Rachefeldzug eines NS-Opfers: ‚Aus dem Nichts“ von Fatih Akin****

NichtsKatja Sekerci’s Mann ist Türke und betreibt nach seiner Haftentlassung – verurteilt wegen Drogenhandel –  ein kleines Büro für Steuerberatung und Übersetzungen in einem Szenenviertel von Hamburg. Dort tötet ihn und seinen kleinen Sohn ein Nagelbomben-Anschlag. Obwohl die Polizei zunächst erfolglos in unterschiedlichen Richtungen ermittelt, vermutet Katja, die kurze Zeit vor der Explosion eine ihr unbekannte junge Frau mit einem Fahrad vor dem Büro beobachtet hat, daß Nazis hinter dem Anschlag stecken. Der Verdacht bestätigt sich einige Zeit später, doch in der Gerichtsverhandlung wird das angeklagte junge Nazi-Paar aus Mangel an eindeutigen Beweisen freigesprochen. Verbittert spürt Katja das Paar an einem winterlich-verlassenem Strand in Griechenland auf und bastelt nun ihrerseits eine Nagelbombe…

Regisseur Fatih Akin, der zusammen mit Hark Bohm auch das Drehbuch schrieb, schildert eine Geschichte, die den grauenvollen NSU-Morden nachempfunden ist. Wobei ihn die Täter und deren politischer Hintergrund nur am Rande interessieren. Ihn beschäftigt ausschließlich die Situation der von Staat und Polizei fälschlich verdächtigten oder im Stich gelassenen Angehörigen. Mit großer Empathie verfolgt er die Empfindungen und Reaktionen Katjas:  zeigt ihren Schmerz, die tiefe seeliche Verwundung durch den Verlust ihrer kleinen Familie, aber auch ihre innere Versteinerung gegenüber Eltern, Freunden und Helfern. Ausnahme ist lediglich ihr Anwalt, dem sie vertraut, bis zum sie „tötlich“ treffenden, juristischen Freispruch des Mörder-Paares. Danach sieht sie nur noch den Ausweg in einer Selbstjusitz.

Das Drehbuch, das sich einerseits ganz auf die Gefühlslage des Opfers konzentriert, andererseits zugleich immer gängigen Kino-Regel folgt, weist dadurch einige Schwächen auf, bleibt fast immer vorhersehbar und neigt gelegentlich zu sprachlichen oder bildlichen Floskeln. Dennoch zeigt sich die Regie in Hochform, erzählt in rasanten Sequenzen, kontrastiert das Geschehen durch abwechslungsreiche Handlungsorte und zeichnet psychologisch fein die zahlreichen Nebenfiguren in präzisen Kurzauftritten. Diane Krüger als Katja bleibt (fast) 116 Minuten im Blick- und Bild-Mittel-Punkt und sie gestaltet diese Opferfigur sehr überzeugend duch starke Präsenz und nuanciertes Spiel – in Cannes erhielt sie dafür in diesem Jahr die goldene Palme als beste weibliche Darstellerin.

Fatih Akin hat mit filmischem Fingerspitzengefühl eine aktuelles Thema aufgegriffen und dabei jegliche vordergründige oder platte – politische wie menschliche –  Interpretation vermieden. Auch wenn dieser Film nicht ganz die Überzeugungskraft mancher seiner Vorgänger erreicht, besticht er sowohl duch sein kontroverses Thema und wie durch seine szenische Vitalität.

Poster/Verleih  Warner Bros. GmbH

zu sehen: Babylon Kreuzberg; CinemaxX Potsdamer Platz; Delphi Filmpalst und Delphi Lux; Eva Lichtspiele; Filmtheater am Friedrichshain; Hackesche Höfe Kino; Kino in der Kulturbrauerei;Passager Neukölln; UIC Colosseum; Yorck-Kino