Gelungenes Musiktheater: „Oceane“ in der Deutschen Oper Berlin****

Uraufführung der neuen (und elften) Oper des Komponisten Detlev Glanert (geb.1960). Die wenig bekannte und nur fragmentarische Novelle „Oceane von Parceval“ von Theodor Fontane ermöglichte es dem Autor  Hans-Ulrich Treichel (geb.1952) durch geschickte Ergänzungen und Erweiterungen ein kluges und musik-spezifisches Libretto zu formen.  Oceane ist eine Art Melusine, die sich unter eine Ferien-Gesellschaft in einem Ostseebad mischt. Ein junger Gutsherr, Martin von Dircksen, verliebt sich in sie, doch Gefühle vermag Oceane für ihn nicht zu entwickeln. Bei einem Ball provoziert sie ungewollt durch ihre wilde Art zu Tanzen die spießige Gesellschaft (1.Akt).  Als ein toter Fischer am Strand angespült wird (2.Akt), läßt sie auch dieses Ereignis im Gegensatz zu allen umstehenden Feriengästen kalt. Weswegen der streng-sture Pastor Baltzer sich mit Hass-Ausbrüchen gegen die fast stumme Oceane  – unter Beifall der Umstehenden –  hervortut. Als Oceane ihre Unfähigkeit zu menschlichen Gefühlen (etwa für Martin) erkennt und damit auch die Un-Möglichkeit einer Eingliederung in die ihr begegnende, schon verknöcherte Gesellschaft, geht sie in ihre angestammt Natur zurück, vereinigt sich mit den Geistern des Meeres.

Detlev Glanert illustriert und stützt diese Geschichte mit unterschiedlichen, vielfältigen musikalischen Mitteln. Zarte, sehnsuchtsvolle Vocalisen aus der Natur und krachlederne Tänze beim Sommerball, muntere Koloraturen eines Boffo-Paares und explosiv-dröhnende Orchester-Cluster beim Zusammenstoß mit dem bösen Pastor. Es gibt wohlklingende  Arien, ein heiteres Quartett der zwei sich findenden Liebes-Paaren und immer wieder große schwungvolle wie auch  dramatische Ensembleszenen für den Chor der zahlreichen Feriengäste. Dominierend bleibt jedoch immer die schöne, klangvolle melodische Gesangslinie, gipfelnd im auf- und ausschwingenden Schlußmonolog der von Meereswellen umrauschten Oceane.

Der kanadische Regisseur Robert Carsen transponiert die Handlung aus der Zeit Fontanes in die Jahre vor dem ersten Weltkrieg – denn im beschränkt-starren Verhalten der damaligen Gesellschaft deute sich die kommende Katastrophe schon an.

Eine elegant in Grau gekleidete Hotelgesellschaft spaziert auf der Hotelterasse vor flachem Meer und rießigem, wolkenverhangenem Himmel lässig auf oder ab, später rollen mächtige, schwarze Meereswellen über den dazugehörigen, schmalen Strand – stimmungsvolle, mal starre, mal bewegte Bilder – atmosphärisch dicht! (Bühne: Luis F.Carvalho, Kostüme: Dorothea Katzer, Video: Robert Planz). Das Sänger-Ensemble ist bestens für die jeweilige Rolle ausgewählt. Der jugendliche, aber volle und geschmeidige Tenor Nikolaj Schukoff passt vorzüglich zur Figur den unbekümmerten Gutsherrn Martin von Dircksen, der schlanke, machtvolle Baß Albert Pesendorfer verkörpert eindringlich den hartgesotteten Pastor Baltzer und Maria Bengtsson beeindruckt als blass-blonde Oceane durch einen dramatisch-beweglichen  und zugleich –  besonders am leisen Beginn wie im verklingenden Schluß – ätherisch-leichten Sopran. Donald Runnicles leitet flexibel das engagiert spielende Opernorchester.

Der Erfolg beim Publikum war groß – auch in der von mir besuchten 2.Vorstellung. Eine zeitgenössische Oper:  packend, anrührend  und mit großen Zukunftschancen –  ein seltener  (Glücks-)Fall !

Premiere: 28.April 2019