Rainer Allgaier

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Monat: März 2012

Überdrehte Chinoiserie: ‚Das bronzene Pferd‘ in der Komischen Oper **

12. März 2012TheaterkritikenNo Comments

Wie schön, dass die Komische Oper ein unbekanntes, französisches Werk aus dem frühen 19.Jahrhundert in ihren Spielplan aufnahm – wie enttäuschend jedoch die schwache Realisierung! „Das bronzene Pferd“ von Daniel Francois Esprit Auber, uraufgeführt 1835 in Paris, ist ein turbulentes Lustspiel im chinesischen Gewand – und besagtes Pferd ist eine bronzene Statue, die jeden Mann, der sich auf seinen Rücken setzt, auf den Planeten Venus befördert. Wenn dieser aber eine der dort lebenden Damen innerhalb von 24 Stunden berührt, also seinen Trieb nicht halten kann, wird er auf die Erde zurückgebracht. Ausserdem spielen ein Rolle: ein chinesischer Bauer, der seine Tochter an einen reichen Mandarin verkuppelt, weil er sich dadurch eine grosse Mitgift erhofft; die eifersüchtige Vierte Ehefrau dieses Mandarins, die sich eine tolle Witwenschaft erhofft, wenn ihr Mann per Pferd auf die Venus geschickt wird; ein Kaisersohn, der einer Traumfrau nachjagt und sie schliesslich auf dem Planeten entdeckt. Natürlich finden alle Paare nach drei länglich-wilden Akten ihr Happy End, heftigst akklamiert nicht nur vom sich ständig verbeugenden Chor in gelben und pinkfarbenen Seiden-Pyjamas, sondern auch vom beifallsfreudigen Publikum im Zuschauerraum.
Dennoch: eine dramaturgisch recht schwach gestrickte Farce aus der vielbeschäftigten Autoren-Werkstatt von Eugene Scribe, aber effektvoll belebt von Auber’s tempo-geladener und ansprechender Musik, unüberhörbar ein Vorläufer der Offenbachschen Operetten, ohne jedoch deren melodische Prägnanz und satirischen Witz zu erreichen. Aber sehr gefällig und elegant!
Leider bedient sich Regisseur Frank Hilbrich überwiegend altbekannter Klamotten-Klischees und ins Schrill-Groteske übertriebener Darsteller-Gesten. Putzige Panda-Bären und dreiste Affen-Paare tollen immer wieder umher und versuchen zu kopulieren, der Bauer spielt in weissem Anzug und silberner Weste den neureichen Möchtegern, der Mandarin zeigt ausgiebig seinen nackten Schwabbelbauch, die Vierte – scharz bebrillte – Ehefrau zickt resolut rein und raus,  der Kaisersohn – im dunklen Anzug – rauscht mit viel Bühnennebel auf die Venus – dort empfangen von einem Damen-Chor im nackt-bemalten Out-fit.
Die Sänger mühen sich redlich, die grotesken Possen kraftvoll über die Rampe zu bringen und gleichzeitig die hübschen Couplets, Duette und Ensemble-Nummern flott zu servieren. Am besten gelingt dies Julia Giebel als koloratur-geläufiger Venus-Prinzessin, der temperamentvollen Erika Roos als Ehefrau-Hausdrachen sowie der jungen Annelie Sophie Müller (aus dem Opernstudio der Komischen Oper) als aufmüpfig-couragierte Bauerntochter. Die Männer (Sung-Keun Park, Tom Erik Le, Juri Batukov, Stefan Boving) pusseln und krähen dagegen mehr oder weniger überzeugend an ihren allzu klischeehaften Rollen.
Maurizio Barbacini sorgt im Orchestergraben für Tempo und Schwung, das Orchester hält kräftig mit – auch wenn ein bisschen mehr französicher Esprit dem Ganzen guttun würde.
So gibt es statt einer spitzigen Opera-comique diesmal nur eine platte Berliner Posse zu  entdecken – Schade!

