Rainer Allgaier

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Monat: Oktober 2011

Sein oder Schein: ‚Die Liebesfälscher‘ von Abbas Kiarostami ****

28. Oktober 2011FilmkritikenNo Comments

Ein englischer Autor namens James Miller stellt sein neues Buch im italienischen Arezzo vor. Es geht darin um Kunst, genauer um die Bedeutung eines Original-Kunstwerkes im Verhältnis zu seiner Kopie. (Der Titel dieses Buches ist auch der Originaltitel des Films: „Copie conforme“). Unter den Zuhörern fällt besonders eine junge Frau auf, eine Französin , die einen kleinen Antiquitätenhandel im Ort betreibt und die den gutaussehenden, graumelierten Autor am nächsten Tag zunächst in ihr Geschäft einläd und dann (auf seinen Wunsch hin) einen Auto-Ausflug mit ihm unternimmt, um unter anderem über sein Buch und dessen Thesen zu diskutieren. Sie fahren durch die stahlende Frühlingslandschaft der Toscana zu einem pitoresken Ort, der besonders von Hochzeitspaaren aufgesucht wird, die sich dort trauen und unter einem traditionellen Kunst-Baum fotografieren lassen. Die beiden plaudern auf der Fahrt und bei Spaziergängen durch den Ort leicht und locker – in englicher Sprache – über Kunst, Natur und Leben, doch allmählich werden die eher unverbindlichen Gesprächen im Ton schärfer und persönlicher, es geht nun um Beziehungen, Liebe, Gefühle und deren Verletzung – und plötzlich scheinen die beiden ein altes Ehepaar zu sein, das sich getrennt hat und nun womöglich einen neuen Versuch, zusammen zu leben, starten will. Dabei ist die Frau die Hoffende und Treibende, der Mann bleibt nüchtern und abwartend. Aber:  ist das nicht nur ein Spiel, das die beiden – nun auch öfters ins Französische wechselnd – mit einander treiben? Etwa, weil die italienische Wirtin, bei der Kaffee tranken, sie für ein Paar hielt?  Wird hier ein grausames Spiel mit echten oder falschen Gefühlen getrieben oder machen sich nur zwei Intellektuelle über Schein und Sein, Wahrheit und Realität lustig?  Das Ende bleibt offen, das Rätsel nicht gelöst.
Was als heiter-romantischer Liebesfilm beginnt, wird zunehmend zwiespältiger, doppeldeutiger ohne etwas von seiner filmischen Leichtigkeit und Eleganz zu verlieren. Die schöne Oberfläche gewinnt so ganz langsam Tiefe, lässt Melancholie über Vergängliches einfliessen, lässt Sehnsucht nach verlässlichen Werten, nach Wahrheit durchschimmern oder ahnen – doch nie verstrickt sich der Film dabei in philosophische oder moralischen Thesen, sondern seine Geschichte und seine Figuren bleiben immer real, eingebunden im alltäglich-normalen Leben (Hochzeitspaare, Touristen!), geerdet im schönen Umfeld der Toscana.
Dem iranischen Regisseur Abbas Kiarostami ist ein kleines Meisterwerk gelungen – ein Film in der Tradition des grossen französisch-italienischen Kinos, Rossellinis „Viaggio in Italia“ dürfte unter anderem eines der Vorbilder gewesen sein.
Die französische Schauspielerin Juliette Binoche und der englische Opernsänger William Shimell verkörpern das gegensätzliche Paar mit grösster Natürlichkeit: sie, charmant und herzlich, aber etwas nervös, immer offen für Unerwartetes oder hoffend auf Unerhörtes, er dagegen meist nüchtern, trocken im Ton, dem Realen zugeneigt, alles Romantische bewusst negierend. Geschickt setzt Kiarostami die verschiedenen Sprachen der Handelnden (englisch, französisch, italienisch) zur Charakterisierung der Personen ein – aber die Sprache dient hier auch ironisch zur Verhüllung von Sein oder dem Entlarven von Schein, wenn beispielsweise der Autor die italienische Wirtin glauben lässt, er verstünde ihre Sprache nicht, aber dadurch genau mitbekommt, was sie über ihn sagt.
Original oder Kopie, Kunst und Leben, Täuschung oder Wahrheit, Ein- und Vieldeutigkeit –
ein Film voller Rätsel –
Rätsel, die ihr Geheimnis auf elegante und anregende Weise bewahren.

