Brutale Karriere: „Un Prophete“ von Jacques Audiard ****

Malik (Tahar Rahim), knapp 20-jaehriger Fanzose arabischer Abstammung, wird in ein ziemlich heruntergekommenes Gefaengnis unweit von Paris eingeliefert: sechs Jahre Haftstrafe fuer ein (im Film) nicht naeher erlaeutertes Verbrechen. Malik wuchs nach eigenen Angaben in Heimen auf, kann kaum lesen und schreiben, hat keinerlei Berufserfahrung. In dieser Haftanstalt uebt eine korsische Gangsterbande unter ihrem weisshaarigen Gentleman-Anfuehrer Cesar (Nils Arestrup), und mit heimlicher Billigung des Aufsichtspersonals, die wahre Macht aus. Malik wird von den Korsen gezwungen, einen Gefangenen, dessen Aussage gefaehrlich werden koennte, zu ermorden – wenn nicht, werde er selbst umgebracht. Malik fuegt sich und geniesst von da ab den Schutz Cesars, darf dessen Zelle fegen oder fur ihn Kaffe kochen. Langsam entdeckt Malik – mehr intuitiv als bewusst – die inneren Machtzusammenhaenge und die Moeglichkeiten, sie zum eigenen Vorteil zu nutzen. Er lernt schreiben, lesen, erledigt zunaechst Hilfsarbeiten in der Kueche oder bei der Essensausgabe – solch gutes Verhalten wird mit Freigaengen belohnt. Doch Malik nutzt diese Freigaenge nach Paris oder Marseille nicht nur um Boten-Auftraege fuer den Gangsterboss Cesar zu erledigen, sondern er baut sich mit Hilfe eines arabischen Kumpels ein eigenes Netzwerk im Drogenhandel auf.
Da auf Grund eines neuen Gesetzes von Sarkosy die meisten korsischen Gefaengnis-Insassen in Haftanstalten auf Korsika ueberfuehrt werden, und die folgenden Neuzugaenge meist Moslems sind, wird allmaehlich die Herrschaft der Korsen-Gangster durch Araber-Banden abgeloest, die ihrerseits ebenfalls im Drogenhandel (in und ausserhalb des Gefaengnisses) taetig sind.
Malik passt sich den neuen Verhaeltnissen ebenso geschickt wie brutal an. Am Ende verlaesst er die Anstalt, wird von Frau und Kind des inzwischen (an Hodenkrebs) gestorbenen Kumpels abgeholt. Doch im vieldeutigen Schlussbild, wenn er und seine neuen „Familie“  in scheinbarer Harmonie zum Bus laufen, werden  sie von mehreren dunklen Limosinen langsam verfolgt…
Regisseur Jacques Audiard schildert diese harte, unsentimentale Gangster-Karriere in knappen, schnoerkellosen Einstellungen, die alle ueberfluessigen oder konventionellen Details eines Gefaengnisfilms vermeiden. Eine sehr eigenwillige, elliptische Erzaehlweise, manchmal mit surrealen Einstellungen (der von Flammen umzuengelte Ermordete) oder Schwarz-Blenden, die nur Ausschnitte eines Bildes freigeben, -  so dass der Film, der auch aeusserst harte Gewalt- und Mord-Szenen zeigt, wie aus der Perspektive Malik’s gedreht scheint. Eindringlich, spannend und – scheinbar – ohne moralische Wertung. Kein Sozial-Drama, auch wenn der Film bei seiner Urauffuehrung in Frankreich heftige Auseuandersetzungen ueber Haftanstalten und ihre Insassen ausgeloest hat.
Das Zwiespaeltige eines „sympathischen Verbrechers“ wird in diesem Gangsterdrama gezeigt, jedoch weder verklaert noch verurteilt,  – vor allem aber durch die ueberragende Leistung des Darstellers Tahar Rahim eindrucksvoll beglaubigt.
Raetselhaft bleibt der Titel des Films: wer ist hier der Prophet, oder: was ist hier prophetisch, vorausschauend, weissagend ? Die Fragen bleiben offen.
Ein grosser Film -  nicht nur wegen 150 Minuten Laenge  : packend, irritierend und vielschichtig.

Foto/ Verleih: Sony

zu sehen: u.a. Rollberg (OmU); Broadway; Central Hackescher Markt; CinemaxX Potsdamer Platz; Filmtheater am Friedrichsheim; Movimento