Foto: Thomas M.Jauk

nächste Vorstellungen: 20./26.März/ 7./27.April 2012

Schuld und Sühne: ‚Jenufa‘ in der Deutschen Oper Berlin ****

9. März 2012TheaterkritikenNo Comments

Leos Janacek’s Szenen aus dem mährischen Bauernleben wurden 1904 in Brünn unter dem Titel „Ihre Ziehtochter“ uraufgeführt – ein Titel durch den die beiden Hauptpersonen der Handlung und damit auch der zentrale Konflik der Oper schon angedeutet ist:  das Drama einer mütterlichen Witwe, der Küsterin Buryja, die das frisch geborene, uneheliche Kind ihrer geliebten Stieftochter Jenufa ermordet, um diese vor der Verstossung durch eine allzu engstirnige Gesellschaft zu bewahren.
Die neue Inszenierung durch den rennomierten, aber in Berlin erst jetzt debütierenden Regisseur Christof Loy verzichtet weitgehend auf tschechische Folklore, behält aber den ländlichen Ort mit seiner strengen, kleinbürgerlichen Bauern-Gemeinschaft bei. Die Bühne zeigt einen weissen Cubus, dessen fast unmerklich gleitende Seitenwände die zunächt enge Kammer auf Breitwandformat dehnen, während die Rückwand wie eine Schiebetüre immer wieder den Blick in die Landschaft freigibt und so auch die unterschiedlichen Jahreszeiten erkennen lässt: goldene Ährenfelder im Spätsommer, Schnee im Winter und mildes Sonnenlicht im beginnenden Frühjahr. Die Kleidung dieser offensichtlich wohlhabenden Bauern deutet eine nicht allzuweit zurückliegende Gegenwart an: die Damen tragen elegante Schneiderkostüme und High Heels, die Männer erscheinen meist in grauen Anzügen mit weissem Hemd und Krawatte – nur zur Hochzeit machen sich alle fein: Seiden-Dirndl und schwarzer Binder.
Christof Loy erzählt die tragische Geschichte der durch ihre zerüttete Ehe hart gewordenen Küsterin, die verzweifelt versucht ihre Stieftochter vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren und dabei sogar die Schuld eines Kindsmordes auf sich nimmt, als ein bis ins kleinste Detail ausgeleuchtetes Psychogramm der handelnden Personen: der langsam reifenden und die Zusammenhänge erkennenden Jenufa, die am Ende sogar ihrer Stiefmutter verzeiht;  die gebrochene, ihre Schuld am Ende bewusst sühnende Küsterin; der oberflächlich-leichtfertige Stewa, der Jenufa erst geschwängert hat und dann kneift;  sein manchmal unbeherrschter und ungeliebter Halbbruder Laca, dessen Gefühle für Jenufa jedoch echt und aufrichtig sind. Ein kluges und fein gestaltetes Seelendrama, das auch optisch eine Genuss ist:  mit  den schönen Kostümen und den raffiniert ausleuchtenden Bühnen-Bilder, die die innere Befindlichkeit ihrer Bewohner diskret spiegeln.
Auch musikalisch bietet die Aufführung hohes Niveau – ein hervorragendes Sängerensemble, umrahmt vom klangschön singenden Chor und dem auf Transparenz bedachten Orchester. Zwar lässt Generalmusikdirektor Donald Runnicles gelegentlich seine Musiker zu laut spielen und überdeckt dadurch die Sänger, macht dies aber schnell wett durch delikat ausgespielte lyrische Passagen, und  dirigiert insgesamt rhythmisch scharf pointiert und farbenreich im Klang.
Als alte Mühlenbesitzerin ist Hanna  Schwarz eine elegante Erscheinung mit grosser, stimmlicher Präsenz. Joseph Kaiser. ein attraktiver Leichtfuss Stewa, und Will Hartmann als der seine Liebe unter äusserer Unbeherrschtheit verbergende Laca überzeugen in den Rollen der beiden Halb-Brüder jeweils durch genau charkerisierende, tenorale Stimmführung. Jennifer Lamore, berühmt als Belcanto-Spezialistin, hat ins dramatische Fach gewechselt und singt mit kraftvollem, schönem Mezzo  – im Vergleich mit bekannten Rollen-Vorgängerinnen – eine ganz undämonische, dafür jugendlich-verzweifelte Küsterin, der es nur manchmal ein wenig an Durchschlagskraft mangelt. Michaela Kaune ist als Erscheinung eine ideale Jenufa, stimmlich ansprechend besonders in ihren lyrischen Szenen.
Eine ebenso stimmige wie attraktive Inszenierung, die das Werk vorsichtig der Gegenwart annähert, ohne ihm fremde Ideen überzustülpen und ohne aufgesetzte Regie-Mätzchen  -  die dafür aber der tschechisch-melodiösen Musik Janaceks kraftvoll zum Leuchten verhilft.