Foto/Poster: Alamode Film

zu sehen:Hackesche Höfe Kino (OmU); fsk (OmU), Cinema Paris; Capitol; Eva-Lichtspiele; Filmtheater am Friedrichshain; Passage Neukölln

Star-Vehikel: ‚Don Carlo‘ in der Deutschen Oper ***

27. Oktober 2011TheaterkritikenNo Comments

Verdis fünf-aktige ‚grande opera‘ nach Schillers Drama wurde 1867 in französischer Sprache in Paris uraufgeführt, danach arbeitete der Komponist das Werk mehrfach um, unter anderem zu einer vieraktigen, italienisch gesungenen Fassung für die Mailänder Scala. In dieser Bearbeitung, die heute von fast allen Bühnen der Welt benutzt wird, inszeniert jetzt der Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli das Drama um den spanischen Infanten als opulenten Bilderbogen. Klobig-graue Wände drehen, öffnen oder verschieben sich zu diversen, kahlen Räumen, und zwar so, dass immer Schlitze freibleiben und – vor den hell-farbigen Hinterwänden -  ein grosses Licht-Kreuz bilden. In diesem abstrakten Umfeld arrangiert der Regisseur die vielfältigen Auftritte und Abgänge der in zeitlose Kostüme gekleideten Personen. Er durchwirkt die verbotene Liebesgeschichte zwischen Carlos und seiner Stiefmutter mit symbolisch aufgeladenen Requisiten wie dem weissen Schleier Elisabeths, der im Laufe der Handlung durch die Hände aller Personen wandert, oder er lässt die flandrischen Deputierten als effektvollen Schluss kurzerhand erschiessen. Doch eine Interpretation des politischen wie familiären Geschehens bleibt ebenso vage und oberflächlich wie die schematische und klischeehafte Charakterisierung der Personen. Vorteil dieses mehr oder weniger konventionell-gefälligen Arrangements: Musik und Gesang beherrschen die Szene – die somit auch offen und kompatibel für reisende Sänger-Stars in kommenden Vorstellungen ist:  eine kurze Einweisung des Abendregisseurs mag dann genügen.
Zum Triumph des Abends wird deshalb (in der gegenwärtigen Aufführungs-Serie) die gut zusammengestellte Besetzung aus internationalen Gästen in den Haupt-, und Mitgliedern des Haus-Ensembles in den Neben-Rollen.
Generalmusikdirektor Donald Runnicles und sein Orchester erweisen sich als tüchtige Begleiter, sorgen für zügigen Ablauf, verzichten aber weitgehend auf eigene musikalische Akzente. Massimo Giordano ist ein spielfreudiger, jugendlich-temperamentvoller Don Carlos, schlank, gutaussehend, mit kräftig-flexiblem Tenor. Boaz Daniel ist sein ebenfalls sehr jugendlicher Freund Posa, mit schönem Bariton, aber als Pesönlichkeit recht steif und blass. Roberto Scandiuzzi überzeugt als König Philipp mit einem gut geführten, voluminösem Bass, in der Darstellung wirkt er aber eher müde und hölzern – seine grosse, elegische Arie (‚Ella giammai m’amo‘) erregt kaum irgenwelches Mitleiden. Voll präsent dagegen die rothaarige Eboli der Anna Smirnova: auch wenn sie sich darstellerisch aufs herkömmliche Klischee der Intrigantin in der grün-schillernden Seidenrobe konzentriert, stimmlich vermag ihr umfangreicher, voller Mezzosopran sehr viel plastischer und differenzierter die gespaltene Persönlichkeit der zwischen Stolz und Verzweiflung schwankenden Prinzessin zu verlebendigen (besonders in ihrer mit grossem Aplomb herausgeschleuderten, letzten  Arie: ‚O don fatale‘).  Frappierend ebenfalls: der fast stählerne Sopran der Venezuelanerin Lucrezia Garcia, die als Elisabeth für Anja Harteros kurzfristig in den ersten Vorstellungen einspringt – samtig-satt in der Tiefe, strahlend in der Höhe, geschmeidig und perlmutglänzend in den leisen Passagen.
Leider verhindert die matronenhafte Erscheinung der noch jungen Sängerin eine überzeugende Darstellung ihrer Figur, ebenso wie das bloss dekorative Arrangement des gesamten Abends – wohl unbeabsichtigt – bestätigt: Opas Oper lebt – den vielen ehrgeizigen (gelungenen wie misslungenen) Erneuerungsversuchen zum Trotz.

