Theatralische Suada: „Rechnitz“ – Gastspiel aus Muenchen im DT ****


Innerhalb der  „Autorentheatertage“  des Deutschen Theaters (8.-17.April 2010) – eine kleine Festspielreihe, die der neue Intendant Ulrich Khuon aus Hamburg mitgebracht hat – gastierten (unter anderen) die „Muenchner Kammerspiele“ mit der Urauffuehrungs-Inszenierung des Stueckes „Rechnitz (Der Wuergeengel)“ von Elfriede Jelinek aus dem November 2008.
Das titelgebende Schloss Rechnitz liegt an der oesterreichisch-ungarischen Grenze. Im Maerz 1945 fand dort – in Anwesenheit des graeflichen Besitzerpaares Batthyany-Bornemisza – ein „Gefolgschaftsfest“ von SS-Offizieren, Gestapo-Fuehrern und einheimischen NS-Getreuen statt, in dessen Verlauf 180 juedische Zwangsarbeiter ermordet wurden, die fuer den Bau eines „Suedostwalls“ gegen die herannahenden russische Armee rekrutiert worden waren. Die Leichen wurden allerdings nie gefunden und nach dem Krieg (und nach der Flucht der Besitzer in die Schweiz) herrschte jahrelang Schweigen ueber Fest und Massaker von Rechnitz.
Nobelpreistraegerin Elfriede Jelinek hat um diese nie ganz aufgeklaerten Vorfaelle einen langen, unablaessig-fliessenden Wort-Teppich geknuepft und ihn sogenannten „Boten“ in den Mund gelegt: ebenso spielerisch-witzig wie boese-satierisch. Und den jeweiligen Inszenatoren viel freien Raum gelassen, diese gewaltigen Wort-Bloecke theatralisch umzusetzen.
Regisseur Jossie Wieler hat sich fuer seine Muenchner Urauffuehrung von seiner Ausstatterin Anja Rabes einen etwas altertuemlichen, holzgetaefelten Raum (mit Hirschgeweih) einrichten lassen, dessen Waende aber drehbar sind und den Auftrittenoder Abgaenge der fuenf Schauspieler dienen, die als Boten weitschweifig variierend und kommentierend vom Nazi-Fest und seiner gastgebenden Graefin, die in Anlehnung an den Bunuel-Film als Wuergeengel charakterisiert wird,  berichten. Wortspiele mal verraetselt, mal kalauernd, mal ironisch, mal auch auf Heutig-Aktuelles anspielend, doch immer flott und grotesk serviert. Erst tragen die beiden Damen (Katja Buerkle, Hildegard Schmahl) und die drei Herren (Andre Jung, Hans Kremer. Steven Scharf) Abendgarderobe, ziehen sich dann bis auf die Unterwaesche aus, um dann in moderne Freizeitklamotten zu schluepfen – eine komisch-karikierende Party – beherrscht von einem ununterbrochenen, wortglizerndem Redeschwall. Und unter dieser geschmeidig-schicker Oberflaeche: die boese Abrechnung der Jelinek mit der faschistischen Vergangenheit und ihrem Weiter- oder Wiederaufleben in ihrer hass-geliebten Heimat Oesterreich.
Keine dramatische Auseinandersetzung realer Buehnenfiguren – sondern ein Oratorium assoziationsreicher Wortketten – glaenzend in Szene gesetzt – aber von begrenzter Wirkung:
wer nicht mit juengerer, deutscher Geschichte und ihren gesellschafts-politischen Auswirkungen vertraut ist, versteht ueber weite Strecken hin nur „Bahnhof“.

Foto: E.Jelinek,2004/ aus Wikipedia