Warten auf Godot: ‚Moses und Aron‘ in der Komischen Oper***

Zu Beginn erscheinen auf einer Leinwand ein paar Zitate aus Becketts „Warten auf Godot“. Wie Wladimir und Estragon suchen auch Moses und Aron ihren Gott und das von ihm verheißene gelobte Land. Und wenn bei Beckett sich die beiden Figuren als Zauberer definieren, dann entpuppen sich in Barrie Koskys Inszenierung von “ Moses und Aron“ die beiden Brüder als Klein-Künstler, die mit allerlei bewährten Zaubertricks die wankelmütige Chor-Masse zu manipulieren versuchen. So wird Arons Stöckchen zur sich windenden Schlange oder Moses trickst mit einen Davidstern auf weißem Tuch. Die dunkel ausgeschlagene Bühne (Klaus Grünberg) ist ein leerer, eng wirkender Raum unter einer sehr niedrigen, bis übers Orchester reichenden Decke; auf dem ansteigenden Boden liegen Gebetsteppiche (vom Parkett aus kaum zu erkennen). Wild stürmt der riesige Chor in dezent-farbiger Alltagskleidung herein, teilt sich oft in mehrere miteinander streitende und diskutierende Gruppen, reckt wie in alten Stummfilmen plakativ die Hände in die Höhe, fällt zu Boden, lauscht und läßt sich verführen von dem geschickt argumentierenden Aron, während Moses wie ein altes Männchen in einem ärmlich-schwarzen Anzug plus Zylinder vor sich hin stottert. An das alte Kintopp erinnert dann auch die Orgie um das goldene Kalb – hier eine Tänzerin und drei Tänzer in Goldlamé mit Federbusch auf dem Kopf, vom Bühnerand aus gefilmt mit einer uralten Stativ-Kamera. Doch danach wird´s brutal: der Chor schleppt große Puppen herbei, zerstört sie teilweise und schichtet sie zu einem mächtigen Leichenberg (wie auf einem Auschwitz-Foto), durch den sich Moses bei seiner Rückkehr vom biblischen Berg durchwühlen muß – auf dem nackten Öberkörper blutrote, hebräische Zeichen: sozusagen die Gesetzes-Tafeln. Verzweifelt über die orgiastischen Taten des Volkes beklagt er das Wort, das ihm fehlt, und verwischt die Gesetzes- Buchstaben auf seiner Haut
Arnold Schönberg schrieb und komponierte die ersten beiden Akte seiner zwölftönigen Oper „Moses und Aron“ Anfang der 1930er Jahre, gleichsam als persönliche Auseinandersetzung mit dem Judentum, zu dem er sich erneut bekannte. Er ringt in der Oper um Sinn uund Möglichkeit des Glaubens, thematisiert ahnungsreich das kommende Exil, den Leidensweg der Juden, die Hoffnung auf ein gelobtes Land, das er dann in Amerika fand. Vollendet hat er das Werk im kalifornischen Exil nicht, vom abschließenden dritten Akt existiert nur der Text zu einer Szene. Eine Aufführung der beiden fertigen Akte fand erst nach Schönbergs Tod statt, zunächt konzertant 1954 in Hamburg, szenisch 1957 in Zürich.  Berühmt durch Gastspiele in aller Welt war die West-Berliner Einstudierung von Gustav Rudolf Sellner und Hermann Scherchen von 1959 – das Musterbild einer (damals hochgeschätzten) abstrakten Inszenierung.
Regisseur Barrie Kosky scheint in der Komischen Oper dem Gottessucher Schönberg-Moses zu mißtrauen, macht aus der biblischen Herrschergestalt einen stotternden alten Mann, der mit seinem Luftikus von Bruder Aron die leicht verführbare, schwankende Menschenmasse mit kleinen Zaubertricks zu lenken und zu beherrschen versuchen. Dementsprechend wirken auch die beiden Sängerdarsteller (Robert Hayward als Moses, Andreas Conrad/John Daszak (alternierend) als Aron) eher kleinformatig und blass, während der von David Cavelius fabelhaft einstudierte Chor zum beherrschenden Mittelpunkt des Abends wird: einmal wegen der phänomenalen musikalischen Gestaltung zwischen flüsterndem Sprechgesang und leuchtender Kantilene, zum andern wegen seiner virtuosen, szenischen Beweglichkeit. Hier scheint der Chor der Komischen Oper seinen (seit Gründung) hochberühmten Ruf noch zu übertrumpfen.
Riesenerfolg aber auch für das große, um viele Instrumente erweiterte Orchester des Hauses, das zugleich transparent und farbenreich klingt. Der Dirigent Vladimir Jurowski, diesmal als Gast an die Komische Oper zurückgekehrt, hält den gesamten musikalischen Apparat mit stauenswerter Souveränität zusammen und läßt die – für viele Zuhörer immer noch spröde wirkende – aus einer einzigen Zwölftonreihe entwickelte Musik Schönbergs zu einem überzeugendem und ausdrucks-starkem Klangerlebnis werden, perfekt in der Balance von Wort und Ton.
Vor allem der Musik und des Chores wegen ist diese Aufführung von Schönbergs – inzwischen viel gespieltem und prestigeträchtigem -  Operndrama lohnend und anregend.

Foto (Tanz ums Goldene Kalb): Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin

Nächste Vorstellungen: 28.April/ 2.u.10.Mai/ 7.Juli 2015