Foto:Barbara Aumüller/Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 29.Okt./02./09./12.November 2011

Dünn: ‚Die Haut, in der ich wohne‘ von Pedro Almodovar ***

21. Oktober 2011FilmkritikenNo Comments

Dr.Roberto Ledgard (Antonio Banderas) betreibt eine schicke, aber etwas dubiose Klinik für plastische Chirurgie auf einem prächtigen, altspanischen Landsitz – doch hält sich dort nur eine einzige Patientin auf: die junge, hübsche Vera (Elena Anaya) – eingesperrt in einem fast kahlen Zimmer und in einem fleischfarbenen Ganz-Körper-Body, von Videos überwacht. Ledgard, dessen luxuriöser Haushalt von seiner hexenhaften, strohblonden Mutter geleitet wird, forscht und experimentiert (medizin-ethisch ziemlich fragwürdig) mit menschlicher Haut. In verschachtelten Rückblenden und knappen Berichten, die aber immer nur neue Fragen aufwerfen, entüllt sich allmählich, dass Vera einst ein junger Mann war, der vor Jahren die Tochter Ledgards bei einer Sex-Party vergewaltigte (was zu deren Tod führte), und den Ledgard aus Rache umoperiert und dem Bild seiner verstorbenen Frau nachmodelliert hat. Doch langsam befreit sich Vera, die ihren Peiniger und „Schöpfer“ zu lieben scheint, aus dieser Abhängigkeit und wird nun ihrerseits zur todbringenden Rächerin.
Eine krude Mischung aus wissenschaftlicher Horror-Story und psychologischem Grusel-Thriller, aus pompösem Melodram und blankem Kitsch. Eigentlich die perfekte Mischung für einen Pedro Almodovar, aber leider bekommt er diesesmal die diversen Ideen und Geschichten nicht unter einen Hut :  der Film zeigt zwar immer wieder herrlich-grelle Bilder und Szenen, die sich aber nicht – wie in seinen Meisterwerken ( Volver; Sprich mit ihr; La mala eduction) – zur giftig-bösen Burleske steigern. Dennoch: effektvoll und souverän verwebt Almodovar die abstrusen Geschichten mit reichlich Zitaten und Anspielungen auf literarische und filmische Vorbilder (von Edgar Allen Poe bis Alfred Hitchcock), zeigt hinreissend mondäne Wohn-und OP-Räume, trumpft mit fantasievollen Kostümen und farbintensiven Requisiten auf – ob Haute Couture oder schrille Karnevalsmasken. Vor allem versteht er es, latent-erotischen Spannungen zwischen den Figuren und Geschlechtern vieldeutig schillern zu lassen: so beobachtet beispielsweise Ledgard sein fast nackt scheinendes Opfer Vera nur auf einem riesigen Video-Schirm vom Nebenzimmer aus – und entflieht allen ihren Annäherungen. Ist Vera nun ein Frau – oder ein Mann in fremder Haut?
Trotz solch gelungener Einzelheiten: als Ganzes bleibt der Film dünn-häutig und blutarm: die Geschichte schwebt wie in einem aseptisch-luftleeren Raum. Die sonst so agressiv-grelle Erdung an die reale (spanische) Umwelt oder Gesellschaft mit ihren vitalen Figuren, ihren Männern und Frauen am Randes des Nervenzusammenbruchs fehlt – was sicherlich auch zum Teil auf das Konto der überwiegend blass agierenden Darstellern gehen mag. Antonio Banderas gleicht einem attraktiven, männliches Model, das elegant zwischen Schöner-Wohnen-Ambiente und kaltem OP pendelt; Elena Anaya ist überwiegend die hübsche, junge Frau, zeigt aber kaum Charakter;  und die in Spanien populäre Marisa Paredes chargiert gekonnt aber vorhersehbar als hexenhafte Mutter und devote Haushälterin.
Statt einer grellen, bös-agressiven Satire, diesmal ein halb-trockener Kessel Buntes alter Almodovar-Einfälle – hübsch, aber ohne Biss.

