Neues von Vorgestern: Stockhausens ‚Originale‘ in der Schiller-Werkstatt (Staatsoper)***

Ein breites Podest in der Mitte der Raums, darauf die gut 30 Mitwirkenden des Abends, am Kopfende ein Klavier- und ein Schlagzeugspieler. Das Publikum darf zunächst um diese Podium herumwandeln, während die beiden Musiker, verstärkt duch Elektronk, das komplexe Werk von Karlheinz Stockhausen spielen. Jeder der Leute auf dem Podium agiert lässig vor sich hin, flüstert ein bißchen, steht auf oder macht kleine Tanzschritte. Später wird das Publikum gebeten sich am Rand oder auf dem Podium niederzulassen, auf dem unter anderem ein Hochsitz und elekronisches Gerät stehen. Nun laufen die Akteure darum herum oder erklimmen dank einer schmalen Leiter die Seitenemporen. Jeder darf dabei sich selbst spielen. Der junge, österreichische Regisseur Georg Schütky unterbricht gelegentlich das Geschehen, der Dirigent Max Renne versucht Stockhausens Musik und einen Chor aller Mitspieler zu koordinieren, eine Sängerin im grünen Abendkleid müht sich an Zeilen aus Schillers „Don Carlos“ ab, eine Puppenspielerin diskutiert mit sich selbst als Handpuppe über Sein oder Nichtsein, ein Drehorgelspieler wird immer wieder nach ein paar Takten gestoppt und dreht dann stattdessen die Kurbel eines (leeren) Fleischwolfs, ein kleiner Roboter steppt, eine Schauspielerin (Irm Hermann) klagt über die Unvereinbarkeit ihrer Termine (eigentlich müsse sie im Gropius-Bau eine Ausstellung eröffnen) und ein alter Mann trägt einen Vogelbauer umher und rezitiert antike Verse. Alle gehen ode eilen ständig im Kreis – mal mit mal ohne Stockhausens elektronisch verfremdeter und wiederholter (?) Musik – wechseln Klamotten, Perücken oder exzentrische Kopfbedeckungen. Live-Video-Bilder flimmern und der Dichter Gerhard Rühm liest ein lustig-kalauerndes Gedicht vor. Nach circa 90 Minuten verschwinden alle in einem bis dahin verhüllten Nebenraum, der weiße Vorhang schließt sich und eine grelle Scheinwerferbatterie leuchtet dem Publikum direkt ins Gesicht, das  daraufhin freundlichen Beifall klatscht.
Karlheinz Stockhausen hat dieses „Musikalische Theater“ vor dem Hintergrund der entstehenden „Fluxus“-Bewegung geschrieben. Ein Stück ohne Handlungsfaden und – angeblich – ohne kunst-theoretische Unterfütterung. Seine Musik sollte lediglich eine Art akustischen Rahmen bilden. Bei der Uraufführung 1961 im kleinen Kölner ‚Theater am Dom‘ saß der Musiker David Tudor an Klavier und Schlagzeug, warf der Video-Künstler Nam Jun Paik Reiskörner ins Publikum oder hantierte die Malerin Mary Bauermeister mit Pinsel und Farbe – für Viele ein Skandal, der mit Streichung der städtischen Theater-Zuschüsse geahndet wurde. „Originale“ aber mauserte sich zu einem zentralen Stück der damals immer gößere und internationalere Ausstrahlung gewinnenden Fluxus-Bewegung.
Die Staatsoper im Schillertheater hat ihr diesjähriges „Festival für Neues Musiktheater“ – INFEKTION! (13.6.- 12.7.) unter dem Motto gebündelt: „Fluxus Reloaded“. Mit Werken von John Cage, George Maciunas und – als Auftakt – einer Neu-Inszenierung von Stockhausens „Originale“. Regisseur Georg Schütky und Dirigent Max Renne versuchen die handlungslose Gleichzeitigkeit von Musik und diversen Aktionen zu einem schrägen Kessel Buntes zu verquirlen. In dem darf auch Aktuelles nicht fehlen: die Kreuzberger Band „Antinational Embassy“ steuert deutsch-englichen Rap zur Flüchtlings- und Migranten-Diskussion bei – doch musikalisch so jugendlich-flott, daß das Publikum lieber mitwippt als über die angetippte Problemetik nachzudenken.
Und so gerät auch der gesamte Abend zu einer skurilen, manchmal fetzigen, insgesamt aber zu langen und harmlosen Unterhaltungs-Show. Vom provokanten Aktions-Theater der einstigen Fluxus-Bewegung läßt sich zwar die schräg-schrille Oberfläche nachstellen, aber die dahinterliegende Idee einschließlich ihrer ebenso agressiven wie produktiven Wirkung scheint nicht kopierbar – zumindest nicht in dieser Aufführung der Staatsoper. Was allenfalls die letzten 50 Jahre künstlerisch überdauert hat, ist die Musik von Karlheinz Stockhausen.
Also: Fluxus ins Museum? – die Frage bleibt offen.

Foto: Vincent Stefan/Staatsoper Berlin

Premiere war am 13.Juni, die folgenden Vorstellungen: 20./24./25./27.Juni 2015