Im barocken Faltenwurf: ‚Giulio Cesare in Egitto‘ in der Komischen Oper Berlin***

Eigentlich müßte die Oper „Kleopatra“ heißen, denn die historische Figur der ägyptischen Königin steht im Mittelpunkt des 1724 in London uraufgeführten, italienischen Werkes von Georg Friedrich Händel. Der Kampf um die Macht mit ihrem Bruder Ptolomäus (ital.Tolomeo) und die glücklich endende Liebesaffaire mit dem siegreichen, römischen Feldherrn Caesar (Cesare), stehen im Mittelpunkt der Handlung, die den britischen Komponisten deutscher Abstammung zu einem fulminanten musikalischen Feuerwerk von Arien und Rezitativen inspirierten. Und schon damals war dieser „Giulio Cesare“ ein Vehikel für reisende Sänger-Stars.
Auch in der Neu-Produktion der Komischen Oper (nach der höchst erfolgreichen Inszenierung von Harry Kupfer mit Jochen Kowalski vor 17 Jahren) stellt die amerikanische Regisseurin Lydia Steier die Figur der Kleopatra ins Zentrum des Geschehens. Schon vor der Ouvertüre erinnert sich die reife Königin in einer stummen Pantomime an ihre Kindheit und ihren stehts zudringlichen Bruder Ptolomäus. Sie zieht in dieser Aufführung alle Strippen der Ereignisse, sie verführt und gewinnt den eher gemüts-schlichten, römischen Feldherrn für sich – ob aus kalter Berechnung oder aus echter Zuneigung bleibt – szenisch wie musikalisch – offen. Die Regisseurin lässt diese Händel’sche Erfolgs-Oper im Ambiente der Uraufführungszeit spielen, eine Art barocker Kostümball in (dank der Drehbühne) mehreren prunkvoll-verschnörkelten Räumen und in eleganten Roben, die die barocke Silhouette phantasievoll variieren (Bühne: Katharina Schlipf, Kostüm: Ursula Kudrna). Allerlei effektvolle Requisiten verbinden den antiken Mythos symbolisch mit dem Theater der Händelzeit – auf mamor-weißer Pferdstatue tritt Caesar auf und am Ende wieder ab, als goldner Amor schwebt Kleopatra lieblich vom Bühnenhimmel herab oder spinnt ihre Intriegen vor Aquarien mit rießigen, maulaufreißenden Krokodilen. Historischer Bühnenzauber verbindet sich mit genauer psychologischer Personenführung, allerdings verwirren auch die häufig wechselnden Perspektiven, Verdopplungen von Personen und Kostümen gelegentlich das Verständnis der Handlung.
Im Orchestergraben hält Dirigent Konrad Junghänel die Zügel straff in der Hand, mischt historische Instrumente und Aufführungspraxis mit den Gegebenheiten eines flexibeln, heutigen Opernorchesters. Händels Musik gewinnt so Farbe und Tiefe. Die Sänger scheinen vor allem ihrem Typ nach ausgesucht: die gertenschlanke Valentina Farkas als klug-raffinierte Kleopatra, Dominique Kröninger als jungenhaft-alerter Caesar – ein Bariton in der ursprünglichen Kastratenrolle – , Ezgi Kutlu mit schönem Alt als mißhandelte Witwe Cornelia, Theresa Kronthaler als deren heftig aufbegehrender Sohn Sextus, und die Mezzosopranistin Anna Bernacka als grausamer Schwächling Ptolomäus, eigentlich die zweite, große Kastratenrolle der Oper.
Doch bei allem Wohllaut, aller Spielfreude und aller Charakterisierungs-Kunst mangelt es dem gesamten Ensemble an der für Barock-Musik notwendigen gesanglichen Beweglichkeit und Beherrschung ihres Stils. Mit den Spezialisten, die beispielsweise René Jacobs an der Staatsoper  für solche Produktionen meist zur Verfügung stehen, kann die Komische Oper (verständlicherweise) nicht konkurrieren.
Dennoch: ein gefälliger und hübscher – wenn auch mit fast vier Stunden zu langer – Abend für das insgesamt vielfarbige Repertoire in der Behrenstraße. Großer Applaus, nur wenige Buhs.

Foto: Iko Freese/drama-berlin.de /Komische Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 06./11./14./27.Juni//04./09.Juli 2015