Foto/Poster: Tobis Filmverleih

zu sehen: Hackesche Höfe Kino (OmU); Neues Off (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; Filmtheater am Friedrichshain; Neue Kant Kinos; Kulturbrauerei; Yorck; Thalia Potsdam

Sterben in Schönheit: ‚Melancholia‘ von Lars von Trier ****

8. Oktober 2011FilmkritikenNo Comments

Ein Weltuntergangs-Märchen in schwelgerischen Filmbildern. Zuerst ein knapp 10-minütiger Prolog: in einem düsteren Park verharkt sich die weisse Schleppe einer Braut in seltsamen Fäden und Baum-Geäst, eine andere Frau mit Kind auf dem Arm versinkt beim Fliehen anscheinend im Morast, tote Vögel fallen vom dämmrigen Himmel, ein Pferd stürzt, ein schnell sich nähernder riesiger, blauer Planet prallt auf die Erde – kurze, surreale Szenen, unterlegt mit Richard Wagners „Tristan“-Vorspiel.
Danach beginnt erst die eigentliche Geschichte, unterteilt in zwei grosse Abschnitte. Der erste zeigt – mit ruhiger Handkamera gefilmt – eine pompöse Hochzeitsfeier, die Claire (Charlotte Gainsbourg) für ihre -  in der Werbebranche tätige -  Schwester Justine (Kirsten Dunst) auf einem herrschaftlichen Landsitz am Meer ausrichtet. Claire bewohnt dieses schlossähnliche Gebäude mit Park und Pferdegestüt zusammen mit ihrem – wie sie sagt -  steinreichen Mann John (Kiefer Sutherland) und ihrem kleinen Sohn Leo. Viele Freunde und Familienmitglieder sind zur luxuriösen Party geladen, auch die geschiedenen Eltern der beiden Schwestern: die Mama, eine giftsprühende Hexe (Charlotte Rampling), der Vater, ein senil-lüsterner Greis (John Hurt). Je länger der Abend dauert, je mehr demaskiert sich die familiäre Gesellschaft. Justine, die Braut, wird von ihren Depressionen überwältigt, John schmeisst die Schwiegermutter raus, zwischen Justine und ihrem sich jovial gebenden, aber eiskalten Arbeitgeber kommt es zu beleidigenden Auseinandersetzungen, der etwas naive Bräutigam verpatzt seine Ansprache und wird noch in der Nacht von Justine zum Hahnrei gemacht.
Dieser turbulenten Hochzeitsnacht, einem sarkastisch-bösen Familien-Porträt mit unheimlichen Untertönen, folgt am kommenden Morgen ein schreckliches Erwachen: der Planet Melancholia nähert sich – entgegen allen wissenschaftlichen Beschwichtigungen – unaufhaltsam der Erde, droht sie zu zerstören. In diesem kammerspielartigen, zweiten Teil des Films geraten Claire und John in Panik – ebenso wie die Reitpferde im Stall und die gesamte Natur der umgebenden Landschaft : nur Justine erwacht aus ihrer Depression zu einer tranceähnlichen Ruhe und scheint den Planeten sowie das Ende der Erde geradezu herbeizusehnen. Sie errichtet aus Baumstämmen eine angedeutete Hütte, eine ‚Zauberhöhle‘ wie sie dem kleinen Leo versichert, und erwartet dort Hand in Hand mit Claire und dem Kind den alsbald erfolgenden Aufprall des Planeten: eine blitz-durchzuckte, fulminant gefilmte Apocalypse.
Lars von Trier, zugleich Drehbuch-Autor und Regisseur,  zeichnet auch in diesem Werk ein äusserst pessimistisches Welt- und Menschenbild. Männer sind wie in seinen meisten Filmen entweder brutale Kapitalisten oder naive Schwächlinge, seine Heldinnen sind immer Frauen: Björk als erblindende Arbeiterin (‚Dancing in the Dark‘), Nicole Kidmann als rächender Engel (‚Dogville‘) oder -  jetzt in ‚Melancholia‘ -  Kirsten Dunst als zunächst depressive, dann aber das Schicksal des Sterbens annehmende Justine. Doch seine Faszination gewinnt dieses dunkle Weltuntergangs-Szenario durch die Kraft und die Schönheit seiner Bilder: sowohl derjenigen, die die bürgerliche Familie als dekadent-fiese Gemeinschaft entlarven, sowie auch der, die ein melancholisches Ende dieser Gesellschaft voraussehen. Die berühmte, aber längst verblichene, dänische Dogma-Schule findet in dieser raffinierten und eleganten Inszenierung auf einer neuen Ebene starkes Pathos und grosse Intensität, die auch alle Unwahrscheinlichkeiten der ‚realistischen‘ Geschichte überspielen und aus einer sanften Grusel-Story eine in sich stimmige Film-Parabel werden lassen.
Ob das pessimistische Welt- wie Menschenbild des Lars von Trier, das ihr zu Grunde liegt, den Zuschauer anspricht und überzeugt, ist eine andere und offene Frage.

