Rainer Allgaier

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Monat: Juni 2012

Kein Sommernachtstraum: ‚Don Giovanni‘ in der Staatsoper im Schillertheater****

25. Juni 2012TheaterkritikenNo Comments

Zunächst stand dieser neue, dritte „Don Giovanni“, den Daniel Barenboim seit seinem Amtsantritt als Generalmusikdirektor der Staatsoper unter den Linden jetzt in Koproduktion mit der Mailänder Scala herausbringen wollte, unter keinem glücklichen Stern. Erst zog der vorgesehene Regisseur (Robert Carsen) seine Zusage zurück, dann sagte die hochumworbene Primadonna (Anna Netrebko) ab. Als Ersatz wurde – dank der alten Kontakte des Staatsopernintendanten Jürgen Flimm zu den Salzburger Festspielen  – eine Produktion von dort aus dem Jahr 2008 – die  an der Salzach abgelaufen und bereits im Fernsehn zu sehen war und die auch auf DVD zu erhalten ist -  eingekauft. Doch trotz solch unglücklicher Umstände: der Abend wurde ein voller Erfolg.
Regisseur Claus Guth verlegt die Geschichte des Don Giovanni ins Heute und in einen düsteren Wald: die Drehbühne wird von gewaltigen Tannen-Baum-Stämmen beherrscht mit riesigen Wurzeln, Felsenbrocken und moosbezogenen Mulden (Bühne / Kostüm: Christian Schmidt). In dieser finsteren Gegend wird Giovanni bei seiner tätlichen Auseinandersetzung mit dem Komtur von diesem durch einen Revolverschuss lebensgefährlich verletzt und alles weitere Geschehen entwickelt sich als Wettlauf Giovannis mit dem Tod. Stationen auf diesem schmerzensreichen Weg sind die erotischen Begegnungen mit den drei Frauen: der zwischen ihrer Bindung an den Verlobten und der sexuellen Lust auf Giovanni schwankenden Anna, der verlassenen, bis ins Hysterische frustrierten Elvira und der naiv mit ihrer erotischen Ausstrahlung spielenden Zerlina. Am Schluss verhüllt dichter Nebel die Baum-Kronen, der quirlige Leporello, der bisher mit Spritzen und aufmunternden Worten seinen sterbenden Herrn  eifrig gepflegt hat, ist am Ende seiner Kunst und der Komtur erscheint nun zwischen den Bäumen in schemenhafter Gestalt eines Totengräbers mit Spaten: der nochmals sich aufbäumende Giovanni sinkt in eine Moosgrube – Black out!
Auf das finale Sextett wird in dieser Aufführung verzichtet – eine moralische Lehre wäre hier Fehlanzeige. (Musikalisch bleibt diese Lösung allerdings unbefriedigend: als ob die Oper auf dem ‚vorletzten Ton‘ ende!).
Als Dirigent lässt sich Daniel Barenboim ganz auf diese Deutung ein. Nach einem etwas flauen Beginn (Ouvertüre) betont er mit grosser Verve die dramatischen Seiten der Partitur bis hin zu den ins Hoch-Romantische gesteigerten Finali, getragen von den dunkel-glühenden Farben der gross besetzten Staatskapelle. Als Giovanni betont Christopher Maltman mehr den Schmerzensmann und Getrieben – als erotischer Verführer bleibt er eher blass. In dieser Hinsicht hat der Leporello von Erwin Schrott sehr viel mehr zu bieten, dazu einen kernigen Bass-Bariton und viel bösen Witz. Maria Bengtsson als Anna ist eine hübsche Hollywood-Blondine, der man ihr sexuelles Temperament ohne weiteres glaubt – gesanglich durch schönes Legato und kraftvolle Spitzentöne beglaubigt. Ihr Verlobter Ottavio dagegen, Giuseppe Filianoti,  ist eine Fehlbesetzung: angestrengt in den Höhen und ohne inneren Ausdruck. Hinreissend die Elvira von Dorothea Röschmann: eine temperamentvolle, ins Komisch-Groteske gesteigerte Sex-Zicke, die vital bis an die Grenzen ihre Stimme geht. Wunderbar innig in ihrem Mozart-Gesang und zugleich von flirrender Koketterie: die Zerlina von Anna Prohaska. Der Slowene Stefan Kocan als Massetto im Smoking und der ukrainische Bass Alexander Tsymbalyuk in der Rolle des erschlagenen und als Totengräber wiederkehrenden Komturs ergänzen das gut ausgewählte Ensemble.
Mozarts „Don Giovanni“ :  halb böse Sommernachts-Sex-Komödie, halb psychisch-abgründige Wolfsschlucht – ob dieses Konzept dem vielschichtigen ‚Drama giocoso‘ gerecht wird, bleibt offen. Unbestritten jedoch: musikalisch wie szenisch ist der Abend in sich äusserst stimmig, sehr effektvoll und richtig spannend.

