Saison-Beginn 2018/19 – Musiktheater

„CELIS / EYAL“ – Das Staatsballett Berlin in der Komischen Oper***

Einstand der neuen Leitung des Staatsballetts durch den schwedischen Choreographen Johannes Öhman und der Berlinerin Sasha Waltz, die allerdings ihr Amt erst in der nächsten Spielzeit antreten kann. Öhmann betreut das Staatsballett schon in dieser Saison, da der bisherige Intendant Natcho Duarto nach glücklosen Jahren das Ensemble vorzeitig verlassen hat.  Dementsprechend kann es 2018/19 zu keiner Uraufführung kommen. Öhmann greift deshalb  – neben dem klassischen Repertoire – auf bewährte, neuere Choreographien zurück, vorzugsweise aus seiner Zeit in Schweden.

Die erste Premiere der Spielzeit kombiniert zwei erfolgreiche, zeitgenössische Arbeiten: das Tanzstück „Your Passion Is Pure Joy To Me“ des belgischen Choreographen (und heutigen Ballett-Chefs in Saarbrücken) Stijn Celis, uraufgeführt zu Songs von Nick Cave und kurzen Musikstücken von Pierre Boulez und Krzyszof Penderecki 2009 in Göteborg sowie – nach der Pause des knapp zweistündigen Abends  –  „Half Life“ der israelischen Choreographin Sharon Eyal, die das auf Punkmusik beruhende, abstrakte Werk zusammen mit ihrem Mitarbeiter Gai Behar 2017 für Stockholm entwickelt hat.

„Your Passion Is Pure Joy To Me“ ist eine elegant verbundene Folge von Solo- und Ensemble-Nummern für drei Tänzerinnen und vier Tänzer die auf fast leerer Bühne in heutiger Freizeitkleidung einen gefälligen Eindruck hinterlassen: locker getanzt, gefällig,  ohne oberflächlich zu wirken. Freundliche Beifall.

Großer Kontrast dazu: „Half Life“ – erst wummende Bässe, dann ohrenbetäubender Punk. 13 Tänzer/Tänzerinnen, halbnackt und schweißtriefend, verwandeln die Bühne in eine fast dämonische Disco, wobei die ständigen,aber immer leicht variierten Bewegungswirbel eine ungewöhnlich starke Sogwirkung erzeugen. Frenetischer Applaus – vor allem beim jugendlichen Publikum.

Ein gelungener Einstand des neu formierten Staatsballetts.

Premiere war am 7.September 2018

 

„DIE TOTE STADT“ von Wolfgang Erich Korngold in der Komischen Oper***

Die 1920 uraufgeführte Oper des damals 23-jährigen Komponisten Wolfgang Erich Korngold ist dank seines raffinierten Librettos und seiner klangvollen Musik  – und trotz des Verbotes im Dritten Reich  –  ein Renner im internationalen Repertoire. Ganz im Gegensatz zu dem vor wenigen Monaten durch die Deutschen Oper wiederausgegrabenen „Wunder der Heliane“. Doch dem Regisseur, dem rennomierten Kanadier Robert Carsen, fällt für die Inszenierung der neuen „Toten Stadt“ nicht allzuviel ein. Nüchtern wie das hohe, nur karg möblierte Schlafgemach des Hauptdarstellers Paul, der seiner verstorbenen Gattin Marie nachtrauert, dann aber in der Tänzerin Marietta deren Ebenbild zu entdecken meint, erzählt Carson den meldiösen Psychthriller so konventionell wie überraschungsarm. Alles ist klar, von Anfang an:  das geheimnisvolle Changieren zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, zwischen Realität und Traum, zwischen Erkenntnis und Wahn  – unterstützt durch die schillernde Farben der Musik – weicht einem eindeutigen, planen  Psycho-Krimi. dessen Ende Paul nicht in eine mögliche, geistige Freiheit führt, sondern ganz profan in die Klappsmühle.

Auch der neue musikalische Chef der Komischen Oper, der aus Riga stammende Ainärs Rubiki, betont vorwiegend die dramatischen Seiten der schwelgerischen Korngold-Musik, oft überlaut und eigenwillig im Tempo; er läßt die lyrischen Passagen zwar frei und schön fließen, nimmt ihnen aber viel von ihrer wienerischen Eleganz.

