Teufelsspuk im Wodka-Land: „Der Jahrmarkt von Sorotschinzi“ in der Komischen Oper Berlin****

Jahrmarkt von SSorotschinzi ist ein kleines Dorf in der Ukraine des 19.Jahrhunderts. Bäuerliches Leben zwischen Arbeit und Familie, zwischen Wodka und Sex, Religion und Aberglauben. Parasja (Mirka Wagner) will ihren Gritzko (Alexander Lewis) heiraten, doch die Stiefmutter Chiwrja (Agnes Zwierko) ist dagegen, auch wenn der joviale Vater Tscherewik (Jens Larsen) nichts dagegen hätte. Was also tun? Ein dorfbekanntes Gerücht bringt die Lösung. Danach hat der Teufel in einer Notlage einst seinen Kittel verpfändet, nach der vereinbarten Frist aber nicht zurückerhalten. Deshalb erscheint er jetzt alljährlich und macht den beliebten Jahrmarkt in Gestalt eines Schweines unsicher…

Nach einer Erzählung von Nikolai Gogol hat der russische Komponist Modest Mussorgski in seinen letzten Lebensjahren eine komische Oper entworfen, die er jedoch nicht vollenden konnte, und von der nur eine Libretto-Skizze sowie textliche und musikalische Fragmente erhalten sind. Nach seinem Tod  versuchten verschiedene Bearbeiter daraus die ganze, in drei Akte gegliederte Oper zu rekonstruieren – mal indem sie Musik aus anderen Werken Mussorgskis einfügten, mal indem sie in seinem Stil hinzu-komponierten. Ohne größere Nachwirkung. Nur ein einziges Mal fand dieser russisch-ukrainische „Jahrmarkt“ auf einer Berliner Bühne statt – 1948 in Walter Felsensteins erster Spielzeit.

Jetzt haben in der Komischen Oper Intendant Barrie Kosky, sein Dramaturg Ulrich Lenz und der (scheidende) Chefdirigent Henrik Nánási Mussorgskis komische Oper – basierend auf einer Moskauer Fassung aus den 1930er Jahren – in einer knallig-grotesken Inszenierung erneut zur Diskussion gestellt – beim Publikum wie bei der Kritik überwiegend mit herzlichem Erfolg.

Im Mittelpunkt steht die große Masse der Dorfbewohner in schlichten, teils folkloristisch bestickten Kostümen. Schwatzend und heftig  gestikulierend eilen, laufen und tanzen sie auf der dunkel-leeren Bühne umher, postieren sich gern vorn an der Rampe und singen ihre Lieder und Kommentare  direkt ins Publikum. So klangvoll wie stimmgewaltig – eine großartige Leistung des so ungemein beweglichen Chores der Komischen Oper (geleitet von David Cavelius), verstärkt diesmal durch den Kinderchor des Hausens und durch das renommierte Vocalconsort Berlin. Doch nicht nur poltern und purzeln  kann dieser dörfliche Chor, sondern auch ganz innig und zart sich verströmen – denn die Aufführung beginnt und endet mit dem berührend-sanften „Hebräischen (Liebes-)Lied“, das der Komponist Nikolai Rimsky-Korsakow seinem Freund Mussorgski widmete. Ansonsten läßt Barrie Kosky über weite Strecken des pausenlosen, zweistündigen Abends buchstäblich die Sau raus. Da torkelt der dauerbesoffene Vater Tscherewik mit seinem ebenfalls beduselten Gevatter wild durch den Raum, da schlägt seine resolute Frau Chiwrja beim Kochen die Eier brutal an seiner Stirne auf  und der burschenhafte Liebhaber Grizko erlebt einen wüsten Alp-Traum: zur berühmten Chorfantasie „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“ steigert sich unter giftigen Farb-Blitzen eine grelle Fress- und Sauf-Orgie zur rauschhaften Massen-Prügelei zwischen schwarzen Schweinekopf- und teuflichen Rot-Kittel-Trägern. 

Auch wenn dieser satirisch-groteske „Jahrmarkt von Sorotschinzi“ die – geschickte – Flickschusterei seiner Dramaturgie nicht immer verbergen kann, so verhilft jedoch die raffiniert zwischen draller Klamotte, böser Karikatur und schöner Menschenfreundlichkeit balancierende Inszenierung zur gefälligen Wiederbelebung einer fast vergessenen Oper und ihrer ansprechenden Musik. Und ein Beweis für die szenische wie musikalische Fantasie und Leistungsfähigkeit der derzeitigen Komischen Oper.

Foto: Monika Rittershaus / Komische Oper

Premiere: 2.April 2017, weitere Vorstellungen: 09./ 14.und 22.April / 13.Mai / 10.Juni / 16.Juli 2017