Foto: Monika Rittershaus/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 27./30.Juni//03./06.Juli 2012 (alle ausverkauft)

Schillerndes Porträt: ‚Ai Wei Wei – Never Sorry‘ von Alison Klayman***

22. Juni 2012FilmkritikenNo Comments

Alison Klayman, amerikanische Dokumentarfilmerin, hat den chinesischen Künstler Ai Wei Wei mehrere Monate mit der Kamera begleitet – bis zu seiner mysteriösen Verhaftung im letzten Jahr. Längere Interviews mit dem Künstler, kürzere mit Familienmitgliedern und Freunden, Statements chinesischer und amerikanischer Galeristen und Journalisten werden mit knappen Alltags-Szenen aus seinem Pekinger Atelier oder der Privat-Wohnung sowie mit vielen älteren Dokumentar-Aufnahmen zu einem leicht verwirrenden und fast atemlosen, modisch-bunten Kaleidoskop zusammengeschnitten.
Die Bilder sind nicht chronologisch geordnet, springen vom gegenwärtigen Peking nach Shanghai oder in die chinesische Provinz, ins New York der achziger und neuziger Jahre (wo Ai Wei Wei zehn Jahre lang lebte), zu längst abgelaufenen Austellungen in München oder London und wieder zurück ins noble Wohnhaus in der chinesischen Metropole. Einmal werden einige schwarz-weiss Fotos von Ai Wei Wei’s Vater, einem regimekritischen und deshalb verfolgten Dichter und Maler, eingeblendet – kurze biographische Hinweise auf Kindheit und Familie. Doch die schnell wechselnden Sequenzen – teils in chinesischer, teils in englischer Sprache (und mit deutschen Untertiteln) – vermitteln nur das Bild eines schlauen Kerls, der mit einer gewissen Kauzigkeit und keckem Witz, eine sture Bürokratie und undurchschaubare Regierungs-Macht immer wieder unterläuft, obwohl diese gelegentlich brutal zurückschlägt und vor körperlichen Verletzungen nicht zurückschreckt.
Ein geschickt auch die ihn begleitende Kamera ausnützender Künstler, der sich für soziale Gerechtigkeit und demokratische Freiheiten einsetzt. So dreht er beispielsweise einen Dokumentarfilm über Schüler in der chinesischen Provinz, die bei einem Erdbeeben ums Leben kamen, weil Ihre Schulen nicht sachgemäss gebaut waren (was die Regierung vertuschte).
Oder er versucht in Polizeibüros und Gerichtsgebäuden unerschrocken und tatkräftig sich für sein Recht und das seiner verfolgten Freunde einzusetzen : ein mutiger Kämpfer ohne Kompromisse, der andererseits aber auch ein lebenslustiger Zeitgenosse ist, wie sein lockeres Verhältnis zu seiner Frau, ebenfalls eine Künstlerin, und zu seiner Freundin, mit der er einen kleinen Sohn hat,
zeigt.
Sein Leben sieht Ai Wei Wei als Gesamtkunstwerk, trennt politisches und künstlerisches Handeln nicht. Doch seine Kunst spielt in diesem Film leider nur eine Nebenrolle. Ein paar Blicke in sein weitläufiges Pekinger Atelier, die berühmte Installation aus Hunderten von farbigen Rucksäcken (die an die verschütteten chinesischen Schüler erinnern sollen) in München oder das riesige, betretbare Feld aus einzel-bemalten Porzellan-Körnern (Symbol für die Millionen chinesischer Individuen) in der Londoner Tate Galerie – das sind zu wenig Hinweise auf das umfangreiche und bedeutende kreative Werk des Künstlers.
Die Amerikanerin Alison Klayman interessiert sich vorrangig für den chinesischen Bürgerrechtler und dessen unermüdlichen Einsatz für Demokratie und unabhängiges Denken. Und so gerät ihre Dokumentation zur emotional aufgeladenen Biographie eines  bewunderten Dissidenten  : ein wenig mehr kritischere Distanz – auch in der hektisch geschnittenen, filmischen Darstellung -  hätte diesem Porträt eines ungewöhnlichen Zeitgenossen sicherlich besser angestanden.