Als kapiziös-verführerische Tänzerin Marietta imponiert Sarah Jakubiak (die auch die Heliane in der Deutschen Oper war) durch bewegliches Spiel und duch einen kraftvollen Sopran, doch ihre Figur bleibt kühl und distanziert, berührt kaum. Die – vor allem musikalisch fordernde – Partie des zwischen Wahn und Wirklichkeit taumelnden Paul meistert der tschechische Tenor Ales Briscein sehr beachtlich, auch wenn er in der Höhenlage an seine Grenzen gerät. Die kleineren Rollen sind mit Günter Papendell (Frank) etwas blaß und mit Maria Fiselier (Haushälterin) angemessen besetzt. Ziemlich unpassend mißrät die Szene, in der Paul das Spiel Mariettas und ihrer Tänzer beobachtet: eine modische Tanz-Show-Einlage mit viel Glitzer-Effekt, aber weit unter dem Niveau, für das die Komische Oper in solchen Nummern sonst berühmt ist.

Eine wenig überzeugende Inszenierung –  trotz der süffigen Musik, trotz eines „Glück(s), das mir verblieb…“

Premiere war am 30.September 2018

 

„WOZZECK“ von Alban Berg in der Deutschen Oper***

1925 an der Berliner Staatsoper uraufgeführt, gilt Alban Bergs Werk als erste, gewichtige  Oper der Moderne. Berg selbst hat die Szenenfolge von Georg Büchner stark komprimiert und in den strengen Formen der absoluten Musik für die Opernbühne komponiert, überwiegend in der Zwölfton-Manier, aber auch mit Klang-Wirkungen, die aufs bisherige Musiktheater zurückgreifen.

Diese komplexe Partitur wird vom riesig besetzten Orchester der Deutschen Oper unter seinem Chef Donald Runnicles sehr dramatisch und effektvoll umgesetzt – auch wenn dem durchschnittlichen Opernbesucher manche Details dabei auf Grund der komplizierten Partitur verborgen bleiben. Unterstützt von den vorzüglich einstudierten Chören (Jeremy Bines / Christian Lindhorst) und einem ausgewogenen Solisten-Ensemble gewinnt diese vielschichtige, komprimierte Musiktragödie große Überzeugungskraft. Johann Reuter singt mit geschmeidigem Baß-Bariton den Wozzeck, Elena Zhidkova ist mit dramatisch zugespitzten Mezzo seine Geliebte Marie, auch wenn die Wortdeutlichkeit zu wünschen übrig lässt. Unter den vielen Nebenrolle fällt der ausdrucksstarke Bariton von Seth Carico als Doktor auf.

Großer Beifall am Endes des pausenlosen , neunzig-minütigen Abends für diese eindrucksvolle, musikalische Gesamtleistung der Deutschen Oper.

Demgegenüber bleibt die szenische Umsetzung durch den norwegischen Regisseur Ole Anders Tandberg äußerst fragwürdig. Um einem heutigen Publikum die dramatischen Szenen von Berg und Büchner klarzumachen, meint er, die Geschichte in die Gegenwart verlegen zu müssen. Sie spielt nun in gegenwärtigen Oslo am dortigen Nationalfeiertag, dem 17.Mai, der für die nordischen Bewohner zugleich „Frühlings-Anfang“ bedeutet. Schauplatz ist ein großes, nicht sehr elegantes Restaurant, durch dessen Glasfesterfront ein Park zu ahnen ist. Das „Volk“ trägt schlichte Trachten, die Kinder jubeln mit kleinen norwegischen Flaggen, die Soldaten der gehobenen Klasse zeigen rot-gold betresste Uniformen, während Wozzeck in einfachem Jacket umhereilt und später seine im grauen Rock auftretende Marie zwischen den weißgedeckten Tischen erdrosselt. Ein Vorfall wie für die Boulevardpresse gemacht  – von Berührung über Wozzecks Existenz- und Liebestragödie bleibt in diesem Fall kaum eine Spur übrig.

Schade, eine musikalisch gute Aufführung gerät szenisch buchstäblich zwischen die  allzu schlichten (Restaurant-)Stühle.