Foto/Poster: Concorde Filverleih GmbH

zu sehen: CineStra Sony Center (OV); Hackesche Höfe Kino (OmU); International (OmU und dt.Fassung); Odeon (OmU); Blauer Stern Pankow; Capitol; CinemaxX Potsdamer Platz; Delphi; Filmtheater am Friedrichshain; Kino in der Kulturbrauerei; Passage; Yorck

Vergebliches Warten: ‚Last Desire‘ in der Staatsoper im Schillertheater / Werkstatt ***

6. Oktober 2011TheaterkritikenNo Comments

Oscar Wilde’s „Salome“ verhackstückt. Ein Bass, ein Counter-Tenor und ein Knabe mit reinem Sopran warten auf Salome, singen einzelne Sätze des englichen Textes. Ein Bratschenspieler mischt sich ein, gelegentlich erklingen aus Lautsprechern – elektronisch verfremdet – unverständliche Stimmen. Nach einer knappen Stunde ist das Warten vorbei – Salome ist nicht erschienen.
Die erfolgreiche, italienische Komponistin Lucia Ronchetti (geb. 1963 in Rom) hat sich von der Dramaturgin Tina Hartmann den Text der Wilde’sche ‚Salome‘ neu zusammenstellen lassen: unter feministischem Blick. Nämlich dem auf die Männer, auf deren Sehnsucht, deren Furcht und Begehren nach der Frau ihrer Vorstellung, die es so gar nicht gibt und die deshalb auch nie erscheint.
Musikalisch konzentriert sich Lucia Ronchetti in dieser Salome-Paraphrase ganz auf die Ausdruckskraft der menschlichen Stimme, verzichtet auf ein Orchester:  in virtuosen Gesangs-Linien und hochartifiziellen Koloraturen umschreiben die drei männlichen Figuren ihre Erwartungen, Wünsche und Gefühle. Manchmal auch mit leicht sarkastischem Humor. Das einzige Instrument, die Bratsche, umspielt die Akrobatik der Stimmen und mischt sich mit ihnen mehrmals zu dramatischen Crescendi. (Musikalische Leitung im Hintergrund Harry Lyth).
 Ausgezeichnet der schlanke, rumänische Countertenor Valer Barna-Sabadus, der nicht nur als ‚junger Syrier‘ schmachtet, sondern auch noch die harsche ‚Herodias‘ hübsch karikiert. Der stattliche Markus Hollop verkörpert mit flexiblem und fülligem Bass-Bariton sowohl den Herodes wie den Jochanaan. Erstaunlich die Intonationssicherheit und die Reinheit des Knabensporans von Tim Fluch, als Theater-Figur (Page) bleibt er etwas blass. Der Japaner Yuta Nishyama geigt  temperamentvolle Tonkaskaden auf seiner Bratsche.
Leider fällt dem Regisseur Elmar Supp nicht viel mehr ein, als seine Sängerdarsteller und den Bratschisten auf einem langen, schmalen Podium zwischen den beiden Zuschauer-Tribünen hin- und her laufen zu lassen – sozusagen in ständiger Erwartungshaltung. Mal wird auf milchig-schmale Zwischenwände ein Bild projeziert, mal wird mit ein paar kahlen Holzköpfen gespielt, mehrmals rutscht dem Bass die Hose runter. Und der Bratschenspieler darf sich dazu ein silbernes Pailletten-Kleidchen überstreifen. Ob das humorvoll gemeint ist ?
So bleibt dieses ‚Last Desire‘ (UA: 2004 in Stuttgart) trotz origineller  musikalischer Struktur und trotz guter Interpreten als theatralische Darbietung ein ziemlich unerfülltes Begehren.