Foto/Poster:DCM-Filmverleih

zu sehen: Babylon Kreuzberg; Filmtheater am Friedrichshain; Hackesche Höfe Kino;Kant-Kino; Kino in der Kulturbrauerei u.a. (nur OmU)

Licht- und Schatten-Show: ‚The Open Square‘ – Staatsballett in der Komischen Oper ***

20. Juni 2012TheaterkritikenNo Comments

Der kurze, pausenlose Abend beginnt mit der knappen Conference einer Tänzerin über ihren Job: sind Tänzer Marionetten an der Strippe eines allmächtigen Choreographen oder vermögen sie sich als inviduell-gestaltende Persönlichkeiten zu profilieren? Die sich  anschliessenden 70 Minuten zeigen ein Dutzend abstrakter Tanz-Sequenzen ohne erzählerischen Faden. Ausgeführt von rund 20 Tänzern, die in ihren fleichfarbenen Trikots kaum zu unterscheiden sind, und eine eher androgyne Masse in unterschiedlich starken Formationen bilden. Es gibt zwar auch einige Soli und Pas-de Deux, doch auch hier bleiben – bei aller Kunst einer Elisa Carrillo Cabrera, Nadja Saidakowa oder eines Mikhail Kaniskin – die einzelnen Tänzer nur Teile des etwas diffusen, unpersönlichen gesamten Ensembles.
Und auch die wenigen Szenen in denen alle Tänzer, Frauen wie Männer, zur Chorus-Line in aufgebauschten Glitzer-Tütüs antreten (mit schwarzen Luftballons darunter), setzen ganz klar auf den ironischen Effekt einer (unpersönlichen) Gruppen-Revue.
Erfinder und Strippenzieher dieses Abends zwischen Ballett und Show, zwischen Kunst und Künstlichkeit, Witz und Esoterik sind der israelische Choreograph Itzik Galili und vor allem sein Lichtgestalter Yaroun Abulafia. Die Bühne bleibt dunkel, der Raum für die Tänzer wird allein durch die unterschiedlichsten Scheinwerfer gestaltet. Mal wird die gesamte Fläche, mal nur schmales Segment ausgeleuchtet, mal drehen sich die Tänzer im Spot-Light von oben, mal werden sie von den Bühnen-Seiten angestrahlt. Dieser ständige und rasche Licht- und Beleuchtungswechsel verleiht den Tanzenden eine starke Körperlichkeit und sinnliche Präsenz und vermittelt trotz der schnellen Bewegungen immer wieder den Eindruck einer Abfolge kraftvoller Körperskulpturen.
Die passende Musik wurde von der vierköpfigen, niederländischen Percussions-Gruppe ‚Percossa‘ extra für diese Choreographie komponiert und wird vom Orchester der Komischen Oper unter Alexander Vitlin live (im Orchestergraben) gespielt: eine Art Minimal-Musik, stark schlagzeug-betont, in den langsamen, sanften Passagen von einem süsslichen Geigenton untermalt.
Manches an diesem – vom Staatsballett vorzüglich getanzten – Abend gerät zu langatmig oder zu beliebig, doch im letzten Drittel nimmt die innere Spannung zu: durch ein langsam ansteigendes Tanz-Crescendo, das in einem fast rauschhaften Wirbel des gesamten Ensembles endet. Grosser Jubel eines überwiegend jugendlichen Publikums.

