Nostalgie-Trip für Bildungsbürger: ‚Midnight in Paris‘ von Woody Allan ***

Paris im Hochglanz-Format – der Film gewordene Traum aller amerikanischen Touristen: so erscheint die sommerliche Stadt auch dem mehr oder weniger erfolgreichen, kalifornischen Drehbuch-Schreiber Gil, der sie mit seiner hübschen Verlobten Inez und deren republikanisch gesonnenen Elteren – reichen Geschäftsleuten – für einige Tage besucht. Während jedoch Inez und ihre snobistische Mutter sich vorwiegend fürs Shoppen interessieren, träumt sich Gil, der mühsam an seinem ersten Roman bastelt, in vergangene Zeiten zurück. Und er trifft sie alle: Ernest Hemingway, den coolen Macho, das trinkfeste Ehepaar Zelda und Scott Fitzgerald auf einer Dauer-Party-Tour, die mütterlich-matronenhafte Gertrude Stein, die wohlwollend sein Roman-Manuskript zur Kenntnis nimmt. Natürlich verliebt er sich promt in die schöne Adriana, Ex-Geliebte von Modigliani und Picasso, die jedoch ihrenseits ausschliesslich von den goldenen Jahren der Belle Epoque schwärmt und den staunenden Gil (Zeitreise hin, Zeitreise her) mit ins ‚Moulin Rouge‘ nimmt, wo er natürlich auf Toulouse-Lautrec, Degas und Matisse trifft. Am Ende lässt er seine irritierte Verlobte und deren Eltern alleine nach Amerika zurückreisen, bleibt in der traumhaft schönen Stadt an der Seine und trifft – welch ein Zufall – die blonde Verkäuferin, in deren Trödelladen er vor einigen Tagen eine alte Schallplatten-Aufnahme mit Cole-Porter-Songs erworben hat: mitten auf einer Seine-Brücke bei strömendem Regen: Parlez-moi d‘ amour…
Woody Allen geht diesmal auf Nostalgie-Tour und  umspielt den amerikanischen Mythos „Paris“ mit sanfter Ironie. Komödiantische Szenen in romantischen Film-Bildern – mal turbulent, mal elegisch, ob in der Gegenwart, den Goldenen Zwanzigern oder der Belle Epoque spielend. Dazu schlagfertige Dialoge, eine Riege trefflicher Schauspieler in Kurz-Auftritten (darunter Adrien Brody als Dali und Kathy Bates als Gertrude Stein – auch Carla Bruni macht als geduldig-freundliche Fremdenführerin gute Figur) und einen überzeugenden Owen Wilson als Gil, der mit seiner Mischung aus offener Neugier, Naivität und Herzlichkeit den Typus eines durchaus symptischen Westküsten-Amerikaners verkörpert (der auch ein bisschen das alter Ego seines Regisseurs sein könnte).
Ein wenig schlicht ist die Film-Botschaft, nämlich dass fast jeder Mensch glaubt, in einer anderen, vergangenen Epoche glücklicher leben zu können. Und die oft nur sekunden-dauernden Auftritte berühmter Künstler-Personen der Vergangenheit nerven gelegentlich als leeres, filmisches Name-Droping.
Doch Woody Allens szenischer Witz, sein romantisch-satirischer Blick und sein komödiantischer Einfallsreichtum überdecken solche Schwächen auf elegante Weise. Besonders hübsch (für Insider), wenn der Hollywood-Serien-Schreiber Gil dem jungen Bunuel im Paris der späten Zwanziger Jahre die Idee für den „Würgeengel“ vorträgt, worauf dieser mit totaler Verständnislosigkeit reagiert. Allerdings: einem „normalen“ Kinogänger von heute, dürfte es wohl ähnlich ergehen…
Foto/Poster: Concorde Filmverleih GmbH

zu sehen: CineStar SonyCenter (OV); Filmkunst 66 (OmU); Filmtheater am Friedrichshain (OmU); Hackesche Höfe Kino (OmU); Odeon (OmU); Astor, Adria, Capitol, CinemaxX Potsdamer Platz, Delphi, International, Kino in der Kulturbrauerei, Passage, Yorck u.a.