Foto: Monika Rittershaus /Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 10./16.März 20./24.April 2012

Drache mit Herz: ‚Die eiserne Lady‘ von Phyllida Lloyd ***

5. März 2012FilmkritikenNo Comments

So wie die reale Person, so spaltet auch der Film über die einstige britische Premierministerin Margaret Thatcher (1979-1980)  das Publikum – nicht nur in England.
„The Iron Lady“ – ein Titel, den ihr der Moskauer Rundfunk nach ihrer zweiten Wahl verpasste – erzählt seine Geschichte in vielen Vor- und Rückblenden. Die alte, demenzkranke Fau lebt einsam in ihrer Londoner Wohnung – ständig von einigen Bediensteten und gelegentlich von ihrer Tochter umsorgt. Sie halluziniert sich ihren längst verstorbenen Ehemann herbei, kabbelt sich ein wenig mit ihm und erinnert sich – schnipselweise – an ihr Leben. An ihre Jugend im Kolonialwarengeschäft der Eltern, an ihr Studium in Oxford, an ihre Heirat mit dem wohlhabenden Denis Thatcher und an ihren holprigen Start in die Politik. Sie erlebt noch einmal in knappen Erinnerungssplittern ihren Aufstieg in die arrogante Männerriege der konservativen Partei und ihre Zeit als Premierministerin: den Kampf gegen die Macht der Gewerkschaften, die Privatisierung öffentlicher Institutionen, die weitgehende Liberalisierung der Wirtschaft, die Freundschaft zu Ronald Reagan und ihren Triumph im Falklandkrieg.
Dazwischen auch immer wieder Bilder eines vernachlässigten Familienlebens und am Schluss den indirekt von Parteimitgliedern erzwungenen Abschied von der Politik und den wehmütigen Auszug aus der ‚Downingstreet 10‘:  von unterdrückten Tränen und roten Rosen umflort.
Der Film stellt die Person, nicht ihre Politik in den Mittelpunkt. Es ist das spannend, wenn auch routiniert  inszenierte Porträt einer ehrgeizigen, aber prinzipienstarken Frau – in einer von selbstgefälligen Männern geprägten Welt. Und die Story einer treuen Mutter und Ehefrau, die ihre Tüchtigkeit allerdings nicht im Haushalt, sondern auf dem politischen Parkett ihres geliebten Landes beweisen will und beweist. Ein selbstbewusster Drache, doch mit dem Herz am rechten Fleck – eigenwillig, aber unbestechlich noch im dementen Zustand.
Demgegenüber schildert der Film die Gegener der Margaret Thatcher ausschliesslich als wankelmütige Parteifreunde oder als agessiven Mob auf der Strasse. Und so kann der Film sie als heimliche Heldin feiern, die sich nur mit hocherhobenem Haupt den Intrigen ihrer Feinde beugt und wie eine unschuldig geopferte Königin das Heim der englichen Premierminister verlässt – pathetisch untermalt von der Stimme der Maria Callas mit Bellinis „Casta Diva“-Arie.
Rührend dann ihr eingeschränktes Leben als demente Witwe, die sich nach dem trocken-sarkastischen Humor ihres verstorbenen Mannes sehnt (britisch-köstlich: Jim Broadbent) oder ungeduldig die Anrufe ihres Sohnes aus Südafrika erwartet.
Dass dieses stark emotionale Heldinnen-Epos dennoch zu einem unterhaltsamen, zeitgeschichtlichen Film wird, dankt er vor allem der darstellerischen Präsenz und der stupenten Wandlungsfähigkeit von Merryl Streep – und ihrer Maskenbildnerin:  beide wurden dafür dafür mit einem Oscar gekrönt.
Auch wenn diese „Eiserne Lady“ nicht die stille Intensität und raffinierte Intelligenz von Stephen Frears „Queen“ besitzt, so garantiert doch die flotte Machart und vor allem das schauspielerische Temperament der Merryl Streep zwei unterhaltsame und diskussions-anregende Kinostunden.

Poster/Foto: Concorde Filmverleih

zu sehen: CineStar Sony Center (OV); Filmkunst 66 (OmU); Hackesche Höfe (OmU); Odeon (OmU); Rollberg Neukölln (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; Titania Palast Steglitz; CineStar Tegel; Capitol Dahlem; Delphi; International; Kino in der Kulturbrauerei; Toni; Yorck u.a.