Foto: Bettina Stöss/Staatsballett Berlin

nächste Vorstellungen: 23. und 25. Juni 2012

Suppe mit Wodka: ‚Lehrstück‘ in der Schiller-Werkstatt (Staatsoper) **

17. Juni 2012TheaterkritikenNo Comments

Die Schiller-Werkstatt ist diesmal als Kantine eingerichtet: mit grösseren und kleineren Tischen, einer Kochecke mit Theke, an der sich Jeder-mann/frau ein Teller Suppe, einen Pott Kaffee oder ein Gläschen Wodka abholen kann (kostenlos!). An der einen Längsseite des Raums das Riesenfoto eines gekenterten Luxus-Liners, vor der gegenüberliegenden, sperrholzgetäfelten Wand haben sich ein paar Musiker und deren Dirigent (David R.Coleman) aufgestellt. Zwischen dem Publikum sitzen an jedem Tisch (in Freizeitkleidung) einige Chor-Mitglieder, erkenntlich an bandagierten Körperteilen: sie singen Lehrhaftes,  rezitieren Thesen über Kunst und Soziales, erzählen eigene Lebensgeschichten (alles per auf dem Tisch liegenden Mikrofonen)  – oder holen sich zwischendurch Suppe.
1929 haben Bertold Brecht und Paul Hindemith ihr kleines „Lehrstück“ in Baden-Baden zur Uraufführung gebracht. Clou der Produktion:  alles kann und darf jederzeit (rsp.in jeder nachfolgenden Aufführung) abgewandelt oder geändert werden. Auch soll es keine Trennung zwischen Mitwirkenden und Publikum geben und ausserdem soll letzteres nach Möglichkeit mitspielen.
Die zugrunde liegende Story ist simpel: ein Pilot ist abgestürzt und bittet um Hilfe. Doch die Gebetenen lehnen ab, denn der Pilot ist an seinem Unglück selbst schuld. Aber: wer hat dabei recht?
1929 dauerte dieses ‚Lehrstück‘-chen gerade mal 30 Minuten. Dank der offenen Form hat der Regisseur Michael von zur Mühlen die Spieldauer in der Suppenküchen-Werkstatt verdreifacht. Die (eher spröde) Musik von Hindemith spielt dabei nur noch eine untergeordnete Rolle, stattdessen wird viel über aktuelle Sozial-Befindlichkeiten in getragenem Opern-Bühnen-Deutsch aufgesagt, untermalt von heftigem Gestikulieren und Agitieren der Zuschauer zum Mitmachen. Doch wie immer bei solchen Studenten-Theater-Gepflogenheiten: ein Teil des Publikum schüttelt den Kopf, ein anderer stimmt begeistert ein. So auch in diesem Fall.
Klar, auch Scherz, Satire und (Selbst?-)Ironie sind gelegentlich eingeflochten in das quirlige Kantinenleben, doch so richtig zünden wollen die Spässchen nie. Als jammernder, abgestürzter Pilot (oder Kapitän?) darf Staatsopern-Tenor Reiner Goldberg ein wenig „Lohengrin“ oder „Siegfried“ zitieren, während der Bariton Nicholas Isherwood im Küchenchef-Dress hauptsächlich den Schnaps verteilen muss. Chor und Musiker singen und spielen bei dem allgemeinen Hin-und Her in dieser Suppenküche erstaunlich präzise.
Ob sich die Ausgrabung dieses vorgestrigen Thesen-Theaters gelohnt hat, bleibt offen. Immerhin: die Suppe war gut und der Wodka floss reichlich.

Foto: (c) www.thepaulgreen.com/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 17./23./24.Juni 2012

Unter Hochdruck: ‚Il Trovatore‘ – konzertant in der Deutschen Oper Berlin ****

10. Juni 2012TheaterkritikenNo Comments

Warum ein Repertoire-Reisser wie den Verdi’schen „Troubadour“ konzertant? Warum keine Neu-Produktion? Wollte oder konnte man die hauseigene (ältere) Neuenfels-Inszenierung nicht wiederbeleben? Zu probenaufwendig für die Sänger-Stars, zu teuer? Warum nur zwei Vorstellungen am Ende einer Übergangs-Spielzeit?
In der von mir besuchten (zweiten und letzten) Aufführung (9.Juni) erledigten sich all diese Fragen durch die Begeisterung eines hoch animierten Publikums: Brava und Bravi nach fast jeder Musiknummer, tosender Applaus an den Aktschlüssen, ein ‚da capo‘ der berühmten Stretta des Titelhelden und ’standing ovations‘ am Ende des Abends. Die Hochstimmung einer italienischen Opern-Nacht – auch wenn statt bunter Kostüme schwarze Abendkleider und Frack auf der als Konzertsaal eingerichteten Bühne vorherrschten.
Orchester und Chor sassen frontal zum Publikum, was die Lautstärke erheblich erhöhte und bei den Solisten den Hang zum Brüllen teiweise unangenehm verstärkte. Der junge italienische Dirigent Andrea Battistoni besitzt, bei allen musikalischen Drive, den er temperamentvoll vorgab, wohl noch zu wenig Erfahrung, um solche dynamischen Unebenheiten zu unterbinden.
Im Mittelpunkt des Jubels standen die schlanke Anja Harteros als Gräfin Leonora mit einem – auch in den Koloraturen – makellos geführten und zugleich ausdrucksstarken, strahlenden Sopran sowie Dolora Zajick als Zigeunerin Azucena mit einem sattem, hochdramatisch zugespitztem Mezzo. Doch auch der beleibte und bebrillte Stuart Neill als Troubadour Manrico begeisterte: gleichsam wie ein Hochleistungssportler feuerte er seine hohen Tenortöne ins Publikum. Etwas zurückhaltender: Dalibor Jenis in der Rolle des eifersüchtigen Grafen Luna – ein nobler Kavaliersbariton, dem allerdings die böse Schwärze fehlte.
Hauseigene Kräfte und Stipendiaten der Opernstiftung ergänzten in den kleinen Nebenrollen das Star-Solisten-Quartett vorzüglich, besonders prägnant Marco Mimica als Haudegen Ferrando.
Der von William Spaulding einstudierte Chor bildete den perfekten und klangschönen Hintergrund eines ausladend-italienischen Opern-Spektakels, das – an diesem Abend -  Kunstvolles und Volkstümliches sehr wirkungsvoll verband.

