkeit. Und doch scheinen sich hinter der fröhlichen Gemütlichkeit immer wieder dunkle Geheimnisse oder rätselhafte Untiefen zu verbergen. Natürlich gibt’s in diesem dickwandigen Wirtshaussaal und dieser eng-verschworenen Bürger-Gemeinschaft kein Happy End, sondern am Schluß  bleiben neben dem großen Blutfleck auf Aminas Nacht-Hemd nur verwirrte Gemüter und offene Fragen übrig – ein kritisch-schöner Kontrast zu den laut-schallenden Jubel-Klängen von Bellinis wunderbarer, sanglicher Musik.

Mit viel Verve verkörpern die Sänger des (wohlklingenden) Chors, die hier sehr individuell gekleidet sind und auch so agieren dürfen, ebenso wie die Darsteller der Nebenfiguren ihre oft schrulligen Rollen. Helene Schneidermann wuselt mit großer Handtasche als Aminas Mutter beflissen-besorgt zwischen Tischen und Bänken umher, Ante Jerkunica spielt mit prachtvollem Baß den nicht ganz uneigennützigen Strippenzieher der Geschichte, Alexandra Hutton als Wirtin Lisa versteckt mit geläufiger Gurgel fast zu geschickt ihre Eifersucht hinter cooler Lässigkeit.

Auch die beiden Gast-Solisten fügen sich singend und spielend bestens in die – für sie sicherlich ungewohnte – Darstellungsweise ein: Die russische Sopranistin Venera Gimadieva gewinnt mit mädchenhafter Anmut und leichten Koloraturen das Herz ihres geliebten Elvino, den der kurzfristig eingesprungene Mexikaner Jesus Leon mit tempramentvollem Spiel und und sehr hellen, etwas flachem Tenor verkörpert.

Als Dirigent debütiert ein zweiter kurzfristiger Einspringer. Stephan Zillas. Er beginnt etwas zögerlich, doch dann gelingt es ihm, Bellinis ausladenden Belcanto zu ebenso schönem.wie dramatischen Klang zu verdichten. Großer Applaus.

Premiere: 26.Januar 2019

Kino & Theater Februar 2019

5. Februar 201926. Februar 2019Allgemein

Green Book*** / Die Zauberflöte* / Vic*** / Can You Ever Forgive Me ?****

 

GREEN BOOK  von Peter Farrelly / USA 2018 ***

Tony „The Lip“ ist ein momentan arbeitsloser Nachtclub-Türsteher im New York von 1962, ein typischer Proll und Italo-Amerikaner. mit rauer Schnauze und schnellen Fäusten. Da er ständig Geld für seine Familie braucht, läßt er sich als Fahrer des hochnäsig-vornehmen, schwarzen Pianisten Dr.Don Shirley anheuern: für eine achrwöchige Tournee durch die amerikanischen Südstatten. Das kleine „Grüne Buch“ soll ihm helfen, passende Ünterkünfte zu finden, vor allem solche, in denen auch Schwarze willkommen sind.  Obwohl der Pianist hauptsächlich vor einm reichen, weißen Publikum  – ob in deren Herrenhäsern oder im Konzertsaal – gastiert, und zwar immer erfolgreich. Auch wenn er gelegentlich sich selbst fragt, warum der deses Spiel mitmacht.

Der Regisseur Peter Farrelly, der auch das Drehbuch mitgestaltete, vereint in diesem gefälligen „Wohlfühl-Film“ die bekannte Geschichte von zwei gegensätzlichen Typen, die zu „besten Freunden“ werden vor dem Hintergrund der – vor allem iin den Südstaaten – besonders ausgepägten Rassentrennung. Ein flott inszenierter und von Viggo Mortensen (Tony) und Mahershala Ali (Don) hervorragend gespieltes „Road-Movie“, das jedoch in jeder Episode vorhersehbar und wenig überraschend ausfällt. Gut gemeint, doch bleibt „Green Book“ in jeder Beziehung in den bekannten Film-Klischees stecken, ob in der „Buddy“-Beziehung oder in der Darstellung des Rassismus.in den USA. Die nach wie vor böse Realität der Rassentrennung und ihrer schlimmen Auswirkung auf die Gesellschaft verschwimmt in einer zwar effektvollen, aber „romantisierten“ Komödie im Unterhaltungs-Stil von Hollywood.

