Ende der Spielzeit 2018/19 in den Berliner Opernhäuser

DON QUICHOTTE in der Deutschen Oper Berlin***

In seiner 1910 uraufgeführten „Comèdie heroique“ erzählt Jules Massenet (1842-1912) frei nach dem berühmten Roman von Cervantes die vergebliche Liebesgeschichte des ritterlichen Don Quichotte zu der resoluten Gastwirtin Dulcinée. Die Musik klingt sehr französich, spätromantisch sensibel, voll schönem Sentiment, angereichert mit spanisch-klingender Folklore. Leider hat der schwedisch-niederländische Regisseur Jakop Ahlbom diese Musik kaum beachtet und die melancholische Liebestragödie als Folge von Varieté-Nummern arrangiert. In einem modern-kühlen Club werden viele altbekannte und auch einige neue  Zaubertricks und Show-Effekte vorgeführt, mal verblüffend, mal lustig, und immer unterhaltend. Gelegentlich gleitet das Geschehen ins Surreale, wenn zum Beispiel die Wirtin als erblondete Dulcinée in gleich dreifacher Gestalt den Ritter ballettös umgarnt. Dadurch gewinnen die Hauptdarsteller kaum Charakter oder Profil, unterscheiden sich nur wenig von den herumturnenden Chören und Komparsen. Alex Esposito als italienisch-temprierter Don Quichotte gelingen erst in der Schlußszenen anrührende Momente, Seth Carico als schlanker Sancho Panza trägt öfters einen Pferdekopf aus Pappe und darf seinen Herrn schultern, während Clémentine Margaine als taffe Wirtin Dulcinée ihren  dramatischem Mezzo orgeln läßt. Mehr Gespür für die feine Lyrik der Musik Massenets beweist der Dirigent Emmanuel Villaume, wobei ihm die vielfach eingestreuten reinen Orchester-Passagen zu Gute kommen und wirkungsvoll zu farbigem Klang werden. So überzeugt zumindest die musikalische Seite des „Don Quichotte“, während die Inszenierung – trotz aller Show-Effekte-  sich als falsch gepohlt erweist oder – wie die FAZ konstatiert –  als „Fauler Zauber“.

Premiere war am 30.Mai 2019

 

ROXY UND IHR WUNDERTEAM in der Komischen Oper Berlin****

Anfang der 1930-er Jahre gelang dem ungarischen Komponisten Paul Abraham der große Durchbruch: „Viktoria und ihr Husar“, „Die Blume von Hawai“,“Ball im Savoy“ waren die erfolgreichen Operetten, die in Berlin im damaligen Metropol-Theater (der heutigen Komischen Oper) Triumpfe feierten. Doch nach 1933 verschwanden sie vom Spielplan, Paul Abraham zog sich nach Wien und Budapest zurück, schrieb mehrere weitere Werke, allerdings mit weniger Erfolg. 1936 hatte „3:1 für die Liebe“ in Budapest in ungarischer Sprache Premiere, 1937 gelangte die Operette in einer überarbeiteten, deutschen Fassung als „Roxy und ihr Wunderteam“ in Wien zu einem glücklichen Start. Doch auch hier setzten die Nazis der erfolgreichen Vorstellungs-Serie (der auch schnell eine Film-Fassung folgte) ein abruptes Ende, Abraham floh über Cuba in die USA. Dort erkrankte er, kam in eine psychatrische Klinik, dann 1956 in eine ähnliche Hamburger Anstalt, wo er 1960 starb.  „Roxy und ihr Wunderteam“ tauchten nach den Wiener Vorstellungen (vermutlich) erst 1954 wieder in Dortmund auf einer Bühne auf.