Foto: Bettina Stöss/Deutsche Oper Berlin

keine weiteren Vorstellungen in dieser Spielzeit

Jahrmarktszauber: ‚Rappresentatione di anima e di corpo‘ im Schillertheater (Staatsoper) ****

9. Juni 2012TheaterkritikenNo Comments

Eine weitoffene Bühne, zwischen Orchestergraben und den ersten Parkettreihen bleibt nur ein schmaler Spalt aus dem (in der Mitte) Kopf, Arme und Rücken des Dirigenten Rene Jacobs ragt, rechts und links der nach hinten ansteigenden Spielfläche sitzen Musiker, Sänger, Tänzer in langen,schwarzen Mänteln und dunklen Hüten, eine Disco-Kugel hängt über allem und verbindet Bühne und Zuscherraum mit bunten, kreiselnden Lichtpunkten – das Schillertheater wird zur barocken Disco.
„Rappresentatione di anima e di corpo“ (Das Spiel von Seele und Körper) des italienischen Komponisten Emilio De’Cavalieri, um 1600 in Rom uraufgeführt, ist eine Art Oratorium, in dem allegorische Figuren über die schöne, aber sündige Welt und das Heil der Seelen im christlichen Himmel disputieren – eine kleines Welttheater der Gegenreformation.
Musikalisch ansprechend, in einem ariosen, rezitativischen (Gesangs-)Stil, im Rhythmus sehr tänzerisch, aber alles ohne allzu virtuose Ausschmückung. Von Rene Jacobs und den Musikern der ‚Akademie für Alte Musik‘ auf historischen Instrumenten schwungvoll und delikat gespielt. Vom Staatsopernchor in klangschönen Madrigalen kommentiert und einem klug zusammengestellten Solisten-Ensemble prächtig gesungen, allen voran die französisch-schweizerische Mezzo-Sopranistin Marie-Claude Chappuis als Anima und der norwegische Bariton Johannes Weisser in der Rolles des Corpo.
Doch trotz dieser hohen musikalischen Qualitäten verdankt der Abend seine theatralische Attraktion der szenischen Umsetzung durch den Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Achim Freyer und seinem Pantomimen- und Bewegungs-Ensemble. Freyer möbelt das handlungsarme und gedankenbefrachtete christliche Erbauungs-Stück mit seiner schon vielfach bewährten, fast überbordenden Raum- und Spiel-Fantasie äusserst effektvoll auf. Totenköpfe, Knochenmänner, ein blaues Pferd, ein weisser Hase, Figuren ohne Gesicht, aber mit hohen, spitzen Mützen, Schwarzgewandete, die mit ihren weissen Baumwoll-Handschuhen seltsame Zeichen geben, zwei sprechende und singende Knaben mit Riesen-Zylinder, Anima im weissen Gewand und Blumen streuend, Corpo durchbohrt von roten Stäben wie ein profaner ‚Heiliger Sebastian‘, farbige Nebelschwaden, bunt-flackernde Wander-Lichter und im Bühnenhintergrund – durch einen schwarzen Schleier fast verborgen – ein zart tönendes, „himmlisches“ Fern-Orchester – Mysterienspiel und Zaubertheater zwischen Surrealismus und Groteske.
Achim Freyers – von Manierismus und Kunstgewerbe nicht ganz freie – aber phantasievolle Bühnenkunst sowie der musikalische Drive von Rene Jacobs und dem fabelhaften Ensemble machen aus dem über vierhundertjährigen, religiösen Opern-Oratorium einen ebenso kurzen (anderthalb Stunden ohne Pause) wie kurzweiligen Theaterabend.

