Murx den Belcanto: ‚La Sonnambula‘ in der Deutschen Oper Berlin****

Ort und Zeit der Handlung von Vincenzo Bellini’s „Schlafwandlerin“ (UA: Mailand, 1831) sind ein Dorf in der Schweiz im frühen 19.Jahrhundert. Doch die Neu-Produktion der Deutschen Oper Berlin überträgt die italienische Belcanto-Oper in die Gegenwart. Die szenische Gestaltung ist aus Stuttgart übernommen, erdacht und erarbeitet vom damaligen Intendanten Jossi Wieler und seinem Dramaturgen Sergio Morabito und dort  2012 zur  „Aufführung des Jahres“ gekürt. Für die Bühnenbild und Kostüme war und ist Anna Viebrock zuständig – und prompt scheint die gesamte, dreistündige Aufführung einem von Christoph Marthaler gestalteten Abend zu gleichen. Das somnambule Verwechslungsspiel ereignet sich in einem traditionell-eingerichteten Gasthaus von heute, vorwiegend in einem großen Saal mit gewölbter Verputzdecke, hölzernen Wand-Panelen, auf- und zuklappbaren Tischen und Bänken. Meist gefüllt von braven, gut gekleideten Bürgern, die gerne ihrer Sangeslust in kräftigen Chören frönen. So auch bei der anstehenden Hochzeit zwischen der hübschen Dorf-Waise Amina und dem reichen Landwirt Elvino. Immer misstrauisch beobachtet von der blond-eleganten Wirtin Lisa, die sich selbst Hoffnungen auf den selbstbewußten Bräutigam gemacht hat.  Eine turbulente Komödie beginnt – zwischen Hyperrealismus und Groteske, zwischen dörflichem Biedersinn und anrührender Menschlichkeit. Und doch scheinen sich hinter der fröhlichen Gemütlichkeit immer wieder dunkle Geheimnisse oder rätselhafte Untiefen zu verbergen. Natürlich gibt’s in diesem dickwandigen Wirtshaussaal und dieser eng-verschworenen Bürger-Gemeinschaft kein Happy End, sondern am Schluß  bleiben neben dem großen Blutfleck auf Aminas Nacht-Hemd nur verwirrte Gemüter und offene Fragen übrig – ein kritisch-schöner Kontrast zu den laut-schallenden Jubel-Klängen von Bellinis wunderbarer, sanglicher Musik.

Mit viel Verve verkörpern die Sänger des (wohlklingenden) Chors, die hier sehr individuell gekleidet sind und auch so agieren dürfen, ebenso wie die Darsteller der Nebenfiguren ihre oft schrulligen Rollen. Helene Schneidermann wuselt mit großer Handtasche als Aminas Mutter beflissen-besorgt zwischen Tischen und Bänken umher, Ante Jerkunica spielt mit prachtvollem Baß den nicht ganz uneigennützigen Strippenzieher der Geschichte, Alexandra Hutton als Wirtin Lisa versteckt mit geläufiger Gurgel fast zu geschickt ihre Eifersucht hinter cooler Lässigkeit.

Auch die beiden Gast-Solisten fügen sich singend und spielend bestens in die – für sie sicherlich ungewohnte – Darstellungsweise ein: Die russische Sopranistin Venera Gimadieva gewinnt mit mädchenhafter Anmut und leichten Koloraturen das Herz ihres geliebten Elvino, den der kurzfristig eingesprungene Mexikaner Jesus Leon mit tempramentvollem Spiel und und sehr hellen, etwas flachem Tenor verkörpert.

Als Dirigent debütiert ein zweiter kurzfristiger Einspringer. Stephan Zillas. Er beginnt etwas zögerlich, doch dann gelingt es ihm, Bellinis ausladenden Belcanto zu ebenso schönem.wie dramatischen Klang zu verdichten. Großer Applaus.

Premiere: 26.Januar 2019