Seit dem 31.Januar 2019 in den deutschen Kinos

 

DIE ZAUBERFLÖTE (NEU) in der Staatsoper Unter den Linden*

Theater auf dem Theater: Pamina und Tamino sind lebendige Marionetten, in roten Lackstiefelchen und schwarzen Slips. Wie auch Papageno, die Königin der Nacht oder Sarastro hängen sie sichtbar an langen Strippen aus dem Bühnenhimmel, mal fliegen sie ganz hoch, mal schweben sie knapp über dem Boden, immer heftig mit den Armewn rudernd oder zappelnd. Und das vor vielen farbig bemalten Prospekten oder Requisiten, Teils ganz abstarkt, teils kindlich realistisch. Drahtzieher im wörtlichen Sinn sind – wie es sich dann im Schlußbild erweist – die drei kurzbehosten Knaben, die mit schelmischer Lust die Puppen tanzen lassen.

Doch Mozarts Musik erzählt von echten Menschen, von ihren Gefühlen, ihren Ideen. Da jedoch die eingesprungene Dirigentin Alondra de la Parra viel Mühe hat, Orchester und die unterschiedlichen Aktionen auf der Bühne zu koordinieren, wird der menschliche Mozart von den hölzernen Marionetten tolpatschig überspielt. Auch die Sänger bleiben so verpuppt im Mittelmaß:  Julien Pregardien  mit hellem Tamino-Tenor, Serena Sáenz Molinero aus dem Opernstudio und ebenfalls eingesrungen  als Pamina, die Finnin Tuuli Takala als koloratursichere Königin der Nacht, Kwangchul Youn mit etwas orgelndem Baß als Sarastro. Auc die drei Damen schweben eng aneinander gebunden und wenig harmonisierend an langen Strippen durch die Lüfte. Die hübsche, alte Idee, die Rolle des Papageno einem Schauspieler anzuvertrauen, macht diesmal kaum Effekt, was nicht am agilen Wiener Schauspieler Florian Teichtmeister lag, sondern an der insgesamt uninspirierten Regie des Amerikaner Yuval Sharon, der in Mozarts vielschichtiger „Zauberflöte“ nur knallig.buntes Puppentheater entdeckte.  Glücklicherweise hat die Staatsoper ihre „alte“ Zauberflöte mit den Schinkel-Bühnenbildern aufbewahrt: ab 26.April kann sie wieder besichtigt werden.

Premiere: 17.Februar 2019

 

VICE – DER ZWEITE MANN  / von Adam McKay (USA 2018)***

Polit-Satire über die amerikanische Politik der letzten Jahrzehnte, brilliant bebildert als furioses Bio-Pic des Politikers Richard Bruce Cheney. genannt „Dick“. Cheney (intensiv: Christian Bale), angetrieben von seiner resoluten Frau Lynne (Amy Adams), beginnt seine politische Karriere als Assistent bei Donald Rumsfield (Steve Carell), wird Mitglied der Republikaner und Stabschef im Wei0en Haus unter Bush Senior und später – nach seiner Entlassung in den Ruhestand – von Bush Sohn (Sam Rockwell) als Vize-Präsident in die Politik zurückgeholt. Cheney, aus Wyoming stammend, entpuppt sich als äußerlich ruhiger, scheinbar zurückhaltender, in Wirklichkeit jedoch skupelloser Strippenzieher, der einem schwächlichen Präsidenten Bush sowohl die strengen Sicherheitsgesetze nach 9/11 wie auch den Irak-Krieg mit falschen Gründen  einredet. Und der geschickt den Vermögenden und den großen Wirtschaftsbossen die Türen in Washington zu beiderseitigem Vorteil öffnet. Privat ist er seinen beiden Töchter ein liebender Vater, aber auch ein von vielen Herzinfarkten geplagter Mann.