Foto: Hermann und Clärchen Baus/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen:10./13./15./17.Juni 2012

Wie fromm war Händel? – Die Festspiele in Halle 2012

4. Juni 2012TheaterkritikenNo Comments

Ein Motto muss wohl sein – und so überschreiben die diesjährigen Händel-Festspiele ihre zahlreichen Veranstaltungen zwischen dem 31. Mai und dem 10.Juni mit dem recht vagen Titel „Händel und die Konfessionen“. Die nach wie vor populäre Margot Kässmann, inzwischen Botschafterin der Evangelischen Kirche für das Reformations-Jubiläum 2017, übernimmt deshalb die Schirmherrschaft; ausserdem ermöglicht das fromme Motto der Festspiel-Leitung, auch in den benachbarten Luther-Städten Eisleben und Wittenberg den in Halle geborenen Komponisten zu präsentieren.
Wie immer steht zu Beginn der umfangreichen Veranstaltungsreihe, die die unterschiedlichsten Genres umfasst, eine Ko-Produktion des Festivals mit der heimischen Oper:  in diesem Jahr „Alcina“, uraufgeführt in London 1735.
Diese Alcina ist eine attraktive Zauberin, die auf einer exotischen Insel lebt und die ihre abgelegten Liebhaber in Pflanzen oder Tiere verwandeln kann – bis sie sich eines Tages in den attraktiven Ritter Ruggiero leidenschaftlich verliebt. Doch Ruggieros Ex-Verlobte, die mit tatkräftigem Begleiter anreist, macht Alcina den hübschen Ritter streitig und gewinnt ihn mit einigen Tricks für sich zurück – die Zauberin verliert ihre Macht, bleibt allein und verzweifelt auf der Insel zurück.
Berhard Forck und das Händelfestspielorchester mischen die wilde Geschichte munter auf, musizieren flott und feinstimmig zugleich, und der Hallenser Opern-Liebling Romelia Lichtenstein ist eine fabelhaft-dramatische Alcina – eine zunächst temperamentvolle Circe und dann ohnmächtig-verlassene Liebeszauberin. Leider verzettelt sich das Regie-Team um Andrej Woron in kritisch gemeintem (Kolonialismus!) Südsee-Bühnen-Plunder mit flachem Swimming-Pool, Plastik-Palmen und albernen (Schein-)Folkore-Ritualen. Buhs für den Regisseur, verdiente Bravos für die Musiker und Sänger.
Im kleinen historischen Goethe-Theater im nahen Bad Lauchstädt kommt – dem Festival-Motto entsprechend – Händels Oster-Oratorium „La Resurrezione“ zu einer szenischen Aufführung. Das 1708 in Rom erstmals gespielte Werk (im Palast eines Kardinals) rahmt den gedankenreichen Gang der beiden Marien (Kleophas und Magdalena) und des Jüngers Johannes zum (leeren) Grab Jesu‘ mit einem heftigen Disput zwischen einem Engel und dem Teufel über den Sieg und die Verbreitung des christlichen Glaubens: eine barock-ausladende Allegorie der katholischen Gegenreformation. Wolfgang Katschner und seine Berliner Lautten Compagney begeistern auch diesesmal durch ihr farbig aufgefächertes und instrumental fein abgestimmten Aus-Musizieren von Händels jugendlich-pompöser Musik. Die Sänger bieten solides Mittelmass. Regisseur Kobie van Rensburg verblüfft im ersten Teil durch effektvolle Video-Tricks, im zweiten Teil langweilt er mit abstrakt-symbolischen Peronen- und Gruppen-Arragements, gipfelnd in einem stummen Abendmahls-Bild: pseudo-religiöser, modischer Kitsch.  Das Publikum allerdings war begeistert.
Beide Produktionen zeigen die Überlegenheit der musikalischen Darstellung gegenüber einer szenischen Verlebendigung – triumphiert der (traditionelle) Konzertsaal über die Bühne ?

Foto: Händel-Festspiele Halle

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