Traumpaar auf Spitze: ‚Romeo und Julia‘ beim Staatsballett /Deutsche Oper****

3. März 2012TheaterkritikenNo Comments

Es bleibt Geschmackssache: nicht jeder schätzt abendfüllende Handlungsballette in klassischer Tradition wie sie bis zur Geburt des deutschen ‚Tanztheaters‘ in den 1960er Jahren Standart waren. Einer ihrer letzten grossen Vertreter war John Cranko, der es verstand, dem etwas angegrauten Genre frische Farben abzugewinnen. Heute wirken auch Cranko’s in aller Welt nachgetanzten Erfolge wie „Der Widerspenstigen Zähmung“,  des „Onegin“ oder auch der „Romeo und Julia“ -Tragödie etwas ‚old fashioned‘. Was allerdings überwiegend zu Lasten einer oft biederen Ausstattung geht, manchmal irritieren auch bestimmter Tanz-Figurationen, die seit ihrer Erfindung durch Cranko zum viel benutzten Klischee gerannen.
Dennoch: unverändert grandios erweisen sich die Choreographien des Stuttgarter Meisters in ihrer Gesamtheit. Die bruchlose Verknüpfung von solistischen Auftritten und furiosen Ensemble-Szenen, die emotional stark aufgeladenen, weitausgreifenden Pas-de-Deux‘ und die humorvoll-komischen Einlagen verbinden sich immer  zur gross-dimensionierten, klaren Erzählung einer (meist) literarischen Vorlage.
Auch „Romeo und Julia“, dessen Stuttgarter Fassung vor genau 50 Jahren entstand, wird in der jetzt neu einstudierten Aufführung des Berliner Staatsballetts in der Deutschen Oper zum heftig beklatschten Erfolg. Das Tänzer-Ensemble sprüht vor Energie und erfüllt die kleinen und grösseren Rollen mit eleganter Haltung und perfektem Ausdruck. Kostüm und Bühnenbild sind demgegenüber zwar praktikabel (für einen schnellen, reibungslosen Umbau), aber wenig attraktiv in ihrer optischen Erscheinung mit viel Gold-Protzerei.
Wie üblich beim Repertoire-Betrieb des Balletts wechseln die Stars und ersten Solisten häufig, müssen oft auch aus physischen Gründen (Verletzungen!) ausgetauscht werden. In der Aufführung vom 2.März (die Vierte seit der Premiere am 9.Februar ) war das Tanz-Glück jedoch perfekt: Polina Semionova und Friedemann Vogel (Gast aus Stuttgart) verkörperten das tragische Liebespaar Romeo und Julia auf höchstem tänzerischen Niveau und mit tiefem, anrührenden Ausdruck. Von der kindlich-heiteren Naivität Julias bis zu ihrer schreienden Verzweiflung, wenn sie neben ihrem toten Geliebten erwacht, vermag Polina Semionova die ganze Gefühls-Skala der jungen Frau äusserst intensiv auszudrücken und dabei die klare Körperlinie elegant zu bewahren. Ihr Partner Friedemann Vogel ist ein jungenhaft, burschikoser Romeo mit schönen, leichten Sprüngen, der vor allem in den beiden grossen Pas-de-Deux‘ durch seine männlich-beherrschte Kraft beeindruckt. Eines der Traumpaare auf der gegenwärtigen Ballett-Bühne.