Premiere: 5.Oktober 2018

 

„MEDEA“ von Luigi Cherubini in der Staatsoper Unter den Linden****

Der Komponist Luigi Cherubini, 1760 in Florenz geboren, lebte und arbeitete überwiegend in Paris. Er schrieb zahlreiche Bühnenwerke und Kirchenmusiken, geriet aber mit dem Aufkommen der „Großen Oper“ Meyerbeers weitgehend in Vergessenheit. Als Direktor des staatlichen Konservatoriums starb er 1842 in der französischen Hauptstadt.

Seine Oper „Medea“, uraufgeführt 1797 –  mit mäßigem Erfolg, erfuhr eine fulminante Wiederentdeckung durch Maria Callas, allerdings in einer italienischen Fassung mit nachkomponierten Rezitativen. Erst 2008 erfolgte eine kritische Neuausgabe des französischen  Originals, einer „Opera Comique“ mit im klassischen Versmaß gesprochenen Dialogen.

Diese Fassung übernimmt nun auch Daniel Barenboim für eine Neuinszenierung in der  Berliner Staatsoper. Dabei gelingt ihm und seiner prächtigen Staatskapelle die für ihre Zeit ungewöhnlich farbenreiche und klangvolle Orchester-Partitur aufs Beste auszudeuten. Klassizistische Eleganz mischt sich in dieser  flüssigen Interpretation mit vor-romantischen Klängen, besonders schön in der Ouvertüre und dem langen Vorspiel zum dritten Akt.

Das Sänger-Ensemble ist aus internationalen Solisten zusammengestellt und hat deshalb teilweise Mühe mit den in französischen Alexandrinern gesprochenen Dialogen (die glücklicherweise stark eingestrichen sind). Besonders der solid singende Baß Iain Paterson als biederes Oberhaupt und Vater Kreon hat damit seine Schwierigkeiten, während Elsa Dreisig – auf Grund ihrer dänisch-französischen Wurzeln – als seine Tochter Dircé damit bestens zurechtkommt, ein flexibler, runder Sopran, der nur bei den hohen Tönen leicht zur Schärfe neigt. Der amerikanische Tenor Charles Castronovo lässt als Jason schöne lyrische Töne erklingen, bleibt in der Darstellung dieses zwiespältigen Machos jedoch sehr blass. Als Medea („Médée“) und Mittelpunkt des Abends brilliert die 36-jährige Bulgarin Sonya Yoncheva, inzwischen ein gefragter und gefeierter Star zwischen Mailand und New York.

Mit ihrem kraftvollen und fülligen Sopran meistert sie die Partie mit Bravour, dramatisch im Ansatz und leuchtend in der Höhe. Stilistisch jedoch eher dem Verdi-Fach nahestehend als dem französischen Klassizismus. Sicherlich deshalb: Riesen-Beifall für sie.

Entsprechend den Absichten der Regie von Andrea Breth verkörpert ihre Medea weniger die resolut-zwiespältige Rächerin als die leidende und verletzte Frau.  Zugleich ist sie in dieser Sichtweise ein Flüchtling von dunkler Hautfarbe, die aus nachvollziehbarer Erniedrigung wie rassistischer Demütigung zuerst ihre Kinder und danach sich selbst tötet.

Andrea Breth zeigt das gewaltätig-düstere Geschehen (auf einer Drehbühne) in bunkerartigen Räumen mit kahlen Beton-Wänden und Tür-Öffnungen, die durch Metall-Lamellen verschließbar sind.  Realistische Skulpturen (Pferde) und halb ausgepackte Kisten stehen überall herum: „Raubkunst“, mit der sich Jason bei Kreon  – beide in schlichtem Hemd und Krawatte – andient, während Medea – in antikisierendem Schwarz gekleidet – vergeblich um ihre verlorene Ehe und um ihre Kinder fleht und bettelt.

Cherubini’s „Medea“ ist sicher kein „Renner“ im allgemeinen Opern-Repertoire, doch ihre wohlklingend-elegante Musik sowie eine überzeugende Interpretin der Titelrolle werden dieser musikalischen Tragödie auch in Zukunft immer wieder einen wirkungsvollen Bühnen-Auftritt sichern.

Premiere: 7.Oktober 2018