Erfrischendes Alsterwasser: ‚Emma und Eginhard‘ in der Staatsoper im Schillertheater****

Kaiser Karl der Große kommt von einem erfolgreichen Feldzug gegen die (noch heidnischen) Sachsen zurück und wird von seinem Hof als Friedenfürst bejubelt. Doch schnell bedrängen ihn private Sorgen: er ertappt eines Nachts seine Tochter Emma, wie sie einen Liebhaber aus ihrer Kammer entläßt – keinen geringeren als sein (nicht adliger) Schreiber und Vertrauter Eginhard. Wütend läßt er die  beiden verhaften und droht ihnen mit der Todesstrafe. Aber: soll er in diesem Fall nicht doch Gnade vor Recht ergehen lassen? Seine Ratgeber (und seine Frau) vertreten dabei unterschiedliche Ansichten…
Diese Episode aus dem Sagenkreis um Karl den Großen diente 1728 dem Komponisten Georg Friedrich Telemann als Grundlage einer Jubiläums-Oper für das damals hochberühmte Theaterhaus am Hamburger Gänsemarkt. Wohl über fünf Stunden dauerte der bunte Bilderbogen aus ernsten, komischen und satirischen Szenen -  mit vielen, überwiegend kurzen Arien, einigen Duetten und wenigen Ensemble-Nummern. Gefällige Unterhaltung und Erbauung für ein stolzes und reiches Hamburger Bürgertum, gewürzt mit käftigen Seitenhieben auf den Adel. Natürlich in deutscher Sprache.
Der umtriebige Dirigent René Jacobs, der schon zahlreiche Opern der Renaissance und des Barocks neu- oder wiederentdeckt hat, belebt jetzt mit dem ihm eigenen, zupackend-musikalischen Temperament die in Berlin noch nie gespielte Telemann-Oper. Deren Untertitel „Die-Last-Tragende-Liebe“ rührt übrigens daher, daß Emma nach der Liebesnacht ihren Eginhard auf dem Rücken über den frisch verschneiten Burghof trägt, damit er keine verdächtigen Spuren im Schnee hinterläßt. Pech nur, daß der an Schlaflosigkeit leidende, kaiserliche Vater die Szene beobachtet und mit bösen Konsequenzen droht…
Die Regisseurin Eva-Maria Höckmayr versucht die alte Liebes-Story für ein heutiges Publikum lebendig werden zu lassen, indem sie die das Geschehen in hohem Tempo durch Zeiten und Räume laufen läßt. Die Drehbühne (Nina von Essen) zeigt unzählige, sich ständig ändernde Zimmerfluchten vom vornehmen Salon mit klassicher Goldleiste bis zur düster-finsteren Rumpelkammern, die üppigen Kostüme (Julia Rösler) reichen vom roten Hermelinmantel samt deutscher Kaiserkrone über barocke Roben und Allonge-Perrücken bis zur modichen Party-Kleidung von heute. Geschickt und effektvoll wird die etwas einförmige und deshalb ermüdende Abfolge der streng hintereinander geschalteten Arien durch kleinen Neben- oder Zusatzhandlungen belebt: so daß zum musikalischen Genuß auch optisch ein Feuerwerk gezündet wird. Auch wenn der Trick bei der Länge von dreieinhalb Spielstunden nicht immer ganz aufgehen will. Hübsch auch wie das im ersten Teil eher komödiantische, im zweiten dann dramatische Spiel um die verschiedenen Liebe-Möglichkeiten auf Distanz gehalten wird – so treten der Hofnarr (im modischen Anzug) oder auch der Kaiser immer wieder aus dem die Bühne einfassenden Goldrahmen heraus und schießen so von der Rampe außerhalb ihre bissigen oder bösen Kommentare auf die turbulente Liebesjagd ab.
Das große, aus Gästen und Mitgliedern des Hauses zusammengefügte Sängerensemble hat sichtlich Spaß am temporeichen Spiel, musikalisch bleiben ein paar Wünsche offen. Die Amerikanerin Robin Johannsen läßt als Emma blitzsaubere Koloraturen perlen, der Russe Nikolay Borchev ist ein elegant-baritonaler Eginhard, Gyula Orendt ein sonorer Kaiser und Johannes Chum der tenoral-spitze Hofnarr. Am Ende des Abends sorgt ein neckischer Amor fürs Happy End und alle ziehen unter René Jacobs beschwingter Leitung die etwas holprige, aber fröhliche Moral:
„Auf schwere Hindernisse
  ist Lieb´und Lust gedoppelt süße.“
Großer Beifall des Premieren-Publikums.

Foto:Monika Rittershaus/Deutsche Staatsoper Berlin

Nächste Vorstellungen:29.April/ 2./8./10.Mai 2015