Foto:Thomas Bartilla/Staatsoper

nächste Vorstellungen: 7./9./12./13./15./22./23.Oktober 2011

Hochkarätig: ‚Aus einem Totenhaus‘ in der Staatsoper im Schillertheater *****

4. Oktober 2011TheaterkritikenNo Comments

Eine internationale Ko-Produktion – eine Inszenierung von Patrice Chereau, die 2007 unter der musikalischen Leitung von Pierre Boulez im Theater an der Wien ihre erfolgreiche Premiere feierte. Nach Aufführungen bei den Festivals in Amsterdam und Aix-en-Provence zog sie nach New York an die Met und nach Mailand an die Scala und eröffnet nun als letzte Station ihrer Reise die neue (zweite) Spielzeit der Staatsoper im Schillertheater (6 Aufführungen). Mit dem hauseigenen Chor, der Staatkapelle und einem Sänger-Ensemble -  gemischt aus einigen Berliner Solisten und solchen, die die Produktion bei den vorherigen Stationen begleitet haben. Neu in Berlin ist die musikalische Leitung durch Philharmoniker-Chef Simon Rattle.
Die Bühne zeigt einen engen Gefängnis-Hof umgrenzt von hohen Beton-Wänden; die ausschliesslich männlichen Gefangenen tragen abgewetzte Alltags-Kleidung von heute, das Wachpersonal schäbige Kaki-Uniformen. Chereau und seine Ausstatter (Bühnenbild: Richard Peduzzi, Kostüme: Caroline de Vivaise)  vermeiden weitgehend zeit- oder polit-historische Andeutungen, interpetieren das Geschehen vielmehr als allgemein menschliches, jederzeit anzutreffendes Verhalten. Gefängnis- und Lagerleben, gemein und brutal, aber in einzelnen Momenten auch von berührender Menschlichkeit.
Chereau choreographiert mit höchster Präzision den schrecklichen Alltag, zeigt die Eingesperrten beim Essen, beim Arbeiten oder – in einer grandios-grotesken Szene – beim Theaterspielen. Vor allem aber entwickelt er die einzelnen Charaktere mit schärfster, psychologischer Genauigkeit – wodurch die oft langen, monologischen Berichte einzelner Gefangener über ihr Leben und ihre Verbrechen zu spannenden und erschütternden Einblicken in menschliche Abgründe werden. Demgegenüber stehen bewegende Versuche, Freundschaften zu entwickeln oder sich selbst irgendwie aus innerer Verzweiflung zu befreien.
Simon Rattle lässt die dunkel-glühende Staatskapelle rauh, äusserst expressiv und schneidend scharf spielen, ohne dabei jemals die Sänger zu übertönen. Rattle ist das emotionale Pendant zur kalt-brutalen Szene Chereau’s, in der das Sänger- und Darsteller-Ensemble zu Hochform aufläuft. Ein Ensemble, in dem keiner sich als Star hervortut, obwohl alle bis in die kleinste Partie Stars sind. Willard White als geschundener Polit-Aktivist, Eric Stoklossa als junger Mörder, der das Lesen lernen will, Stefan Margita als Verbrecher unter falschem Namen, John Mark Ainsley als im Wahnsinn endender Mörder aus Leidenschaft – sie seien stellvertredend für die vielen anderen beeindruckenden Sänger und Schauspieler – auch der kleinen Rollen (rührend: Heinz Zednik) – genannt.
Leos Janacek’s letzte Oper „Aus einem Totenhaus“ (UA: 1930; Libretto vom Komponisten nach Dostojewski) ist ein selten gespieltes, das Publikum forderndes, sprödes Werk – in dieser szenisch wie musikalisch bewegenden Aufführung erweist es sich als grosses, zeitgenössisches Musiktheater.

