Bitterer Familien-Stress: ‚Le Passé – Das Vergangene‘ von Asghar Farhadi****

Nach mehrjähriger Abwesenheit kommt der Iraner Ahmad (Ali Mosaffa) nach Paris zurück, um offiziel seine Scheidung von der Französin Marie (Bérénice Bejo) zu unterzeichnen. Denn Marie, die mit ihren beiden Töchtern Lucie und Léa in einem kleinen, etwas heruntergewirtschafteten Haus in einem Pariser Vorort lebt, plant ihren neuen Lebensgefährten Samir (Tahar Ramin) zu heiraten. Allerdings ist Samir, der in Paris ein Reinigungsgeschäft betreibt (neben der Apotheke in der Marie arbeitet) noch verheiratet, und – was die Sache sehr kompliziert – seine Frau hat vor kurzem einen Selbstmordversuch unternommen und liegt seitdem im künstlichen Koma. Aus diesem Grund wohnt Samirs fünfjähriger Sohn Fouad bereits im Haushalt von Marie.
Als Ahmad nun bei seiner Ex-Frau eintrifft, muss er feststellen, dass alle unter heftigstem Stress stehen: Samir wegen seiner komatösen Frau und seinem Sohn, der auf die unklare Situation mit widerborstigem Verhalten reagiert; Marie, weil ihre 16jährige Tochter Lucie sich ganz vor ihr verschliesst und nur noch zum Schlafen nach Hause kommt. Sie bittet deshalb Ahmad, zu ergründen, was mit Lucie los ist. Schnell wird klar, dass Lucie Samir nicht mag und die geplante Heirat strikt ablehnt. Den Grund dafür gibt sie nur zögerlich zu erkennen: sie glaubt nämlich, dass Samirs Frau wegen seines Verhältnisses zu ihrer Mutter sich zu töten versuchte und sie, Lucie, dabei eine Rolle gespielt habe, da sie Liebes-Mails ihrer Mutter unberechtigt weitergeleitet habe. Ob dies tatsächlich der Fall war, oder der Selbstmordversuch aus anderen Gründen erfolgte, bleibt unklar – doch der Familienfriede ist in jeder Hinsicht zerstört, am meisten betroffen sind die Kinder: ob Lucie, Léa oder Fouad.
In seinem davor gedrehten, preisgekrönten Film „Nadir und Simin“ erzählt der renommierte, iranische Regisseur Asghar Farhadi die Geschichte einer schwierigen Trennung (in Teheran). In seinem neuen, in Frankreich verwirklichten Werk schildert er, was nach der Scheidung kommt, und wie schwierig unter Umständen ein solcher Lebens-Neuanfang sein kann. Entscheidend ist im Fall von Ahmad und Marie, dass das Vergangene und dessen belastende Momente nicht bedacht oder gar geleugnet werden. Beispielsweise will in einer Szene Ahmed seiner Ex-Frau erklären, warum er – depressions-geplagt – sie und die Kinder vor Jahren verlassen hat und nach Teheran zurückkehrte, aber Marie lässt ihn überhaupt nicht zu Wort kommen, sie will es einfach nicht hören. Auch die Probleme ihrer Tochter Lucie will sie nicht wahrhaben, obwohl Ahmad behutsam versucht, zu vermitteln. Besonders deutlich wird das seelische Chaos der Familie in der Person des kleinen Fouad, der nicht mehr weiss, wo er eigentlich zu Hause ist, zu wem er gehör, auch wenn sein Vater sich manchmal liebevoll um ihn bemüht. Fouad reagiert meist nur mit Trotz und Verweigerung. Der Schluss des Films bleibt offen.
Asghar Farhadi fasst dieses Familiendrama in schöne, klare, aber nicht aufdringliche Bilder: eine Glasscheibe zwischen den Personen, die sich so nur durch Gesten oder Blicke verständigen können, oder das heruntergekommene Wohn-Haus, das gleichzeitig renoviert und neu ausgestattet wird. Fast alle Szenen spielen in Innenräumen (auch im Inneren eines Autos oder Zuges) und gleichzeitig gibt die Hintergrunds-Atmosphäre der Gross-Stadt Paris und ihrer Vororte der emotionsgeladenen Handlung eine feste, realistische Verankerung. Grandios ist Farhardis Kunst der Personenführung, die fein-abgestufte psychologische Charakterisierung jeder Figur. Allerding stehen ihm auch exzellente Schauspieler zur Verfügung: Bérénice Bejo als schöne, aber nervös und oft harsch reagierende Marie, der Franzose Tahar Ramin als unsicherer, verstörter Samir, dem alles über den Kopf zu wachsen scheint, und der Iraner Ali Mosaffa in der Rolle des Ex-Ehemanns, der sich bemüht, die herrschenden Spannungen mit ruhiger Distanz auszugleichen, obwohl auch er zu den Verletzten innerhalb dieser Patschwork-Familie gehört.
Ein herausragender, bewegender Film – auch wenn seine Geschichte von Trennung und einem schwierigem Neubeginn, dessen Erfolg offen bleibt, eher eine bedrückende Nachwirkung hinterlassen dürfte.

Foto/Poster: Camino Filmverleih

zu sehen: Cinema Paris (OmU); Theater am Friedrichshain (OmU); Hackesche Höfe Kino (OmU); Capitol; Kino in der Kulturbrauerei; Passage Neukölln