Zurück zum Original: ‚La Bayadère‘ – Das Staats-Ballett in der Lindenoper****

Die zweiten Produktion des neu-formierte Berliner Staatsballetts (Intendant: Johannes Öhman) setzt ganz auf klassische Tradition. In der renovierten Lindenoper präsentiert das Ensemble die 1877 in St.Petersburg uraufgeführte „Bayadère“ des legendären Ballett-Schöpfers Marius Petipa. Der in New York lebende Russe Alexei Ratmansky(50), einer der renommiertesten Choreographen das amerikanischen „contempory ballet“ widmet sich seit einigen Jahren mit großer Leidenschaft der Rekonstruktion von klassischen Balletten, insbesondere den Werken von Marius Petipa. Denn im Laufe der Zeit haben sich Dramaturgie wie Bewegungen nicht nur im Detail, sondern auch in ihrem Gesamtbild  abgeschliffen. Ratmansky und sein Recherche-Team zeigen Petipas klassische Werke in „historisch-kritischen“ Neu-Ausgaben.

Diese „Rückkehr zu den Wurzeln“ gelingt bei der neuen „Bayadère“ in Berlin vortrefflich – auch wenn manche Kritiker oder Zuschauer zunächst über das Ergebnis etwas irritiert sind. So dominiert in den ersten beiden Akten der tragischen Liebesgeschichte zwischen der indischen Tempeltänzerin Nikia und dem bereits andersweit zwangs-verlobten Krieger Solor, über weite Strecken die Erzählform der Pantomime, die in bisherigen Aufführungen meistens weggelassen oder stark verkürzt wird, hier aber in ihrer vielfältigen Bewegungserfindung einen nicht nur  ungewöhnlichen sondern vorallem einen sehr starken poetischen Reiz entwickelt. Erst im zweiten Teil triumphiert dann der  „bekannte“ klassische Tanz, besonders im sogenannten „Schattenakt“, einem reinen „Ballet blanc“, sehr elegant und fließend vom 32 Tänzerinnen im weißen Tütü verlebendigt. Auch die Solisten (Achtung: drei wechselnde Besetzung!)  dürfen hier als „Schatten“ wie auch im dramatischen Schlußakt, einer Hochzeits-Zeremonie mit anschließend einstürtzenden Tempel, ihre große Kunst zeigen und  tänzerisch brillieren. In den ersten Vorstellungen: Polina Semionova als ebenso mädchenhaft-zarte wie energisch um ihre Liebe kämpfende Nikia, sowie Alejando Virelles als ihr Geliebter Solor, schwankend zwischen Gefühl und (tänzerisch nobler) Haltung.

Das große, bestens aufgelegte Ensemble (einschließlich junger Eleven) in vielen ausladenden Divertissements, malerisch-üppige, indisch gefärbte Bühnen-Panoramen, phantasievolle, farblich delikate Kostüme (Jèrome Kaplan) sowie die von der Staatskapelle unter Victorien Vanoosten schwungvoll gespielte Musik von Luwig Minkus (schlicht aber bühnen-bewährt) machen diese frisch rekonstruierte “ La Bayadère“ zum schönen Beispiel der klassischen Tanz-Kunst eines Marius Petipa – raffiniert im Detail, erfindungsreich in der Bewegung, effektvoll als großes Spektakel – ein ansprechendes und überaus lebendiges „Museum“!

Premiere: 4.November 2018