Regisseur und Drebuchautor entfesseln einen 130-minütigen, temporeichen Bilderstrom, in dem sich Wahres und Vermutetes, Verzerrtes und Übersteigertes, finstere Komödie und  schrilles Drama, Karikatur und Satire einfallsreich und virtuos mischen, in der die Bilder wie Gedankensplitter mal vor, mal zurückspringen, Anspielungen im Wort einer Erzählerstimme, in Schrift und Ton mit zynischer Blödelei und bösem Witz gespickt sind. Dokumentaraufnahmen wechsel oft blitzschneell mit Fakes, fügen sich zum spektakulär-rassanten Szenen-Kaleidoskop, Für nicht mit der amerkanischen Innenpolitik vertrauten Zuschauern gelegentlich in Einzelheiten schwierig zu verstehen. Auch werden Charakter- und Milieu-Zeichnung gelegentlich so stark übertrieben, daß der satirische Stachel stumpf wird und ins Leere driftet. Am Schluß – nach den ersten Abspanntiteln – plötzlich noch ein kurzes Nachspiel:  zwei Männer im handgreiflichen Streit über die Politik des gegenwärtigen Präsidenten Donald Trump. Der wohl auch der Grund war, den fast vergessenen Republikaner Dick Cheney so grell und polemisch ins heutige Kino zu hieven.

Seit dem 21.Februar 2019 in deutschen Kinos

 

CAN YOU EVER FORGIVE ME ?  von Marielle Heller (USA 2018)****

Lee Israel (1939 – 2014) war eine New Yorker Journalistin und Autorin, die in den 1960er und 1970er Jahren mit großen Reportagen und Biografien prominenter Zeitgenossen viel Erfolg hatte. „Can you ever forgive me“ ist der Titel ihrer Memoiren und zugleich ein Zitat der von ihr porträtierten Schriftstellerin Dorothy Parker. Doch der von der amerikanischen Regisseurin Marielle Heller gedrehte Film zeigt Lee Israel im Alter von 51 Jahren, als ihr einstiger Ruhm schon verblasst ist. Sie haust einsam mit ihrer alten Katze in einem schmuddeligen Appartement in Manhattan, bleibt die Miete schuldig, ersucht vergeblich ihre Agentin um einen Vorschuß, betäubt ihr Elend mit viel Wisky. In ihrer Not verkauft sie einen alten Dankesbrief von Katherine Hepburn für deren Biografie, entdeckt dabei, daß es finanzstarke Sammler, Käufer und Antiquare für solche Schrftstücke gibt. Kurz entschlossen fingiert sie auf alten Schreibmaschinen und angegilbten Papier solche „privaten“  Brief verstorbener Literaten oder Schauspieler. Verkauft sie mit Hilfe ihres alternden, schwulen Trinkerfreundes Jack, bis der dollarträchtige Handel auffliegt und Lee zu einer langer Bewährungsstrafe verurteilt wird.

Mit viel Gespür für die Atmosphäre der frühen 90er Jahre in Manhattan, als solche Loser wie Lee Israel und ihr Freund Jack dort leben und überleben konnten, erzählt Regisseurin Mareille Heller die ebenso bittere wie komische Hochstabler-Geschichte im Milieu der New Yorker Bibliotheken, Buch-Verlagen und Antiquariaten. Getragen wird der Film von der bewegenden und nuancenreichen Verkörperung der Lee Israel durch Melissa McCarthy: eine kompakte, ältere Frau, eher schäbig gekleidet, eine Einzelgängerin mit frechem Mundwerk, aber auf ihre ruppig-abweisende Art anderen Einzelgängern wie ihrem schwulen Trink-Kumpan Jack durchaus zugetan, ebenso  selbstbewußt wie clever, im Grund nicht ganz unfreiwillig einsam und heruntergekommen. Richard E.Grant ist als alternder egozentrischer Schwuler und Säufer ihr ein ebenbürtiger Partner. Ein sehr fein zwischen alltäglicher Komik und lbitterer Melancholie austarierter Film über zwei eigentlich unsympathische Personen, die jedoch  in ihrer verborgenen, stillen Menschlichkeit symphatisch werden.

