In der Designer-Falle: ‚Faust I und II‘ im Berliner Ensemble***

Die Marke heißt Robert Wilson. Wer eine Inszenierung des mittlerweile 74-jährigen, amerikanischen Regisseurs gesehen hat, kennt – einem On-dit zufolge – alle.
Nicht, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält, interessiert Robert Wilson an Goethes dramatisch-poetischem Welttheater,  für ihn sind „Faust I und II“ – dem groben Handlungsverlauf entsprechend – Vorlage für eine szenisch raffinierte Nummern-Revue, in der allerlei phantstische ober seltsame Figuren meist musicalbeschwingt trällern und singen, flott tanzen und gelegentlich auch ein paar bekannte Verse zitieren.
Verblüffende Licht- und Toneffekte akzentuieren und untermalen die wundersam-abstrahierte Reise, bei der ein erst in schwarzem Leder, dann in rotem Samt gekleideter Mephisto sich als munterer Reiseführer und Conferancier in allen Ton- und Stepp-Tanz-Lagen bewährt. Statt einem einzigen, gibt es bei Wilson gleich vier Faust-Gestalten.  In dunklen Pailletten Jacken plappern und trällern sie – sich oft wiederholend – ihren Eingans-und Verzweiflungs-Monolog aus dem Dunkel heraus („Habe, ach, Philosophie…“), bis Mephisto als schwarzer Riesenpudel erscheint, die „Fäuste“ zum bekannten Vertrag überredet und ihnen unter den rollenden Augen einer kerligen Hexe das Bild Gretchens vorgegauckelt. Auch das kalkweiß geschminkte Gretchen taucht in – diesmal – dreifacher Gestalt auf, taumelt wie eine plappernde Puppe durch die sich unentwegt verändernden Bühne, bei der auf- und abfahrenbde Etagen und sich ständig öffenende oder schließende Vorhänge zu immer wieder neuen und überraschenden Räumen fügen.
Im zweiten Teil des über vierstündigen Abends schrumpft der vierfache Faust zu einem einzigen, und stolpert so in die kaiserliche Pfalz – erkennbar an einer Reihe hoher, klassischer Säulen – wo ihn eine goteske Hof-Gesellschaft mit einem vertrotteltem Herrscher und einem geilen, penis-mächtigem Kardinal erwartet. Die anschließend durchwanderten, klassischen Gefielde der griechischen Helena bieten immer wieder Vorwand zu Songs im arabischen oder spanischen Stil (eine Disco Mediterranné!), während dem strippenziehenden Mephisto in Gesellschaft der glatzköpfig-schönsten Antiken-Frau spinnenförmig, rießige Finger wachsen. Rasch noch ein Blick auf den alten Philemon und seine dragonerhafte Baucis – schon sitzen Faust und Mephisto vor leerem, hellem Hintergrund auf einem Bänckchen und – warum bloß? – der jetzt lang-bärtige Faust spricht vom schönen Augenblick, der verweilen soll und fragt dann, wohin jetzt die Reise gehen soll. Wohin Du willst, antwortet Mephisto – Black out.
Unvermittelt daran singet das gesamte Ensemble noch im Chor: „Das ewig Weibliche zieht uns hinan“.
Das Publikum im BE ist begeistert. Bunt und abwechslungsreich war die schick designte Show. Die Musik (Herbert Grönemayer): laut, volkstümlich und kompatibel mit jeder Samstag-Abend-Unterhaltung im Deutschen Fernsehn. Ein hochmotiviertes Darsteller-Ensemble (überwiegend noch Studierende) spielt, singt und tanzt ebenso lust- und wie temperamentvoll, doch bleiben sie – mit Ausnahme von Christoph Nell als geschmeidigem Mephisto – eher groteske Puppen oder schrille Comic-Figuren als individuelle Personen oder gar Charaktere. Auch die Bühnenarbeiter leisten Außergewöhnliches: ohne die von ihnen ausgeführten, komplizierte Dekor-, Licht- und Toneffekte würde Fausts so phantasievolle und dekorative Reise schnell im toten Winkel enden – trotz Goethes vielschichtig-schönen Versen.