Foto:Monika Rittershaus/Staatsoper im Schillertheater

nächste Vorstellungen: 6./ 9./ 11./ 14./ 17.Oktober 2011

Verwirrendes Parabel-Spiel: ‚Das schlaue Füchslein‘ in der Komischen Oper ***

3. Oktober 2011TheaterkritikenNo Comments

Leos Janacek’s späte Oper vom schlauen Füchslein (UA: Brünn 1924) zählt zu den den Ikonen in der Geschichte der Komischen Oper Berlin: Walter Felsensteins legendäre Inszenierung von 1956 gehört zu ihren erfolgreichsten Aufführungen und verhalf dem Berliner Haus und seinem langjährigen Gründer und Intendanten zu weltweitem Ruhm.
Jetzt hat zum Abschluss seiner Intendantenzeit der derzeitige Chef Andreas Homoki die vielschichtige Tier- und Menschen-Fabel erneut in der Komischen Oper in Szene gesetzt und zur Diskussion gestellt: in neuer deutscher Textfassung (Werner Hintze) und in neuer, heutiger Deutung und Ästhetik.
Leos Janacek (1854-1928), der das Libretto nach einem Zeitungs-Comic und dem danach verfassten Roman selbst schrieb, erzählt zum einen die Geschichte des jungen Füchsleins Spitzkopf, seiner Jugendstreiche, seiner Heirat, seinem eher zufälligen Tod (durch einen Landstreicher) und zeichnet parallel dazu das Porträt eines alten Försters, der sich melancholisch an seine Jugend und Ehe erinnert. Es ist der ewige Kreislauf des Lebens und der Natur, den Janacek szenisch und musikalisch schildert:  magisch, beschwörend, doch völlig unsentimental.
Andreas Homoki lässt die drei kurzen Akte (insgesamt 90 Minuten) pausenlos auf einer kreiselnden Drehbühne spielen: in den nüchtern-schönen Räumen eines böhmischen Wirtshauses mit Fensterblick in einen dunklen Wald und in Kostümen aus der Zeit vor dem 1.Weltkrieg. Wenn sich zu Beginn der alte Förster nächtlich in der Wirtsstube an seine Hochzeit erinnert, dreht sich der Raum nach links weg und man erblickt im anschliessenden Raum (der dem vorigen bis auf seine altertümliche Dekoration gleicht) pantomimisch diese erinnerte Hochzeits-Szene, die strahlende Braut, die lachenden, tanzenden Freunde und Gäste. So wechselt die gesamte Aufführung ständig zwischen den zeitlichen Ebenen, zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem. Und ähnlich verfährt Homoki auch mit der Sphäre der Tiere und der Menschen: Fuchs, Dackel, Iltis, Frosch, Hahn und Hühner tragen menschliche Kleidung, stülpen sich aber immer mal wieder die entsprechenden Tierkopf-Masken über oder nehmen sie ab – ohne dass richtig einsichtig wird, zu welchem Zeitpunkt sie als Tier oder Mensch agieren sollen. Und dass schon im zweiten Bild der alte Förster in der jungen Füchsin ohne Maske gleich seine verflossene Jugend-Liebe nacherleben muss, scheint dann doch etwas allzu schlicht und plakativ.
Einerseits gelingt es der Regie durch geschickte Peronenführung die komischen Untertöne, ironische wie satirische, deutlich auszuspielen, andererseits führt das ständige Wechseln von Zeit- sowie von tierischer und menschlicher Ebene mehr zur Verwirrung als zur Klärung der parabelsatten Geschichte. Hier verheddert sich die Regie – trotz szenischem Raffinement und trotz einer elegant-atraktiven Ausstattung (Christian Schmidt) -  in ihrem allzu ehrgeizig-intelektuellen Deutungs-Konzept.
Bestens bewährt sich an diesem Abend wiedereinmal die Komischen Oper als Ensemble-Theater. Das Orchester aufmerksam und farbig unter der Leitung von Alexander Vedernikow, sehr beweglich und klangschön der Chor (Einstudierung: Andre Kellinghaus) und vortrefflich ausgewählt und homogen in ihrem Zusammenspiel die vielen Solisten, die – oft nur in kleinen Auftritten -  ihren Rollen scharfen Umriss oder überzeugendes Profil verleihen. Im Mittelpunkt: Brigitte Gellert sehr agil als Füchslein Spitzkopf und Jens Larsen als melancholisch-kerniger Förster. Andreas Conrad karikiert zugleich den Schulmeister und den aufgeblasenen Hahn, Frank van Hove spielt bedächtig den Pfarrer und den Dachs und Karolina Gumos präsentiert sich mit üppigem Mezzo als fesch-füchsiger Playboy.
Andreas Homoki hat mit diesem „Schlauen Füchslein“ zwar die Falle eines putzigen Weihnachtsmärchen klug vermieden, vermochte jedoch die verzwickte Vielschichtigkeit dieser Oper zwischen tierischem und menschlichem Dasein, zwischen natur-verbundenem und philosphisch-moralischem Leben nicht deutlich genug auf der Bühne sichtbar zu machen. Dennoch herzlicher Applaus.

Foto:Monika Rittershaus/Komische Oper

Nächste Vorstellungen: 7./ 11./ 15./ 23.Oktober 2011

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