In den deutschen Kinos seit dem 21.Febr. 2019

Gefällige Routine: ‚La Bohème‘ in der Komischen Oper***

3. Februar 20193. Februar 2019Allgemein

Die Erwartungen waren hoch – doch statt eines großen Wurfs gelingt Barrie Kosky und seinem Team nur eine mittelprächtige Inszenierung von Puccinis populärem Meisterwerk „La Bohème“ (1896). Sein Stil: konventionell erzählt, knappe Ausstattung, Konzentration auf stark bewegliche Personenführung. Die große Bühne ist von Anfang an offen und leer. Eine kleine erhöhte Spielfläche an der Rampe, darauf ein schmaler Röhren-Ofen, dient als Dachkammer der Bohèmiens, rasch hereingeschobene Tische, Stühle und Straßenlampen deuten das Café Momus und den Boulevard an, ein altes SchwarzWeiß-Foto einer Hauswand wird zum grau-projezierten Hintergrund der Abschieds-Szene am Pariser Stadtrand. Dazu Kostüme mit viel Karo-Musttern, die Schnitte von Vorgestern mit Heute kombinieren. Wild toben die vier Bohème-Künstler auf ihrer winzigen Dachkammerfläche, turbulent wuselt die Pariser Halbwelt-Gesellschaft auf der Drehbühne des Cafè Momus, einsam verlieren sich Mimi und Rudolfo an der neblig-grauen Stadtgrenze. Am Ende stirbt Mimi ganz einsam in der Dachkammer, nachdem alle sie verlassen haben – hier erreicht die Aufführung ihren emotionalen Höhepunkt – auch dank der berührenden Darstellung von Nadja Mchantaf als mädchenhaft-schlichte, lebenslustige Mimi. Im Gegensatz zu ihr agieren die vier  Bohémiens auf Hochtouren, sie turnen und chargieren, was das Zeug hält – auch musikalisch. Gerard Schneider setzt als Rudolfo mit kräftigem Tenor auf Lautstärke, ebenso der wendige Bariton Günter Papendell als Marcello, der in dieser Inszenierung vom Kunst-Maler zu Fotografen samt altertümlicher Großbildkamera mutiert, sowie Philipp Meierhöfer als philosophierender Colline und Daniel Foki in der Rolle des Musikers Schaunard. Als kapriziöse Musette zeigt Vera-Lotte Böcker zwar hübsche Kleider, aber wenig Profil. Bewährt in Spiel und Gesang sind dagegen die kurzen Auftritte von Chor- und Kinder-Chor. Am Dirigenten-Pult: der 1.Kapellmeister des Hauses Jordan de Souza. Er betont die Farbigkeit der von Debussy und Massenet beeinflussten Musik Puccinis, sorgt für kräftige Akzente im dramatischen Fluss und setzt auf präzisen Orchesterklang. Problematisch aber bleibt die Balnce zwischen Bühne und Orchestergraben – statt dynamisch abgestuft zu differenzieren, übertrumpfen sich Sänger und Orchester oft in unerträglicher Lautstärke. Hier müßte (und kann) nachgebessert werden.

Kein verlorener Abend, aber gemessen an anderen Regie-Arbeiten beweist Barrie Kosky mit dieser „Bohéme“, daß auch ein Spitzen-Mann gelegentlich nur mit Wasser kocht…

 

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