Die Operette spielt – damals aktuell wie heute – im Milieu einer Fußball-National-Manschaft. In diesem Fall: der Ungarischen. Soeben hat sie im Londoner Wembly-Stadion die englische National-Truppe geschlagen und feiert nun vor der Abreise in einem noblen Hotel ihren Triumpf. Da platzt eine reiche Engländerin im Hochzeitskostüm ins Zimmer: Roxy, die kurz vor ihrer Trauung mit dem ebenbfalls reichen, aber trotteligen Bräutigam Bobby ausgerissn ist, und nun den ungarischen Teamchef Gjurka anfleht, sie zu retten. Nach einigem Hin- und Her wird Roxy ins ungarische Trainingslager am Plattensee mitgenommen, dort soll sich die Mannschaft aufs Rückspiel gegen die Engländer vorbereiten. Daß im Trainingslager auch eine gymnastische Mädchenriege untergebracht ist und die Fußballer zu allerlei „Übungen“ ermuntert, hilft Roxy, die sich in den spröden Kapitän Gjurka verliebt hat, ihr Ziel auf operetten-tauglichen Pfaden zu erreichen: mit viel Foxtrott, Walzer und Puzsta-Klängen.

„Roxy und ihr Wunderteam“, die geschickt Sport und Musik kombinieren, ist allerdings kein großer Wurf. Die Geschichte eher unständlich, die Musik ohne Hit. das Ganz wie „Paul Abraham“ aus zweiter Hand. Doch in der Komischen Oper gelingt dieser „Roxy“ eine fabelhafte (wenn auch mit 3 Stunden etwas lange) Vorstellung:  mit wirbelnden Tanz-Szenen (Choreographie: Danny Costello), einer raffinierten, bunten Austattung (Bühne: Stephan Prattes, Kostüme: Heike Seidler), einer ebenso geschickten wie temporeichen Inszenierung (Regie: Stefan Huber) und einem tollen, spielfreudigen Sänger-, Schauspieler-  und Musiker-Ensemble (Dirigent: Kai Tietje). Im Mittelpunkt: die Geschwister Pfister. Ursli Pfister (Christoph Marti) singt, tanzt und spielt eine herrlich zickige Roxy, sexy und ironisch zugleich, punktgenau kann sie freche wie anzügliche Pointen setzen, elegant die Beine schwingen und zugleich mit tiefen Tönen Schmelz und Schmalz attraktiv auszustellen. Toni Pfister (Tobias Bonn) ist der ideale Partner als leicht verklemmter Mannschaftskapitän Gjurka und Fräulein Schneider glänzt gleich in mehreren Rollen, u. a. als strenge, blond-bebrillte Mädchenpensionats-Direktorin. Neben den vielen Sängern, Tänzern, Schauspielern und Komparsen, die alle äußerst temperamentvoll um den Riesen-Fußball auf der Dreh-Bühne sich tummeln, sticht besonders Uwe Schönbeck heraus: als wohlbeleibter, schottisch-geiziger Mix-Pickles-Fabrikbesitzer, dem Onkel und Strippenzieher von Roxys mißglückter Hochzeit. Trotz der Standart-Komik dieser Figur darf er In einem melancholisch-wienerischen Couplet seine Lebens-Philosophie anrührend besingen.

Bilanz: eine typische, aber schwächelnde Paul-Abraham-Operettte, dennoch eine tolle Vorstellung und ein großer Erfolg beim Publikum.

Premiere: 31.Mai 2019

 

Nicht gesehen:

RIGOLETTO in der Staatsoper

Als letzte Premiere der Spielzeit inszenierte der US-Regisseur Bartlett Sher Giuseppe Verdis „Rigoletto“ als „expressionistisch/surreales“ Drama. Dirigiert vom Kolumbianer Andrés Orosco-Estrada. Der britische Bariton Christopher Maltman verkörperte den Titelhelden, gelobt wegen seines musikalischen wie darstellerischen starken Ausdrucks. Doch die Produktion insgesamt (eine Kooperation mit der Metropolitan Opera New York)  wurde von den meisten Kritikern überwiegend verissen. (Herzog: Michael Fabiano, Gilda: Nadine Sierra).

Premiere war am 2.Juni 2019