Foto: Bettina Stöss/Staatsballett Berlin

nächste Vorstellungen: 6./9.April /8./18.Mai/ 15./17.Juni 2012

Zum Event geschrumpft: ‚Al Gran Sole Carico d’Amore‘ ***

2. März 2012TheaterkritikenNo Comments

Für „Al Gran Sole carico d’Amore“, eine ’szenische Aktion‘ von Luigi Nono (1924-1990), uraufgeführt 1975 an der Mailänder Scala, ist die Staatsoper, die zur Zeit im Schillertheater residiert, in die leerstehende Riesenhalle des Kraftwerks Mitte an der Köpenickerstrasse gezogen. Fast 1000 Zuschauer finden auf einer ansteigenden Tribüne Platz, davor ein grosser Orchesterbereich, dahinter eine sehr breite, offene Bühne, vorn eine längliche, museumstaugliche  Glasvitrine, dahinter reihen sich nebeneinander mehrere kleine, wabenartige Räume: historisch- möblierte Zimmerkulissen, in denen die Hauptfiguren der Geschichte wohnen und gleichzeitig von umherwieselnden Kameramännern gefilmt werden, deren Video-Bilder dann auf einer schruntigen Leinwand in Cinemascop-Format hoch über den Köpfen der Bühnenfiguren ablaufen.
„Al Gran Sole Carico d’Amore“, was frei übersetzt „Mit Liebe beladen der Sonne entgegen“ bedeutet und einem französischen Gedicht von Arthur Rimbaud entstammt, ist eine von Nono selbst collagierte Geschichte der Revolution, gesehen aus dem Blickwinkel beteiligter Frauen.
Dabei rücken fünf weibliche Gestalten, teils historische, teils fiktive, in den Mittelpunkt des Librettos: die Französin Louise Michel, die die Tage der Pariser Commune von 1871 erlebte; die (angebliche) Gefährtin von Che Guevara, Tania Bunke;  die „Mutter“ aus dem gleichnamigen Roman von Gorki ; eine Arbeiterin aus Turin, die an den blutigen Streik-Aktionen um die Fiat-Werke in den 1950er Jahren beteiligt war sowie die Prostituierte Deola, die in einem Gedicht von Cesare Pavese besungen wird.
Doch diese Frauen sind – in der Aufführung – stumme Personen in den Zimmerchen, sie kochen Suppe,  waschen Wäsche, färben rote Tücher oder verstecken Revolver und revolutionäre Aufrufe. Die Texte, meist kurze Verse oder Sentenzen von Marx und Lenin, Brecht, Gorki, Pavese u.a., umreisen die angedeutete Etappen der Revolutionsgeschichte von den Tagen der Commune bis zum Vietnamkrieg  – und werden von sechs Sängerinnen und vier Sängern vorgetragen, die in Abendgarderobe die Devotionalien in der Glasvitrine bestaunen oder ihre Losungen und Kommentare singend per Mikrofon verkünden. Eine klare, nacherzählbare Handlung wird so bewusst vermieden, alles bleibt Hinweis und Andeutung.
Dieses so geschilderte szenische Arrangement mit den stummen Darstellerinnen in historischen Posen und ihre ‚altmodisch‘ eingfärbten Videobilder sind im Libretto nicht vorgeschrieben – sondern die Erfindung eines Teams um die britische Regisseurin Katie Mitchell.   Den Chor, der textlich eine zentrale Rolle spielt,  hat sie auf der rechten Seitenbühne fest postiert, dort erledigt er seinen schwierigen musikalischen Part mal im Stehen, mal im Sitzen : die rote Nelke im Knopfloch und an entsprechender Text-Stelle auch mal die Faust reckend.
So konzentriert sich die Hauptaufmerksamkeit des Zuschauers auf die gefilmten Mini-Szenen auf der Gross-Leinwand und die Musik gerät unfreiwillig in die Rolle eines untermalenden Klangteppichs – als szenischer Einfall ist das optisch hübsch und gefällig, aber auch hart am Rand des kunstgewerblichen Kitsches.
Dabei hat die Musik von Luigi Nono – im Gegensatz zum altmodisch gewordenen, museumsreifen  Agitprop des Librettos – nichts von ihrer Kraft und Faszination verloren. Ob schmetternd dazwischenfahrende Posaunen-Chöre, lautstarke Schlagwerke oder sich in fast mysthische Höhen emporschraubende, hauchzarte Sopran-Klänge – Nonos Musik erweist sich als hochexpressiv und genuin dramatisch.
Ein exzellentes Sängerensemble und der hervorragend einstudierte Chor bewältigen ihre oft heiklen Partien bewundernswert, das riesig besetzte Orchester (ein Teil auf der linken Seitenbühne) spielt klangvoll und trennscharf zugleich – und Ingo Metzmacher koodiniert den aufwendigen musikalischen Apparat mit grosser Ruhe und einer fast lässig wirkenden Sicherheit – eine enorme und überragende Leistung.
Ein aufwendig beworbener Abend, einer grossdimensionierte Produktion – doch mit zwiespältigem Ergebnis: museal gewordene „linke Lyrik“, ein dem Mainstream allzu angepasstes Szenen-Arrangement, aber eine grandiose, dramatische Musik.

Foto:Monika Rittershaus/Staatsoper

nächste Vorstellungen: 3./ 5./ 9./ 11.März 2012

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