Traurige Tropen: „Birdwatchers“ von Marco Bechis ****

Im offenen Motorboot faehrt eine Gruppe Touristen auf einem breiten, braunen Fluss durch den brasilianischen Regenwald, betrachtet exotische Voegel und rotbemalte Indios im Lendenschurz, die gelegentlich ein paar Pfeile in ihre Richtung schiessen. Doch sobald das Boot weitergefahren ist, verschwindet die Handvoll Indios im Wald, zieht sich Hosen und T-Shirts ueber, sammelt sich auf einem wartenden Lastwagen und erhaelt einige Geldscheine von einer Vertreterin des Tourismus-Unternehmens.
Dieser ueberraschende Blick- und Perspektiven-Wechsel bestimmt den gesamten Spielfilm des in Argentinien aufgewachsenen, italienischen Regisseurs Marco Bechis. Keine plumpe Geschichte vom guten, aber ausgebeuteten Indio und vom reichen, boesen Plantagenbesitzer, sondern das durch 500 Jahre Kolonial-Geschichte bedingte Drama zweier Welten, die nur an wenigen Punkten miteinander kommunizieren koennen: die heute nur noch in (staatlichen) Reservaten lebenden, bitter-armen Indios, die als Tageloehner arbeiten, und die spanisch-staemmigen Grossgrundbesitzer, deren Vorfahren die Urwaelder rohdeten, und durch Ackerbau und Viehzucht ihre grossen Vermoegen erwarben.
Der Film erzaehlt wie der Haeuptling Nadio mit seiner Familie aus dem Reservat ausbricht, sich von einem Schamanen den Lebensort seiner Vorfahren zeigen und beschwoeren laesst, dort – auf dem Feld eines Hacienda-Besitzers – sich eine Huette baut und jede weitere Arbeit als Tageloehner verweigert. Der Plantagen-Besitzer versucht zunaechst die Sache im guetlichen Einvernehmen zu regeln, mal mit Geld, mal durch seinen Rechtsanwalt. Als Nadio stur bleibt, wird er eines Nachts von einem dubiosen Polizeikommando erschossen. Seinen Sohn, der sich fuer seinen Tagelohn im nahen Ort ein paar schicke Sneakers gekauft hatte, hatte er noch vorher verstossen, worauf der sich im Wald erhaengte. Osvaldo, sein Freund, hat immer Angsttraeume und Halluzinationen, wird deshalb zum Schamanen ausgebildet, erlebt eine kurze, sexuelle Begegnung mit der Tochter des Hacienda-Besitzers (die koerperliche Anziehungskraft ueberwindet gesellschaftlichen Schranken) und am Ende kann er seine Einbildungen ueberwinden.
Das Besondere dieses Films: alle Indios sind Laien, Angehoerige des Stammes der Guarani im Gebiet des Mato Grosso do Sul. Mit ihnen zusammen hat Marco Bechis die Story entwickelt, ihren Vorgaben ist er weithin gefolgt und erreicht dadurch eine aussergewoehnliche Authentizitaet. Filmisch klug umgesetzt:  Kamera, Ton und Schnitt verdeutlichen die unterschiedliche Perspektiven der Erzaehlung und ihren oft verblueffenden Wechsel sehr eindrucksvoll – beispielsweise die herablassende Haltung der beiden haschischrauchenden Toechter des Grossgrund-Besitzers gegenueber dem am Fluss betenden Osvaldo – bis ein paar Indiofrauen hinzukommen und durch einige frech-obszoene Sprueche die Ueberheblichkeit der beiden Maedchen als laecherlich entlarven und die beiden Bikini-Schoenheiten dadurch zum klaeglichen Rueckzug zwingen.
Trotz dieser raffinierten und kuehlen Erzaehlweise (mit prachtvollen Landschaftsaufnahmen) – vor allem ein Film voller Empathie fuer die brasilianischen Indios, fuer eine Gesellschaft, die um ihren eigenen Untergang weiss.

Foto/Verleih: Pandora

zu sehen: Broadway, Filmtheater am Friedrichshain, Movimento, fsk (OmU), Hackesche Hoefe (OmU)