Ein Schuss ins Leere: ‚Der Freischütz‘ in der Komischen Oper **

Der katalanische Regisseur Calixto Bieito gilt als Provokateur: die Komischen Oper wie auch ihr Publikum erhofften sich darum im Vorfeld der Neuinszenierung des „Freischütz“ etwas Aussergewöhnliches, womöglich einen kleinen (kassenfördernden) Skandal. Doch am Ende: Pleite! -  weder dekonstruiert der Regisseur Webers romantische Oper zum biedermeierlichen Scherbenhaufen, noch mutet er einem abgehärteten Gross-Stadt-Publikum aufregende Tabubrüche oder gar eine revolutionäre Neudeutung zu. Er entwickelt zwar (überwiegend im Programmheft) manchen ungewöhnlichen Gedanken zur vieldeutigen Geschichte vom Versager Max und seiner, von unterschwelligen Ängsten geplagten Braut Agathe. Auch analysiert er kritisch eine primitiv-brutalen Dorfgesellschaft, die sich ihre überkommenen Rituale um jeden Preis erhalten will – und dafür auch Menschen-Jagd und Mord in Kauf nimmt. Aber er vermag diese Ideen und Deutungen kaum in theatralisch überzeugende Bilder umzusetzen.

Die düstere Bühne (von Rebecca Ringst) zeigt im ersten Teil aufrechte Baumstämme, kleine blattlose Bäumchen und auf dem Boden viel herbstliches Laub – in dem zur Erheiterung des Publikums ein lebendiges Schwein während der Ouvertüre offensichtlich nach Verborgenem sucht. Kaum von der Bühne gescheucht, beginnt die Jagd des „Viktoria“-jubelnden Chores auf eine Frau im kurzen Pelzmantel, die dann wie ein Tier erschlagen und ausgeschlachtet wird. Später suchen Agathe und Ännchen, von einem faschings-ähnlichen Polterabend zurückkehrend, Max in diesem Wald, der sich seinerseits aber rasch in die Wolfsschlucht verabschiedet. Dorthin hat der kräftige Kaspar inzwischen ein schmächtiges, junges Brautpaar entführt, das er dann mit dem inzwischen nackten Max bestialisch ermordet – die Freikugeln sind dafür der Lohn.
Im zweiten Teil ist der Wald dann abgeholzt, die Baumstämme liegen kreuz und quer auf dem Bühnenboden. Nachdem die angekickste Girlie-Truppe der Brautjungfern ihren Scherz mit Braut- und Totenkrone getrieben hat, und der immer noch pudelnackte Max mit seiner Freikugel Agathe fast erschossen hätte, versucht ein riesenlanger Hippie-Eremit den Frieden wiederherzustellen, indem er das Ritual des (sexuel konotierten) Probeschusses abschaffen will – doch jetzt wehrt sich die Dorfgemeinschaft brutal – kurzerhand werden alle erschossen: Max, der Eremit, nur Kaspar setzt sich das Gewehr selbst an den Kopf – eine kleine Blut-Fontäne schiesst putzig hervor. Black-Out.
Ein Spektakel zwischen schrillem Jahrmarkt-Theater, Komödienstadel und modischer Horror-Picture-Show: effekthascherisch und dadurch über weite Strecken langweilig.
Am meisten aber leidet unter dieser vordergründig-platten Inszenierung die Musik. Dirigent Patrick Lange bemüht sich um zupackende Tempi und klangliche Differenzierung, aber die Sänger vermögen – bei all den grellen Aktionen -  ihre Rollen kaum zu erfüllen. Ina Kringelborn (Agathe) und Julia Giebel (Ännchen) singen „rein und klar“, bleiben aber blass und ausdruckslos. Vincent Wolfensteiner (Max) versteht gut zu artikulieren, hat aber einige Probleme mit sauberen Tönen. Am überzeugensten sind die dunklen Männerstimmen: Carsten Sabrowski als kerniger Kaspar und Alexey Tihomirov in der kleinen Eremiten-Rolle. Klangfest der Chor.
Webers romantischer „Freischütz“ ist einem heutigen Publikum schwer zu vermitteln: vor ein paar Jahren missriet er in der Deutschen Oper zum totalen Flop, jetzt in der Komischen Oper reichte es beim Publikum immerhin zu einem ‚gerade noch‘ – Erfolg.
Foto: Wolfgang Silveri /Komische Oper

nächste Vorstellungen:  4./ 7./ 21./ 24. Februar 2012