Brillant: „Die Nase“ in der Komischen Oper****

Ende der 1920er Jahre wollte der junge, russische Komponist Dmitri Schostakowitsch das Genre Oper der neuen, revolutionären Zeit und ihren kulturellen Vorstellungen anpassen. Er wählte – in Ermangelung eines zeitgenössischen Stoffes –  als Vorlage seiner ersten Oper die klassische Erzählung „Die Nase“  von Nikolai Gogol. In der erwacht im zaristischen Russland der Kollegienassesor Kowaljew nach durchzechter Nacht ohne Nase. Entsetzt, da dieser Verlust, die geplante Karriere wie das Ansehen bei seinen Mitbürgern ruinieren würde, versucht er so schnell wie möglich das verlorene Organ wieder einzufangen. Doch weder in der Kirche noch beim Anzeigenbüro  einer Zeitung, noch bei der Polizei oder einem Arzt findet er Hilfe, sondern nur Unvertändnis und Spott. Doch als besagter Riecher sich – im Brotteig der Frau des Barbiers – wiederfindet, will das gewichtige Körperteil zunächst nicht an seinen korrekten Platz in Kowaljows Gesicht zurück…

Schostakowitsch untermalt die komisch-surreale Geschichte mit einer wilden Mischung aus schrägen Polkas und krachenden Walzern, sakralen und atonalen Passagen, läßt es in den Orchesterstimmen zischen, kicksen oder pupsen, mixt auch das Bandoneon oder die „Singende Säge“ in die schrille Partitur. Alles in riesiger Lautstärke (geschickt kontrastiert durch sanft-leise Zwischenspiele) und einem sich fast übersclagenden Tempo. Schostakowitsch wirft wirklich alle Konventionen über Bord – und das mit überschäumender Lust. Kein Wunder, daß nach der Uraufführung 1930 im damaligen Leningrad, die „Nase“ auch von den Opernbühnen verschwand und erst in der 1960er Jahren wiederentdeckt wurde.

Diese turbulente Theaterwerk ist eine Steilvorlage für einen so fantasievollen Regisseur wie Barrie Kosky. 2016 hat er diese „Nase“ für „Covent Garden“ in London inszeniert – mit großem Erfolg – und jetzt auch – nach einem Zwischenspiel in seiner Heimat Australien – für die Komische Oper neu eingerichtet. Im schlichten, grauen Bühnenkasten von Klaus Grüberg wird auf üppige Kulissen verzichtet, statt dessen deuten Tisch oder Bett die intimen Räume und die leere, große Bühne die öffenlichen Straßen und Plätze knapp an – jeweils raffiniert angestrahlt. Kunterbunt mit Zitaten aus allen Modeepochen  leuchten die Kostüme (Buki Shiff). Alle Peronen sind grell geschminkt und tragen  – ein pfiffiger Trick der Regie – riesige Nasen, so daß das kleine, rot geschminke Organ von Kowaljew ihn zum un-normalen Außenseiter stilisiert. In hohem Tempo wechseln die Szenen, wuseln die zahlreichen Darsteller und Kompasen über die Bühne oder gruppieren sich vor dem Vorhang zur effektvollen Chorus-Line. Die Nase selbst, nachdem sie ihrem Träger entflohen ist, hat sich stark vergrößert, tanzt auf nackten Beinen umher – und vervielfältigt sich plötzlich zu einer toll steppenden Varieté-Nummer – furios!  (Choreographie: Otto Pichler).

Virtuos beherrschen auch die vielen Sängerdarsteller und Choristen ihren jeweiligen Part, oft sind es nur knappe Minuten, in denen sie in den unterschiedlichsten Rollen auftreten. Im Mittelpunkt: Günter Papendell als Kowaljew – ein geschmeidiger Bariton von äußerster stimmlicher wie körperlicher Beweglichkeit, der bei aller darstellerischen Rassanz auch in einigen leisen Momenten überzeugt. Überzeugend auch der erste Auftritt des neuen Chef-Dirigenten Ainärs Rubikis, der geradezu virtuos das ganze turbulente Geschehen im musikalischen Griff hat, Bühne und Orchester taktsicher und anspornend vereint.

Manchem Zuschauer/-hörer mag die zweistündige, pausenlose Dauer-Groteske etwas anstrengend erscheinen, doch die quirlige Brillanz der Aufführung gleicht dies auf`s Eleganteste aus. Großer Beifall.

Premiere: 16.Juni 2018, weitere Vorstellungen: 24./ 28./30.Juni // 6./ 14.Juli 2018